27. Februar 2020 Bernhard Sander
Kommunalwahl in Frankreich als politischer Lackmustest?
Mitte März wird, zum letzten Mal vor der Präsidentschaftswahl 2022, gewählt. In zwei Wahlgängen entscheiden die Bürger*innen Frankreichs über die Zusammensetzung ihrer Kommunalparlamente.
Die Macron-Partei La République en Marche (LREM) schwächelt – die früher die politischen Kräfteverhältnisse umkrempelnde Bewegung zeigt organisatorische Defizite. Die Gelbwestenbewegung und die Proteste gegen die Rentenreform schwächten Macrons politischen Unterbau.
Das Umfeld ist von einer leichten Konjunkturabkühlung geprägt, die seit etwa einem Jahr anhält, aber den Beschäftigungsaufbau bisher wenig beeinträchtigt. Die Blockade zwischen Massenmobilisierung, Reformnotwendigkeiten und neoliberalem Umbau der Altersversorgung mündete in einer Verschiebung der Entscheidung über die Ausgestaltung der Rentenreform auf die Zeit nach der Kommunalwahl, aber auch in einer parlamentarischen Zuspitzung in der Frage, ob Staatspräsident Emmanuel Macron sein Rentenpaket per Notverordnung nach Artikel 49,3 durchsetzen wird.
Macron steht unter Druck, da zwei Drittel aller französischen Bürger*innen der Meinung sind, dass er kein guter Präsident ist, womit er seit Amtsantritt unter dem Niveau seines sozialdemokratischen Amtsvorgängers liegt. Sollten sich die Umfragen bei den Kommunalwahlen in realen Stimmverhältnissen manifestieren, bräche der alte Links-Rechts-Gegensatz wieder auf, den er aufzulösen gehofft hatte. Die Dynamik sozialer Kämpfe bekäme weiteren Aufschwung.
Der Coronavirus bringt eine hysterische Note in den Wahlkampf, da aus Kreisen der Rechten die Grenzschließung und Abschottung gefordert wird, was schon immer ein Steckenpferd des rechtsnationalistischen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen war. Aber auch die in den Massenmedien tagelang breit diskutierte Frage einer durch den Virus induzierten Neuordnung von Wertschöpfungsketten und De-Globalisierung lenkt Energien auf die Mühlen der Rechten, weil sie die Unsicherheit anheizt.
Die Umfragen in den Großstädten weisen auf einige allgemeine Trends hin: Je einiger die (Rest-)Parteien links von der Mitte antreten, desto größer sind ihre Chancen. Die Macron-Partei La Republique en Marche (LREM) schafft es nur schwer, sich lokal zu verankern, vor allem wenn überkommene lokale Mehrheiten links oder rechts stabil bleiben konnten. Dort, wo die bisherigen Kommunal-Patriarchen und ihre Netzwerke abtreten (Collomb in Lyon, Gaudin in Marseille, Juppé in Bordeaux), sind die Kräfteverhältnisse wieder offen, aber auch dort gelingt LREM der Durchbruch wohl nicht. Die Rechtspopulisten werden sich in den von ihnen eroberten Städten halten und in der Fläche eher verbessern können. Überall ist ein Erstarken der Grünen zu erwarten, die eine moderne urbane Mitte sammeln.
Die inhaltlichen Schwerpunkte der lokalen Auseinandersetzungen sind durchaus unterschiedlich. In Marseille geht es um die Frage der Sicherheit im Stadtraum, in vielen anderen Städten auch um die Sauberkeit.
In Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner*innen, worunter schon einige Hauptstädte von Departements zählen, empfindet ca. ein Drittel, dass sich das Leben in den letzten fünf Jahren verbessert habe, und ein Drittel rechnet auch damit, dass es in den kommenden Jahren besser werde. Aber 38% finden, dass es in der zurückliegenden Zeit eher schlechter geworden ist.
