28. November 2023 Joachim Bischoff: Der US-Präsident hat schlechte Umfragewerte
Kampf um die Anerkennung der »Bidenomics«
Ein Großteil der US-Amerikaner*innen schaut missmutig auf die aktuelle wirtschaftlich-soziale Entwicklung im Land. Sie machen vor allem ihren Präsidenten Joe Biden und die Partei der Demokraten dafür verantwortlich.
Die wichtigsten Wirtschaftsindikatoren erklären die Unzufriedenheit nicht: Die Arbeitslosigkeit ist mit 3,9% im historischen Vergleich sehr tief. Seit Biden ins Weiße Haus zog, wurden 14 Mio. Arbeitsstellen geschaffen. Auch der Rückgang der Inflation in den USA auf 3,2% im Oktober ist eine kaum erwartete Leistung. Und obwohl diese sich immer noch deutlich über der angestrebten Preissteigerungsrate (2%) liegt, ist der private Konsum auf einem vergleichsweise hohen Niveau.
Die US-Notenbanker*innen sind mit der aktuellen Entwicklung noch nicht zufrieden. Beunruhigt durch die hohe Inflation der letzten Jahre haben sie den Leitzins von 0% auf ein 22-Jahre-Hoch von 5,5% angehoben, um den Kampf gegen die Inflation entschlossen zu führen. Die Kernüberzeugung des Notenbankchefs Jerome Powell lautet: »Das Wichtigste für eine langfristig gesunde Entwicklung der Wirtschaft mit einem soliden Arbeitsmarkt ist eine niedrige, stabile Inflation.« Daher hat die Fed mit einer repressiven Zinspolitik dafür gekämpft, die überhitzte Wirtschaft so abzukühlen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit der Preisauftrieb nachlässt.
Anders als in Europa (vor allem auch Deutschland) verzeichnet die Wirtschaftskonjunktur in den USA immer noch deutlich positive Zuwachsraten. So ist das Bruttoinlandsprodukt der USA im dritten Quartal kräftig gestiegen. Vor allem der private Konsum gab der Wirtschaft Auftrieb und die USA kann auf eine befriedigende Akkumulation blicken.
Die Konsument*innen dagegen realisieren bei ihren Einkäufen immer noch die deutlich höheren Preise im Vergleich zu den Vor-Corona-Zeiten. Wenn sie im Supermarkt bezahlen oder ein Auto oder gar eine Immobilie kaufen wollen, stolpern sie über das deutlich erhöhte Preisniveau. Der Rückgang der Inflationsrate überzeugt sie nicht, wenn Dienstleistungen, Nahrungsmittel, Fahrzeuge oder Häuser und Wohnungen aktuell um 20% oder gar 30% teurer sind als vor der Pandemie.
Im Alltag wird der anhaltende Konsumboom begleitet von einem Unbehagen der finanziellen Überforderung: Die Sparquoten und die real verfügbaren Einkommen der Privathaushalte sind rückläufig, der Verkauf von Eigenheimen und die Vergabe von Hypothekarkrediten haben sich verlangsamt, der Bankensektor ist unter Druck geraten, sinkende Vermögenspreise dämpfen die Stimmung, und deutlich höhere Lohnkosten wie nach den Streiks in der Autoindustrie schlagen durch. Resultat: Das konsumgetriebene Wachstum wird begleitet von einer verbreiteten Unzufriedenheit.
Woher kommt die anhaltend schlechte Stimmung? Weil viele Amerikaner*innen von der anscheinend so guten Wirtschaftslage zu wenig spüren. Zudem haben die Löhne in der zurückliegenden Preisbewegung nicht mit deren Dynamik mithalten können. Das belegt auch der Blick auf den inflationsbereinigten durchschnittlichen Stundenlohn. Dieser ging seit 2021 maßgeblich zurück.
