Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

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232 Seiten | zahlreiche farbige Abbildungen | EUR 24.80
ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

28. Juli 2022 Andrew Fisher: Orientierungslose Führung der Labour Party

Keir Starmers wirtschaftspolitische Non-Agenda

Der Vorsitzende der Labour Party, Keir Starmer, wurde wiederholt kritisiert, dass er keine positive Alternative zur Tory-Regierung anzubieten hat, sondern nur kritische Anmerkungen. Das wollte er jetzt mit einer Rede in Liverpool ändern. Seine wirtschaftspolitische Vision: »Wir brauchen drei Dinge: Wachstum, Wachstum und Wachstum.«

Als Starmer 2020 für den Labour-Parteivorsitz kandidierte, vertraute mir ein Mitglied seines Wahlkampfteams an, dass er von Wirtschaft nicht allzu viel verstehen würde. Die Sunday Times berichtete am 8. August letzten Jahres, dass ihm in Sachen »Grundzüge der Makroökonomie« zwei Granden der New-Labour-Zeit Nachhilfeunterricht erteilt hätten, und zwar Ed Miliband, der Labour-Vorsitzende von 2010 bis 2015, und Lord Falconer, ein enger Freund Tony Blairs und Kabinettsmitglied von 1998 bis 2007 in verschiedenen Funktionen.

Starmers Rede vom 25. Juli[1] nach zu urteilen, waren sie nicht sehr erfolgreich. Ja, Wachstum zu befürworten ist gut, ebenso die Forderung, dass das Wachstum »stark, sicher und gerecht« sein muss. Um einen Politiker wäre es schlecht bestellt, wenn er eine Rezession befürwortete. Und mit dem Slogan »schwach, unsicher und ungerecht« hätte man sicherlich keinen Erfolg.

Was in der Rede fehlte, war eine klare Aufschlüsselung der Gründe, warum die Wirtschaft für die meisten Menschen nicht funktioniert, und eine Erklärung, wie die Pläne der Labour Party diese Probleme lösen würden. Stattdessen gab es eine Flut von deklaratorischen Phrasen, die sich bei kurzem Nachdenken in Luft auflösen – so lautete zum Beispiel einer seiner fünf Grundsätze, wie die Labour Party das Wachstum bewerkstelligen soll: »Wir werden unverwechselbar britisch sein.«

In seiner Rede bezeichnete Starmer die nächste Parlamentswahl als eine Entscheidung »zwischen Labour-Wachstum und Tory-Stagnation.« Dabei lässt sich der Labour-Chef auf das Risiko ein, dass das Wirtschaftswachstum bis 2024 (dem voraussichtlichen Datum der nächsten Wahl) wahrscheinlich wieder zurückkehren wird – es sei denn, wir bekommen es mit einer Rezession zu tun, die 18 Monate andauert.

Im Februar 2021 hielt Starmer eine Rede,[2] in der er sich als neuer Clement Attlee präsentierte. Attlee war in der Nachkriegszeit von 1945 bis 1951 Labour-Vorsitzender und Premierminister. Starmer erinnerte explizit an ihn, als er damals über seine wirtschaftspolitische Agenda sprach: Die Pandemie habe »ein neues Kapitel für Britannien« eingeläutet, in dem »die Menschen mehr von ihrer Regierung erwarten – wie nach dem Zweiten Weltkrieg«.

Es sei daran erinnert, dass Attlees Regierung die Eisenbahngesellschaften, die Wasserversorgung und die Energieversorgung verstaatlichte und sich dazu verpflichtete, dies mit einer doppelt so hohen Staatsverschuldung wie heute zu verbinden. Er sorgte so für ein hohes Wirtschaftswachstum und entwickelte zugleich den Sozialstaat weiter mit der Errichtung des staatlichen Gesundheitsdienstes und dem Bau von Sozialwohnungen. Aber diese Verpflichtung der Attlee-Regierung, im Namen der Menschen zu handeln, hat Starmer aufgegeben.

