19. Oktober 2016 Joachim Bischoff / Björn Radke / Axel Troost
Griechenland: Wann endet die Tyrannei der Memoranden?
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ist mit großer Mehrheit an der Spitze der linken Regierungspartei Syriza bestätigt worden. Er erhielt auf dem Syriza-Parteitag 93,5% der Stimmen. Auf dem ersten Parteitag dieser linken Sammlungsbewegung im Jahr 2013 war er mit 74% gewählt worden.
Syrzia war als ein Bündnis von neun linken Parteien und Organisationen in die politische Arena gestartet. Unter ihnen war Synaspismos, eine Partei mit eurokommunistischer Tradition, die größte Faktor. Zwei kleine Organisationen mit trotzkistischem Anspruch sind dabei, Maoisten und auch Gruppierungen, die sich aus der kommunistischen Partei KKE, der PASOK oder aus den Grünen entwickelten. Bekannte Einzelpersonen aus dem linken politischen Spektrum rundeten das Bündnis ab.
Syriza trat zum ersten Mal als Wahlbündnis bei den Wahlen 2004 an. Damals kam das Bündnis nur knapp ins griechische Parlament: Es holte 3,1% der Stimmen. Synaspismos versprach damals, dass die anderen Organisationen des Syriza-Bündnisses einvernehmlich die gesellschaftliche Opposition im Rahmen dieses Wahlbündnisses im Parlament vertreten werden. Dieses Versprechen wurde gebrochen und die Pluralität verletzt. Die Enttäuschung führte dazu, dass dieser erste Versuch in einer Sackgasse endete. Aus diesem für die politische Linke nicht unüblichen Scheitern entwickelte sich ein zweiter Versuch.
Vor drei Jahren erst entwickelte sich Syriza vom Wahlbündnis zur Partei. Die Gründung erfolgte im Juli 2013. In diesem politischen Prozess, immer unter dem Druck der neoliberalen Memorandumspolitik, lösten sich große Teile der mit der Gründung von Syriza verbundenen Organisationen und Strömungen auf. Gleichwohl bliebt die Vielfalt der Fraktionen und Richtungen ein wesentliches Merkmal von Syriza. Das macht unseres Erachtens nach wie vor die politische und gesellschaftliche Stärke von Syriza aus. In der Satzung heißt es: »SYRIZA ist und handelt kollektiv und demokratisch, agiert gemäß den Entscheidungen der Mehrheit, respektiert und garantiert die unterschiedlichen Meinungen. SYRIZA ist einheitlich und multifraktionell, pluralistisch, offen für die Existenz unterschiedlicher Ideologien, Geschichten und Wertdispositionen und Denkströmungen im linken Raum. Sie ist klassenmäßig in der Arbeiter- und der breiteren Bewegung der Bevölkerung mit ausdrücklichen feministischen und ökologischen Zielsetzungen verankert.«
Wie gesagt, 2004 wurde Syriza noch als Wahlbündnis mit 3,1% der Stimmen zum ersten Mal in das griechische Parlament gewählt. 2012 erzielte Syriza 16,6% der Stimmen, im Januar 2015 waren es rund 36%. Die Neuwahl am 20. September 2015 brachte wiederum 35%. SYRIZA wurde so Schritt für Schritt zur hegemonialen Kraft der politischen Linken und der griechischen Gesellschaft. 2015 wurde die pluralistische Formation Syriza in Absetzung von der sozialdemokratisch-sozialistischen Partei PASOK Regierungspartei und stand vor der Herausforderung, Griechenland vor dem Schicksal eines »gescheiterten Staates« zu bewahren. Unter massivem Druck der internationalen Kreditgeber (EZB, IMF, Ecofin) mussten im Gegenzug für weitere Finanzhilfen brutalste Spar- und Reformforderungen umgesetzt werden.