Mehrheit sieht Bidens Amtsführung kritisch
Die Umfragewerte des US-Präsidenten sind miserabel. Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen finden nur 14%, es gehe ihnen wirtschaftlich besser als bei Bidens Amtsantritt. Ein wichtiger Grund ist der Kaufkraftverlust der vergangenen Jahre für den Großteil der Konsument*innen. Und die Aufklärung über das massive Sanierungs- und Modernisierungsprogramm der Regierung – die »Bidenomics« – kommt offenkundig bei großen Teilen der sozialen Basis nicht an.
Anteil der Befragten in%, die der Arbeit des Präsidenten zustimmend (schwarze Kurve) oder ablehnend (rote Kurve) gegenüberstehen
Eine Eindämmung der Inflation ist für Bidens politisches Überleben somit zentral. Die Daten zur Preisentwicklung im Oktober dürften den Präsidenten leicht beruhigen. So ist die Inflation im Vorjahresvergleich von 3,7 auf 3,2% gesunken und gegenüber dem Vormonat konstant geblieben. Das ist ein leicht besseres Resultat als vom Markt erwartet. Der seit dem Sommer 2022 zu beobachtende Abwärtstrend der Preisentwicklung setzt sich fort, nachdem er in den vergangenen Monaten aufgrund höherer Erdölpreise kurzzeitig zum Stillstand gekommen war.
Insgesamt eine Bio. US-Dollar umfasst das erste Konjunkturprogramm (Infrastructure Investment and Jobs Act), das Biden im November 2021 unterzeichnet hat. Es ist eines von vier Paketen, mit denen die Administration Amerikas Infrastruktur fit für die Zukunft machen will. Seit Januar 2021 hat die Biden-Regierung 1,9 Bio. US-Dollar für die sofortige COVID-19-Hilfe, 2,7 Bio. US-Dollar für Investitionen und Unternehmensunterstützung und 1,8 Bio. US-Dollar für Wohlfahrt und Bildung im Kongress beantragt oder bereits ausgegeben.
Insgesamt belaufen sich diese staatlichen Interventionen auf 6,4 Bio. US-Dollar oder fast 30% des US-BIP. Die bereits im Rahmen des Kampfes gegen die Pandemie bewilligten 1,9 Bio. US-Dollar wurden im vorherigen Haushalt eingestellt, so dass in den nächsten zehn Jahren 4,5 Bio. US-Dollar oder etwa 20% des BIP ausgegeben werden sollen. Die Ausgaben werden größtenteils durch den Ankauf von Anleihen der Notenbank Fed finanziert, wobei später Steuererhöhungen folgen sollen.
Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass die US-Wirtschaft bis Ende dieses Jahres über ihr Potenzial wachsen wird (und die europäischen Volkswirtschaften nahe an ihrem Potenzial liegen werden). Dies signalisiere eine leichte Tendenz der Preissteigerungen und daher die Notwendigkeit, die Defizitfinanzierung zurückzufahren. Diese wirtschaftspolitische Ansicht widerspricht der Hypothese, dass staatliche Investitionsprogramme das Produktionspotenzial der US-Wirtschaft ausbauen, also Wertschöpfung und Akkumulation befördern und somit ein größeres nichtinflationäres Wachstum ermöglichen.
In vielen Bereichen der »Bidenomics« geht es darum, die Produktivität durch höhere Auslastung und verbessertes Fixkapital sowie durch Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten zu steigern. Aber das ist ein eher mittelfristiger Effekt. Kurzfristig könnten »angebotsseitige Engpässe« die Inflation antreiben. Es besteht somit die Gefahr, dass eine ambitionierte Agenda in einen abrupten Platzwechsel umschlagen könnte. Die dann drohende Gefahr einer erneuten Rezession hätte mit Sicherheit eine Desillusionierung über die Aufbruchsstimmung zur Folge.
