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ISBN 978-3-96488-121-2

24. Dezember 2020 Otto König/Richard Detje: Aus für Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie

»Historischer Meilenstein«

Foto: www.NGG.net

Das Geschäftsmodell »Ausbeutung«, das in der Fleischindustrie auf Werksvertrags- und Leiharbeit sowie Dumpinglöhnen fußt, ist gesetzlich eingehegt worden. Der Bundestag verabschiedete mit Zweidrittelmehrheit das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz (ASKG).[1]

In großen Fleisch- und Wurstfabriken[2] sind Werkverträge ab Januar Geschichte, Leiharbeit im Bereich der Schlachtung und Zerlegung ab April 2021 weitestgehend untersagt. Die Fleischbarone müssen als Arbeitgeber für die Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der Beschäftigten künftig geradestehen.

Das Gesetz ist ein großer Erfolg des jahrelangen gemeinsamen Kampfes der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), kirchlichen Gruppen, NGOs, dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Bündnissen und Unterstützerkreisen auf kommunaler Ebene. Die NGG spricht von einem »historischen Meilenstein«.

Doch nicht die bekannten unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten aus Rumänien, Bulgarien und Polen in den Schlachthöfen, die aufgrund ihrer Beschäftigung bei Werkvertragsfirmen systematisch ausgebeutet werden, nicht die Enge und jämmerlichen Zustände ihrer Unterkünfte – die Corona-Pandemie hat letztendlich dieser menschenunwürdigen Praxis ein Ende bereitet.

Eine Auswertung von Daten der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu den Corona-Ausbrüchen in der Fleischwirtschaft zwischen März und Oktober 2020 hat ergeben, »dass die Zahl der Infizierten unter Werkvertrags- und Leiharbeitskräften der Fleischwirtschaft doppelt so hoch lag wie unter den Stammbeschäftigten und sogar sechsmal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Insgesamt gab es in deutschen Schlachthöfen zwischen 15. März und 24. Oktober 4.071 Infizierte.« (Der Freitag vom 17.11.2020) Matthias Brümmer, NGG-Geschäftsführer in der Region Oldenburg/Ostfriesland: »Durch das Infektionsgeschehen in den Fleischfabriken sind die Missstände für alle so deutlich sichtbar geworden, dass sie nicht mehr ignoriert werden konnten. Mit Corona ist die Zeit des Wegschauens vorbei.«

Letztlich ein beschämender Vorgang, denn die Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie, physischer und psychischer Druck, hohes Arbeitstempo, Arbeitszeiten über die täglich zulässigen zehn Stunden hinaus sowie die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns stehen seit Jahren in der Kritik.[3] Doch alle Versuche, dieses profitgetriebene Unwesen zu beenden, verliefen im Sande. Beobachter sprechen von einer »mitwisserischen Haltung« der Politik – man kannte die Missstände, nahm sie aber hin, solange alles funktionierte.

Nach den massenhaften Corona-Infektionen in den Schlachtfabriken des Tönnies-Imperiums reagierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit einer Initiative zur Änderung des »Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft« mit dem Ziel, Leiharbeit und Werkverträge zu verbieten und Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte der osteuropäischen Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten. Es sollte ein Eingriff in die Wirtschaft werden, den es in dieser Weise in Deutschland bisher nur selten gegeben hat. Die Folge: Die Fleischlobby begann gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden und Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Sturmlauf gegen die geplanten gesetzlichen Änderungen.

Die Fleischbarone um Clemens Tönnies wetterten gegen die angebliche »Stimmungsmache« gegen die Fleischwirtschaft und lobbyierten über Wochen hinweg bei Bundestagsabgeordneten. In einem Schreiben des Verbands der Fleischwirtschaft frohlockten deren Branchenvertreter, dass zahlreiche Gespräche mit Bundestagsmitgliedern in Sachen Leiharbeit »Wirkung gezeigt« hätten, so das WDR-Magazin Westpol. Tatsächlich wurde der Gesetzentwurf, der zur Abstimmung im Bundestag stand, unter dem Jubel der Fleischlobby Ende Oktober kurzerhand von der CDU/CSU-Fraktion wieder von der Tagesordnung genommen.

