Alle diejenigen, die an der Diskussion über die strategische Ausrichtung der Partei DIE LINKE interessiert sind und Sozialismus.de noch nicht abonniert haben, sollten es umgehend tun, denn dann erhalten sie das dem November-Heft beigelegte Supplement von Michael Brie »DIE LINKE als sozialistische Klassenpartei« ebenfalls. Diejenigen, die noch zögern, die Argumente des Autors dennoch kennenlernen wollen, können es im Warenkorb des VSA: Verlags für 7.00 € erwerben.

Joachim Bischoff
Ende oder Renaissance sozialistischer Utopien?
Von Engels’ »Anti-Dühring« zum Epochenbruch am Ende des Zeitalters der Erschöpfung
256 Seiten | € 16.80
ISBN 978-3-96488-172-4

Ulrike Eifler (Hrsg.)
Gewerkschaften in der Zeitenwende
Was tun gegen Umverteilung nach oben, massive Angriffe auf den Sozialstaat, die Militarisierung des Alltags und den Rüstungswahnsinn?
144 Seiten | erscheint Ende September/Anfang Oktober | im Warenkorb vorbestellen | EUR 12.80
ISBN 978-3-96488-251-6

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Arbeit Klima Transformation
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie, Ausgabe 2025
168 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-252-3

Klaus Dörre/Anna Mehlis/
Stephan Humbert/Bruno Saar (Hrsg.)
Sozialismus von unten?
Emanzipatorische Ansätze für das 21. Jahrhundert
280 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-234-9

Gine Elsner/Peter Tinnemann
Bevölkerungsmedizin & Öffentliche Gesundheit
Geschichte des Gesundheitsamts Frankfurt am Main
256 Seiten | Hardcover | € 24.80
ISBN 978-3-96488-241-7

Claus-Jürgen Göpfert
Zeitung im Kampf
80 Jahre »Frankfurter Rundschau«
oder: Niedergang des linksliberalen Journalismus?
232 Seiten | in Farbe | zahlreiche Fotos | € 16.80
ISBN 978-3-96488-233-2

Ingar Solty
Trumps Triumph?
Gespaltene Staaten von Amerika, autoritärer Staatsumbau, neue Blockkonfrontation
Eine Flugschrift
120 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-238-7

6. Oktober 2025 Bernhard Sander: Macrons nächster Premierminister tritt zurück

Implosion der französischen Republik

Die dritte Regierung Frankreichs nach der Parlamentswahl 2024 ist gescheitert, noch bevor sie überhaupt in die Büros einzog. »An diesem Montagmorgen waren die Voraussetzungen nicht mehr gegeben, damit ich meine Aufgaben als Premierminister wahrnehmen und der Regierung ermöglichen konnte, morgen vor die Nationalversammlung zu treten«, erklärte Sébastien Lecornu.

Er nannte »drei Gründe« und bedauerte zunächst, dass die Opposition »manchmal so tat, als würde sie die Veränderung nicht sehen«, sowie die Bedeutung, die seiner Meinung nach seine Entscheidung hatte, auf Artikel 49.3 zu verzichten. Der scheidende Premier bedauerte auch die »Haltung« einiger Mitglieder »der gemeinsamen Basis wie auch der Opposition«, »als hätten sie alle die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung«, ohne zu Kompromissen bereit zu sein. Schließlich erwähnte Lecornu »die Zusammensetzung der Regierung innerhalb der gemeinsamen Basis«, die »im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen einige parteipolitische Ambitionen geweckt hat«. Die meisten neuen Minister sollten die alten sein.

»Recycling«, »Provokation«, »Waffe der Ehre«, »Verweigerung der Demokratie«, »entsetzliche und unerklärliche« oder »beleidigende« Wahl ... Die Verzweiflung war in allen Oppositionsparteien zu spüren. Die Schlüsselfunktion übernahm diesmal die republikanische Partei. Der vom Staatspräsidenten ernannte Premierminister hatte angekündigt, einerseits auf den Einsatz des Notstandsartikels 49-3 der Verfassung zu verzichten, um seine Gesetzesvorhaben durchzusetzen. Inhaltlich geht es vorrangig um zwei Themen: Steuerreform und Aussetzung der Rentenreform von 2023. Sein Scheitern ließ den Leit-Index der Pariser Börse um 2% absacken. Die Zinsen für Staatsschuldverschreibungen werden hingegen steigen.