Da neun von 10 Befragten denken, dass die Entscheidung der Bürgermeisterwahl großen Einfluss auf das Leben in der Gemeinde hat (und nur drei von vier das von den Großunternehmen denken), wird eine latente Wechselbereitschaft unterstellt werden können, zumindest bei jenen, die meinen, eine Verschlechterung beobachtet zu haben. Zwei Drittel der Befragten sind allerdings mit den Entscheidungen des Bürgermeisters mehr oder weniger stark zufrieden. Jede/r zweite kann sich aber einen Wechsel vorstellen.
Das Potenzial für die politischen Richtungen ist allerdings unterschiedlich groß: 45% könnten sich vorstellen für die Grünen zu votieren, 32% für LREM und 26% für die Rechtsnationalisten von Le Pen. Die ehemalige Kommunalmacht PCF rangiert mit 14% auf dem letzten Platz. Im Vergleich zum Potenzial vor der EU-Wahl konnten die Grünen, aber auch die Rechtsbürgerlichen deutlich ihr Potenzial erweitern, während LREM und RN bei etwa einem Viertel stagnieren. Für RN käme das allerdings einer erheblichen Ausweitung der Ausstrahlungskraft im Vergleich zu den letzten Kommunalwahlen gleich. Man wird sehen, welche Formation ihr Potenzial wie weit ausschöpfen kann.
Bei Menschen unter 35 Jahren stellt das Wohnungsproblem eines der wichtigsten Themen dar, ebenso wie der Schutz der Umwelt (beide Themen weit überdurchschnittlich wichtig), die Sicherheit und die lokalen Steuern sind die wichtigsten Themen für die anderen Altersgruppen. Bei den Anhänger*innen der Grünen spielt der Umweltschutz die alles entscheidende Rolle, aber auch die Stadtentwicklung mehr als bei anderen Parteifamilien. Sicherheit von Hab und Gut spielen bei LREM und den rechten Formationen die wichtigste Rolle. Themen wie ÖPNV (ca. 25%), Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen (20%) usw. machen zwischen den politischen Lagern kaum einen nennenswerten Unterschied aus. Bürgerbeteiligung und Beschäftigungsförderung sind eher marginale Themen (unter 10%) außer für die Grünen.
In Paris[1] kam es erst zu einer Konfrontation zwischen zwei Listen aus der Präsidentenpartei LREM, dann zum Ausscheiden des Macron-Favoriten und ehemaligen Pressesprechers wegen einer Porno-Affäre. Nur eine Fusion beider Listen hätte Erfolgsaussichten. Hier sprechen die Umfragen für einen Sieg des amtierenden Links-Bündnisses aus Sozialdemokraten und Reformkommunisten um die Amtsinhaberin Anne Hidalgo (23%), gegen das weder die rechtsnationalistische RN von Marine Pe Pen noch die Grünen etwas ausrichten könnten. Der jahrzehntelange Strukturwandel vom Automobil- und Industriestandort zu einer Dienstleistungsmetropole der Konzernzentralen und der schlechtbezahlten Massenbeschäftigung im Tourismus schafft die Voraussetzung. Die bürgerliche Rechte sammelt sich um Rachida Dati, Sarkozys Justizministerin, und wird für die Linke zu einer ernsten Bedrohung (25%). Erst eine Fusion mit der grünen Liste könnte der Linken den Sieg in der Landeshauptstadt bringen.
Ähnliches gilt für die bisher links regierte Normandie-Metropole Rennes mit einer überdurchschnittlichen Unterbeschäftigungsquote und teilweise Hochburg der Gelbwestenbewegung. Die LREM-Kandidatin stellte dies ebenso wie die hohe Kriminalitätsrate in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes.
In Perpignan scheinen die Umfragen auf eine Bestätigung des RN-Amtsinhabers hinauszulaufen. Sauberkeit und Sicherheit waren die wahlentscheidenden Themen. Im ebenfalls von einem RN-Bürgermeister verwalteten Béziers hat der Amtsinhaber, der die Stadtpolizei bewaffnen ließ, mit 61% beste Aussichten auf die Wiederwahl. Die Liste von Grünen und LFI wäre mit 15% doppelt so stark wie jeweils die traditionelle Linksunion und LREM.
