28. August 2022 Joachim Bischoff: Krisenfolgen gehen zulasten breiter Bevölkerungsteile
Hohe Zinsen und Schuldenbremse sind kein Ausweg
Seit 1978 sponsert die Federal Reserve Bank of Kansas City jedes Jahr ein Symposium zu einem wichtigen Wirtschaftsthema, mit dem die US-Ökonomie und die Weltwirtschaft konfrontiert sind.
In diesem Jahr hatte das Treffen der Wirtschaftsfachleute wiederum besondere Aufmerksamkeit: Vor allem die Positionsbestimmung des amerikanischen Fed-Chefs Jerome Powell fesselte die Aufmerksamkeit der internationalen Börsenmanager*innen. Vom Notenbankpräsidenten wurde mehrheitlich erwartet, dass die Fed die Inflationsgefahr stärker gewichtet als Rezessionsängste.
Auf dem letztjährigen Wirtschaftssymposium hatten die Zentralbanker*innen und insbesondere Powell noch den vorübergehenden Charakter der Inflation betont und daher an einem abwartenden Kurs festgehalten. Seitdem hätten sie diesen aufgegeben, die Zinssätze auf ein Niveau angehoben, das näher am neutralen Wert liege und seien angesichts der anhaltenden Teuerung viel stärker von den Daten getrieben.
Powell hat die Erwartungen erfüllt. Er machte in seiner Rede in Jackson Hole deutlich, dass die Notenbank ihre Geldpolitik nicht lockern wird, bis sich ein klarer Rückgang der Inflation abzeichnet – wenn nötig auch auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums: »Das Wichtigste für die Wirtschaft ist eine niedrige, stabile Inflation.«
Diese Aussicht auf eine länger anhaltende Periode steigender Zinsen in den USA – und in der Folge auch bei den anderen wichtigen Notenbanken – hat auf den Aktien- und Anleihemärkten erneut zu einer Talfahrt geführt. Die Wiederherstellung der Preisstabilität werde für »einige Zeit« eine restriktive Geldpolitik nötig machen, sagte der Fed-Chef. Dazu müssten die Werkzeuge »kraftvoll« genutzt werden.
Finanzleute rechnen daher vermehrt mit einer Anhebung der Zinsen um 75 Basispunkte im September. Die Aussagen kündigen eine harte Straffungspolitik an. Powell drücke das Bremspedal voll durch, wenn es um die Bekämpfung der Inflation geht. Die Hoffnungen vieler Anleger*innen auf Zinssenkungen im kommenden Jahr sind damit zunichte gemacht worden.
Die Fed sorgt sich weiterhin mehr vor einer Verfestigung der außergewöhnlich hohen Inflation als vor einer Rezession. Über das Tempo und Ausmaß künftiger Zinsschritte legte sich die Fed nicht fest, diese seien von den Konjunkturdaten abhängig. »Die Wiederherstellung der Preisstabilität wird wahrscheinlich die Beibehaltung eines restriktiven geldpolitischen Kurses für einige Zeit erfordern«, und »die historische Entwicklung warnt eindringlich vor einer verfrühten Lockerung der Geldpolitik«. Das Erreichen einer Ziel-Inflationsrate von 2% sei das »übergeordnete Anliegen der Notenbank«, auch wenn Konsument*innen und Unternehmen wirtschaftlichen Gegenwind verspüren sollten.
Der Fed-Chef benannte also den Preis der Straffung der Geld- und Kreditpolitik: Man würde unter Umständen eine längere Zeit mit unterdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum und einen schwächeren Arbeitsmarkt in Kauf nehmen, um den Preisauftrieb unter Kontrolle zu bringen. »Höhere Zinssätze, geringere konjunkturelle Dynamik und etwas mehr Arbeitslose werden zwar die Inflation senken, aber den Privathaushalten und den Firmen auch Unbehagen bereiten.«
Hintergrund ist, dass sich die Notenbanker*innen mit der höchsten Inflation seit 40 Jahren herumschlagen müssen. Sie hatten diese Entwicklung viel zu spät erkannt und gehen nun entsprechend aggressiv dagegen vor, um die Entstehung einer vor allem auch psychologisch bedingten Preisspirale zu verhindern. Tatsächlich hat das Fed den Leitzins bei den jüngsten Treffen des zinsbestimmenden Gremiums um jeweils 75 Basispunkte auf zuletzt 2,5% angehoben und signalisiert, beim nächsten Monat erneut an der Zinsschraube zu drehen.
Das derzeitige Zinsniveau sei »kein Punkt, an dem man anhalten oder pausieren sollte«, sagte der Fed-Vorsitzende und fügte hinzu, dass die Zinssätze wahrscheinlich noch einige Zeit lang hoch genug bleiben müssten, um die Wirtschaft spürbar zu belasten. Diese Botschaft richtet sich offensichtlich sowohl an die Kritiker*innen des Fed als auch an die breite Öffentlichkeit, da die amerikanischen Bürger*innen überall mit rasch steigenden Preisen und Kosten zu kämpfen haben.
Der amerikanische Leitzins ist den Notenbanker*innen immer noch zu tief
* Zinssetzungsleitplanke für Notenbanken (Quelle: Bloomberg/Taylor)
Kritiker werfen der Notenbank vor, den deutlichen Anstieg der Inflation völlig verschlafen zu haben und zu lange davon ausgegangen zu sein, es handle sich nur um ein vorübergehendes Phänomen. Dabei hatte sich der Preisauftrieb in den vergangenen Monaten schnell von einer zunächst relativ kleinen Gruppe von Waren und Dienstleistungen auf fast alle anderen ausgebreitet. Bald lag die Inflationsrate doppelt, drei- oder gar viermal so hoch wie die 2%, die als stabiles Preisniveau bezeichnet und anstrebt wurde – und offensichtlich bleibt der Preisauftrieb enorm. Auch aktuell bereiten die explodierenden Energiepreise mit einem Gaspreis auf Rekordhoch den Notenbanker*innen und Politiker*innen der westlichen Hauptländer Sorgen.