Die parlamentarischen Steigbügelhalter der Fleischwirtschaft verfolgten das Ziel: Wenn schon nicht das Verbot von Werksvertragsarbeit verhindern werden konnte, dann sollten zumindest Ausnahmen bei der Leiharbeit durchgesetzt werden. Das Narrativ vom »Bratwurstengpass in der Grillsaison« machte fortan die Runde, um die Flexibilität und damit die Notwendigkeit der Leiharbeit in der Branche zu begründen. »Im Sommer werden Steaks und Bauchfleisch als Grillgut stärker nachgefragt. Darauf muss ein Unternehmen reagieren können«, verteidigte die Fraktionsvizechefin der Union, Gitta Connemann, den Vorstoß. Damit Fleisch in Spitzenzeiten nicht knapp werde, müssten auch künftig Leiharbeiter*innen beschäftigt werden können.

Nachdem das Arbeitsschutzkontrollgesetz nun endlich die parlamentarischen Hürden genommen hat, drohen einige Unternehmen mit einer Verfassungsbeschwerde – allen voran der Präsident des deutschen Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft, Friedrich Otto Ripke, der das neue Gesetz für verfassungswidrig hält und die Konkurrenzfähigkeit regionaler Schlachthöfe innerhalb der EU bedroht sieht.

Das ist barer Unsinn: Eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat ergeben, dass die Arbeitskosten in der weitgehend tariffreien deutschen Fleischwirtschaft 2017 bei gerade einmal 32.000 Euro pro Beschäftigtem im Jahr liegen – im weitgehend tarifgebundenen Dänemark liegen die Arbeitskosten mit 69.000 Euro pro Beschäftigtem mehr als doppelt so hoch.[4]

Was regelt das neue ASKG? Werkverträge sind ab Jahresbeginn 2021 in der gesamten Fleischwirtschaft verboten. Betroffen sind über 30.000 Arbeitnehmer*innen, die künftig direkt bei den Firmen angestellt werden müssen. Leiharbeit wird ab dem 1. April 2021 in den Betrieben, die schlachten und zerlegen, komplett verboten. Tönnies, Westfleisch, Vion, Danish Crown und viele mehr dürfen dann nur noch eigenes Personal beschäftigen. Unternehmen, die das Fleisch beispielsweise zu Bratwurst, Salami oder Schinken weiterverarbeiten, haben die Möglichkeit, auch nach dem 1.4.2021 Leiharbeiter*innen einzusetzen. Ausgenommen von dem Gesetz sind Fleischerhandwerksbetriebe mit bis zu 49 Mitarbeitern.

Eine wichtige Voraussetzung, dass die Ausnahmeregelung in der Fleischverarbeitung angewendet werden darf, ist, dass ein Tarifvertrag existiert, der Leiharbeit explizit zulässt. Und es gibt es Grenze: Leiharbeit darf nur bis zu 8% der Jahresarbeitsleistung im betreffenden Betrieb ausmachen. Folglich müssen die Fleischverarbeitungsbetriebe 92% eigenes Personal einsetzen. Gemessen an der bisherigen Realität, in der weit über 50% externe Beschäftigte – über Werkvertrag oder Leiharbeit – zum Einsatz gekommen waren, ist das ein Fortschritt. Und: Diese eng umgrenzte Ausnahme vom Leiharbeitsverbot ist nur für eine Übergangszeit von drei Jahren möglich. Ab 2024 darf es in der Branche, in der rund 150.000 Beschäftigte arbeiten, weder Werkverträge noch Leiharbeit geben.

Hinzu kommt die Pflicht der Unternehmen zur digitalen, fälschungssicheren Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Die Höchststrafe für Arbeitgeber, die ihre oft nicht deutschsprachigen Arbeiter*innen bei der Arbeitszeit betrügen, steigt von 15.000 auf 30.000 Euro. Die bisher existierenden dubiosen Firmengeflechte von Sub-Sub-Unternehmern mit unklaren Zuständigkeiten für Personal, Arbeitszeit, Bezahlung darf es ab Jahresbeginn 2021 nicht mehr geben.

Für die Wohnunterkünfte der zumeist osteuropäischen Beschäftigten sollen bundesweite Standards erarbeitet und kontrolliert werden. Mindeststandards gelten künftig auch, wenn Wohnraum über Drittanbieter organisiert wird. Wuchermieten verhindert das Gesetz leider immer noch nicht, stellt der DGB fest und fordert, dass die Kosten für Unterkünfte so gedeckelt werden müssen, dass sich der Lohnbetrug durch exorbitante Abzüge nicht fortsetzt.

Das Hauptproblem der Neuregelung liegt bei der Kontrolle. Die bisherigen geringen Arbeitsschutz-Kontrollkapazitäten in den Bundesländern sollen durch mehr Personal ausgebaut werden. Ab 2026 sollen jährlich mindestens 5% der fleischverarbeitenden Betriebe durch die Landesbehörden kontrolliert werden. Das ist bei weitem zu wenig in einer Branche, die seit Jahrzehnten im halblegalen Bereich agiert. Das bedeute, so rechnet die Bundestagsabgeordnete der Linken, Jutta Krellmann vor, dass jeder Betrieb nur alle 20 Jahre kontrolliert werde.