Die Millionen-Metropole Lyon stellt sich ziemlich zersplittert dar: Jeweils etwas mehr als 20% der Stimmen können sich die Grünen und LREM (die vom bisherigen Amtsinhaber Collomb unterstützt werden, der von den Sozialdemokraten zu Macron überlief) ausrechnen. Das Linksbündnis von La France insoumise, PCF und Basisgruppen und die rechtsbürgerlichen Republikaner liegen deutlich dahinter (unter 15%), gefolgt von einer weiteren bürgerlichen Liste, die sich von LREM abgespalten hat, und RN, die wohl nur unter Einbeziehung der statistischen Unsicherheit Aussicht auf die Stichwahl haben.
In Lille, das immer noch vom sozialdemokratischen Urgestein und Mutter der 35 Std-Woche, Martine Aubry, verwaltet wird, hat die Liste von Sozialdemokraten und Kommunisten mit 35% gute Aussichten, stärkste Kraft zu werden, gefolgt von den Grünen mit beachtlichen 21%. Die Rechtsbürgerlichen, RN und LREM folgen mit respektvollem Abstand, aber alle mit Aussichten auf das Erreichen der Stichwahl. Eine Allianz von Linken und Grünen brächte eine komfortable absolute Mehrheit, eine Allianz der Grünen mit den abgeschlagenen Linksnationalisten von LFI eine Zersplitterung der Stimmverhältnisse und ein Erstarken der Rechten.
In Bordeaux, ehemals Hochburg der bürgerlichen Rechten und danach infolge von Gentrifizierung eine Hochburg der Gelbwestenproteste aus dem Umland, sammelt die radikale Linke (gemeinsame Liste NPA und La France insoumise) wenigstens einen Prozentzahl, die mit der bei der letzten Europawahl gleichauf liegt. Die bürgerliche Rechte scheint mit einem guten Drittel einen Sieg erwarten zu können, gleichauf mit einer gemeinsamen Liste von mehreren Nachfolgeorganisationen der Sozialdemokraten, Grünen und Kommunisten. Der RN wird eine Randexistenz vorausgesagt. Und Macrons Gefolgschaft bleibt abgeschlagen.
In der Studierenden-Stadt Toulouse, hier sind ein Drittel unter 30 Jahre alt, führt in den Umfragen eine Liste von Grünen und La France insoumise, gefolgt von einer klassischen Linksunion und dem PS-Zerfallsprodukt Generation.s. Dieses linke Lager käme in der Summe auf 47%. Macrons Leute nennen sich hier »Toulouse lieben« und unterstützen hier gemeinsam mit den rechtsbürgerlichen Republikanern die bisherige Stadtratsmehrheit. Sie liegen aber vermutlich im ersten Wahlgang nicht vorn (41%). Die Le-Pen-Bewegung RN käme nur auf 7%. In der Stichwahl würde die bürgerliche Mitte dann aber wohl den Sieg davon tragen, da sich die Grünen nicht zur Gänze der Linksunion anschließen würden. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn RN in eine Dreiecksstichwahl vorstoßen würde.
In Nizza, einer Hochburg der rechtsbürgerlichen Republikaner, kann der Amtsinhaber mit der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang rechnen, während die in drei Listen zersplitterte Linke mit einer relativ stärkeren Grünen-Verbindung kaum einen Achtungserfolg zu erwarten hat. Den allerdings könnte RN mit einem knapp zweistelligen Ergebnis einfahren. LREM tritt erst gar nicht in Erscheinung. In einem Duell kämen die Grünen auf 33%, in einer Dreiecksstichwahl käme die Grüne Liste auf immerhin 23% und RN auf 18%.
Man wird also die konkreten Wahlergebnisse abwarten müssen, die dann in Listenverbindungen zur Stichwahl überführt werden. Da es keine einflussreichen Parteizentralen mehr gibt, entscheidet die Gemengelage vor Ort.
[1] Die meisten Umfragen, die hier zitiert werden stammen vom Institut IFOP www.ifop.com/municipales-2020/. Eine gute Übersicht bietet auch die interaktive Karte www.linternaute.com/actualite/politique/1728523-municipales-2020-tous-les-sondages-les-infos-essentielles-sur-les-elections/