9. November 2024 Björn Radke: Die UN-Weltnaturkonferenz COP16
Kampf um Erhaltung der Biodiversität stagniert
Vom 21. Oktober bis zum 1. November 2024 fand die 16. Weltnaturkonferenz (COP 16) in Cali, Kolumbien statt. Dort galt es u.a. die Beschlüsse, die im Dezember 2022 in Montreal auf der 15. Weltnaturkonferenz (COP 15) gefasst wurden, zu überprüfen und umzusetzen.
Damals hatten sich am letzten Tag der UNO-Biodiversitätskonferenz die knapp 5.000 Delegierten aus 193 Ländern auf einen – allerdings nicht rechtsverbindlichen – von China vorgelegten Plan verständigt, dass reiche Staaten ihre finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer für die Artenvielfalt bis 2025 auf mindestens 20 Mrd. US-Dollar pro Jahr erhöhen. Bis 2030 solle die Summe auf 30 Mrd. US-Dollar anwachsen. Auch sollen 30% der Erdoberfläche zu Schutzgebieten erklärt werden.
Die Finanzierung des Artenschutzes in Entwicklungsländern war ein besonders strittiges Thema der Verhandlungen. Die Entwicklungsländer hatten finanzielle Unterstützung in Höhe von mindestens 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr seitens der reicheren Länder gefordert. Das wäre das Zehnfache der derzeitigen Summe, die zur Stärkung der Biodiversität aus Industrie- in Entwicklungsländer fließt – und entspräche den zugesagten, aber noch nicht vollständig ausgezahlten 100 Mrd. US-Dollar für den Kampf gegen die Erderwärmung.
Zu befürchten war aber eine zögerliche Umsetzung der Beschlüsse. Vertreter aus Ländern des globalen Südens verwiesen darauf, dass zu wenig finanzielle Hilfen der reichen Länder eingeplant worden seien. So wurde bemängelt, dass die Einwände nicht ausreichend ernst genommen wurden und die Verabschiedung am Ende gegen die Widerstände durchgepeitscht worden sei.
Schon der Beginn der Konferenz war überschattet von den bisherigen mangelnden Fortschritten bei der Umsetzung des »Kunming-Montreal Global Biodiversity Frameworks«.
Eine gemeinsame Untersuchung von Carbon Brief und dem Guardian ergab kurz vor der Eröffnung der Konferenz von Cali, dass die überwiegende Mehrheit der Länder die Frist zur Abgabe von Plänen versäumt hat, in denen die Zielerreichung des Montreal-Abkommens noch vor der COP16 vorgestellt werden sollte. Am Ende des Gipfels in Cali hatten nur 44 von 196 Parteien und damit nur 22% ihre Biodiversitätspläne entwickelt und zur Verfügung gestellt. Die Begründung von einigen megaversen Nationen, also den Nationen, die besonders stark von Verlust an Biodiversität betroffen sind, ähnelte im Kern der von großen Volkswirtschaften.
Die Industrieländer erklärten, sie hätten keine Zeit gehabt, sich um die Zielumsetzung des Weltnaturschutzabkommens von 2022 zu kümmern – und die Entwicklungsländer erklärten, sie seien nicht mit den notwendigen Finanzmitteln ausgestattet, die erforderlich sind, um solche Pläne mit entsprechenden Zusagen zu erstellen. Die Umweltverbände kritisierten besonders die Haltung der Industrieländer. Dass es beim globalen Biodiversitätsfonds keine Einigung gegeben habe, treffe das bereits schwer belastete Vertrauensverhältnis zwischen Industriestaaten und den Ländern im Globalen Süden empfindlich.
Am Ende der Konferenz in Cali konnte ein in Montreal fertig ausgehandeltes Rahmenabkommen, das Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele überwachen und die ökologische Qualität durch verbindliche Kriterien sicherstellen sollte, wegen der Beschlussunfähigkeit nicht mehr verabschiedet werden.
Viel Absichtserklärungen aber keine finanzielle Verbindlichkeit
Andererseits verständigten sich die Staaten immerhin auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Auswahl artenreicher Meeresregionen – ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Meeresschutzabkommens, mit dem das 30-Prozent-Ziel erreicht werden soll. Die Fläche der seit Montreal neu ausgewiesenen Schutzgebiete an Land wuchs nur um ein halbes Prozent und auf See sogar nur um 0,2%.