Syrizas Vielschichtigkeit wurde im Spätsommer 2015 nach dem »Dritten Memorandum« (nach 2004) erneut verletzt. Syrizas linker Flügel unterstützte in den parlamentarischen Abstimmungen nicht länger die eigene Regierung – um sich dann wenig später als eigene Partei »Volkseinheit« zu konstituieren. Der Journalist Schumann fasst die Situation im August 2015 unter dem Titel »Wir erzeugen künstlich einen gescheiterten Staat« so zusammen: »Die Regierung hatte das Volk per Referendum befragt, ob die Bürger bereit seien, sich den geforderten Auflagen der anderen Euro-Staaten zu unterwerfen oder ob sie das ablehnen. Das Volk hatte mit 61 Prozent der Stimmen abgelehnt. Mit diesem Auftrag, Wählerauftrag, ist die Regierung Tsipras dann angetreten und hat wahrscheinlich erhofft, dass mit den Wählern im Rücken Zugeständnisse von Seiten der Kreditgeber bekommen. Die haben sie nicht bekommen, sondern im Gegenteil, es wurden noch härtere Forderungen gestellt, als es zuvor verhandelt worden war. Die Alternative war ein ungeordnetes Ausscheiden aus dem Euro, was die griechische Wirtschaft in eine noch tiefere Katastrophe gestürzt hätte, so dass der Regierung keine Wahl blieb, als diese Bedingungen anzunehmen, aber natürlich gegen den erklärten Willen der eigenen Wähler. Wenn ein solches Votum innerhalb eines Währungsverbundes nichts mehr wert ist, dann ist es keine Demokratie mehr. Griechenland ist jetzt objektiv ein Protektorat der anderen Eurostaaten.«
Die Alternative im Sommer 2015 lautete also: entweder mühseliger Versuch innerhalb der vorhandenen Institutionen und einem finanzpolitischen Protektoratsregime der griechischen Gesellschaft eine Erneuerung und eine Perspektive zu erkämpfen oder ungeordnetes Ausscheiden aus der Euro-Zone, politische Handlungsunfähigkeit und – auch unter dem Druck der großen Migrationsbewegung – ein »failed state«. Einige Regierungen der europäischen Mitgliedsländer hatten auf die Variante der Selbstchaotisierung Griechenlands hingearbeitet. Der Austritt aus dem Euro hätte eine Möglichkeit der Blockierung des Flüchtlingsstroms in die anderen europäischen Staaten eröffnet.
Nach dem Einlenken der von Tsipras geführten Mehrheitsströmung in Syriza gegenüber den Kreditgebern hatte sich im Sommer 2015 ein linksradikaler Flügel abgespalten. Tsipras gab zu erkennen, dass er »eine Partei in der Partei«, wie er die Abtrünnigen um den damaligen Energieminister Panagiotis Lafazanis und die Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou nannte, nicht mehr tolerieren würde. Ist aus Griechenlands radikaler Syriza damit eine Mitte-Links-Partei geworden?
Der Preis der Regierungsfähigkeit
Keine Frage: Neben der Abspaltung einer innerparteilichen Opposition hatte die politische Formation eine »Ausblutung« zu verarbeiten. Mit dem Rückzug vieler AktivistInnen aus der politischen Willensbildung sind auch die Netzwerke zur Zivilgesellschaft abgestorben oder deformiert worden. Syriza ist im Kontext einer weitreichenden Transformation des griechischen Parteiensystems auf den Status einer herkömmlichen Mitgliederorganisation zurückgefallen.
Auch in der Wählergunst hat Syriza seit dem Herbst 2015 enorm an gesellschaftlichem Rückhalt verloren und es ist völlig offen, ob sich die Formation von diesem Aderlass erholen wird. In einer repräsentativen Umfrage der Universität Makedonien zeigten sich Anfang Oktober 87% unzufrieden mit der Regierung. Auch unter den Syriza-AnhängerInnen scheint der Unmut groß: Würde heute gewählt, läge die konservative Nea Dimokratia 13 Prozentpunkte vor Syriza. Zwar sind solche Erhebungen in Griechenland unzuverlässig – doch zeigen sie eine Tendenz, die Tsipras, das personelle Aushängeschild der Partei, beunruhigen muss.
