Trumps Triumph?
Dienstag, 21. Januar 2025 | Berlin | 19:00 Uhr | RLS, Straße der Pariser Kommune 8A (auch Online)
Ingar Solty wird im Gespräch mit der Professorin für Politikwissenschaft Margit Mayer die Thesen seiner Anfang Februar erscheinenden Flugschrift zu den Folgen der US-Präsidentschaftswahlen vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
ISBN 978-3-96488-220-2

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Torsten Teichert
Die Entzauberung
eines Kanzlers

Über das Scheitern der Berliner Politik | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-216-5

2. Januar 2025 Andrew Fisher: Schneller Vertrauensverlust der Labour Party

Keir Starmer im Schatten seines Idols Clement Attlee

Es ist erst 18 Monate her, dass Keir Starmer die Labour-Kabinette der Nachkriegszeit (1945-1951) als »Attlees große Regierung« gepriesen hat. Zu Beginn des Jahres 2025 ist Starmers Kabinett zutiefst unpopulär und die Umfragewerte, auch seine eigenen, sinken weiter. Warum das so ist, ist kein Geheimnis.

Großbritannien steckt nach wie vor in der Krise – vom staatlichen Gesundheitsdienst NHS bis zur Wirtschaft – und Labour hat wenig bis gar nichts getan, um diese Krisen zu bewältigen. Die Frustration der Öffentlichkeit, die die Tories buchstäblich aus dem Amt gejagt hat, über den Zustand Großbritanniens überträgt sich nun auf die aktuelle Regierung. Die Labour Party hat ihre Wahlversprechen gebrochen und unpopuläre Maßnahmen umgesetzt – allen voran die weitgehende Abschaffung der Heizungszulage für Rentner*innen.

Es hätte nicht so kommen müssen, und eine Zeit lang sah es auch nicht danach aus. Im Februar 2021 hielt Starmer seine erste substanzielle Rede als Labour-Vorsitzender. Zuvor war er fast das gesamte erste Jahr nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden durch die Corona-Pandemie und den Lockdown in seinen Aktivitäten eingeschränkt. Doch als er aus der Phase der »konstruktiven Unterstützung« der Tory-Regierung »im nationalen Interesse« heraustrat, hatte Starmer eine mutige Botschaft.

Er versprach feierlich, dass die Labour Party nicht zum »business as usual« zurückkehren werde, und sagte, es sei Zeit für einen Neuanfang, vergleichbar mit der Nachkriegsregierung von Clement Attlee: »Ich glaube, es liegt eine Stimmung in der Luft, die wir in Großbritannien nicht oft erleben. Sie war 1945 da, nach den Opfern des Krieges, und sie ist jetzt wieder da.«[1]

Das Labour-Programm von 1945 verpflichtete die Partei auf den Sozialismus und versprach die Schaffung eines staatlichen Gesundheitsdienstes, des National Health Service, sowie umfangreiche Verstaatlichungen und ein massives kommunales Wohnungsbauprogramm. In krassem Gegensatz dazu stand das Wahlprogramm von 2024 – ein mittelmäßiges Angebot einer Partei, die den Fokus auf das Versagen der Konservativen legen wollte. Die Labour Party beschränkte sich auf das kleinstmögliche Angebot, um zu verhindern, dass die öffentliche Aufmerksamkeit von der Unbeliebtheit der Tories abgelenkt wird und stattdessen die politischen Inhalte oder Leerstellen der Labour Party hinterfragt werden.

Als Wahlkampfstrategie ging das hervorragend auf: Obwohl Labour nur 33,7% der Stimmen erhielt, errang sie einen Erdrutschsieg im Parlament, da das Scheitern der Konservativen, unterstützt von der aufrührerischen Reform-UK-Partei, und auch das Scheitern der schottischen Volkspartei SNP die Tür öffnete.

