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6. Oktober 2019 Otto König/Richard Detje: Zerschlagung von Thyssenkrupp rückt näher

»Heuschrecken« gewinnen Machtkampf

Martina Merz und Guido Kerkhoff

Der traditionsreiche Stahlkonzern Thyssenkrupp, 1999 aus der Fusion der Rivalen Thyssen und Krupp hervorgegangen, war einmal ein Schwergewicht im Ruhrgebiet. Doch nach Strategiechaos, gravierenden Managementfehlern und Führungskrisen sowie Attacken aktivistischer Investoren steckt der Konzern in einer schweren Krise. Das Unternehmen ist nur noch sieben Milliarden Euro wert, zu wenig für den Deutschen Aktienindex (Dax) und rangiert nunmehr im MDax.

Zwischenzeitlich haben Finanzinvestoren, der schwedische Investmentfonds Cevian Capital[1] und der US-Investmentfonds Elliot des berüchtigten Paul Singer, die strategische Oberhand bei Thyssenkrupp gewonnen. Eine Zerschlagung des Traditionskonzerns mit seinen rund 160.000 Beschäftigten weltweit rückt näher.

Die »Heuschrecken« Cevian und Elliot haben systematisch auf die Zerlegung des Mischkonzerns hingearbeitet mit dem Ziel, die lukrativen Geschäftsteile zu veräußern. Mit dem Revirement an der Konzernspitze – Ablösung des nur ein Jahr residierenden Thyssenkrupp-Chefs Guido Kerkhoff und Übernahme der Geschäfte durch die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Martina Merz – sind sie ihrem Ziel nähergekommen, einen Komplettverkauf der wertvollen Aufzugssparte (»Elevator«) vorzubereiten.

Rekapitulieren wir die Entwicklung: In dem schon seit längerem andauernden Machtkampf zwischen Anteilseignern und Management hatten 2018 kurzfristig nacheinander Konzernchef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner ihren Rücktritt erklärt. Der ehemalige Siemens-Manager Hiesinger, der den Industriekonzern und dessen Technologiesparten durch ein Joint Venture mit dem indischen Tata-Konzern vom Stahl loslösen wollte, hatte es abgelehnt, die profitable Aufzugsparte zu verkaufen. Nach der Abspaltung des Stahls sollten vielmehr die Profite der Aufzüge genutzt werden für Investitionen in den Bereichen Automotive, Anlagenbau sowie in den Handel von Roh- und Werkstoffen. Doch die Investoren beharrten auf schneller Rendite.

Thyssenkrupp Finanzchef Guido Kerkhoff, der im Juli 2018 zunächst nur als Zwischenlösung gedacht war, machte sich zunächst die Haltung der Finanzinvestoren zu eigen: »Wir sind – das muss man selbstkritisch sagen – in manchen Entscheidungen und Prozessen zu schwerfällig und langsam«. An die Beschäftigten schrieb er: »Für uns alle gilt: Wir müssen in Zukunft deutlich mehr Geld verdienen als bisher«. Kurze Zeit später empfahl sich Kerkhoff mit dem Plan, Thyssenkrupp in zwei selbständige börsennotierte Unternehmen aufzuspalten, für die Stelle des CEOs.

Der Aufsichtsrat winkte seinen Vorschlag einstimmig durch.[2] Die profitablen und technologie-ausgerichteten Sparten Aufzüge und Rolltreppen, Autoteile und Fertigungsstrecken sowie der Anlagenbau mit einem Umsatz von rund 16 Milliarden Euro und rund 90.000 Beschäftigten sollten in der Thyssenkrupp Industrials AG zusammengefasst werden. In der Thyssenkrupp Materials AG wären der Werkstoffhandel, der 50-prozentige Anteil am künftigen Stahl-Gemeinschaftsunternehmen mit Tata-Steel Europe, das Großwalzlager- und Schmiedegeschäft sowie die Marinewerften mit einem Umsatz von 18 Milliarden Euro und rund 40.000 Beschäftigten zu bündeln.