Umfrage Oktober 2016
Konservative ND 28,5%
Syriza 16%
Chryssi Avgi 7,5%
KKE 5,5%
Demokratische Allianz 4,5%
(PASOK und DIMAR)
Tsipras und die Mehrheitsströmung haben lange gezögert einen Parteitag einzuberufen. Faktisch sind die bahnbrechenden politischen Entscheidungen, sich auf eine Mitwirkung im Prozess der Memoranden einzulassen, nicht durch eine Beteiligung von Parteiorganen auf den Weg gebracht worden. Der zweite Parteitag hatte auch die Politik seit der Annahme des neuen Kredit- und Sparprogramms und seit der Spaltung der Partei im Sommer 2015 zu bewerten. Die linke Regierung hat Steuern erhöht, Renten auch für die kleinsten Bezieher kürzen müssen, auf Anweisung der Kreditgeber auch einen neuen Fonds zur Privatisierung gegründet – nunmehr von den Geldgebern geleitet und zur Rückzahlung der Milliardenkredite bestimmt.
Tspiras wie andere führende Syriza-PolitikerInnen haben in ihren Reden und Diskussionsbeiträgen an der grundlegenden Ausrichtung der Partei festgehalten. Das Ziel bleibe der Sozialismus für das 21. Jahrhundert und die »Transformation« des Kapitals, sagte Griechenlands Premier in seiner Rede zur Eröffnung des Parteitags. Und: Die Durststrecke sei noch nicht zu Ende. Die kommenden drei Monate würden besonders hart werden. Bei der nächsten Überprüfung der Spar- und Reformmaßnahmen durch die Kreditgeber gehe es auch um die weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes, d.h. die Deregulierung oder Schleifung von in langen Kämpfen errungenen wichtigen Rahmenbedingungen beim Verkauf und der Nutzung der Arbeitskraft.
In der Tat: Die Chefs der Gläubiger-Institutionen oder die Overlooker des Protektorats stehen wieder vor der Tür. Im Mittelpunkt ihres »Besuchs« stehen diesmal Reformen beim Streikrecht und den Gewerkschaften, bei Privatisierungen sowie im Rentensystem. Die Experten der EU-Kommission und Europäischen Zentralbank (EZB), des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden voraussichtlich wiederum eine folgenreiche Bestandsaufnahme erstellen. Sie wollen erst dann wieder zurückkehren, wenn sie überzeugt sind, dass alles unter Dach und Fach ist, wie die griechische Finanzpresse berichtete. Die griechische Regierung hat klargestellt, dass sie im Gegensatz zu den Gläubigern die Wiedereinführung von Kollektivverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern anstrebt.
In Griechenland müssen heute sechs von zehn Ruheständlern mit weniger als 700 Euro im Monat auskommen und fast 45% leben unter der statistischen Armutsgrenze von monatlich 665 Euro. In absoluten Zahlen sind das 1,2 Mio. RentnerInnen. In Griechenland stehen rund 3,5 Mio. Beschäftigten 2,6 Mio. RentnerInnen gegenüber. Trotz einer mehrfachen Schrumpfkur sind die Rentenkassen noch keineswegs saniert. Noch immer weisen die Versicherungsträger ein hohes Defizit aus, das nur durch Vereinfachung der Organisation und eine Erhöhung der gesellschaftlichen Wertschöpfung überwunden werden kann. Im Rahmen der laufenden Strukturreformen sollen die Rentenkassen ab Januar 2017 zu einer Einheitskasse zusammengelegt werden. Die Steuerhinterziehung und Steuerflucht sind wie die Schwarzarbeit deutlich eingehegt, sodass bei einer Ausweitung der gesellschaftlichen Wertschöpfung der Prozess einer massiven Kürzungspolitik beendet werden kann.
Die Länge und Tiefe der ökonomischen Talfahrt des Landes erklärt sich vor allem aus der Austeritäts- und Sparpolitik. Die griechische Bevölkerung ist seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 mit einer sozial-ökonomischen Abwärtsspirale konfrontiert. Die Jahreswirtschaftsleistung fiel von 233 Mrd. Euro im Jahr 2008 auf ca. 183 Mrd. Euro im Jahr 2016 – ein Minus von rund 25%. Die Arbeitslosenquote stieg von 7,7% auf fast 28% in der Spitze und soll Ende des Jahres bei 22% liegen. Kein europäisches Land hat in der Nachkriegszeit eine so lange und tiefe Rezession erlebt. Sie ist vergleichbar mit der Großen Depression in den USA Anfang der 1930er Jahre. Die Erwerbseinkommen und die Renten gingen in den Krisenjahren um durchschnittlich ein Viertel zurück. Der durchschnittliche Nettolohn in Griechenland beträgt 819 Euro. Jeder fünfte Grieche lebt in Armut. In rund 350.000 der 3,6 Mio. griechischen Haushalte gibt es kein einziges Mitglied mit einem eigenen Erwerbseinkommen.
