9. Juni 2015 Hasko Hüning/Gerd Siebecke: Der Bielefelder Parteitag der LINKEN
Kämpfe für die Zukunft?
Liest man den Großteil der Kommentare in der Presse zum Bielefelder Parteitag der LINKEN am 6./7. Juni 2015, so könnte man den Eindruck gewinnen, im Zentrum des Parteitages, der unter dem Motto »Kämpfe für die Zukunft« stand, wäre es wesentlich um die »politische Zukunft des linken Übervaters Gregor Gysi« gegangen, und »Inhalte (hätten) nur eine Nebenrolle« gespielt, wie die taz am 8.6. schrieb.
Unbestritten richtete sich ein großes Interesse der Delegierten auf die Frage, wie sich der Fraktionsvorsitzende im Bundestag für seine politische Zukunft entscheiden würde und damit auf seine Schlussrede zum Parteitag. Aber dass der Rest nebensächlich und nur »Routine« war, trifft den Verlauf des Parteitags nicht.
Das kann durchaus entlang der von Gregor Gysi in seiner Rede angesprochenen Punkte deutlich gemacht werden. Das von ihm gezogene Resumée seines politischen Agierens in der erweiterten Bundesrepublik lautet: »Die Linkspartei hat das politische Spektrum nach links erweitert … und auch im europäischen Vergleich eine Normalisierung« geschafft. Die Partei hat sich nach der Bundestagswahl 2013 nicht nur stabilisiert, sondern dank einer erfolgreichen Landtagswahl in Thüringen den ersten LINKEN Ministerpräsidenten eines Bundeslandes ins Amt bringen können.
Und auch die Landtagswahlen in Hamburg und Bremen haben gezeigt, dass die Partei im Westen der Republik, zumindest im großstädtischen Raum, zulegen kann, wenn sie in konstruktiver Oppositionsarbeit die soziale Spaltung und Armutsbekämpfung in das Zentrum der politischen Arbeit rückt. Zugleich bleibt als Herausforderung, dass sie bei Erstwählern und Jüngeren und insbesondere bei gewerkschaftlich orientierten Erwerbstätigen deutlich zulegen müsste, soll ein Politikwechsel erreicht werden.
An die Skizzierung dieser historischen Leistungen knüpfte Gysi die Forderung: »Nun müssen wir uns selbst ebenfalls normalisieren«. Unter diesem in der Partei sicherlich umstrittenen Label gab er der Partei in fünf Punkten einen Aufgabenkatalog mit auf den Weg, dessen gewichtigsten Punkt – neben der Forderung, »ein zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus, also auch zur DDR« aufrecht zu erhalten – er wie folgt definierte: »Wir müssen erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, und was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann«. Er selbst machte sich für eine Verbindung von transformatorischer und korrektiver zeitgemäßer Kapitalismuskritik stark, die die Menschen (und Wähler) mitnimmt und die Mosaik-Linke voranbringt.
Dass es hier bei aller »Normalisierung« noch einiger analytischer Arbeit und Diskussion bedarf, um eine solche Verbindung in der Partei konstruktiv weiter zu bewegen, machte die Reaktion der Delegierten auf andere Rede- bzw. Debattenbeiträge deutlich: Während das Eintreten von Katja Kipping für einen »Sozialismus 2.0«, mit der Option, »wieder offensiv über eine sozialistische Gesellschaft« und ihre Inhalte zu reden, eher zurückhaltend aufgenommen wurde (was möglicherweise damit zusammenhing, dass sie Inhalte nur angedeutet hat), gab es einerseits große Zustimmung für Bodo Ramelow, der anhand verschiedener Beispiele des bisherigen rot-rot-grünen Regierungshandelns in Thüringen deutlich machte: »Nichtregieren ist auch kein Selbstzweck. ... Es ist eben nicht egal, ob wir regieren oder ob wir nicht regieren«. Andererseits spendeten kurze Zeit später mehrheitlich die gleichen Delegierten Sahra Wagenknecht großen Beifall, die klar andere Akzente setzte und das Einhalten von »Haltelinien« forderte. Hier besteht ohne Zweifel weiterer Klärungsbedarf.
Mit Blick auf politische Kräfteverschiebungen in Europa mahnte Gregor Gysi: »Natürlich müssen wir eine Partei bleiben, die Rassismus, Antisemitismus, Faschismus und jede Form von Nazitum entschieden bekämpft. Deshalb steht uns auch keine Arroganz gegenüber dem so genannten Kleinbürgertum zu, im Gegenteil. Wir müssen versuchen, es zu gewinnen, dürfen es nicht dem Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus einfach überlassen«.
