11. Dezember 2024 Paul Krugman: Eine Zwischenbilanz nach 25 Jahren
Hoffnung im Zeitalter des Ressentiments
Dies ist meine letzte Kolumne für die New York Times, in der ich seit Januar 2000 meine Kommentare veröffentlicht habe. Ich verlasse die Times, nicht die Welt, und werde meine Ansichten an anderer Stelle kundtun. Mein Wechsel ist eine gute Gelegenheit, in aller Kürze zu reflektieren, was sich in den letzten 25 Jahren verändert hat.
Wenn ich zurückblicke, fällt mir insbesondere auf, wie optimistisch viele Menschen damals waren, hier in den USA und in weiten Teilen der westlichen Welt, und wie heftig dann dieser Optimismus von Wut und Ressentiments abgelöst worden ist. Und ich spreche nicht nur von weiten Teilen der Arbeiterklasse, die sich von den Eliten verraten fühlen; einige der wütendsten und verbittertsten Menschen in Amerika – Personen, die sehr wahrscheinlich großen Einfluss auf die neue Trump-Administration haben werden – sind Milliardäre, die sich nicht genug bewundert fühlen.
Es ist heute nur schwer zu vermitteln, wie gut es den meisten US-Amerikaner*innen zur Jahrtausendwende ging. Umfragen zeigten ein Maß an Zufriedenheit mit der Entwicklung des Landes, das nach heutigen Maßstäben surreal anmutet. Bei den Wahlen im November 2000 hatte ich den Eindruck, dass viele Amerikaner*innen Frieden und Wohlstand als selbstverständlich ansahen und deshalb für jenen Kandidaten – George W. Bush – stimmten, mit dem es sich scheinbar am besten leben ließ.
Auch in Europa schienen es gut zu laufen. Insbesondere die Einführung des Euro im Jahr 1999 wurde weithin als ein Schritt hin zu einer engeren politischen und wirtschaftlichen Integration gefeiert – zu den Vereinigten Staaten von Europa, wenn man so will. Einige von uns widerborstigen Amerikanern hatten Bedenken, die aber zunächst nicht allgemein geteilt wurden.
Natürlich war nicht alles Gold, was glänzte. So wurden innerhalb der USA bereits in den Clinton-Jahren im Stile einer Proto-QAnon-Propaganda eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien vertreten und es gab einige heftige terroristische Anschläge. Es gab die Finanzkrisen in Asien, die einige von uns als Vorboten der Zukunft betrachteten: 1999 veröffentlichte ich ein Buch mit dem Titel »Die große Rezession« (The Return of Depression Economics), in dem ich die Ansicht vertrat, dass sich Ähnliches auch in den USA ereignen könnte; ein Jahrzehnt später – die Entwicklung hatte mir recht gegeben – brachte ich eine überarbeitete Ausgabe heraus: »Die neue Weltwirtschaftskrise«.
Als ich anfing, für die New York Times zu schreiben, blickten die Menschen noch recht optimistisch in die Zukunft. Warum hat sich dieser Optimismus in Luft aufgelöst? Meiner Meinung nach ist das Vertrauen in die Eliten zusammengebrochen: Die Menschen glauben nicht mehr, dass die Verantwortlichen wissen, was sie tun, oder dass wir davon ausgehen können, dass sie ehrlich sind.
Das war nicht immer so. Damals, in den Jahren 2002 und 2003, wurden diejenigen von uns, die argumentierten, dass die Begründung für die Invasion des Irak gefälscht war, von fast allen Leuten zurückgewiesen. Sie wollten nicht glauben, dass ein amerikanischer Präsident eine derartige Lüge in die Welt setzt. Wer würde das heute noch sagen?
Auf andere Weise hat die Finanzkrise von 2008 das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit der Regierungen, eine Volkswirtschaft zu führen, untergraben. Der Euro als Währung überlebte die europäische Krise, die 2012 ihren Höhepunkt erreichte und die Arbeitslosigkeit in einigen Ländern auf das Niveau der Großen Depression ansteigen ließ, nicht aber das Vertrauen in die Eurokraten – und den Glauben an eine glänzende europäische Zukunft.