Die Sanierung der griechischen Ökonomie hing von Beginn an der Frage der Stabilisierung der Binnenwirtschaft und der Wiedergewinnung von Exportanteilen, was sowohl eine Frage von Produkten als auch von wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen beinhaltet.
Es ist falsch, die Krisenstaaten durch einen rigiden Sparkurs zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zwingen zu wollen. Durch Schrumpfungsreformen werden die Krisenländer nur zu einem Bedrohungspotenzial für die Globalökonomie. Parallel zu Sanierungsschritten muss eine konsistente Wachstumsstrategie implementiert werden, die europäisch eingebunden und finanziert wird. Mit zusätzlichen Finanzmitteln gilt es, eine schlüssige Innovationspolitik, eine Erneuerung der Wirtschaftsstruktur und einen Ausbau regionaler Innovationssysteme zu gestalten.
Das Land leidet vor allem seit dem Ausbruch der Großen Krise 2008 unter einer schweren Deformation der Produktionsstrukturen. Wenn es aus der Kreditabhängigkeit heraus will, muss es eine Rekonstruktion seines Wirtschaftspotenzials durchsetzen. Die deutlich abgestürzte Wirtschaftsleistung resultiert nicht aus einer konjunkturellen Unterauslastung, sondern die Produktionsverhältnisse vor dem Krisenniveau sind faktisch weitgehend zerstört. Die fast halbierte Industrieproduktion muss durch neue Produktionszweige ergänzt werden, die am Weltmarkt gegen die im Inland nachgefragten Güter getauscht werden können.
In Griechenland dominierte jahrelang ein permanent verschärfter Konsolidierungskurs auf die Binnenwirtschaft, was letztlich stagnierende Exporte, schwächelnden Konsum und hohe Arbeitslosigkeit bedeutete. Einziger positiver Wachstumsfaktor ist der Tourismus, aber auch hier sind mit der dramatisch hohen Belastung durch Flüchtlinge und Asylsuchende Einschränkungen unübersehbar. Auf den griechischen Inseln bleibt die Lage weiterhin angespannt.
Die Situation Ende September 2016 sieht folgendermaßen aus:
- 1,18 Mio. Menschen sind in Griechenland ohne Arbeit. Am stärksten betroffen sind Jugendliche.
- Statt um 2,5% ist die griechische Wirtschaft 2015 nur um 0,2% geschrumpft. Grund: das starke Tourismusgeschäft, gestiegene Exporte und 4,5 Mrd. Euro zusätzliche Strukturmittel aus Brüssel.
- Das Wirtschaftswachstum könnte 2016 -0,3%/+0,1% erreichen.
- Die Regierung geht davon aus: »Wir werden dieses Jahr keine Haushaltslücke haben«, sondern einen Überschuss (Primärhaushalt ohne Schuldendienst von +0,5% des BIP).
- Die Troika erwartet dagegen ein Defizit von 0,5 bis 0,9% des griechischen BIPs, was 0,9 bis 1,8 Mrd. Euro entspräche.
Der IWF teilt angesichts der Finanzlage Griechenlands für das laufende sowie für das kommende Jahr den Optimismus der Regierung. Er prognostiziert ein Wirtschaftswachstum von 2,8% für das Bruttoinlandprodukt im Jahr 2017. Die griechische Regierung und die Europäische Kommission taxierten für den gleichen Zeitraum bisher eine Wachstumsrate in Höhe von 2,7%. Zudem geht der IWF davon aus, dass das laufende Jahr mit einem geringfügigen Wirtschaftswachstum von 0,1% schließen werde. Das ist deutlich optimistischer als in den offiziellen Zahlen des Dritten Spar- und Reformprogramms (Memorandum) unterstellt. Auch was die Senkung der Arbeitslosigkeit betrifft, geben sich die IWF-Prognosen optimistisch. Ende 2016 werde die Arbeitslosigkeit bei 23,3% liegen, im kommenden Jahr soll sie auf 21,5% sinken. Das wäre zwar immer noch unerträglich hoch, aber doch eine leichte Trendwende.
