Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
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Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

3. Mai 2022 Éric Monnet: Über den Schwindel einer Analogie

Kriegswirtschaft in Rhetorik und Realität

Bundeswirtschaftsminister Habeck in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Foto: dpa)

Der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen über das Land hinaus, insbesondere auf die Energiepreise in Europa, haben dazu geführt, dass der Begriff »Kriegswirtschaft« wieder in den Medien und im politischen Vokabular auftaucht.

Dieser Ausdruck ist schon häufig verwendet worden, um die Eindämmungssituationen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie zu beschreiben, obwohl in den betroffenen Ländern keine militärischen Konflikte vorhanden sind.

Die Analogie ist im französischen und europäischen Kontext in zweierlei Hinsicht paradox, da die tatsächlichen militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte – etwa in Mali, Libyen oder Afghanistan im Falle Frankreichs oder im Irak im Falle der USA – nicht zur Verwendung eines solchen Vokabulars geführt hatten.

Dieses Paradoxon ist bezeichnend für den Unterschied zwischen »Kriegswirtschaft« (»économie de guerre«) und »Ökonomie des Kriegs« (»économie de la guerre«). Während der zweite Begriff die direkten wirtschaftlichen Folgen von Konflikten im Zusammenhang mit Zerstörungen oder Militärausgaben charakterisiert, wird der erste hauptsächlich verwendet, um die Neuorganisation der Wirtschaft zur Unterstützung eines Krieges und im Gegensatz zu einer normalen Friedenssituation zu bezeichnen.

Der Begriff Kriegswirtschaft wird im Zusammenhang mit dem 17. und 18. Jahrhundert in Europa übrigens nur selten erwähnt, obwohl der Krieg dort allgegenwärtig war. Er bleibt vor allem mit der Organisation der Wirtschaft während der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts verbunden.

Wenn heute von Kriegswirtschaft die Rede ist, dann offenbar, um wichtige Veränderungen in der Rolle des Staates zu beschreiben und als Reaktion auf die steigenden Energiepreise einen defensiven nationalen Diskurs aufzubauen.

Wenn man die Energiefrage durch die Brille der Kriegswirtschaft liest, besteht jedoch die Gefahr, dass man die Reflexion über die tiefgreifenden Veränderungen, die für die Erhaltung der Umwelt notwendig sind, aufschiebt. Sowohl die Rhetorik als auch die Theorie der Kriegswirtschaft beruhen im Wesentlichen auf einer Ausnahmeperspektive und dem Ziel einer raschen Rückkehr zu einer früheren, als »normal« empfundenen Situation.


Opfer und Knappheit

Im Zentrum des Konzepts der Kriegswirtschaft steht die Vorstellung von wirtschaftlichen Opfern - spiegelbildlich zum Tod durch Waffengewalt –, die der Bevölkerung auferlegt wurden, um die Notlage zu bewältigen.

Um Keynes’ berühmte Worte aus seinem 1940 erschienenen Werk How to Finance the War (Wie man den Krieg finanziert) zu zitieren: Der Krieg bringt uns vom Zeitalter des Überflusses zurück ins Zeitalter des Mangels (»in war we move back from the Age of Plenty to the Age of Scarcity«).[1]

Diese Opfer werden als notwendig erachtet, um den Krieg zu gewinnen, und sind auf die Mobilisierung der Produktionsmittel (Kapital wie Arbeit) in einem Kontext relativer Autarkie zurückzuführen. Die Wahlmöglichkeiten der Bürger*innen hinsichtlich ihrer Beschäftigung, ihres Konsums und ihrer Ersparnisse werden eingeschränkt.

Der Staat steht im Zentrum der Organisation der Wirtschaft und entscheidet mehr als sonst, welche Güter in Maßen konsumiert werden sollten, und in welche Wirtschaftssektoren Arbeitsplätze und Kapital fließen sollten. Unter den konkreten Folgen dieser Organisation betonen historische Studien gewöhnlich drei Punkte:

  • die notwendigen Maßnahmen zur Legitimierung der größeren Rolle des Staates,
  • die Rationierung und Preiskontrolle und
  • die Erhöhung der Transfers von Einzelpersonen an den Staat durch Steuern oder Zwangssparen.