Nach dem Rücktritt ist der Euro am Montag gefallen. Gegen 11:05 Uhr in Paris verlor die Einheitswährung gegenüber dem Dollar 0,63% und lag bei 1,1688 US-Dollar für einen Euro. Darüber hinaus macht die politische Krise die Verabschiedung eines Haushaltsplans zur Reduzierung des Defizits fast unmöglich. »Wenn wir noch Zweifel an der Herabstufung Frankreichs durch die Ratingagenturen hatten, so sind diese nun ausgeräumt«, bemerkt John Plassard, Analyst bei Cité Gestion Private Bank. Das Risiko für Frankreich besteht darin, dass es Kredite zu noch höheren Zinsen aufnehmen muss. Das »mangelnde Vertrauen« der Investoren belastet laut John Plassard auch die wirtschaftlichen Aussichten Frankreichs. Angesichts der Turbulenzen in der französischen Politik erklärte Deutschland durch seinen Regierungssprecher, dass »ein stabiles Frankreich einen wichtigen Beitrag für Europa leistet«.

Lecornu hatte der Linken Gesprächsbereitschaft über eine Vermögenssteuer signalisiert. »Bestimmte Steueroptimierungen für sehr große Vermögen sind nicht vertretbar.« Lecornu schlug der Sozialistischen Partei (PS) daher »die Einführung einer Steuer auf Finanzvermögen [Holding], die das berufliche Vermögen nicht betrifft« vor. Das war für Die Republikaner (LR), aber auch den RN, offenbar der casus belli, die sich kategorisch Steuererhöhungen verweigern, allerdings wenige Tage zuvor den Vorsitzenden der Finanzkommission des Parlaments, Eric Coquerel, von LFI abgewählt, durch einen Republikaner ersetzt und somit Einigkeit mit den Macronisten des Sockels bewiesen hatte.

Die PS von Olivier Faure hatte am Montagmorgen erneut versprochen, die Regierung zu stürzen, wenn sie keine neue Parlamentsdebatte über die Rentenreform bekäme. Die Rücknahme der Rentenreform war zentrale Forderung der Gewerkschaftsdemonstrationen gewesen. »Was spielen die Macronisten? Ihr Starrsinn stürzt das Land jeden Tag ein bisschen mehr ins Chaos«, sagte der Vorsitzende der PS-Abgeordneten, Boris Vallaud.

In die Enge getrieben, kündigte Sébastien Lecornu eine Regierung ohne »Überraschungen« an, die »die gemeinsame Basis, die uns im Parlament unterstützt, zusammenbringt und ihr ähnelt«. Damit war der »gemeinsame Sockel«, ein lockeres Bündnis von Macronisten und Rechten gemeint, nicht aber die relative linke Mehrheit der Volksfront. Jean-Luc Mélenchon, kein Abgeordneter oder Funktionär, aber die einflussreichste Stimme von LFI, hatte bereits am Sonntag die Ernennung einer »Reihe von 80 %igen Rückkehrern aus LR und ehemaligen LR-Mitgliedern« angeprangert, die »nicht halten« werde. Die Vorgänge zeigen deutlich, dass sich der Staatspräsident, zu dessen engsten Beratern Lecornu gehört, auf die Rechte nicht verlassen kann.

»Jeder Abgeordnete muss Macht haben und seine Verantwortung wahrnehmen können«, erklärte er, bevor er am Freitag mehrere Vertreter der Oppositionsparteien (RN, PS, PCF und Grüne/Écologistes) empfing. Das Ziel ist klar: Es sollte vermieden werden, dass er nach seiner Grundsatzrede mit einem erfolgreichen Misstrauensvotum im Parlament desavouiert wird. »Da die Regierung die Debatten nicht mehr unterbrechen kann, gibt es keinen Vorwand mehr, warum diese Debatten nicht nächste Woche beginnen sollten.« Die versammelte Führungsgarde der Macronie tutete ins selbe Horn: Mit dem Verzicht auf 49.3 erfülle man eine zentrale Forderung der Linken, entspräche den Erwartungen im Volk usw.