Es sind nicht nur die Regierungen, die das Vertrauen der Bürger*innen verloren haben. Es ist erstaunlich, wenn man zurückblickt und sieht, wie viel positiver die Banken vor der Finanzkrise gesehen wurden.
Und es ist noch gar nicht so lange her, dass Technologie-Milliardäre quer durch das politische Spektrum bewundert wurden und einige sogar den Status von Volkshelden erlangten. Heute sind die Illusionen, die mit ihnen und einigen ihrer Produkte verbunden waren, verflogen. Mehr noch: Australien hat sogar die Nutzung sozialer Medien für Kinder unter 16 Jahren verboten. Womit wir wieder bei dem Punkt wären, dass einige der unzufriedensten Menschen in den USA derzeit wütende Milliardäre zu sein scheinen.
Das haben wir schon einmal erlebt. Nach der Finanzkrise von 2008, die weithin (und zu Recht) zum Teil auf finanzielle Machenschaften zurückgeführt wurde, hätte man erwarten können, dass die einstigen Herren des Universums ein wenig Reue zeigen, vielleicht sogar Dankbarkeit dafür, dass sie gerettet wurden. Was wir stattdessen bekamen, war die »Obama-Wut«, die Wut auf den 44. Präsidenten der USA, weil er auch nur angedeutet hatte, dass die Wall Street eine Mitschuld an der Katastrophe tragen könnte.
In diesen Tagen ist viel vom Rechtsruck einiger Tech-Milliardäre die Rede, von Elon Musk und von weniger Betuchten. Ich denke, wir sollten damit nicht zu viel Zeit verschwenden und sollten vor allem der Legende widersprechen, dass dies irgendwie die Schuld der politisch korrekten Linken sei. Im Grunde handelt es sich um die Nickligkeiten von Plutokraten, die sich in der öffentlichen Anerkennung gesonnt haben und nun feststellen, dass man für alles Geld der Welt keine Liebe kaufen kann.
Gibt es einen Ausweg aus der düsteren Situation, in der wir uns befinden? Ich glaube, dass Ressentiments zwar die falschen Leute an die Macht bringen, sie aber nicht auf Dauer dort halten können. Irgendwann wird die Öffentlichkeit merken, dass die meisten Politiker*innen, die gegen die Eliten wettern, in jeder Hinsicht selbst zur Elite gehören, und die Mehrheit wird anfangen, sie für die Nichteinhaltung ihrer Versprechen zur Rechenschaft zu ziehen. Und dann wird die Öffentlichkeit vielleicht bereit sein, Menschen zuzuhören, die nicht versuchen, mit Autorität zu argumentieren, die keine falschen Versprechungen machen, sondern versuchen, so gut sie können, die Wahrheit zu sagen.
Vielleicht werden wir nie wieder das Vertrauen in unsere Politiker*innen zurückgewinnen, das wir einmal hatten – den Glauben, dass die Mächtigen im Allgemeinen die Wahrheit sagen und wissen, was sie tun. Das sollten wir auch nicht. Aber wenn wir uns gegen die Kakistokratie – die Herrschaft der Schlechtesten – wehren, die sich gerade herausbildet, finden wir vielleicht eines Tages den Weg zurück in eine bessere Welt.
Paul Krugman (@pkrugman.bsky.social) hat seit Januar 2000 fast täglich in der New York Times eine Kolumne geschrieben. Er ist Professor am Graduiertenzentrum der City University of New York. 2008 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Beiträge zur Theorie des internationalen Handels und zur Wirtschaftsgeographie. Der hier dokumentierte Kommentar (Übersetzung: Hinrich Kuhls) erschien mit dem Titel My Last Column: Finding Hope in an Age of Resentment in der Printausgabe der New York Times vom 10.12.2024.