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20. Mai 2016 Bernhard Sander: Der soziale Großkonflikt in Frankreich

Gewerkschaften gegen die Arbeitsmarkt»reformen«

Seit über sieben Monaten dauert der politische Notstand in Frankreich an. Staatspräsident François Hollande hatte ihn nach den Pariser Attentaten verhängt und vom Parlament verlängern lassen. Theoretisch kann man nun ohne Kontakt zum Anwalt wochenlang von der Polizei weggesperrt werden, ist das Demonstrationsrecht eingeschränkt und Tausende Hausdurchsuchungen sind durchgeführt worden.

In diesem Klima der Bedrohung, die insbesondere der migrantische Teil der Bevölkerung empfinden muss, in deren Nachbarschaft diese Durchsuchungen und vorübergehenden Festnahmen stattfinden, spielt sich auch der soziale Großkonflikt ab, der das Ende der in Deutschland so oft überschätzten französischen Kampfbereitschaft bedeuten könnte.

Hollande und seine neoliberale Kabinettsmannschaft um Premierminister Valls hatten nach den großen Steuererleichterungen und einem nur halbherzigen Investitionsprogramm die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Angriff genommen (Verlängerung des Arbeitstages, Verbilligung der Sozialpläne bei Entlassungen, Vorrang der Betriebsvereinbarung vor dem Tarifertrag usw. – siehe dazu ausführlicher hier). Nur ein Teil der Gewerkschaftsbünde begann mit der Mobilisierung auf der Straße. Die CFDT und andere verhandelten.

Diese Spaltung stand der Mobilisierung in den Betrieben entgegen, auch wenn es die erneuerte Führung der CGT nicht wahrhaben wollte. Insbesondere die Raffinerie-Beschäftigten und der Sektor der Lebensmittelindustrie, deren Gewerkschaften dem Weltgewerkschaftsbund seit 2014 wieder angehören, aus dem die CGT 1995 ausgetreten ist, bestimmen seit dem letzten CGT-Kongress den radikalisierten Kurs der ehemals kommunistischen Gewerkschaft.

Der Erfolg der Gewerkschaften hängt davon ab, dass sie tatsächlich einen Industriezweig lahmlegen (was im produzierenden Gewerbe kaum noch gelingt), und dass sie die Streiks bis zum 16. Juni aufrecht erhalten können, wenn das Gesetz endgültig verabschiedet werden soll.

Keiner der Bünde versteht sich mehr als Transmissionsriemen irgendeiner politischen Partei. Entweder weil diese zu unbedeutend (PCF) geworden sind, oder weil sie sich dem Neoliberalismus verschrieben haben (PS). Die übergroße Mehrheit der Volksvertreter*innen streitet über den besten Weg, die Globalisierung zu gestalten. Gegen die Arbeitsmarktreformen hatte allerdings eine Minderheit aus Traditionssozialdemokraten und Linken in der sogenannten sozialistischen Partei opponiert, was die eigene Regierungsmehrheit gefährdet hätte.

Um die über 5.000 Änderungsanträge abzuwehren hatte Valls deshalb zum Instrument der Notverordnungen (Verfassungsartikel 49.3) gegriffen. Die innerparteiliche Opposition, fern davon sich dem Misstrauensantrag der rechtsbürgerlichen Opposition anzuschließen, bastelte zusammen mit den Kommunisten und schon ausgetretenen Parlamentariern an einem eigenen Misstrauensantrag. Am Ende fehlten zwei Unterschriften für das notwendige Quorum für ihre Initiative, die bei Erfolg unweigerlich Neuwahlen zur Folge gehabt hätte.

Vergebens versuchten die Gewerkschaften, mit ihrer Mobilisierung auf der Straße zu beeindrucken. Nachdem es in einigen Städten zu Ausschreitungen gekommen war, setzte die Polizei früh auf eine Eskalation der Repression. Die Gewerkschafter wollten nicht mit den obskuren »Casseurs« (Randalierern) identifiziert werden. Die Zahl der Veranstaltungen blieb bei 200 relativ hoch, doch die Teilnahme sank. Der von der CGT durchgesetzte Rhythmus der Aktionstage war zu dicht und die Mobilisierung, für die jedesmal neu abgestimmt werden muss und für die es keine Streikkasse gibt, verflachte.