Ausbau der Infrastruktur
Der US-Präsident hat mit dem billionenschweren Infrastrukturpaket den Umbau und die Modernisierung der US-Wirtschaft eingeleitet. Die Ausgaben beziehen sich auf Straßen, Brücken, Breitband, E-Auto-Ladestellen und das Stromnetz. Biden hatte für sein Infrastruktur-Paket ursprünglich 2,3 Bio. US-Dollar angepeilt. Er hat nach monatelangen Verhandlungen eine Einigung zum Infrastrukturpaket verkündet. »Wir haben einen Deal«, sagte der Demokrat nach Verhandlungen mit Senatoren beider Parteien. Neben der »physischen Infrastruktur« fehlen allerdings die von Biden und progressiven Demokraten geforderten Ausgaben für etwa Kindeswohl, die Gesundheitsversorgung und das Klima, die unter dem Schlagwort »humane Infrastruktur« zusammengefasst worden waren. Diese Reformprogramme haben die Demokraten in einem getrennten Paket durch den Kongress gebracht.
Zur Finanzierung der Projekte will sich der Staat weiter verschulden. Denn die rund 3.500 Mrd. Dollar – so viel kosten die vier Pakete zusammen – liegen nicht einfach in der Staatskasse herum. In Friedenszeiten hat noch kaum ein Präsident in einer Legislatur so viel Geld ausgegeben wie Joe Biden.
Mit dem Infrastruktur- und Konjunkturpaket, den »Bidenomics«, macht der aktuelle US-Präsident kräftig Wahlkampf. Es soll in Amerika alles besser werden und er sei noch nie optimistischer gewesen, was Amerikas Zukunft betreffe. »Ich habe mit gut 13 Millionen Jobs in zweieinhalb Jahren nicht nur mehr geschaffen als jeder Präsident vor mir in seiner gesamten Amtszeit, die Arbeitslosenquote war schon ewig nicht mehr so lange so tief, und die USA haben auch das stärkste Wirtschaftswachstum der Welt. Das ist kein Zufall, denn das ist ›Bidenomics› in der Praxis.«
»Bidenomics« soll für einen neuen Ansatz stehen, für eine Förderung der Mittelschicht, nicht mehr des obersten Prozentsatzes der Bevölkerung. Er wolle die Wirtschaft »von unten nach oben und aus der Mitte heraus« wachsen lassen, verkündet der Präsident bei jeder sich bietenden Gelegenheit – ein Konzept, das er ins Zentrum seiner Wiederwahlkampagne stellt. Die »Bidenomics« sollen ihm eine zweite Amtszeit im Weißen Haus sichern. Eine zugleich riskante Strategie.
Getragen vom starken Konjunkturpaket und den drei nachfolgenden Gesetzen erreichten die USA bereits Ende 2022 wieder ihren vor-Corona-Wachstumspfad. Nach dem tiefen Abfall der Beschäftigungsquote hat sich die Beschäftigung zügig erholt. Mit dieser raschen Erholung ging allerdings ein inflationärer Schub einher, teils getrieben durch den globalen Energiepreisschock und Lieferkettenschwierigkeiten, teils durch die Größe des Konjunkturpakets. Dieser inflationäre Schub scheint nun aber abzuflachen. Die Investitionen in neue Fabriken sind trotz des Kostenumfeldes und der gestiegenen Zinsen zuletzt in die Höhe geschossen.
Gerade bei der Halbleiterproduktion und der Batterieherstellung zeigt sich eine enorme Dynamik: Das Investitionsvolumen in Ersteres hat sich seit Anfang 2022 real fast vervierfacht, auf ein Tempo, das für 2023 knapp 100 Mrd. US-Dollar an neuen Investitionen verspricht, falls es bis Jahresende durchgehalten wird. Eine ähnliche Wirkung zeigen die neuen Programme bei der Reduktion der klimaschädlichen Emissionen. Die neuesten Schätzungen gehen davon aus, dass die Emissionen bis 2035 um 43-48% absinken könnten.
