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23. Mai 2018 Jörn Schütrumpf: Erinnerung an eine ungewöhnliche Persönlichkeit

Jochen Cerny (1934–2018)

Foto: © Prof. Dr. Adolf Laube

Beim ersten Treffen war sein kurzgeschnittenes volles Haar noch schwarz. Erneut sahen wir uns zwei Jahre später. Das war 1982, seine Haare waren unterdessen grau und er – noch nicht einmal fünfzig: Jochen Cerny, eine der ungewöhnlichsten Persönlichkeiten, denen ich je begegnet bin.

Er war ein Leiser, Bedachter, ein sehr genau Hinschauender, dabei völlig angstfrei; selten sah ich einen so offenen Blick. Wir erkannten uns sofort. Offiziell war der 22 Jahre ältere Jochen Cerny mein Forschungsgruppenleiter am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR – der zentralen Forschungseinrichtung des Landes mit 25.000 Beschäftigten; ein Großteil davon arbeitete in den entsprechenden Kliniken als Krankenschwester.

Die personell keineswegs kurzgehaltenen sozialwissenschaftlichen Institute wurden von Staats wegen nicht zuletzt dafür benutzt, kreative, aber unbequeme Wissenschaftler einerseits im Lande zu halten und andererseits arbeiten zu lassen – fernab von für Opposition anfälligen Studenten. Die Gehälter waren niedrig, die Publikationen zensiert, aber immerhin möglich. Wir durften schreiben, oft mehr und anderes als andere.

Die Schreibtische standen zu Hause. So wichtig waren die Historiker nun wirklich nicht, um ihnen kostspielige Arbeitsplätze einzurichten. Für uns waren das natürlich göttliche Verhältnisse; so viel – bezahlte – Zeit zum Denken und Prüfen hat es in der Geschichte zuvor wohl nie gegeben. In der Regel traf man sich nach Archiv und/oder Bibliothek einmal in der Woche am Nachmittag zu dienstlichen Sitzungen oder, soweit es sich um Mitglieder der SED handelte (was beileibe nicht alle waren), einmal im Monat zur Parteiversammlung.

Nach einem Jahr verabredeten sich Jochen und ich nicht mehr zum Essen, wir warteten – verlässlich – aufeinander vor dem Haus; er hatte ein Lokal ausfindig gemacht, in dem er den in der DDR selten gereichten bulgarischen Schopska-Salat serviert bekam, eine der wenigen Leidenschaften, denen er neben zwei, drei edlen Zigaretten am Tag frönte. Nur selten ließen wir Dritte zu – und dann auch nur in einem anderen Lokal …

Geboren wurde Jochen 1934 in Kreuzberg; den Berliner merkte man ihm jedoch nicht an. Sein Vater, ein KPD-Mitglied der allerersten Generation in der Tradition Rosa Luxemburgs, war der politische Lehrer des – damals noch pubertierenden, im Juni 2017 im 102. Lebensjahr verstorbenen – Theodor Bergmann. Nicht zuletzt deshalb suchte nach 1990 Theo Jochens Nähe; eine gemeinsame Publikation über die KPD-O scheiterte jedoch.

Jochens Vater leitete seit 1933 die größte Kreuzberger KPD-O-Widerstandsgruppe, im Geburtsjahr seines Sohnes wurde er allerdings von den NS-Behörden gefasst, zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und – als tschechoslowakischer Staatsbürger – 1938 abgeschoben. Nach der Annexion der »Rest-Tschechei« 1939 zog Jochens Mutter mit ihrem Sohn nach Prag: zu ihrem Mann.

Das Elternpaar heiratete 1940, wodurch Jochens Vater »naturalisiert«, also per Pass Deutscher wurde. Ob sich dieser Schritt hätte umgehen lassen können, wissen wir nicht. Das Einzige, was wir wissen: Für Jochens Vater wurde dieser Schritt tödlich. Er wurde als »kommunistischer Deutscher« zu den »999ern«, einer »Straf«-Einheit, eingezogen. 1943, beim Versuch, zur griechischen Widerstandsbewegung überzugehen, wurde seine gesamte Gruppe von der SS niedergemetzelt.

1945 gehörten Jochens Mutter samt Sohn zu den wenigen Deutschen, die nicht aus Prag vertrieben wurden. Da die Alliierten festgelegt hatten, dass alle Emigranten über das Land nach Deutschland zurückkehren müssten, über das sie Deutschland verlassen hatten, ergoss sich nun der Strom der Rückkehrer »durch unser Wohnzimmer. Als keiner mehr kam, schlossen wir uns an« – so wörtlich Jochen. Das war 1948.

Als 15-Jähriger trat 1949 Jochen der SED bei, damals lebte er in Droyßig bei Halle (Saale) in einem Internat. Anschließend studierte er Geschichte, nach dem Abschluss wurde er ins »Politische Kabinett« des seit 1950 aufgebauten Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) geschickt. »Bewährt als Kader« wurde er von dort an das »Institut für Gesellschaftswissenschaften« beim Zentralkomitee der SED weitergereicht, um eine Dissertation über den Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost zu schreiben.

Da er sich jedoch nicht von dem Gedanken abbringen ließ, dass nach den sowjetischen Demontagen nur ein Kran zur Verfügung gestanden habe, die Gutachter aber viele Kräne verlangten, wurde Jochen zurückgeschickt: ins Eisenhüttenkombinat Ost, allerdings nicht ins »Politische Kabinett«, sondern als Arbeiter – zu seinem Glück jedoch nicht an die Öfen, »dort wäre ich kaputt gegangen«.

1967 bewarb sich der »Arbeiter« Jochen Cerny an der Universität Jena – die Stasi hatte, wie es aussieht, dabei keine Hand im Spiel (es waren halt die bis heute immer noch nicht völlig durchschaubaren 1960er Jahre) – und schrieb dort seine Dissertation zu Ende. Danach bewarb sich Jochen bei der Akademie der Wissenschaften.

1991 übergab ich ihm die Leitung der Historischen Kommission der PDS. Jochen Cerny hat dieser Partei den Antistalinismus eingeschrieben. Möge es diese Partei nie vergessen. Am 13. Mai ist Jochen Cerny gestorben.

Ich verneige mich.

Jörn Schütrumpf, Jahrgang 1956, ist Historiker, war von 1982 bis 1990 Mitarbeiter am Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Von 2003 bis 2017 arbeitete er als Geschäftsführer des Karl Dietz Verlages Berlin, jetzt leitet er Fokusstelle Rosa Luxemburg in der gleichnamigen Stiftung.

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