Als Regierungsstrategie hat sich das jedoch als Fehlschlag erwiesen.[2] Finanzministerin Rachel Reeves hat ihre eigenen Haushaltsregeln über den Haufen geworfen, die Steuern um mehr als 40 Mrd. Pfund erhöht, anstatt wie im Manifest vorgesehenen um sieben Mrd. Pfund, und sie hat nichts getan, um die Aussichten für das Wirtschaftswachstum oder den Lebensstandard zu verbessern.[3]

Starmers Verweis auf Attlee im Jahr 2021 war mehr als nur ein einmaliger Gag. Vor einigen Tagen erhielt ich das Buch Attlee: A Life in Politics als Geburtstagsgeschenk. Die Biografie hat der Labour-Abgeordnete Nick Thomas-Symonds geschrieben, der heute als Paymaster General in Starmers Regierung tätig ist.

Die Biografie ist ein gut recherchiertes und durchdachtes Profil Attlees mit vielen Einblicken in seine prägenden Jahre und seinen Führungsstil in der Regierung. In erster Auflage ist das Buch bereits 2010 erschienen. Relevant ist hier aber das Vorwort zur zweiten Auflage von 2023. In diesem Vorwort schreibt Starmer: »Es ist außergewöhnlich, dass die Regierung Attlee in so kurzer Zeit so viel erreicht hat – und das unter so ungünstigen Umständen... Wir sollten uns von Attlees großen Ehrgeiz für Veränderungen inspirieren lassen.« [4]

Die heutige Labour Party ist schnell in eine Krise geraten, weil ihre programmatischen Vorschläge nicht auf der Höhe der Zeit waren. Attlee machte diesen Fehler nicht.

Wenn Starmer das Schicksal seiner Regierung wenden will, sollte er sich in der Tat ein Beispiel an Attlee nehmen. Attlee sah sich mit einer Staatsverschuldung von rund 250% des BIP konfrontiert (was den heutigen Wert von 100% weit übertraf), mit einem vom Krieg verwüsteten Land und mit verzweifelter Armut und Wohnungsnot. Das hat ihn nicht von seinen Ambitionen abgehalten, sondern im Gegenteil noch mutiger gemacht, diese Probleme zu lösen.

Die Frage der Migration war auch in der Nachkriegsregierung umstritten. Es waren nicht wie heute die kleinen Boote, die den Ärmelkanal überqueren, die für Aufregung sorgten, sondern das Passagierschiff HMT Empire Windrush, das 1948 aus der Karibik kommend im Hafen von Tilbury bei London anlegte und eine Panikmache auslöste. Elf Abgeordnete der Labour Party schrieben an Attlee und äußerten die unbegründete Befürchtung, dass »ein Zustrom von Farbigen, die sich hier niederlassen, die Harmonie, die Stärke und den Zusammenhalt unseres öffentlichen und sozialen Lebens beeinträchtigen und zu Zwietracht und Unzufriedenheit unter allen Beteiligten führen könnte«. Attlee wies sie kurz und schroff ab. »Die meisten von ihnen sind ehrliche Arbeiter, die einen echten Beitrag zur Lösung unserer Probleme wegen des Arbeitskräftemangels leisten können«, antwortete er.

Die Regierung Attlee hatte auch das Programm European Voluntary Workers (EVW) aufgelegt, um Menschen aus Osteuropa zu ermutigen, den Arbeitskräftemangel im Vereinigten Königreich auszugleichen. Heute würde nur ein Narr angesichts sinkender Geburtenraten und vieler offener Stellen für Ärzte, Pflegekräfte, Ingenieure und Bauarbeiter der Anti-Migranten-Stimmung nachgeben.

Es ist nicht so, dass Attlee keine Fehler gemacht hätte, wie jeder Regierungschef und jede Regierung, aber er hat dazu beigetragen, ein gesünderes und wohlhabenderes Land zu schaffen, und er hat ein Vermächtnis hinterlassen, das die Zeit überdauert hat. Wie Starmer 2023 schrieb: Attlee hatte »ein transformatives Programm auf den Weg gebracht, das das Leben und Großbritannien verändert hat«.