Die Biden-Regierung hat diese Modernisierung der US-Wirtschaft mit kleinstmöglicher Mehrheit im Senat und in einem Zeitfenster von nur zwei Jahren durchgekämpft. Dahinter steht auch eine intensive Vorbereitung, die während der Trump-Jahre in der Demokratischen Partei und in progressiven Think Tanks stattgefunden hat, sowie die strategische Konsequenz dieser Regierung, seit sie ins Amt kam.
Verbraucher*innenstimmung sinkt wieder
Aber auch wenn sich die Biden-Administration über recht gute empirische Daten freuen kann – niedrige Arbeitslosigkeit, deutlich gesunkene Inflation, solide Wachstumsprognosen – sind die Wähler*innen mit dem Zustand der amerikanischen Wirtschaft unzufrieden. Der Verbraucherstimmungsindex sinkt bereits wieder, nachdem er sich nur langsam von seinem Absturz während des Inflationsschocks im vergangenen Jahr erholt hatte. Eine Umfrage im Auftrag der »Washington Post« und des Fernsehsenders ABC kam Ende September zu dem Ergebnis, dass weniger als ein Drittel der Amerikaner*innen mit dem Präsidenten in diesem Punkt zufrieden sind. Das zieht seine Zustimmungswerte insgesamt nach unten. Derzeit hat er in Umfragen weniger als 40% der Bevölkerung auf seiner Seite.
Ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl sind diese Zustimmungswerte keine beruhigende Ausgangsposition. »Was auch immer den Amerikanern über die Stärke der Wirtschaft unter Präsident Joe Biden erzählt wird, sie werden sich nicht dazu bewegen lassen, über die Frage ihres eigenen Lebensstandards hinwegzusehen«, schreibt etwa der progressive Ökonom James Galbraith. Und der demokratische Kongressabgeordnete Steven Horsford mahnte gegenüber der US-Zeitung »Politico«: »Wir müssen das besser gestalten, nicht so sehr für eine Person – für das Amt des Präsidenten –, sondern für die Menschen.« Denn die schlechten Zustimmungswerte haben einen eindeutigen Hintergrund: Viele Amerikaner*innen spüren von der anscheinend so guten Wirtschaftslage zu wenig.
Der Präsident und seine Administration beleuchten mit dem Schlagwort »Bidenomics« nur die positive Seite ihrer Wirtschaftspolitik. Die Schattenseite blenden sie aus: die Inflation von zeitweise über 9% und ihre Folgen. Dazu gehören höhere Kosten für Lebensmittel, Kinderbetreuung und Arztbesuche. Um die Inflation zu dämpfen, hat die Notenbank Fed in kürzester Zeit die Zinsen drastisch erhöht. In der Folge bedeute das für viele Amerikaner*innen schon jetzt höhere Mieten und Hypothekarzinsen.
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der »New York Times« sagen nur 2% der Befragten, dass die Wirtschaft »exzellent« laufe. Zu denken geben müsste Biden, dass 48% der Schwarzen und 59% der potenziellen Wähler*innen unter 30 Jahren die wirtschaftliche Entwicklung als schlecht bezeichnen. Das sind zwei Wählergruppen, die ihm 2020 maßgeblich zum Sieg verhalfen. In den wichtigen Swing States wird seine Wirtschaftsbilanz noch schlechter beurteilt. Auf die Frage, wen sie für einen besseren Wirtschaftskapitän halten, Trump oder Biden, antworteten dort alle Alters- und Einkommensklassen deutlich bis sehr deutlich: Trump.
Der aktuelle Rückgang der Inflation legt den Schluss nahe, dass die US-Notenbank im laufenden Jahr auf weitere Zinserhöhungen verzichten wird. Dennoch erweist sich Amerikas Inflation als überaus hartnäckig. Mögliche Zinssenkungen könnten die Kampagne zur Anerkennung der »Bidenomics« aus ihrer Schieflage herausholen.