25. November 2024 Björn Radke: Die Ergebnisse der COP29 in Baku
»Geld allein wird die Welt nicht retten«
Die Weltklima-Konferenz der UN ist nach elf Tagen am Sonntag zu Ende gegangen. Im Pariser Klimaabkommen ist festgehalten, dass Industrieländer bis 2025 jährlich 100 Mrd. US-Dollar an finanzieller Unterstützung mobilisieren. Das Geld ist für Klimaschutz, Adaption an neue klimatische Verhältnisse sowie für die Bewältigung von Schäden vorgesehen. In Baku sollte die Finanzierung neu definiert und verlängert werden.
Ziel ist ein konkreter Beschluss, wer bis wann wie viel zahlt. Knapp 200 Staaten stimmten einem erst in den letzten Stunden erarbeiteten Kompromiss zu. Dabei ging es um die finanzielle Unterstützung der ärmsten Länder, um selbst klimaneutral zu werden und sich vor den zerstörerischen Folgen des Klimawandels zu schützen. Dieses Jahr dreht sich alles ums Geld: Die Industrieländer sollten den Entwicklungsländern mehr Unterstützungsgelder zahlen, damit diese den Umbau des Energiewesens hin zu den Erneuerbaren und die Kosten allfälliger Umweltkatastrophen stemmen können. Bisher beliefen sich die Gelder auf 100 Mrd. US-Dollar jährlich. Beschlossen wurde:
- Spätestens ab 2035 sollen den Entwicklungsländern jährlich mindestens 300 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stehen.
- Zahlen müssen das die Industriestaaten, das heißt, die Länder, die schon 1992, im Ursprungsjahr der UN-Klimarahmenkonvention, als entwickelte Nationen galten. Und die den Klimawandel zu einem großen Teil verursacht haben.
- Auch die Entwicklungsländer – wiederum nach der Konvention von 1992, das heißt auch China, Saudi-Arabien oder Singapur – werden ۚ»ermutigt«, sich ebenfalls an der Klimafinanzierung zu beteiligen, wenn auch auf freiwilliger Basis.
- Gezählt werden für das Finanzziel auch Beiträge multilateraler Entwicklungsbanken und damit Kredite – und nicht nur Förderungen und Zuschüsse, wie es die Entwicklungsländer verlangt hatten.
- Bis 2035 sollen durch gemeinschaftliche Anstrengung außerdem mindestens 1,3 Bio. US-Dollar aus sämtlichen Finanzquellen mobilisiert werden. Im nächsten Jahr, bei der 30. Klimakonferenz in Brasilien, will man einen Plan dafür erarbeiten.
Die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder sprach angesichts der Beschlüsse von Baku von einem »Scheitern« und von »Betrug«. Viele dieser Länder liegen in Afrika, Asien oder der Karibik. Ein Vertreter Boliviens beklagte, die Entwicklungsstaaten würden mit ihrem Leid in der Klimakrise alleingelassen. Es breche eine Ära an, in der jeder nur seine eigene Haut retten wolle. Die Vertreterin Nigerias bezeichnete die 300 Mrd. US-Dollar unter Applaus aus Teilen des Saals als »Witz« und als »Beleidigung«. Die Gruppe afrikanischer Unterhändler sagte etwa, die Einigung sei »zu wenig« und komme »zu spät« für ihren Kontinent.
Anders als in den Jahren zuvor, auf dem ein weltweiter Konsens zur Abkehr von fossilen Energieträgern als erreichbar erschien, standen die Zeichen diesmal anders: Mit Aserbaidschan hatte ein autoritär regierter Ölstaat den Vorsitz, dessen Präsident zu Beginn der Konferenz »Öl als Geschenk Gottes« bezeichnete. Auch die Wahl Donald Trumps zum kommenden Präsidenten der USA warf ihre Schatten auf die Konferenz. Bereits am Wochenende nach Trumps Wahl wurde bekannt, dass sein Team die Vorbereitungen trifft, um wieder aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen. Unklar ist auch, was passiert, falls Trump sich entscheiden sollte, die Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention for Climate Change – UNFCCC) tatsächlich gänzlich zu verlassen. Mit der Delegation von Argentinien, die auf Anordnung ihres Präsidenten und bekennenden Trump-Fans, Javier Milei, nach wenigen Tagen von der Konferenz abberufen wurde. Von Milei ist bekannt, dass er den menschengemachten Klimawandel leugnet.
Vertreter Saudi-Arabiens– und damit des zweitgrößten Erdölproduzenten der Welt – versuchten diesmal, Beschlossenes zu revidieren, und störten bei nahezu jedem Verhandlungsstrang, bei Fragen zur Finanzierung, zur Emissionsminderung, selbst bei Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit. In einer unwahrscheinlichen Allianz mit dem Vatikan versuchten Saudi-Arabien und Russland sogar, Entscheidungen rückgängig zu machen, die bereits vor einem Jahrzehnt getroffen wurden.
Auch am größten Erfolg der vergangenen Klimakonferenz in Dubai wollte Saudi-Arabien ruckeln: an der definitiven Abkehr von Kohle, Öl und Gas. Die weiteren Entscheidungen dazu wurden dann auch auf 2025 vertagt. Auf der Vorläufer-Konferenz in Dubai im Dezember 2023 wurde ein Paket beschlossen, dass u.a. eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien und einen schrittweisen Ausstieg aus fossilen Energien vorsah. Man einigte sich damals auf einen »Übergang weg von fossilen Energieträgern in den Energiesystemen, auf eine gerechte, geordnete und faire Weise«. Das Wort »phase out« (Ausstieg) hatten vor allem die von Öleinnahmen abhängigen Länder wie Saudi-Arabien strikt abgelehnt. Jetzt fehlt die Bestätigung dieses Paketes im Abschlussdokument von Baku.
