22. Mai 2012 Michael Wendl
Kommt der Umschlag vom Kreditsystem ins Monetarsystem?
In der SZ vom 14.5.2012 greift Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH einen alten Vorschlag aus der österreichischen Schule der Nationalökonomie auf. Er fordert die Aufhebung des Monopols gesetzlicher Zahlungsmittel durch die Zentralbanken und plädiert für einen Wettbewerb verschiedener Währungen, wie er von F.A. von Hayek in der Folge von Überlegungen von Carl Menger und Ludwig von Mises in die volkswirtschaftliche Debatte gebracht worden ist.
Hinter der "Geldschöpfung aus dem Nichts", wie sie von den Zentralbanken durch das Ausreichen von Krediten durchgesetzt wird und bis heute das Platzen der Geldkreisläufe in der Folge der Finanzmarktkrise verhindert hat, sieht Polleit nicht nur die Tücken der Inflation, sondern die Gefahr einer falschen Allokation von Kapital durch zu niedrige Zinsen für Investitionskredite. Polleit spekuliert darauf, dass sich im Zuge eines Wettbewerbs verschiedener Währungen, die er als „freies Marktgeld“ versteht, „intrinsisch wertvolle Sachgüter“ wie v.a. Gold und Silber als Gelddeckung etablieren werden, weil durch den Wettbewerb der Währungen die Garantie der Zentralbanken für die Wertstabilität des Papiergeldes einer bestimmten Währung wegfallen wird.
Was hier als einfache und geldwertsichernde Aktion gepriesen wird, die die Eigentumsrechte des Geldvermögensbesitzers sichern soll, hat Marx als „Umschlag des Kreditsystems in das Monetarsystem“ (MEW 25, 587) gekennzeichnet. Sobald der Kredit erschüttert ist, schreibt Marx, „soll nun aller reale Reichtum wirklich und plötzlich in Geld verwandelt werden, in Gold und Silber, eine verrückte Forderung, die aber notwendig aus dem System selbst hervor wächst“( 589). Marx weist darauf hin, dass diese Forderung exakt in der Krise des Zyklus der modernen Industrie als Forderung auftritt.
Die Folgen eines solchen Wettbewerbs der Währungen, also einer kompletten Deregulierung der Finanzmärkte mit einer versuchten Deckung dieser Währungen durch Gold und Silber wären sicher zunächst profitabel für die Degussa Goldhandel GmbH, gesamtwirtschaftlich würden sie aber katastrophale Auswirkungen auf alle mit Krediten besicherten Ansprüche auf zukünftige Einkommen haben, da es auch bei einem signifikanten Anstieg von Gold- und Silberpreisen zu einem sofortigen Reißen aller Kreditketten kommt und die Funktion der Zentralbanken, das Vertrauen in die Kontinuität der gesellschaftlichen Produktion durch die Ausgabe von Krediten und damit von Papiergeld zu gewährleisten, schlagartig beendet wäre. Es ist zwar Gold ein wichtiger Bestandteil der globalen Währungsreserven, aber sein Wertvolumen ist gegenüber den in Devisen gehaltenen Währungsreserven eindeutig nachgeordnet . Nach Einschätzung von Stephan Krüger wären weder internationale Institutionen wie der IWF noch einzelne Länder oder Ländergruppen in der Lage, einen solchen Zusammenbruch, wenn er stattgefunden hat, aufzufangen und in eine ‚weiche Landung‘ zu überführen (Krüger 2012, 343ff.)
Das hinter dieser zunächst „verrückten“ Forderung stehende Problem ist aber politisch interessant. Es ist angesichts der Möglichkeiten der Zentralbanken, Geld aus dem Nichts zu schöpfen, nicht wahrscheinlich, dass es zu diesem Umschlag von Kredit- ins Monetarsystem kommt. Solange Vertrauen in die Zukunft der gesellschaftlichen Produktion besteht, werden Kredite und darauf basierendes Papiergeld weiter akzeptiert werden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Forderungen von solchen „Verrückten“ wie Polleit und anderen nach einem Wettbewerb der Währungen, die mit Gold gedeckt werden, lauter werden und es genügend andere „Verrückte“ geben wird, die diese aus ihrer Sicht einfache Lösung der Risiken von Krediten und Ausweitung der Geldmenge favorisieren werden. Und es wird auch in den Etagen der Politik ausreichend „Verrückte“ geben, denen eine solche Lösung gefällt. Marx hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Menschen bewusst, aber ohne Bewusstsein über die ökonomischen Gesamtzusammenhänge, in denen sie sich bewegen, handeln. Im Zuge der tiefen Krise der europäischen Währungsunion und der kapitalistischen Weltwirtschaft werden gerade aus den Kreisen der Geldvermögensbesitzer solche Rufe lauter und drängender werden. Und es wird auch in den etablierten Parteien genügend ökonomische Scharlatane geben, die mit solchen Lösungen sympathisieren und ihnen politisch den Weg zu bereiten versuchen.
Das liegt daran, dass viele Menschen in der aktuellen Geldpolitik der Zentralbanken, also eines „quantitative easing“, eine Erosion des Geldwertes fürchten, trotz der Tatsache, dass in der gegenwärtigen Rezession eher mit deflationären Tendenzen gerechnet werden muss. Dass die gestiegene Geldmenge auf den Gütermärkten gerade nicht ankommt, da sie gefährdete Vermögenspreise zu stabilisieren hat, wird nicht gesehen, sondern im Gegenteil von einer nahe bevorstehenden Inflation schwadroniert. Diese Sicht drückt sowohl die gestiegene Nervosität von Vermögensbesitzern aus wie auch die instinktive Wahrnehmung einer als theoretisches Dogma vermutlich nicht einmal bewusst wahrgenommenen Quantitätstheorie des Geldes als Folge des Fetischcharakters des Geldes selbst. Deshalb wird es zunehmend wichtiger, die bereits vorliegenden Vorschläge von Keynes für eine International Currency Union, später zur International Clearing Union erweitert ( siehe Ehnts/Körner 2011, 217ff., Krüger 2012, 518ff.) als Lösungswege aus der gegenwärtigen Krise systematisch in die wirtschaftspolitische Diskussion einzubringen und zu popularisieren.
Literatur:
K. Marx, Das Kapital Bd. 3, in: Marx-Engels-Werke Bd. 25
Dirk Ehnts, Finn Marten Körner, Wie die Leistungsbilanz die Kapitalbilanz klein erscheinen lässt, in: Harald Hagemann, Hagen Krämer (Hrsg.), Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 23, Marburg 2011
Stephan Krüger, Politische Ökonomie des Geldes, Hamburg 2012