Rachel Reeves, die von ihm berufene finanzpolitische Sprecherin der Labour-Fraktion (»Schattenkanzlerin«), hat am selben Tag in einer Sendung von BBC Radio 4 erklärt, dass die jetzige Labour-Führung weder die Eisenbahngesellschaften noch die Energie- oder Wasserversorgung in öffentliches Eigentum überführen würde.

In ihren Wahlprogrammen 2017 und 2019 hatte die Labour Party angekündigt, Bahn, Energie und Wasser in öffentliches Eigentum zu überführen, um die Lebenshaltungskosten zu senken und die Fahrpreise und Rechnungen zu reduzieren. Auf die Frage, ob sie immer noch zu dieser Politik stehe, sagte Reeves, dass sie durch Ideen wie Reformen der Unternehmenssteuern und eine »Buy British«-Kampagne ersetzt worden seien.

»Ich habe fiskalische Regeln aufgestellt, die besagen, dass alle gesetzlichen Ausgaben durch Steuern finanziert werden. Milliarden von Pfund für Verstaatlichungen auszugeben, ist nicht vereinbar mit unseren fiskalischen Regeln.« Auf die Frage, ob sie die Verpflichtungen einfach fallen gelassen habe, antwortete sie: »Das waren Verpflichtungen in einem Manifest, das uns das schlechteste Ergebnis seit 1935 beschert hat. Wir haben das Manifest für 2019 gestrichen.«

Damit weicht sie von ihrer bisherigen Position ab, nach der die Aufnahme von Krediten für Investitionen nicht ausgeschlossen waren. Doch die Überführung von Vermögenswerten in öffentliches Eigentum bringt für den öffentlichen Sektor eben auch Einnahmen mit sich, weshalb der private Sektor sie in privatem Besitz behalten möchte.

Nach einer Gegenreaktion der Eisenbahngewerkschaften, soweit sie Kollektivmitglieder der Labour Party sind, gab die Parteiführung eine Erklärung ab, in der sie behauptete: »Wir wissen, dass eine Bahn in öffentlichem Besitz eine positive Rolle spielt.« Also wieder so eine weichgespülte Phrase, die einfach alle verärgert. Die Infrastruktur der Eisenbahn befindet sich bereits in öffentlichem Besitz, ebenso wie einige Konzessionen zum Streckenbetrieb (zumindest vorübergehend), nachdem private Unternehmen gescheitert waren.

Als Starmer nach seiner Rede von Journalisten zum Thema öffentliches Eigentum befragt wurde, antwortete er, er stehe für eine »Partnerschaft mit der Wirtschaft«. Speziell zum Thema öffentliches Eigentum im Schienenverkehr sagte Starmer, er sei »pragmatisch und nicht ideologisch« und wolle die Preise niedrig halten – etwas, das bei der Privatisierung nicht gelungen war.

Starmer blieb vage, wenn man ihn zu Details befragte, und verließ sich auf Worthülsen statt auf Argumente. Mit jeder neuen programmatischen Rede, die Starmer hält, wird immer weniger klar, wofür Labour steht.[3] Es ist besonders enttäuschend, dass sich die Labour-Führung an dem Tag, an dem der Gewerkschaftsdachverband TUC einen detaillierten Plan zur Senkung der Energiekosten durch die Überführung der Energieunternehmen in öffentliches Eigentum vorgelegt hat,[4] sich vom öffentlichen Sektor abwendet.

Anfang des Jahres hatte Starmer in einem Redemanuskript[5] ebenfalls ein neues Wirtschaftszeitalter versprochen. Damals zitierte er Harold Wilson, einen anderen ehemaligen Premierminister, der in den 1960er Jahren mit der »Weißglut der Technologie« – so die damalige Überschrift der wirtschaftspolitischen Programmatik – das Wachstum antreiben wollte.

Davon ist heute nicht mehr die Rede. Statt seiner früheren Anspielungen auf Attlee und Wilson sagte Starmer jetzt in Anlehnung an Tony Blair: »Das Wachstumskonzept, das ich heute vorgestellt habe, wird die inneren Triebkräfte meiner Partei herausfordern.« Damit kopiert er das Drehbuch von New Labour, sich mit der eigenen Partei anzulegen, um so seine Unabhängigkeit von jedem Hinweis auf die programmatische Verpflichtung der Partei zum demokratischen Sozialismus zu demonstrieren.