Nachdem sich die EU-Blockade gegen das geplanten Stahl-Joint-Venture abzeichnete, vollzog der Thyssenkrupp-Vorstand im Frühsommer 2019 erneut eine strategische Kehrtwende. Die Fusion der Stahlsparte mit Tata Steel Europe wurde abgesagt – das Stahlgeschäft sollte nun wieder fester Bestandteil des Konzerns sein. Die Aufzugssparte sollte hingegen an die Börse gebracht werden, während die Sparten Anlagenbau, Automotive und Marine für Partnerschaften freizugeben wären. Der Konzernvorstand verordnete dem Unternehmen zudem einen kräftigen Sparkurs: Abbau von 6.000 Stellen, davon 2000 in der Stahlsparte, und Schrumpfung der Verwaltung in Essen. Einsparvolumen: 1,5 Milliarden Euro.

Ende August kündigte Kerkhoff erneut an, mehrere Geschäfte, die »nicht wettbewerbsfähig« seien, »auf den Prüfstand« zu stellen. Dazu zählen die Bereiche Grobblech (800 Beschäftigte), Federn und Stabilisatoren (3600 Beschäftigte) sowie System Engineering (Bau von Produktionsanlagen für die Autoindustrie, 4700 Beschäftigte). Sie würden nur für vier Prozent des Konzernumsatzes stehen, aber für ein Viertel des im laufenden Geschäftsjahr erwarteten negativen Cashflows, hieß es lapidar in einer Pressemitteilung.

Die Frage, ob die »Ertragsperle« ganz oder nur teilweise verkauft wird, hat am Ende zum Bruch zwischen dem Vorstandschef und wichtigen Aktionären geführt. Vor allem Cevian drängt auf einen Komplettverkauf. Der Wert von Elevator wird auf etwa 18 Milliarden Euro taxiert. Kerkhoff, der einen Börsengang der Aufzugssparte bevorzugte, hatte mit Blick auf die dadurch entgehenden künftigen Gewinne eine vollständige Veräußerung abgelehnt und einer Sonderdividende eine Absage erteilt. Das Geld müsse in der Kasse bleiben, denn der Konzern wäre akut von der Pleite bedroht, sollte auch nur ein Teil der erwarteten Erlöse aus dem Verkauf der Aufzugsparte aus dem Unternehmen abgezogen werden.

Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, der größte Anteilseigner (21%), schweigt sich zu diesem Thema aus, was die FAZ als Zustimmung wertete und feststellte, sie fungierte »als Steigbügelhalter für die Aktivisten« (26.09.2019). Damit taucht nicht zum ersten Mal der Verdacht auf, dass die Stiftungsvorsitzende Ursula Gather mithilft, den Weg für die Zerschlagung zu ebnen, obwohl sie laut Stiftungs-Satzung zum Erhalt des Unternehmens verpflichtet ist. Dagegen forderte der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Knut Giesler, »die Mehrheit der Aufzugssparte im Unternehmen zu halten, um den Konzern abzusichern.« Sein Appell, es dürfe »keinen Schwenk zum reinen Aktionärsdenken geben«, kommt jedoch zu spät.

Der Aufsichtsrat hat Kerkhoff als CEO mit einem »goldenen Handschlag« verabschiedet – sechs Millionen Euro kostet der Rauswurf. Zu Beginn des Geschäftsjahrs 2019/2020, am 1. Oktober, wechselte die ehemalige Bosch-Managerin Martina Merz vorübergehend vom Aufsichtsrat in den Vorstand und übernahm dort den Vorsitz. Ursula Gather sprach der Schwäbin prompt »das volle Vertrauen« aus und Lars Förberg teilte für Cevian mit, dass er den Führungswechsel »voll und ganz« unterstütze. Er sei zuversichtlich, »dass Thyssenkrupp nun endlich eine eindeutige Strategie und einen klar definierten Maßnahmenplan erhält.« Die IG Metall hingegen lehnt den Richtungswechsel ab und Stahl-Betriebsratschef Tekin Nasikkol kündigte gar einen »heißen Herbst« an, sollte der Investmentfonds nach einem Verkauf oder Teilverkauf des Aufzuggeschäfts bei Thyssenkrupp »in die Kasse greifen« wollen.

Angesichts der Verpflichtungen des Unternehmens – Finanzschulden in Höhe von 5,1 Mrd. Euro und Pensionsverpflichtungen in Höhe von 8,5 Mrd. Euro – wäre dies existenzgefährdend. Die Ursache der finanziellen Probleme liegt länger zurück. 2006 hatte der Aufsichtsrat die größte Fehlinvestition in der Geschichte des Konzerns beschlossen: den Bau von zwei riesigen Stahlwerken in den USA und Brasilien.[3] Insgesamt verbrannte der Konzern acht Milliarden Euro in Übersee und leidet bis heute unter dieser Fehlentscheidung, ohne dass je einer der verantwortlichen Manager zur Rechenschaft gezogen wurde. Bezahlt dafür haben die Stahlarbeiter*innen mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze.