Umso wichtiger war es dem drohenden fossilen Rollback entgegenzutreten. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock übernahm am vorletzten Verhandlungstag die Rolle der Verhandlungsführerin der dem Klimaschutz verpflichteten Staaten und ging die Länder mit Interessen an fossiler Energiewirtschaft und auch die aserbaidschanische Präsidentschaft deutlich an. »Hier auf der Klimakonferenz in Baku befinden wir uns in der Mitte eines geopolitischen Machtspiels«, sagte Baerbock. Dieses werde von »fossilen Staaten« leider »auf dem Rücken der ärmsten und verletzlichsten Länder« ausgetragen«.
»Wir Europäer werden nicht zulassen, dass die verletzlichsten Staaten auf der Welt, insbesondere die kleinen Inselstaaten, von einigen der neuen fossilen und reichen Emittenten jetzt hier über den Tisch gezogen werden. Und das im Zweifel auch noch auch mit Rückendeckung der COP-Präsidentschaft«, sagte die Grünen-Politikerin. »Wir als Europäerinnen und Europäer arbeiten daher jetzt intensiv in jeder Minute daran, weiter Brücken zu bauen.« Dazu sei sie als deutsche Außenministerin und Verhandlungsführerin gemeinsam mit der EU-Delegation und anderen wichtigen Gruppen in Gesprächen – vor allem mit den Inselstaaten, mit lateinamerikanischen Staaten und afrikanischen Staaten. »Gerade auch, weil die Anliegen dieser Länder leider von der Präsidentschaft bisher ignoriert worden sind.« Baerbock warnte davor, im Ringen um die Aufstockung von Klimahilfen zugunsten ärmerer Staaten im Gegenzug Rückschritte bei Beschlüssen aus dem vergangenen Jahr zum Klimaschutz zu machen. Klimahilfen und die Verringerung klimaschädlicher Emissionen »gehören aufs Engste zusammen«, sagte Baerbock – denn: »Money alone won't save the world« (»Geld allein wird die Welt nicht retten«), fügte sie hinzu.
Zur Forderung von Entwicklungsstaaten, jährlich Billionen US-Dollar an Klimahilfen zu mobilisieren, sagte sie, dafür müssten jetzt alle großen Emittenten von Treibhausgasen mit ins Boot – »vor allen Dingen auch die großen und reichen neuen Emittenten«. Schon zuvor hatte sie gefordert, dass etwa China, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, die mit Öl, Gas und Kohle viel verdient haben, in den Geberkreis gehörten. »Ich bin mir sicher: Was wir hier sehen, ist ein letztes Aufbäumen der alten fossilen Welt. Was wir brauchen für unsere Zukunft, ist eine Koalition über Kontinente hinweg.« Den beschlossenen Finanzrahmen bezeichnete sie lediglich als »Startpunkt«. Die Entscheidungen allein würden nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen, sagte sie in Baku. Es sei jedoch ein »wichtiges Signal in einer schwierigen geopolitischen Lage«. Deutschland und die EU würden liefern, betonte sie.
So eine klare Ansage, den Kampf gegen die Folgen des Klimawandels in den Mittelpunkt zu rücken und die fossilen Gegnerschaften zu adressieren, war bisher von Regierungsvertreter*innen nicht zu vernehmen. Der Petrostaat Saudi-Arabien hatte sich bis zuletzt gegen jegliche Vorstöße gegen die fossilen Brennstoffe gestemmt. Vergangene Woche griff auch die Opec, der Klub der Petrostaaten, ein. In einem Brief forderte sie die Mitgliedstaaten »dringend« auf, ja keiner Vereinbarung zuzustimmen, die den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen fordere. Der Druck gegen Öl und Gas sei »unangemessen und unverhältnismäßig« und »könne einen Kipppunkt mit unumkehrbaren Folgen erreichen«.
Die Taktik dahinter: den Fokus auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens und das dafür notwendige Auslaufen der fossilen Brennstoffe nicht aus den Augen zu verlieren. Dass sich entsprechende Formulierungen im Text finden, wurde von vielen Aktivist*innen als ein wichtiger Schritt bezeichnet. Das ist einerseits gerechtfertigt. Denn die Abschlusserklärung gibt Aktivist*innen neue Instrumente in die Hand, den Kampf um das Ende der fossilen Brennstoffe weiterzuführen. Gleichzeitig sind die Bekundungen natürlich auch selbstdienlich. Nach zwei Wochen Verhandlungen mag niemand ungefiltert zugeben, dass wenig erreicht wurde.
Eine Vertreterin des Inselstaates Samoa war da weniger diplomatisch: »Wir wollten den Applaus nicht unterbrechen«, sagte sie im Namen der Allianz der Inselstaaten, nachdem die Beschlüsse offiziell angenommen worden waren. Aber der Text stelle keinen großen Wurf dar. »Wir sehen eine ganze Reihe von Schlupflöchern, die uns große Sorgen bereiten.«
Dazu gehört, dass Länder nicht aufgefordert sind, bis zum Jahr 2025 den Höhepunkt ihrer Emissionen zu erreichen. Das wurde, so Diplomaten vor Ort, von China nicht akzeptiert. Gleichzeitig wurde Ländern die Möglichkeit gegeben, Technologien zu nutzen, die CO2 abscheiden und lagern sowie direkt aus der Atmosphäre entziehen. Nicht nur Samoa sorgt sich, dass Regierungen und Unternehmen diese Technologien als Ausweg nutzen werden, weiter Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Gleichzeitig findet sich nun auch eine Erwähnung im Text, dass Erdgas eine Übergangsrolle in der Energiewende spielen kann.