Der Begriff »Kriegswirtschaft« bedeutet also, dass die Bevölkerung wirtschaftliche Verluste hinnehmen muss, indem sie ihre üblichen Bedürfnisse einschränkt und einen Teil ihrer Ressourcen an den Staat überträgt. Dies kann nicht ohne Kommunikation oder Propaganda geschehen, die darauf abzielt, die Notwendigkeit der Opfer und die Überlegenheit der staatlichen Effizienz bei der Organisation der Produktion zu rechtfertigen.

Dabei handelt es sich nicht nur um Propaganda, sondern häufig um eine echte Neudefinition der Staatsbürgerschaft – wie insbesondere James Sparrow für die USA während des Zweiten Weltkriegs gezeigt hat.[2] Die Neudefinition bringt die Ausweitung von Bürgerrechten ins Spiel oder sieht – im Gegensatz dazu – für bestimmte Minderheiten deren Ausschluss vor im Namen der Festigung der nationalen Identität und der Identifizierung eines inneren Feindes.

Die Unterbrechung der Versorgungsketten und die staatliche Organisation von Produktion und Konsum bedeuten, dass das Preissystem bei der Lenkung von Konsum und Investitionen eine geringere Rolle spielt als üblich (und sicherlich viel geringer als in den idealisierten Modellen der Ökonomen); eine Situation, die zur Entwicklung von Schwarzmärkten führen kann, um die von den Behörden verhängten Rationierungen zu umgehen.

Schließlich verursacht der Krieg nicht nur wirtschaftliche Kosten für die Bevölkerung aufgrund des geringeren Konsums, sondern auch aufgrund der direkten Transfers an den Staat, entweder durch Steuern oder durch das sogenannte Zwangssparen, d.h. die Verpflichtung, Bankeinlagen zu unterhalten, oder den direkten Kauf von Staatsschulden zu einem negativen Realzins. Die großen Kriege fielen mit Steuererhöhungen, der massiven Aufnahme von Staatsschulden und einer Inflation zusammen, die die Verzinsung der Ersparnisse und den Reallohn reduzierte.


Was ist mit der Nachkriegszeit?

Die drei oben genannten Elemente finden sich heute sehr wohl in Russland und der Ukraine. Aber außerhalb dieser Länder, in denen die wirtschaftlichen Kosten für die Bevölkerung immens sind, ist der Bezug auf die Kriegswirtschaft derzeit eher metaphorischer Natur: Wir haben es weder mit einer Knappheit zu tun, die allgemeine Rationierungen erfordert, noch mit der Notwendigkeit einer sofortigen und massiven Steigerung der Militärproduktion oder des Kapitalersatzes.

Der Begriff der Kriegswirtschaft, wie er in den Medien verwendet wird, qualifiziert nicht die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, die Lieferung von Ausrüstung an die ukrainische Armee oder die Neuausrichtung der Verteidigungs- und Geopolitik, da dies keine kurzfristigen großen Opfer für unsere Volkswirtschaften bedeutet.

Der Verweis auf die Kriegswirtschaft bezieht sich sehr wohl hauptsächlich auf die Energiefrage. Es ist der Anstieg der Energiepreise, der den Verbraucher*innen Kosten und Opfer auferlegt. Hier gibt es zwar einen konjunkturellen Faktor und somit auch eine entsprechende Reaktion, insbesondere um die Auswirkungen der Inflation auf die Menschen mit den niedrigsten Einkommen zu begrenzen.

Es ist aber auch bekannt, dass der Anstieg der Preise für fossile Brennstoffe nicht nur ein kriegsbedingtes Konjunkturproblem ist. Steigende Preise für fossile Brennstoffe und die Begrenzung der Energieausgaben sind notwendige Elemente, um die globale Erwärmung und die damit verbundenen Umweltkatastrophen zu verhindern.

Der Begriff der Kriegswirtschaft erscheint daher sehr eng, um unsere Gegenwart zu fassen, da er nur als Legitimation einer Übergangssituation Sinn macht: Die Bedeutung der Rückkehr zur Nachkriegsnormalität ist für die politische Legitimität dieser Art von Wirtschaft wie auch für ihre Theoretisierung von entscheidender Bedeutung.