Damit sind bisher weniger als 18% der Land- und gut 8% der Meeresfläche geschützt. Rechnerisch müssten an Land täglich 10.000 Quadratkilometer neuer Schutzgebiete hinzukommen, in den Ozeanen müssten an jedem Tag 85 neue Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden, um das Ziel zu erreichen.
Immerhin fanden die teilnehmenden Länder einen Konsens über einen neuen Verteilungsmechanismus für genetische Ressourcen, den man als »Cali-Fund« bezeichnete. Er sieht die Aufteilung von Gewinnen vor, die aus der Nutzung von Gendaten von Pflanzen und Tieren stammen. Unternehmen oder andere Nutzer der Daten, die diese kommerziell verwerten, sollen einen Teil ihrer Profite oder Einnahmen in den weltweiten Fond einzahlen. Nach langen Diskussionen und Textänderungen in letzter Minute, die Indien zum Schutz souveräner Rechte vorgebracht hat, wurde dieser kleine Kompromiss gefunden.
Seit Montreal liegen die Herausforderungen zum Schutz der Erde auf dem Tisch. Der verabschiedete Kunming-Montreal-Weltnaturvertrag beinhaltet Visionen für das Jahr 2050 – wie die weltweit nachhaltige Bewirtschaftung der Natur ohne Raubbau – und 23 sehr konkrete Kurzzeitziele für das Jahr 2030. Dazu gehören u.a.:
- 30% der bereits degradierten Ökosysteme müssen bis 2030 wieder in einen naturnahen Zustand versetzt werden:
- die deutliche Reduzierung von Umweltverschmutzung aus allen Quellen (u.a. Plastik, Pestizide und besonders schädliche Chemikalien, Düngemittel) und die damit verbundenen Risiken;
- die Anerkennung indigener Wald- und Landbewirtschaftung als nachweislich biodiversitätsfördernd;
- der Abbau umweltschädlicher Subventionen in Höhe von 500 Mrd. US-Dollar pro Jahr;
- die Forderung, die Einfuhr invasiver Tier- und Pflanzenarten in Naturräumen zu vermeiden, weil diese heimische Arten verdrängen bzw. zu deren Aussterben beitragen – eine Bedrohung insbesondere auf Inseln.
Bei der Finanzierung all dieser Projekte sind aber keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden. Die Industriestaaten haben sich verpflichtet, die armen Länder von 2025 an mit jährlich mindestens 20 Mrd. US-Dollar zu unterstützen. Das Geld soll helfen, Schutzgebiete einzurichten und einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die artenreichen Länder verzichten, ihre Naturschätze zugunsten wirtschaftlicher Entwicklung auszubeuten.
Zwar gab es in Cali neue Zusagen, darunter eine weitere 50-Millionen-Finanzspritze Deutschlands, das damit an der Spitze der Geberländer steht. Doch Wochen vor Beginn des Zieljahres klafft immer noch eine Lücke von mehr als vier Mrd. US-Dollar. »Um die zugesagten 20 Milliarden bis Ende 2025 zu erreichen, müssten ab jetzt jeden Monat zusätzliche 300 Millionen zugesagt werden«, sagt Georg Schwede, Finanzexperte der Naturschutzorganisation Campaign for Nature.
Insgesamt ist der Finanzbedarf für den globalen Naturschutz noch deutlich größer. Bis 2030 sollen dafür jährlich 200 Mrd. US-Dollar von Staaten, privaten Spendern, der Industrie und Finanzwirtschaft aufgebracht werden. Wie diese Summe mobilisiert werden soll, bleibt offen. Die geplante Verabschiedung einer Finanzstrategie dazu kam nicht zustande, weil die Konferenz im Finanzstreit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern den Zeitrahmen so sehr überzog, dass viele Delegationen abreisen mussten und die Konferenz beschlussunfähig war.
