2. März 2021 Berno Schuckart-Witsch: Caritas und Diakonie blockieren
Kein bundesweiter Tarifvertrag für die Altenpflege
Es war ein Paukenschlag am 25. Februar 2021: Nach jahrelangen Bemühungen, insbesondere durch ver.di, verweigerten die Arbeitgeber der Caritas die Zustimmung zu einem bundesweiten allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Altenpflege. Auch die Diakonie sah sich nicht in der Lage ein positives Votum für eine signifikante Verbesserung insbesondere der Löhne in der Altenpflege abzugeben.
Anfang Februar hatten sich die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und ver.di auf den Inhalt eines Tarifvertrages über Mindestbedingungen in der Altenpflege verständigt. Auf Basis des Arbeitnehmerentsendegesetzes sollte dieser zum 1. August 2021 für die gesamte Altenpflege in Deutschland Geltung erlangen. Kein Pflegeanbieter hätte diese Vereinbarung unterschreiten dürfen.
In vier Schritten sollten demnach eine examinierte Pflegekraft bis Juni 2023 einen Stundenlohn von 18,75 Euro erhalten, sowie Pflegehelfer: innen mit einjähriger Ausbildung 14,40 Euro. 28 Tage Urlaubsanspruch und ein Urlaubsgeld von mindestens 500 Euro sind ebenfalls Bestandteil der Vereinbarung. Geltende bessere Tarifverträge in der Branche bleiben von diesem Vertrag unberührt. Der derzeitige Pflegemindestlohn würde somit um 25% verbessert.
Die Altenpflegebranche mit ihren 1.2 Mio. Beschäftigten, davon ca. 300.000 in kirchlicher Trägerschaft, ist unübersichtlich. Etwa 10% befinden sich noch in kommunalen Händen. Je nach Region hat mittlerweile die Hälfte der Altenpflegebetriebe private Träger, die in zwei großen Arbeitgeberverbänden organisiert sind, aber keine Bereitschaft zeigen, einen Tarifvertrag abzuschließen.
Caritas und Diakonie sind als große christliche Wohlfahrtsverbände ebenfalls mächtige Altenpflegbetreiber. Ihre rechtlich selbstständigen Betriebe und Unternehmen sind auch in Arbeitgeberverbänden (kirchendeutsch: Dienstgeberverbände) zusammengeschlossen, die allerdings häufig neben Altenpflege das gesamte Spektrum aus dem Sozial- und Gesundheitswesen betreiben. Beiden Verbänden gemeinsam ist die Weigerung, mit ver.di Tarifverträge auszuhandeln.
In kirchlichen Nebenrechtsordnungen ist, politisch geduldet, festgelegt, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten eigenständig regeln können (keine Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes, Streikrecht wird bestritten, Zwang zur Kirchenzugehörigkeit). Die Caritas und Teile der Diakonie orientieren sich bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen an den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes, die privaten Arbeitgeber und wiederum einige Bereiche der Diakonie vereinbaren Arbeitsverträge nach hausinternen, durch die jeweiligen Arbeitgeber bestimmten Regelungen. Eine Transparenz beispielweise über ein gesetzlich geregeltes Register besteht nicht.
Bedingt durch eine leider unzureichende gewerkschaftliche Organisationskraft ist es bislang nur in Teilen der Altenpflegebranche gelungen Tarifverträge abzuschließen. Deshalb war es nur allzu verständlich, dass ver.di in den letzten Jahren Bemühungen vorangetrieben hat, gesetzliche Mindestbedingungen für eine gesellschaftlich hoch relevante Branche durchzusetzen. Es bleibt das Geheimnis der Arbeitgeberseite in den christlichen Wohlfahrtsverbänden, warum sie in beispielloser Arroganz jetzt eine verbindliche Regelung verweigert haben.
Laut statistischem Bundesamt erhielt eine Pflegefachkraft im Jahr 2019 rund 3.100 Euro im Monat und damit 25% weniger als z.B. Chemiefachkräfte. Pflegehelfer: innen erhalten im Mittel knapp 2.150 Euro, im Osten unterhalb von 2.000 Euro. Etwa 80% der Arbeitnehmer: innen sind Frauen, fast alle teilzeitbeschäftigt, damit ist die entsprechende Vergütung noch geringer.
Das Arbeitnehmerentsendegesetz sieht vor, dass die Kirchen mit ihrem Selbstverwaltungs- und Selbstordnungsrecht – häufig auch fälschlich als »Selbstbestimmungsrecht« bezeichnet – vor in Kraft treten der oben genannten Mindestregelungen anzuhören sind. Dieses Prozedere hat letzte Woche stattgefunden, mit dem bekannten Ergebnis. Es war ein Fehler, diesen Vorbehalt für die Kirchen gesetzlich zu regeln. Kirchliche Träger betreiben Altenpflege finanziert zu 100% aus Mitteln der Pflegeversicherung. Der Sonderstatus der kirchlichen Arbeitgeber macht vor diesem Hintergrund keinen Sinn.
Eine Erstreckung des Tarifvertrages auf alle Altenpflegebetreiber hätte zur Folge gehabt, dass insbesondere private Arbeitgeber keine Dumpinglöhne mehr zahlen können. Für die Caritas hätte diese Vereinbarung keine Folgen, zahlen sie doch weitgehend nach dem von ver.di ausgehandelten Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes. Vermutet wird, dass die kirchlichen Arbeitgeber ihren Segen (!) für einen von ver.di ausgehandelten Tarifvertrag aus ideologischen Erwägungen verweigert haben. Auch die Diakonie-Arbeitgeber haben in den letzten Wochen ihre Abneigung in ähnlicher Weise kundgetan.
Ob es gelingt, noch vor der Bundestagswahl die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Pflege berechtigterweise genießt, zu nutzen, um bessere Regelungen, also Tarifverträge durchzusetzen, ist offen. Zu Recht hat Bundesarbeitsminister Heil klargestellt, dass der Altenpflegeberuf nur attraktiver wird, wenn bessere Arbeitszeiten, bessere Betreuungsschlüssel und bessere Bezahlung erfahrungsgemäß in einem Tarifvertrag geregelt sind. (Süddeutsche Zeitung vom 25.2.2021)
Berno Schuckart-Witsch ist Aktivist im ver.di Fachbereich Gesundheit, Soziales, Wohlfahrtsverbände, Kirchen.