Ob es nun die von der Polizei gemeldeten 68.000 oder die von den gewerkschaftlichen Organisatoren gezählten 220.000 waren, der 17. Mai ordnet sich ein in einen Niedergang der Streikaktivitäten.

Die Mobilisierung lässt auch deswegen nach, weil man zwar weiß, dass die Reformen ebenso wenige eine Wende am Arbeitsmarkt bringen wie die Steuergeschenke von 20 Mrd. Euro oder die allgemeine Lockerung der Sonntagsarbeit, die Hollande ebenfalls mit Hilfe des Notverordnungsparagraphen in der Verfassung durchsetzte. Aber ein »weiter so« bleibt ebenso perspektivlos. Selbst diejenigen, die bereit wären, die von der EU erzwungenen Wege der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Umverteilung zugunsten der Vermögenden und der Haushaltsrestriktionen usw. mit zugehen, ahnen, dass damit das Kernproblem nicht angegangen wird.

In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist die industrielle Basis des Landes ausgedünnt worden. Beim produzierenden Gewerbe bleibt Frankreich ein Land mit Importüberschuss. Selbst exportstarke Bereiche wie die Flugzeug- und Rüstungsindustrie sind durch Unternehmenskooperationen zu Dependancen deutscher Unternehmen geworden, die ihre eigenen politischen Exportrestriktionen umgehen. Der industrielle Niedergang hat sich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 beschleunigt bzw. es konnte das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht werden.

François Hollande will nur Staatspräsident sein und verstehe sich nicht als Vorsitzender einer Partei. Er will lieber etwas gegen Widerstand durch-, als sich dem Vorwurf auszusetzen, er habe die Dinge schleifen lassen. Für den PS, Hollande, Valls und Wirtschaftsminister Macron ist die Durchsetzung des Arbeitsmarktgesetzes ein Pyrrhus-Sieg, da 80% der Franzosen das Gesetz als unsozial ablehnen. Die verhängten persönlichen Demonstrationsverbote wurden fast ausnahmslos von den Verwaltungsgerichten kassiert.

Aber das heizt das Klima auf Seiten der autonomen Linken nur noch mehr an. Der Graben der PS-Führung zu den »Frondeurs«, den Rebellen in den eigenen Reihen, hat sich vertieft. Die Aussicht, aus dem bürgerlichen Lager Kräfte zu ziehen, denen die ideologische Annäherung an die rechtspopulistischen Argumentationsmuster gegen den Strich geht, wird enttäuscht, da das Unternehmerlager diese Kräfte mit einer Kritik an den »Halbherzigkeiten« und den »Zugeständnissen« an die Gewerkschaften auf Linie hält.

Im PS-Lager kristallisieren sich Kandidaten für eine öffentliche Vorwahl des Präsidentschaftskandidaten heraus. Der geschasste Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg hat seine politische Rückkehr und ein »alternatives Projekt« für Frankreich angekündigt. Er hatte im Sommer letzten Jahres mit Varoufakis über die Möglichkeiten eines solchen Projektes konferiert. »Es kann linke Vorschläge geben, linke Ideen, aber es gibt keine Alternative zu dem Kurs, für den ich stehe«, bekundete der Präsident. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron könne seine Ideen entwickeln, »aber im Rahmen der Regierungssolidarität«. Hollande duldet es allerdings, dass Macron seine eigene politische Bewegung »En marche« gegründet hat.

Ob dem verschlissenen Personal aber noch nennenswerte Unterstützung durch die WählerInnen zu Teil wird, bleibt fraglich. Er sei nicht wegen eines Programms gewählt worden, der Vorwurf »Deswegen habe ich 2012 nicht links gewählt«, hatte sich sein Amtsvorgänger Sarkozy zu eigen gemacht.

Jean-Luc Mélenchon, ebenfalls aus der PS stammende Gründer der Linkspartei, hatte bereits vor Wochen ohne Rücksprache mit seinen Partnern in der Linksfront seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt. Damit hatte er vor allem die Kommunisten in eine Zwickmühle gebracht, die mit der Rechtswende des PS vor dem Trümmerhaufen ihrer jahrelangen Bündnispolitik stehen, mit der sie seit 2002 (dem Scheitern des PS-Kandidaten Jospin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen) ihren eigenen Niedergang durch Unterstützung des PS aufzuhalten versuchten.

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