Regierungsprognose laut Haushaltsplan für 2017
2016 | 2017 | |
Wachstum | + 0,1 % | + 2, 7 % |
Privatkonsum | - 0,6 % | + 1,8 % |
Investitionen | + 3,3 % | + 9,1 % |
Exporte | - 6,3 % | + 5,5 % |
Importe | - 2,6 % | + 3,3 |
Arbeitslosenquote | 21,5 % | 20,4 % |
Politisch könnte also mit dem Jahr 2018 die Tyrannei der Troika enden: Nach Umschuldungen in sehr langlaufende, niedrigverzinste Anleihen könnte Griechenland mit einer Rückkehr zu den Kapital- und Kreditmärkten seinen Rekonstruktionskurs fortsetzen, [1] müsste allerdings für weitere Jahrzehnte die Einhaltung des Schuldendienstes gewährleisten. Die gesellschaftlichen Gestaltungsräume würden schrittweise größer und daher könnte – wie Tspiras in seiner Rede andeutete – im Jahr 2021 der brutale Austeritäts- und Sanierungskurs endgültig der Vergangenheit angehören.
Der Schlüssel zur Rückkehr zu einem nachhaltigen Wohlstand in Griechenland liegt im Aufbau von neuen Produktionsstrukturen, einer Revitalisierung der Ökonomie, die in der mittleren Perspektive wiederum den Einbezug eines Großteils der Bevölkerung in das Wirtschaftsleben eröffnet. Entscheidend für die Rekonstruktion der griechischen Ökonomie, den Abbau der Staatsschuldenquote und die Rückkehr zu einem stabilen Entwicklungspfad sind die Investitionen. Die dafür notwendigen Mittel können nach wie vor nur mühsam im Inland aufgebracht werden. Deshalb käme einem europäischen Investitionsplan eine zentrale Bedeutung zu. Einen solchen Weg zu propagieren und zu popularisieren, um die Voraussetzungen einer Umsetzung zu schaffen, wäre ein wirklicher Plan B.
Die verbleibenden Hindernisse
Eine Fortsetzung dieser wirtschaftlichen Stabilisierung unterstellt (abgesehen von einer krisenfreien Entwicklung der Globalökonomie und der europäischen Wirtschaft): der Primärüberschuss im Haushalt – Saldo ohne Schuldendienst – von 3,5% bis zum Jahr 2018 müsste auf 2% zurückgenommen werden. Der IMF fordert mehr: Der Schuldendienst müsse weiter reduziert oder eine teilweise Schuldenstreichung realisiert werden. Als eine mögliche Lösung für den Schuldenabbau sieht die Bank of Greece eine Streckung der Zahlungsfristen um 20 Jahre. Das Wachstum durch die Senkung des Überschussziels würde günstige Bedingungen schaffen, um die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Steuern senken zu können.
Die Sonderrolle des IMF
Das im Sommer 2015 beschlossene dritte Hilfsprogramm für Griechenland läuft bis August 2018 und sieht Kredithilfen von bis zu 86 Mrd. Euro vor. Dieses 3. Memorandum wird bislang ausschließlich über den Euro-Krisenfonds ESM finanziert. Eine Beteiligung des IMF wie bei den ersten beiden Programmen war verabredet. Doch der Fonds macht seinen Einstieg davon abhängig, dass die europäischen Gläubiger einer Schuldenreduzierung zustimmen.
Die Euro-Staaten haben »Schulden-Maßnahmen« in Aussicht gestellt. Kurzfristig wurden nur kleinere Schritte zur Verbesserung des Schuldenmanagements durch den ESM vorgenommen. Die mittelfristigen Maßnahmen sollen, falls nötig, weiter reichen und können unter anderem eine Verlängerung von Laufzeiten und Rückzahlungsfristen für frühere Hilfskredite der Europäer umfassen. Sie sollen aber erst nach einem erfolgreichen Abschluss des Programms greifen. Einen nominalen Schuldenschnitt (»haircut«) hingegen schließen die Europäer aus.