Mit dieser Mahnung lag Gysi auf der gleichen Linie wie der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Dass mit ihm zum ersten Mal der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf einem Parteitag der LINKEN nicht nur ein kurzes Grußwort mitbrachte, sondern unter der Überschrift »Wir brauchen den Dialog progressiver Kräfte« DIE LINKE angesichts »des sich gravierend veränderten Parteienspektrums in Deutschland« dazu einlud, relevante gesellschaftspolitische »Themen gemeinsam (zu) diskutieren, lasst uns da, wo wir Kontroversen haben, diese offen miteinander austragen, immer im Interesse gute Lösungen, gute gemeinsame Politiken zu entwickeln«, hätte mehr Aufmerksamkeit in den Medien und auch bei den Delegierten verdient gehabt.
Als dringend mahnte Hoffmann seinerseits an: »Es ist eine Illusion zu glauben, uns in Deutschland kann es auf Dauer gut gehen, wenn es anderen Menschen in anderen europäischen Mitgliedstaaten schlecht geht. Und wem es zurzeit besonders schlecht geht, sind die südeuropäischen Länder und Griechenland, weil sie einer Austeritätspolitik ausgesetzt sind, wo wir dringend einen Politikwechsel brauchen. Diese neoliberale Austeritätspolitik hat nicht zur Heilung geführt, sondern hat die Mitgliedstaaten im Süden geradezu in den Abgrund gedrängt…, was bedeutet, das wir uns mit Politikalternativen auseinandersetzen müssen, wenn wir auch Antworten geben wollen auf den wachsenden Rechtsradikalismus, auf Fremdenfeindlichkeit«.
Dass DIE LINKE nach Auffassung der Berliner Zeitung »so gut dasteht, hat wohl auch damit zu tun, dass sich der Zeitgeist in Deutschland ein wenig zu wenden beginnt. Die harten Streiks der Lokomotivführer, der Erzieher und der Postzusteller zeigen, dass die lange Phase des Konsensdenkens zu Ende geht.« Diesen Aspekt hatte Bernd Riexinger in den Mittelpunkt seiner Parteitagsrede gestellt: »Wir erleben die größte Streikbewegung seit Jahrzehnten... – sie alle wehren sich endlich!« Nach Jahren der Niederlagen gehe es darum, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse herbeizuführen, die durch soziale Proteste befördert werden könne.
Es komme darauf an, »solidarische Brücken« zu schlagen, gemeinsame Erfahrungen zu fördern und Spaltungen anhand von Geschlecht, Rassismus und Nationalismus entgegenzuwirken. Träger einer solchen Politik müsse ein Bündnis von Erwerbslosen und Armen, von prekär Beschäftigten und noch tariflich abgesicherten in Industrie und öffentlichem Sektor sein sowie die sich bildenden urbanen und kreativen Milieus. Dazu gehört, dass DIE LINKE »ihre Kampagnenfähigkeit ausbaut, Vertrauen in linke Politik aufbaut und tendenziell Mehrheiten für linke Politik gewinnen kann«.
Dafür ist ihre gesellschaftliche Verankerung noch zu schwach, ist sie auch in sich politisch noch zu stark fragmentiert. Eine zunehmende Dynamik sozialer Auseinandersetzung könnte ein Punkt sein, diese Schwächen zu überwinden. Ein anderer besteht sicherlich darin, die Analyse- und Debattenkultur über die Zeitdiagnosen und die Ausarbeitung von tragfähigen Alternativen weiter zu befördern.
Zumindest was das Letztere betrifft, wich dieser Parteitag deutlich von »Routine« sonstiger Zusammenkünfte ab: Die Diskussion über das innerhalb der Partei höchst umstrittene bedingungslose Grundeinkommen geriet »unerwartet lebendig«, wie selbst Mechthild Küpper von der FAZ einräumen musste. In Form von kontroversen Eingangsstatements und einer anschließenden moderierten Debatte zwischen den beiden Parteivorsitzenden, die ihre unterschiedlichen Bewertungen vorstellten und debattierten, wurde deutlich, dass es um ökonomische und gesellschaftliche Strukturprobleme und nicht nur um Wertorientierungen geht, wenn Verteilungsgerechtigkeit erreicht werden soll.
Deutlich wurde jedoch auch, dass die Organisation von inhaltlichen Kontroversen der Debatten- und Parteikultur nicht nur nicht schadet, sondern förderlich ist. Diese Erfahrung könnte auch für das Miteinander der »Strömungen«, die auf dem Parteitag allerdings kaum mehr sichtbar in Erscheinung traten, nützlich sein.