Bei den Verhandlungen in den vergangenen zwei Wochen hakte es vor allem an drei umstrittenen Punkten: der Kontrolle der bereits vereinbarten Maßnahmen zum Artenschutz, der Finanzierung dieser Maßnahmen und der Gewinnaufteilung von Unternehmen, die mit den Gendaten von Pflanzen und Tieren aus Entwicklungsländern Profite machen. Zu diesem letzten Punkt konnten die Delegierten über Nacht noch eine Einigung auf den letzten Drücker erzielen. Demnach sollen Unternehmen ab einer bestimmten Größe, die genetische Daten von Pflanzen und Tieren aus Entwicklungsländern etwa bei der Herstellung von Medikamenten oder Kosmetika nutzen, künftig 0,1% ihres Umsatzes oder 1% ihres Gewinns in einen Fonds einzahlen.
Viele kosmetische und pharmazeutische Produkte basieren auf Erbgutinformationen, die aus Pflanzen oder anderen Organismen aus dem artenreichen globalen Süden stammen. Über digitale Sequenzierung (DSI) analysiert, sind die zur Produktentwicklung nötigen Informationen weltweit in Datenbanken abrufbar. Während Unternehmen damit Milliardenumsätze erwirtschaften, gingen die Herkunftsländer bei der kommerziellen Nutzung ihrer natürlichen Schätze bisher leer aus. Das dabei gesammelte Geld soll dann denjenigen Ländern und Bevölkerungsgruppen zugutekommen, die diese Pflanzen- und Tierarten über Jahrhunderte erhalten haben. Die Einigung ist für die in dem Dokument genannten Branchen, darunter Pharma- und Kosmetikindustrie, allerdings nicht bindend.
Mehr Rechte für indigene Völker
Die Nationen stimmten einem neuen ständigen, separaten Gremium für indigene Völker zu. Dadurch wird es indigenen Volksgruppen historisch gesehen zum ersten Mal ermöglicht, ihre Positionen zu Biodiversitäts-COPs mit dem Fokus auf Arten- und Naturschutz intern zu beraten und im Plenum der Staatengemeinschaft zur Entscheidung vorzustellen. Die Rechte lokaler Gemeinschaften soll deutlich gestärkt werden.
Der Beschluss bedeutet auch eine politische Aufwertung des traditionellen Wissens über Umgang und Nutzung der Natur durch indigene Gemeinschaften. Auch für die Natur selbst ist die Stärkung der Rechte der 300 bis 500 Millionen Indigenen eine gute Nachricht. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass die Biodiversität in den von ihnen bewirtschafteten Gebieten in einem deutlich besseren Zustand ist als selbst in staatlich kontrollierten Schutzgebieten.
Es ist ernüchternd, dass die Weltstaatengemeinschaft bei dieser Konferenz keinerlei Entscheidungen zum Thema der Fortschrittsberichte des Montreal-Abkommens von 2022 oder der zentralen Frage eines neuen Finanzierungsfonds für die Ziele des Abkommens im Rahmen der COP 16 erreicht hat. Nun kann man politisch durchaus »feiern«, dass nur eine Verschiebung von Entscheidungen auf das kommende Jahr erfolgte – und kein generelles Scheitern dieser beiden Themen. Dies wäre gleichbedeutend mit dem Ende des Montreal-Abkommens. Soweit wollten es die Delegierten offensichtlich doch nicht kommen lassen. Also hat man sich vertagt und verspricht Entscheidungen nach Zwischensitzungen im Jahr 2025.
Durch die gescheiterte Verabschiedung einer Finanzierungsstrategie aufgrund des abrupten Endes der Konferenz ist schließlich auch der Mechanismus aus dem finalen Beschluss geflogen, mit dem die Länder ihre Umsetzungsergebnisse hätten messen sollen. Ein Sprecher der COP16 sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP in Cali, dass man das Treffen zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen wolle, um die Themen abzuschließen, bei denen eine Einigung noch ausstehe.
Festzuhalten ist aber auch, dass der vorhandene Handlungsbedarf durchaus anerkannt wird. Allein in Deutschland gelten über 7.000 Tierarten als gefährdet oder sind akut vom Aussterben bedroht. Weltweit rechnet der UN-Weltbiodiversitätsrat (IPBES) in seinem »Globalen Bericht zum Zustand der Natur« damit, dass bis zu eine Million Arten in den nächsten Jahrzehnten aussterben könnten.