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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

24. Februar 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Bürgerschaftswahlen in Hamburg

Klatsche für Parteien rechts der Mitte

Foto: dpa

Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg wollten die Grünen erstmals die Position der Bürgermeister*in besetzen. Dafür galt es aber, tief in die bürgerlichen Milieus einzudringen, die in der Hansestadt trotz der auch hier nicht ausgebliebenen Strukturveränderungen ihre konservative Prägung des ehrbaren Kaufmanns behalten haben.

Der gesellschaftliche Wandel hat die Hansestadt seit Jahrzehnten umgewälzt: Bei aller Bedeutung des Hafens ist die überkommene Massenarbeit im Hafen durch weniger, aber gut qualifizierte Facharbeiter*innen aufgewertet worden; die Beschäftigten der Werften und Maschinenfabriken sind durch Angestellte in der Luftfahrtindustrie, den Dienstleistungszentren, in Logistik, Verwaltung und Erziehung und Wissenschaften ersetzt worden. Diesen Strukturwandel begleitete und steuerte die SPD. Erst in der jüngsten Zeit zeigten sich die dem chronischen Abwärtstrend der Sozialdemokratie unterliegende Unzufriedenheit auch in der Hansestadt. Die Zeiten der absoluten Mehrheit für die SPD waren endgültig vorbei.

Die Grünen weisen als Koalitionspartner nicht nur erstaunliche Zustimmungswerte auf, sie haben auch bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen im letzten Jahr die SPD teilweise abhängt und konnten in einigen Quartieren Bezirksbürgermeister der SPD mit Koalitionen verdrängen. Die verhaltene Kampfansage, die politische Führung in der Stadt übernehmen zu wollen, hatte durchaus einen gesellschaftlichen Hintergrund. Allerdings zeigten die Umfragen, dass die Herausforderin des bisherigen und auch künftigen Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher, die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, bei einer Direktwahl nur 23% der Stimmen erreichen würde.

Tschentscher überzeugte mit der Attitüde der »hanseatische Gelassenheit«. »Die ganze Stadt im Blick«, lautete sein Wahlkampfslogan. Der proklamierte Anspruch, verschiedene Interessen in einem sozial-ökologischen Ausgleich berücksichtigen zu wollen, erklärt das Ergebnis für die hanseatische SPD, die einerseits auch in der urbanen Metropole Hamburg bei höherer Wahlbeteiligung (2015 knapp 57% gegenüber 63,3% in 2020) 6,6% verliert. Andererseits ist ein Ergebnis von 39% angesichts der bundesweit in Umfragen auf die Sozialdemokratie entfallenden13 bis 15% herausragend.

Die Grünen haben ihr Wahlziel, führende Kraft zu werden, verfehlt, aber sie waren zweifellos mit ihrer politischen Offensive erfolgreich und erreichten fast eine Verdoppelung ihres Stimmanteils von 12,3% auf 24,2 %. Trotz dieses Einbruchs in die städtischen Milieus ist die SPD wieder deutlich stärkste politische Kraft geworden.

Der politische Coup in Thüringen inszeniert von der AfD, dessen Rückwirkungen auf den Zerfallsprozess von Union und FDP sowie die Erschütterung durch das rechtsradikale Attentat in Hanau inklusive der Diskussion über die ideologische Mitverantwortung der AfD, haben in Hamburg auch Spuren in dem Abstimmungsergebnis hinterlassen. Der Abwärtstrend in den Umfragen für CDU mit 11,2% (-4,7%), FDP 5,0% (-2,4 %) und AfD 5,3% (-0,8%) hat sich in den Ergebnissen bestätigt.

Besonders die CDU und die FDP sind abgestraft worden. Die Hamburger CDU fährt ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. Sie hat den Zugang zu den städtischen Milieus seit der Amtszeit von Ole von Beust verloren, ist nach rechts gerückt und erreicht mit ihrem konservativen Auftritt nur noch eine Minderheit. Schon vor den politischen Turbulenzen in Thüringen lag die FDP in Umfragen um die 5%.