Die Kerninflationsrate ohne Lebensmittel und Energie lag zwar mit 4,6% im Juli etwas unter dem Spitzenwert vom Februar, aber immer noch deutlich über dem, was in den vergangenen Jahren üblich war. »Die niedrigeren Inflationswerte für Juli sind zwar begrüßenswert, aber die Verbesserung der Kennzahl in einzelnen Monaten reicht bei weitem nicht aus, um den Ausschuss davon zu überzeugen, dass die Inflation zurückgeht«, sagte der Fed-Chef.
Die unterliegenden Fakten in den USA: Die Inflation ist mehr als viermal so hoch wie angestrebt, die Arbeitslosigkeit liegt auf dem niedrigsten Niveau seit 50 Jahren, und die Löhne wachsen deutlich, was vor dem Hintergrund des Anstiegs der Lebenshaltungskosten verständlich, aber längst nicht ausreichend ist. Vor diesem Hintergrund wird die Straffung der Geld- und Kreditpolitik betrieben und es ist mit weiteren Verknappungen zu rechnen.
Im Grunde haben die Kritiker*innen der expansiven Kreditpolitik die Gestaltungshoheit zurückgewonnen. Diese Vertreter der »ökonomischen Vernunft« murren seit Jahren über die vermeintliche Verharmlosung der Inflationsgefahr. Ihre mit wissenschaftlicher Autorität verkündete Wahrheit: Man kann nicht alles haben – niedrige Inflation, Vollbeschäftigung, boomende Konjunktur, steigende Börsenkurse. Jetzt werde die Quittung für die ultralockere Geldpolitik überreicht.
Ob Finanzkrise, Pandemie oder Klimawandel: Stets habe die Politik behauptet, dass sich Krisen ohne Wohlstandsverlust lösen lassen. Diese Herausforderungen an ein marktwirtschaftliches System seien mit staatlicher Kreditsteuerung lösbar. Nun sei das Ende der Party erreicht und die Kritiker*innen wollen mit dem vorgeblich jahrzehntelangen Versagen der Geld- und Fiskalpolitik abrechnen.
Und noch immer würden die Notenbanken falsch handeln und seien viel zu zögerlich bei der Beendigung des Regimes der Notenpresse. Es drohe eine Wiederholung der 1970er Jahre mit hoher Inflation und Stagnation. Hinter dem Schlachtruf »Nieder mit Ära des billigen Geldes« verbirgt sich eine Politik, die die Krisenlasten auf die Breite der Bevölkerung abwälzt.
Für Lohnabhängige, Rentner*innen etc., kurz für die Mehrheit der Bevölkerung ohne Vermögenseigentum, führen die Preissteigerungsraten zu deutlichen Wohlstandsverlusten, die sie nur teilweise kompensieren können. Die Dimension dieser faktischen Umverteilung der Krisenlasten dürfte in der Nachkriegsgeschichte der entwickelten Staaten einmalig sein.
Die jüngsten Krisen wie Pandemie, Umweltkatastrophen und der Angriffskrieg Russlands sind nicht das Ergebnis einer lockeren Geld-und Kreditpolitik, sondern der aufgestauten, sich überlagernden Widersprüche mit der Folge eines großen realwirtschaftlichen Ungleichgewichts im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess.
Es ist vor allem dieses außergewöhnliche Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das zur hohen Inflation beigetragen hat. Dies erklärt auch, weshalb viele westliche Firmen im vergangenen Jahr deutlich weniger Produkte verkaufen konnten, diese aber mit deutlich höheren Gewinnraten absetzen konnten.
Die Konsequenz dieser Entwicklung: Die massiven Kaufkraftverluste können durch die Lohn-und Einkommensbewegung nicht zeitnah ausgeglichen werden. Reallohnverluste und Beschränkungen im Konsum sind die Folge.
Der große Kaufkraftverlust der breiten Bevölkerung wird nicht ohne Wirkung bleiben. In diesem Umfeld die Notenbanken zu einem schnellen Handeln mit aggressiven Zinserhöhungen zu drängen und eine Rezession in Kauf zu nehmen, heißt Öl in das gesellschaftliche Krisenfeuer zu gießen. Denn eine deutliche Zinserhöhung über den langfristigen Zins hinaus würde einer Wirtschaft, die bereits massiv aus ihrer Reproduktionsdynamik geraten ist, weiteren Schaden zufügen.
Wenn die Kaufkraftverluste nurmehr partiell über die Löhne ausgeglichen werden können, und die staatlichen Fixeinkommen (Renten, Sozialtransfers etc.) weiteren Konsumverzicht erzwingen, müssen auch um den Preis einer weiteren Erhöhung der öffentlichen Verschuldung die gesellschaftlichen Lebensbedingungen garantiert und die notwendigen Investitionen (Energiewandel) öffentlich finanziert werden.
Es gilt, das krasse Ungleichgewicht zwischen gesellschaftlicher Reproduktion und Konsum, zwischen Angebot und Nachfrage, das zur hohen Inflation beigetragen hat, zu überbrücken. Geschieht dies nicht und es wird stattdessen mittels Zinserhöhungen etc. eine Politik der Anpassung in der Abwärtsspirale betrieben, werden langwierige hohe Inflationsraten und Stagnation in Kauf genommen – mit allen absehbaren negativen Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.