Doch sofort wurde das Vorhaben innerhalb des bürgerlichen Lagers in Frage gestellt. Der Vorsitzende der Republikaner (LR), Bruno Retailleau, äußerte Zweifel: »Angesichts fehlender Mehrheit ist der Verzicht auf Artikel 49.3 eine verständliche Entscheidung, vorausgesetzt, dass eine Koalition von Demagogen nicht zur Verabschiedung eines Haushalts führt, der den übergeordneten Interessen unseres Landes zuwiderläuft« und reagierte damit vielleicht so wie der Präsidial-Stratege im Elyseèe-Palast es vorausgesehen hatte.

An den Grundstrukturen seines Sparhaushaltes hielt Lecornu fest. Der erste Sekretär der Sozialistischen Partei (PS), Olivier Faure, war der Ansicht, dass Sébastien Lecornu einen »sehr unzureichenden und in vielerlei Hinsicht alarmierenden Entwurf« für den Haushalt 2026 vorgelegt habe.

Der vom Premierminister den Sozialdemokraten vorgelegte Plan »erfüllt gerade so die Mindestanforderungen«, erklärte Olivier Faure nach seinem Gespräch mit Lecornu. Er forderte, dass das Parlament über alle Themen abstimmen können müsse, einschließlich der umstrittenen Rentenreform, die dank Artikel 49.3 verabschiedet wurde. Es bedürfe »grundlegender Brüche«, fügte der Chef der Sozialisten hinzu.

»Wir wollen, dass alle Debatten erlaubt sind und dass es nicht allein der Wille der Regierung ist, die Themen auszuwählen, über die sie bereit ist zu diskutieren“, ergänzte der Abgeordnete. Seiner Meinung nach hat Lecornu »nur auf Artikel 49.3 verzichtet«. Das bedeutet, »dass der Premierminister sich nicht dazu verpflichtet hat, diese Debatte zuzulassen«.

Als bekannt wurde, dass Lecornu sich weigert, Artikel 49.3 anzuwenden, sahen der nationale Sekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), Fabien Roussel, und der Abgeordnete (ehemals LFI) François Ruffin am Freitag eine Gelegenheit, die Aufhebung der dank dieses Artikels 2023 verabschiedeten Rentenreform zur Abstimmung zu bringen. Nach seinem Besuch im Élysée-Palast erklärte Fabien Roussel, er sei »äußerst enttäuscht über die mangelnde Offenheit in Bezug auf die Rentenreform«, und der erste Sekretär der PS, Olivier Faure, sagte, dass Lecornu »nur auf 49.3 verzichtet” habe und „dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf die Rentenreform zurückkommen können, [da] der Premierminister sich nicht dazu verpflichtet hat, diese Debatte zuzulassen«.

Ohne Haushalt und ohne Regierung fand am Tag vor den Sondierungen Lecornus mit den Parlamentsfraktionen die dritte Mobilisierung innerhalb eines Monats statt, die zweite auf Aufruf der Vereinigung der acht Gewerkschaftsdachverbände. Die Gewerkschaften halten den Druck aufrecht und warteten gespannt auf die Grundsatzrede Lecornus. Die CGT sprach von »fast 600.000« Demonstranten. Gegenüber dem ersten Protesttag mit mehr als 1,1 Million Teilnehmenden erscheint dies wenig. Andererseits handelt es sich hier nicht um genuin tarifliche, sondern um eminent politische Themen. Steuergerechtigkeit!

Dieses Schlagwort hallte eindringlich unter den 140.000 Menschen (24.000 laut Präfektur) wider, die in Paris demonstriert haben. Diese Politisierung der Massen hätte auch die bürgerlichen Kräfte vor Manövern und Abenteuern abschrecken können, die nun den Schwarzen Peter der Blockade zugeschoben bekommen. Gewinner des Spiels ist der rechtspopulistische Front National, dessen Litanei »Kein Haushalt mit Steuererhöhung – Sparen durch nationale Präferenz – gebt dem Volk das Wort – Neuwahlen« seit Beginn der Pattsituation im Parlament nun mittlerweile wohl alle kennen.