Die Ausweitung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Grünen ist durch die anhaltende Umwälzung der urbanen Milieus möglich geworden – auch weil die Hamburger Grünen die zur Jahrtausendwende ausgeprägte linke Programmatik abgeschüttelt und die Streitereien zwischen einem linken und einem realpolitischen Flügel überwunden haben. Auf der anderen Seite ist der chronische Niedergang der hanseatischen Sozialdemokratie mit einem erneuten Stimmverlust gegenüber 2015 politisch maßvoll ausgefallen.

Noch Anfang des Jahres stellten Umfragen einen Gleichstand von Grünen und SPD von 29% fest. Ein Absturz der langjährigen Regierungspartei SPD auf unter 30% schien möglich, zumal sie wegen ihrer zögerlichen Stadtentwicklungspolitik (Umwelt und Mobilität) sowie wegen ihrer engen Verbindung zum Finanzkapital (HSH Nordbank, Warburg-Bank, Cum-ex-Geschäfte) in ein fragwürdiges Licht gerückt werden konnte. Der Angriff der Grünen auf die Führungsposition der Sozialdemokratie hatte aber nicht genügend Durchschlagkraft, wohl auch, weil die SPD ihre Wohnungsbauoffensive erfolgreich vermarkten und das verbreitete Unbehagen über die Mietpreissteigerungen abwehren konnte.

Der Stimmenanteil der CDU ist noch unter das tiefe Niveau ihres Wahlergebnisses von 2015 (knapp 16%) gesunken, mit der miserablen rechtslastigen Aufstellung der hanseatischen Christdemokraten zusammenhängt. Zudem wurde diese negative Performance sicherlich noch durch das Agieren der Union im Zusammenhang des politischen Coups in Thüringen verstärkt.

Auch dass die FDP gerade noch 5% erreicht hat und die Rückkehr in die Hamburgische Bürgerschaft in einer Nachzählung noch bestätigt werden muss, hat sicherlich mit ihrer desaströsen Rolle im Thüringer Landtag zu tun.

DIE LINKE hat ihr Ergebnis von 2015 (8,5%) leicht auf 9,1% verbessert, das erträumte zweistellige Ergebnis konnte nicht erreicht werden.

Die rechtspopulistische AfD konnte mit 5,3% ihr Ergebnis gegenüber 2015 knapp behaupten. Es bleibt dabei, dass der Rechtspopulismus in Hamburg nur eine marginale Größe ist.

Die SPD ging in Hamburg mit zwei Ausnahmen bis 2001 stets als stärkste Kraft aus den Bürgerschaftswahlen hervor, fiel 2004 und 2008 hinter die CDU zurück, bevor sie 2011 mit absoluter Mehrheit wieder an frühere Erfolge anknüpfen konnte. Aus der Bürgerschaftswahl vor fünf Jahren ging sie ebenfalls als stärkste Kraft hervor, war aber auf einen Koalitionspartner angewiesen und regiert seither mit den Grünen.

Mit diesem Wahlergebnis hat der amtierende Senat aus SPD und Grünen weiterhin eine deutliche Mehrheit, die er sogar noch ausbauen konnte. Dies entspricht auch durchaus dem Bürger*innenwillen, denn im Vorfeld der Wahlen fanden 57% eine Fortsetzung dieser Koalition gut, 22% schlecht und 19% wäre das egal (Rest zu 100 Prozent hier und im Folgenden jeweils »weiß nicht«).


Städtische Probleme prägen die politischen Kräfteverhältnisse

Ausschlaggebend für die große Zustimmung zu Rot-Grün war zum einen, dass 76% der potenziellen Wähler*innen ihre Parteipräferenz mit der Politik in Hamburg begründen. Bundespolitische Motive spielen nur für 19% die entscheidende Rolle. Insofern hielt sich auch der Einfluss der Geschehnisse in Thüringen in engen Grenzen. Zum anderen zeigten sich die Hamburger*innen zufrieden mit der Arbeit der rot-grünen Koalition.