Wenn künftig mehr Menschen direkt bei den Fleischunternehmen angestellt sind, erhöht das die Chancen für die Bildung von Betriebsräten, aber auch der gewerkschaftlichen Organisation im Betrieb. Bislang waren die Betriebsräte der Fleischkonzerne, die für die geringe Zahl der Stammbeschäftigten gesetzliche Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz haben, nicht befugt, die Arbeitsbedingungen und Löhne der Werksvertragsarbeiter*innen zu kontrollieren, die bei den Subunternehmen unter Vertrag standen.

Das Gesetz wird jedoch allein nicht ausreichen, um gute Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen. Als weiterer Schritt ist der Wiederaufbau eines funktionierenden Tarifsystems notwendig. »Nur mit einem umfassenden Branchentarifvertrag, der für die gesamte Branche allgemeinverbindlich ist, könnte es gelingen, der Fleischwirtschaft einen verbindlichen Wettbewerbsrahmen vorzugeben und den ruinösen Preiswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten zu beenden«, so die WSI-Wissenschaftler Serife Erol und Thorsten Schulten.

»Angesichts weitgehender Tarifflucht der Unternehmen der Branche könnte das (Tarifvertrag über Leiharbeit) ein Hebel sein, um hier wieder zu geregelten Tarifverhältnissen zu kommen, die dann aber mehr umfassen als nur die Erlaubnis der Leiharbeit, z.B. Arbeitszeit, Urlaub, Zuschläge, Löhne usw.«, schreibt Johannes Specht, Leiter der NGG-Tarifabteilung (Der Freitag vom 18.12.2020). Mittlerweile hat der NGG-Vizevorsitzende Freddy Adjan die Unternehmensverbände der Fleischindustrie zu bundesweiten Tarifverhandlungen aufgefordert.

Leider besteht nicht die politische Absicht, das Arbeitsschutzkontrollgesetz zur Blaupause für alle Branchen mit viel Leiharbeit bzw. einem Sub-Sub-Unternehmer-Unwesen zu machen. Denn natürlich sind die Schlachthöfe kein Einzelfall. Auf Baustellen, in Logistikzentren, in der Pflege von Senioren zu Hause und auf Spargel- und Erdbeerfeldern ändert sich zunächst einmal nichts.

Auch hier schuften Arbeiter aus Osteuropa mit geringerem Schutz und zu miserablen Arbeitsbedingungen sowie kaum existenzsichernder Entlohnung. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hält das ASKG zudem für ein gutes Modell für die Paketbranche. Es sollte keiner neuen Pandemie bedürfen, um die Rechte der Arbeiter*innen aus osteuropäischen Ländern auch in anderen Branchen zu stärken.

Anmerkungen

[1] Für den Gesetzentwurf stimmten 473 Abgeordnete, 152 lehnten ihn ab, es gab fünf Enthaltungen. Für das Verbot haben SPD, Linke, Grüne und die meisten CDU-Abgeordneten gestimmt, dagegen sprachen sich FDP- und AfD-Politiker aus.
[2] 539 Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten zählte die Fleischindustrie in Deutschland 2019. Darunter dominieren wenige Großkonzerne wie Tönnies, Vion oder Westfleisch. Mehr als 100.000 Beschäftigte arbeiten insgesamt im Bereich Schlachten und Fleischverarbeitung (WSI).
[3] Siehe Peter Birke: Die Fleischindustrie in der Coronakrise. Eine Studie zu Arbeit, Migration und multipler Prekarität. In: Sozial.Geschichte Online (sozialgeschichte-online.org), 9. Dezember 2020; Nicole Mayer-Ahuja: Stellungnahme zur schriftlichen Anhörung der Mindestlohn-Kommission. In: Mindestlohnkommission (Hrsg.): Stellungnahmen aus der schriftlichen Anhörung. Ergänzungsband zum Dritten Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz Berlin: Mindestlohnkommission; Otto König/Richard Detje: Die Lohnsklaven der Schlachthöfe., Fleischindustrie – Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Entlohnung, in: Sozialismus, Heft 12/2013.
[4] Serife Erol/Thorsten Schulten: Neuordnung der Arbeitsbeziehungen in der Fleischindustrie. Das Ende der »organisierten Verantwortungslosigkeit«? WSI-Report Oktober 2020.

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