Heute hat die britische Bevölkerung wenig Vertrauen in Starmer, dass er dasselbe erreichen kann. Exklusive Umfragen für The i Paper zeigen, dass fast zwei Drittel (62%) der Wähler*innen nicht glauben, dass die Regierung die Krise der Lebenshaltungskosten im Jahr 2025 in den Griff bekommen wird.[5] Wenn der Premierminister 2025 sein politisches Schicksal wenden will, sollte er sich auf das besinnen, was er vor nicht allzu langer Zeit »Attlees große Regierung« nannte.

Anmerkungen

[1] Keir Starmer: A New Chapter for Britain. The Labour Party, 18.02.2021.
[2] (Anm. der Red.) Vgl. hierzu auch Hinrich Kuhls: Die Unverbindlichkeit eines angekündigten Wandels. Ehrgeizige Meilensteine der britischen Labour-Regierung. Sozialismus.de, Januar 2025, S. 22-26.
[3] Mike Brewer: What’s in store for 2025. Resolution Foundation, 27.12.2024; https://www.resolutionfoundation.org/comment/whats-in-store-for-2025;   
vgl. auch Rowena Mason: Living standards 2025 outlook ‘hardly cause for celebration’, says UK thinktank. The Guardian, 27.12.2024.
[4] (Anm. d. Übers.) Nick Thomas-Symonds: Attlee. A Life in Politics. Featuring a Foreword by Keir Starmer. 2. Aufl. London 2023: Bloomsbury Publishing. In seiner Neujahrsansprache 2025 nimmt Starmer erneut auf Attlees Regierungszeit Bezug: »Darauf werden wir uns konzentrieren: ein Jahr des Wiederaufbaus. Aber auch die Wiederentdeckung dessen, was für eine großartige Nation wir sind, eine Nation, die es schafft, egal wie hart oder schwierig die Umstände sind. Wir werden in diesem Jahr Zeit haben, darüber nachzudenken, und wir werden mit dem 80. Jahrestag des VE-Tages [8. Mai 1945] und des VJ-Tages [14. August 1945] die Gelegenheit haben, den größten Sieg dieses Landes und der größten Generation, die ihn errungen hat, zu feiern. Aber dieser Sieg und der folgende Frieden und Wohlstand beruhten alle auf dem gleichen Fundament, das wir heute wieder aufbauen müssen. Die Sicherheit der arbeitenden Menschen ist das Ziel dieser Regierung, das Ziel unseres Plans für den Wandel. Das werden wir 2025 vorantreiben.«
[5] Arj Singh: Almost two thirds of voters don't think Labour can fix cost of living crisis. The i Paper, 29.12.2024 und Jack Peacock: 2024 in Review: Labour’s Landslide, Rising Discontent, and the Challenge Ahead. Survation Blog, 31.12.2024. Vgl. auch die aktuelle MRP-Projektion, die zeigt, »dass die Labour Party fast 200 der Sitze, die sie bei den Wahlen im Juli gewonnen hat, verlieren würde […] Der große Nutznießer der Unbeliebtheit der beiden großen Parteien ist die Partei Reform UK, deren Sitzzahl sich nach unserem Modell um das 14-fache erhöhen wird.« Luke Tryl: More in Common have released their first MRP of the new Parliament. More in Common Insight, 28.12.2024.

Andrew Fisher ist freiberuflicher politischer Analyst und Kolumnist. Von 2016 bis 2019 war er Leiter der Grundsatzabteilung der Labour Party. Der hier dokumentierte Beitrag (Übersetzung: Hinrich Kuhls) erschien zuerst am 31.12.2024 unter dem Titel Keir Starmer seems to have forgotten his words about Clement Attlee in seiner Kolumne in der Londoner Tageszeitung The i Paper.

Zurück