In den Umfragen im Vorfeld der Wahlen waren 67% der Befragten sehr zufrieden bzw. zufrieden mit der Arbeit des Senats. Auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf wurde die SPD mit einem Durchschnittswert von 1,6 und die Grünen mit 1,2 bewertet. Alle Oppositionsparteien hingegen erhielten eine negative Beurteilung: die CDU minus 0,4, die Linke minus 0,6, die FDP minus 1,3 und die AfD extrem negative minus 3,9.

Bei der Frage, wen man lieber als Regierungschef oder Regierungschefin in Hamburg hätte, verfügte der Amtsinhaber Peter Tschentscher (SPD) mit 54% über einen klaren Vorsprung vor seiner Herausforderin Katharina Fegebank (Grüne), die 29% vorzogen. Auf der Skala von minus fünf bis plus fünf wurde Peter Tschentscher mit sehr guten 2,7 beurteilt, Katharina Fegebank mit 1,6 und der CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg mit 0,1.


Verkehr und Wohnungsmarkt die wichtigsten Themen

Verkehr und Wohnen stellen für die Mehrheit der Hamburger derzeit die wichtigsten Probleme dar. In der Vorwahlbefragung gaben die Wahlberechtigten an, dass sie es der SPD am ehesten zutrauen, sowohl eine gute Verkehrspolitik für den Stadtstaat zu betreiben (31%), als auch für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen (43%). Am ehesten den Grünen trauen 21% der Befragten zu, die Verkehrsprobleme in der Stadt zu lösen, 14% halten hier die CDU für die geeignete Partei, 5% die FDP und jeweils 2% die AfD und DIE LINKE.

Bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum setzen 16% der Hanseaten auf DIE LINKE, 8% auf die Grünen und 7% auf die CDU. Am ehesten der FDP trauen die Lösung dieses Problems 3% zu und der AfD 1%.


 

Beispiel Mieten

Die große Zufriedenheit mit der Arbeit des rot-grünen Senats kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Stadt viele nicht gelöste Probleme gibt. Der Zuzug vieler Neu-Hamburger*innen in den letzten zehn Jahren hat die Strukturprobleme der Stadt deutlich zutage treten lassen. Die öffentliche Infrastruktur (Schulen, Verkehr, Wohnungen etc.) ist in keiner Weise entsprechend den Anforderungen einer wachsenden Stadt ausgebaut worden.

Das Thema soziale Spaltung spielte in der Politik von Rot-Grün faktisch keine Rolle. Die Strukturprobleme der Hamburger Wirtschaft mit ihrer Ausrichtung auf die Hafenwirtschaft wurden nur marginal angegangen. Ein wesentlicher Faktor bei der von Rot-Grün praktizierten Mängelverwaltung war das Insistieren auf einer Politik der Haushaltskonsolidierung. Die Überschüsse der Stadt in den letzten Jahren wurden nur marginal für eine Investitionsoffensive genutzt, ein Großteil in den Abbau der Verschuldung gesteckt.

Beispiel Wohnungsmarkt. Die Hamburger SPD betonte im Wahlkampf, dass sie den Wohnungsmangel seit Jahren konsequent bekämpft hätte. In Hamburg seien dank des »Bündnisses für Wohnen« seit 2011 mehr als 55.000 Wohnungen gebaut worden, unterstich der Erste Bürgermeister Tschentscher.

Die Mieten in Hamburg seien in den vergangenen beiden Jahren nur noch um jeweils 1,3% gestiegen und »damit langsamer als die Löhne und Gehälter«. Deshalb hätte die politische Antwort der hanseatischen Sozialdemokraten auch nicht Mietendeckel oder Mietpreisbremse gelautet, sondern Wohnungsbau. Den Wohnungsmarkt auch nur sanfteren Regulierungen zu unterwerfen, komme nicht in Frage.

Für die Hamburger Mieterorganisationen drängte sich der Eindruck auf, dass eine Allianz aus Politik und Wohnungswirtschaft den Mieter*innen Beruhigungsmittel verabreicht. Die Unternehmen sprechen dreist von einem falschen Eindruck der Mieter*innen: »Es gibt eine gefühlte und eine tatsächliche Temperatur auf dem Mietmarkt.« Auch sie wollen keine regulatorischen Eingriffe in den Markt, sondern »verlässliche Bedingungen« für die Unternehmen der Branche.