Anstatt frühere Labour-Premierminister zu imitieren, muss Starmer jedoch eine wirtschaftspolitische Agenda entwickeln, die auf den aktuellen ökonomischen Gegebenheiten des Landes basiert – nicht auf denen von vor 25, 50 oder 75 Jahren.

Ohne seine Ansichten näher zu erläutern, beteuerte Starmer, seine Vision sei ein »klarer Gegensatz zum Thatcherismus« von Rishi Sunak oder von Liz Truss, den um den Vorsitz der Tory-Partei und die Johnson-Nachfolge ringenden rechtskonservativen Konkurrenten – wobei die beiden gerade miteinander darum wetteifern, wer die Deregulierungs- und Austeritätspolitik des Thatcherismus am stärksten übertrumpfen wird.

Wenn es um öffentliches Eigentum geht, begrüßt Starmer die seit der Thatcher-Zeit bestehende Privatisierung und Deregulierung der Versorgungsunternehmen, die auf Profit ausgerichtet sind. Ebenso hat er sich gegen die Steuererhöhungen der Tory-Regierung ausgesprochen und die umverteilende Steuerpolitik des Labour-Wahlprogramms von 2019 über Bord geworfen. Nun fordert er von seiner Partei, sie müsse sich jetzt genauso entschieden »um Wachstum und Produktivität kümmern, wie wir es in der Vergangenheit mit Umverteilung und Investitionen getan haben«.

Es ist deprimierend, dass Umverteilung und Investitionen als ein überholtes Relikt der Vergangenheit dargestellt werden. Denn sie sind notwendig, um ein »starkes, sicheres und gerechtes« Wirtschaftswachstum zu erzielen. Aber vielleicht war auch selbst dieser Slogan, wie der Rest seiner Rede, nur eine Worthülse.

Starmer hat sich von einem Attlee über einen Wilson zu einem Blair entwickelt. Seine Imitationen sind eine ausgesprochen aufrichtige Form politischer Inhaltslosigkeit, wenn es um die aktuelle wirtschaftspolitische Agenda geht, die Britannien dringend braucht. Dass die Krise der Lebenshaltungskosten jetzt angegangen werden muss, dass die steigenden Energierechnungen unter Kontrolle gebracht werden müssen, dass die Personalkrise im staatlichen Gesundheitsdienst gelöst werden muss, und dass Niedriglöhne und Armut bekämpft werden müssen – zu allen diesen Problemen hat Starmer nichts gesagt.

Nur eines ist klar geworden: Die Strategie der Labour Party unter dem Vorsitz von Starmer besteht darin, darauf zu setzen, dass die Tory-Partei weiter implodiert und dass die Labour Party die nächsten Wahlen automatisch gewinnt. Glück sei dem beschert, der das politische Handwerk nicht beherrscht.

Andrew Fisher war von 2016 bis 2019 Executive Director of Policy bei der Labour Party. Bei den Parlamentswahlen 2017 und 2019 koordinierte er die Arbeit am Wahlprogramm der Partei. Der hier dokumentierte, leicht bearbeitete Beitrag erschien zuerst am 25.7.2022 unter dem Titel Labour’s mealy-mouthed stance on nationalising rail will only annoy everyone in seiner Kolumne in der Londoner Tageszeitung The i (i-news) (Übersetzung: Hinrich Kuhls).

Anmerkungen

[1] Keir Starmer: Labour’s mission for economic growth, Rede am 25. 7. 2022.
[2] Keir Starmer: A New Chapter for Britain, Rede am 18. 2. 2021.
[3] Vgl. Andrew Fisher: Widersprüche in der Labour Party. Haushaltsdisziplin als Businessplan, Sozialismus.de Aktuell, 26.11.2021.
[4] Trades Union Congress (TUC): A fairer energy system for families and the climate, 25. Juli 2022.
[5] Vgl. Elliot Chappell: Starmer to unveil »new economy« plan with focus on reversing low growth trend, Labour List, 23.2.2022.

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