Gegenwärtig schreibt das Unternehmen in vielen Sparten Verluste – müsste aber eigentlich kräftig in seine Geschäfte investieren. Von der konjunkturellen Entwicklung droht Unheil: Die Nachfrage in der Autoindustrie lässt nach. Konkurrenten wie Voestalpine aus Österreich und ArcelorMittal sind mit Sparprogrammen dem Thyssenkrupp-Konzern vorausgeeilt. Zusätzlich belasten die Strafzölle der USA von 25% auf Stahlimporte die Erzeuger. Die Exporte aus Deutschland in die USA brachen 2018 um sieben Prozent ein.

War es bisher Teil der Unternehmensstrategie, dass ein Börsengang die »bevorzugte« Maßnahme für die Aufzugsparte sei, da dieser schneller als ein Verkauf Geld in die Kassen spülen würde, scheint der Komplettverkauf der Aufzugsparte mit dem Abgang von Kerkhoff beschlossene Sache sein. Für Private Equity sei der Fall eine »once in a lifetime opportunity«, so ein Investmentbanker. Zu den interessierten Adressen zählt alles, was in der Branche Rang und Namen hat: Advent, Apollo, CVC, Carlyle, KKR und wohl auch EQT, schreibt das Manager Magazin (23.08.2019). Als aussichtsreicher Fusionskandidat gilt auch der Wettbewerber, der finnische Konzern Kone. Dessen Großaktionär Antti Herlin war schon im Jahr 2016 mit Fusionswünschen an Thyssenkrupp herangetreten.

 

Nach einem Verkauf der Aufzugssparte bleibt von dem Unternehmen eine »Resterampe«, die im Konjunkturabschwung erhebliche Probleme haben dürfte. Ohne das Aufzuggeschäft fehlen dem Konzern die stetigen Einnahmen, um beispielsweise das zyklische Stahlgeschäft in Konjunkturflauten auszugleichen.

Aus Kreisen der Arbeitnehmervertreter im Thyssenkrupp-Konzern ist auch bei diesem Kursschwenk zu hören, »der Umbau sei unvermeidbar und schmerzhaft«. Die Mitbestimmung werde »den gesamten Prozess sorgfältig« begleiten. Tatsächlich haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unter Führung des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Markus Grolms alle strategischen Schwenks mitgetragen – auch die Inthronisierung Kerkhoffs als Vorstandsvorsitzender im vergangenen Jahr.

»Wer eine Sonderdividende will, muss mit Widerstand rechnen«, lautet nun die Parole. Doch auch dieses Mal dürfte kein Widerstand zu erwarten sein. »Jetzt müssen die Pläne auf den Tisch, sodass man darüber reden kann, wie man sie umsetzt«, lautet die Forderung. Und wieder einmal sollen dem Management möglichst viele Zusagen abgerungen werden. »Wir wollen unter anderem für den Stahlbereich und auch für Elevator eigene Absicherungen für Standorte und Beschäftigte haben«, heißt es. Bei Elevator liefen dazu bereits Verhandlungen. Fakt ist jedoch: Von dem gesellschaftlichen Demokratie- und Systemkorrektur-Impuls der paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie ist so gut wie nichts geblieben.

Anmerkungen

[1] Cevian Capital ist 2013 bei Thyssen-Krupp eingestiegen. Der schwedische Investmentfonds hat sich auf Unternehmen spezialisiert, die an den Börsen unterbewertet sind – deren Teile also wertvoller als das Ganze sind. Die »Heuschrecke« zählt zur Kategorie der aktivistischen Aktionäre, die sich nachdrücklich ins Geschäft einmischen, um die Strategie der Unternehmen in ihre Richtung zu lenken.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Thyssenkrupp: Riskante Aufspaltung, in: Sozialismus.de, Heft 11/2018.
[3] Vgl. Otto König/Richard Detje: Missmanagement und Milliardenverluste, in: Sozialismus.de, Heft 1/2013.

 

 

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