Die vermeintliche Erfolgsstory von SPD und Wohnungswirtschaft wird damit begründet, dass im vergangenen Jahr in Hamburg der Bau von 12.715 neuen Wohnungen genehmigt worden seien, 1.500 mehr als im Jahr zuvor. Der Bürgermeister klopfte sich auf die Schultern: »Keiner anderen Metropole in Deutschland gelingt es so gut wie Hamburg, das Angebot an Wohnraum zu vergrößern, viele günstige Wohnangebote zu schaffen und den Anstieg der Mieten dadurch zu stoppen.« Und Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ergänzte, »dass in vielen Teilen der Stadt ein breites Angebot an bezahlbaren Wohnraum für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen vorhanden ist«.

Von einem intakten Mietmarkt kann allerdings keine Rede sein. Denn die unbestrittene Erhöhung des Wohnungsangebotes muss vor dem Hintergrund folgender Entwicklungen gesehen werden:

  • Es gibt einen deutlichen Bevölkerungszuwachs;
  • in Hamburg fallen große Bestände von Sozialwohnungen aus der gesetzlichen Bindung heraus;
  • die geforderten Mieten der Mehrzahl der neuen Wohnungen sind für die Mehrheit der Wohnungssuchenden eine Zumutung.

Eine Umfrage des NDR zu den Mieten brachte daher auch das wenig überraschende Ergebnis: »Im Vergleich zum monatlichen Einkommen der Befragten übersteigen die Mietkosten mehrheitlich 30% des Gesamteinkommens. Diese gelten in den Sozialwissenschaften als kritische Grenze, die – sofern überschritten – aufzeigt, dass Betroffene über ihren finanziellen Verhältnissen hausen.«

Zur Wahrheit über den Mietenwahnsinn in Hamburg gehört, dass die Kaltmieten für Neuvermietung in Hamburg laut einer Erhebung von Immowelt zwischen 2009 und 2019 um 42% gestiegen sind – die Inflation betrug im selben Zeitraum 14%.

Also entgegen der parteipolitischen Logik – die Mieter*innen spinnen – gibt es reichlich Gründe dafür, dass die Mietenproblematik zu einem zentralen Problem in der Hansestadt aufgerückt ist. Wenig überraschend ist daher, dass immer mehr Hamburger*innen wollen, dass der Staat in den Wohnungsmarkt eingreift. So das Ergebnis einer Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag des NDR durchgeführt hat. 69% der Hamburger*innen stehen einem Mietendeckel positiv gegenüber – und auch unter CDU-Wähler*innen wächst die Akzeptanz für solche Schritte.

Mietendeckel heißt: Weil die bestehende Kluft zwischen der zahlungsfähigen Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen und dem Angebot trotz hoher Neubauten absehbar nicht geschlossen werden kann, muss es ein Moratorium gegen Mietenerhöhungen geben. Dies wäre zu ergänzen durch eine gründliche Überarbeitung des zweijährlichen Mietenspiegels, der zur Zeit faktisch eine automatisierte Mieterhöhungsmaschine ist.

Die SPD dokumentiert ihre Realitätsferne, indem sie für ein Weiter-so eintritt. Die Grünen sind für »Mieten ohne Wahnsinn«, sie schwören auf ihren »11-Punkte-Plan bezahlbares Wohnen für alle«. Darin heißt es: »Die Stadt soll ihre Grundstücke nur noch in Erbpacht für gemeinwohlorientierte Projekte zur Verfügung stellen. Eine zweite städtische Wohnungsbaugesellschaft schafft mehr günstige Wohnungen. In gefragten Vierteln sollen mindestens 50% statt 30% geförderte Wohnungen entstehen und langfristig preisgebunden sein. Wir wollen faire Mieten und faire Vermieter*innen. Deshalb erheben wir bei Mietwucher Bußgeld und belohnen diejenigen, die auf Mieterhöhungen verzichten, mit einem Steuerbonus.«

Wer sich von diesem »utopischen« Programm angezogen fühlt und davon ausgeht, dass es in einer erneuten Koalition mit der Sozialdemokratie umzusetzen ist, leidet an der verbreiteten Realitätsferne. Von der aktuellen Regierungskoalition Rot-Grün ist also auch künftig keine Politik- und Trendwende auf dem Mietmarkt zu erwarten.