Der IMF hält die Schuldentragfähigkeit für nicht gegeben und will erst nach Zugeständnissen der Europäer dem 3. Memorandum beitreten. Zudem ist das von Athen und den Europäern per 2018 angepeilte mittelfristige Ziel eines Primärüberschusses (Saldo im Staatshaushalt vor Schuldendienst) von 3,5% des BIP aus Sicht des IMF unrealistisch hoch. Wird der Überschuss auf 2% abgesenkt, fordert der IMF höhere Schuldenerleichterungen.
Vor allem die Deutschen und die Niederländer wollen keine Zugeständnisse vor den anstehenden nationalen Wahlen – im März 2017 in den Niederlanden, im Herbst 2017 in Deutschland. Beide Länder drängen darauf, dass der IMF wieder an Bord kommt. Weniger wegen dessen finanziellem Beitrag als wegen seiner Rolle als Garant für Sanierungs- und Umschuldungsprozesse. Darüber hinaus hat der Deutsche Bundestag seine Zustimmung zum 3. Memorandum von einer Beteiligung des IMF abhängig gemacht.
Kritik von »Links«
Aus der Sicht der linken Kritiker haben Alexis Tsipras und die Mehrzahl der Abgeordneten von Syriza sich der Erpressung unterworfen und so eine der großen Niederlagen der europäischen Linken zu verantworten. Die Regierung habe zwar den unmittelbaren Absturz auf den Status eines gescheiterten Staates verhindern können, aber dieses taktische Glanzstück könne natürlich nicht über das strategische Problem hinwegtäuschen, dass die vermeintlich sozialistische Partei keinen Plan B für einen eventuellen Austritt aus der Euro-Zone hatte. Sie habe sich der Erpressung durch die finanzielle Strangulierung des Landes unterworfen.
Wenn die Bürde der Memorandumspolitik im Jahr 2018 abgeworfen werden kann, dann bleibt von dem Vorwurf der Niederlage wenig übrig. Syriza hat gegen den massiven Druck die gesellschaftliche Katastrophe eines gescheiterten Staates verhindert. Unbestritten ist die innerparteiliche Demokratie der Bewegung Syriza massiv beschädigt worden. Und es ist offen, ob die Partei sich so erneuern kann, dass die Zielsetzung einer Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung weiterhin ein realistisches Ziel bleibt.
Unter diesen Bedingungen ist klar, dass keine Regierung der Welt souverän und ganz nach Wahlprogramm die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gestalten könnte. Vielmehr zählt, mit welcher Integrität die politischen Ideale innerhalb dieses engen finanziellen und regulatorischen Korsetts verwirklicht werden. Daher ist es bewundernswert und hat den Respekt der Linken in ganz Europa verdient, mit welcher Ausdauer die Regierung Syriza unverzagt kämpft, um den auferlegten Austeritätsdruck nicht – wie die Vorgängerregierungen überwiegend – auf die schwachen und marginalisierten Gruppen abzuwälzen, sondern die aufgezwungenen finanziellen Einschnitte und Deregulierungen so sozial verträglich wie möglich zu gestalten.
Die politische Linke nicht nur in Deutschland, sondern in Europa, muss noch lernen, dass es durchaus mühsam und kompliziert ist, einen zerstörten Staat wieder auf einen überlebensfähigen Weg zu bringen. Denen, die sich dieser Herausforderung stellten, nach Zeiten der unkritischen und folgenlosen Beifallsphase jegliche politische und praktische Unterstützung zu entziehen, wirft ein Licht auf den Reifegrad einer linken politischen Formation.
[1] Hier könnte eine gemeinschaftliche Schuldenpolitik in der Eurozone sehr förderlich sein; siehe dazu Klaus Busch/Axel Troost/Gesine Schwan/Frank Bsirske/Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf, Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union, S. 64ff. (VSA: Verlag, Hamburg – im Erscheinen)