Die hehren Worte des Politsprech klingen allerdings immer verblasener: Sébastien Lecornu rief dazu auf, »ein Gespür für das Allgemeinwohl und das Wesentliche zu haben« und »immer das Land über die Partei zu stellen«. Er vertrat die Ansicht, dass »bestimmte Dinge vor 2027« und den Präsidentschaftswahlen getan werden können.

Marine Le Pen, die weiß, dass diese politischen Spielchen kaum noch nachvollzogen werden, reagierte auf die Sondierungsgespräche am Freitag, indem sie eine home-story für die Yellow-Press produzierte: Die Vorsitzende der RN-Abgeordneten traf am Freitagmorgen vor ihrem Gespräch mit dem Premierminister in Matignon ein, ohne den Vorsitzenden ihrer Partei, aber mit einem Kätzchen, wie Journalisten der AFP beobachteten.

Die aus »Leidenschaft« offiziell diplomierte Katzenzüchterin stieg aus ihrem Auto und überquerte einen Teil des Hofes, wobei sie sich bemühte, eine Transportbox für Katzen hinter ihrem Rücken zu verstecken. »Es handelt sich um ein Kätzchen aus einem Wurf, der gerade bei ihr zu Hause geboren wurde. Das kleine Kätzchen kann sich nicht selbst ernähren und muss gefüttert werden, sonst stirbt es. Sie hat beschlossen, es zu retten. Es weicht nicht von ihrer Seite«, erklärte ein Vertrauter gegenüber AFP.

Nach der Ankündigung der Republikaner, dem Ministerpräsidenten bei seiner offiziellen Bestallung nicht das Vertrauen auszusprechen, forderte sie Emmanuel Macron auf, die Nationalversammlung aufzulösen: »Kann er sich weiterhin gegen die Auflösung wehren? Ich fordere ihn auf, die Nationalversammlung aufzulösen, denn wir sind am Ende des Weges angelangt, es gibt keine Lösung und es wird auch morgen keine geben […]. Die einzig kluge Entscheidung ist, erneut zur Wahl zu gehen.«

Die Abgeordnete aus Pas-de-Calais, die aufgrund ihrer Unwählbarkeit in erster Instanz in der Affäre um die parlamentarischen Assistenten des FN nicht erneut für ihren Sitz kandidieren kann, deutete an, dass jede Ernennung eines neuen Premierministers a priori zu einer Misstrauensabstimmung führen würde. »Die einzig vernünftige Entscheidung ist, Neuwahlen anzusetzen. Der Witz ist zu Ende, die Farce hat lange genug gedauert.«

Der nationale Parteisekretär des PCF, Fabien Roussel, ist der Ansicht, dass Emmanuel Macron, um aus der Krise und der »Sackgasse« herauszukommen, »endlich die Linke« in Matignon ernennen muss. »Andernfalls sollten wir wieder zur Wahlurne gehen«, betont er. Doch auch die Neue Volksfront hat keine absolute Mehrheit und ist zu Kompromissen gezwungen.

»Was spielen die Macronisten? Ihr Starrsinn stürzt das Land jeden Tag ein bisschen mehr ins Chaos«, sagte der Vorsitzende der PS-Abgeordneten, Boris Vallaud. Vermutlich wird Macron nun einen nächsten Akt der Farce schreiben und einen sozialdemokratischen Gesinnungsgenossen aus gemeinsamen Regierungstagen als Premier ernennen, der dann wiederum im Parlament kein Vertrauen und keine Mehrheit finden und schon gar keine substantiellen Richtungswechsel durchsetzen wird. Bei RN auf gar keinen Fall. Am Ende dieser Kernspaltung der Republik durch Atomisierung der politischen Kräfte steht voraussichtlich RN als der einzige homogene Verband auf dem politischen Feld, dann aber mit Prädatoren statt einem Kätzchen.

Zurück