Dass Rot-Grün gleichwohl bei den Wahlen ihren Stimmenanteil ausbauen konnte, hat daher viel mit der Schwäche der Oppositionsparteien zu tun. Dies betrifft auch und vor allem die Linkspartei. In der Wohnungsfrage etwa zeigte ihr Wahlplakat für den Mietendeckel, dass auch sie die Wähler*innen nicht wirklich ernst nimmt. »Einfach machen« ist eben nicht so einfach zu machen – weder bei der sozialen Gerechtigkeit, Hamburg für alle, Mindestlohn gegen Armut, Waffenexporte verbieten oder auch als Variation: »einfach kostenlos machen, gegen CO2 hilft HVV«.

Alle diese berechtigten Schwerpunkte haben den Nachteil, dass es angesichts der gesellschaftlichen Widerstände und der politischen Kräfteverhältnisse bei diesen Konfliktthemen kein einfaches Machen geben kann. Der Bezug auf den bei vielen Bürger*innen vorhandenen Überdruss an verbalen Ankündigungen oder Versprechen ist nachvollziehbar, aber die Rhetorik des »endlich Handeln« bleibt Unterkomplex.

Hinzu kommt, dass sich die Linkspartei von Beginn des Wahlkampfs an, wie schon 2015, vom politischen Gestaltungsfeld verabschiedet und rigoros eine Reformkoalition mit SPD und Grünen abgelehnt hat, was die Spitzenkandidatin der LINKEN, Cansu Özedmir in einem Interview mit dem Abendblatt noch einmal so begründete: »Wir haben in Bremen, Berlin und Thüringen gezeigt, dass wir gut regieren können. Aber da ist die Konstellation auch eine andere, weil wir mit SPD und Grünem dort auch wichtige Maßnahmen durchsetzen können wie die Bekämpfung der Kinderarmut. In Hamburg ist die Konstellation ganz anders. Hier grenzt sich die Elb-SPD von der Bundes-SPD ab, weil sie ihr zu links ist.« Inhaltlich begründet sie den fundamentalistischen Kurs der Hamburger LINKEN damit, dass DIE LINKE einen Systemwechsel wolle, und »nicht das von Haushalt zu Haushalt Löcher gestopft und kosmetische Korrekturen ergriffen werden, die nicht viel an der Situation von Tausenden Hamburgern verändern. Wir brauchen z.B. beim Wohnungsbau eine Kehrtwende und fordern einen Anteil von 50 Prozent Sozialwohnungen. …. Wir müssen dahin kommen, dass in Hamburg die Menschen profitieren und nicht die Unternehmen und die wenigen.«

Die Bürger*innen der Stadt hat das offensichtlich nicht überzeugt. DIE LINKE konnte von den Schwachstellen der rot-grünen Landesregierung nur wenig profitieren, und das in 2015 erreichte Niveau lediglich um 0,6% verbessern. Bleibt zu hoffen, dass in der Auswertung der Wahl, aber auch der anstehenden Strategiekonferenz der Linkspartei Ende Februar eine kritische Bilanz der eigenen Politik gezogen und ein Politikwechsel bei Teilen der LINKEN eingeleitet wird.

Die Hoffnungen auf einen Aufbruch oder eine Erneuerung bei den Hamburger Parteien infolge der Wahlergebnisse sind insgesamt gering. Nach der Wahl wird der jetzige Senat also weitermachen können. Die Hansestadt bleibt eine Hochburg der Sozialdemokraten, die seit 1949 zumeist den Ersten Bürgermeister stellten. Amtsinhaber Peter Tschentscher wird diese Tradition verlängern – in einer Koalition mit den Grünen, die aus den Wahlen deutlich gestärkt hervorgegangen sind. Die übrigen Parteien sind im zweitgrößten deutschen Stadtstaat abgeschlagen, den Liberalen und Christdemokraten sowie der AfD hat der »Tabubruch« in Thüringen zusätzlich Stimmen gekostet.

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