In seiner bereits erwähnten Schrift Wie man den Krieg finanziert – die sicherlich nach wie vor eines der eindringlichsten Unterfangen einer Theorie der Kriegswirtschaft ist – stellt Keynes eine Reihe von Maßnahmen vor, deren Ziel es ist, die Opfer des Krieges durch die Aussicht auf eine Wiederbelebung des Konsums in der Nachkriegszeit akzeptabel zu machen.

Alle Propaganda, die darauf abzielte, den Krieg durch die Ausgabe von Staatsschulden zu finanzieren, Rationierungen und eine besondere Arbeitsorganisation zu rechtfertigen, beruhte auf der Tatsache, dass diese Maßnahmen vorübergehend waren und eine schnelle Rückkehr zur Normalität versprachen.

Der von der französischen Regierung angekündigte Resilienzplan,[3] um »die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf das Leben der Französinnen und Franzosen zu bewältigen«, ist Teil dieser Rhetorik, da Resilienz eine Rückkehr zu einem Gleichgewichtszustand vor der Krise bedeutet.

Dieser Plan ist nur eine klassische antizyklische Politik zur Abfederung eines Angebotsschocks und keine Neuorganisation der Wirtschaft, die darauf abzielt, einen Krieg zu gewinnen. Diese kurzfristigen Maßnahmen sind notwendig, auch wenn es bedauerlich ist, dass ihre Finanzierung nicht expliziter diskutiert wird und nicht mit einer Sonderabgabe auf die höchsten Einkommen und Vermögen verbunden ist, um diese Widerstandsfähigkeit gerechter zu gestalten.

Die Rhetorik der Kriegswirtschaft und der Wiederherstellung des Gleichgewichts ist jedoch kontraproduktiv, da sie darauf hinausläuft, die lange Vorlaufzeit der Energiefragen oder der langfristigen Umgestaltung des Staates und der Wirtschaft, die zur Erhaltung der Umwelt notwendig sind, zu leugnen.

Die Analogie ist ein bekanntes rhetorisches Verfahren, um zu beeindrucken und Zustimmung zu gewinnen, aber ein Wort für ein anderes zu nehmen, ist auch ein Prozess der Verdrehung. Es besteht die reale Gefahr, dass diese Analogie die Fragen der Energieeinsparung und -erzeugung auf eine kurzfristige Herausforderung reduziert. Für die Lösung der ökologischen Krise gibt es keine historische Referenz.

Éric Monnet ist Hochschullehrer an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris und an der École d’économie de Paris. Zuvor war er von 2013 bis 2018 als Ökonom bei der Banque de France tätig. Zahlreiche Publikationen; darunter eine monatliche Kolumne in Alternatives Economiques. Dort erschien der hier in einer leicht bearbeiteten deepl.com-Übersetzung dokumentierte Beitrag zuerst am 30.3.2022 unter dem Titel L’économie de guerre: vertiges d’une analogie; https://www.alternatives-economiques.fr/eric-monnet/leconomie-de-guerre-vertiges-dune-analogie/00102684. Zu seinem aktuellen Buch La Banque Providence. Démocratiser les banques centrales et la monnaie (Paris 2021: Seuil) vgl. die ausführliche Rezension von Martine Orange: Le nécessaire débat démocratique sur l’action des banques centrales bei Presse-toi à gauche!, 1.2.2022; https://www.pressegauche.org/Le-necessaire-debat-democratique-sur-l-action-des-banques-centrales.

Anmerkungen

[1] Keynes, John Meynard: How To Pay For The War, London 1940: MacMillan, S. 17; https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.499597/mode/2up. Korrigierte Neuausgabe 2010: How to Pay for the War. In: John Maynard Keynes (Hg.): Essays in Persuasion. New ed., Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 367–439. Frz. Ausgabe: Comment financer la guerre. Traduction et édition critique par Marc Laudet; avec la collaboration d'André Tiran. Paris 2020: Classiques Garnier (Écrits sur l'économie, 13).
[2] Sparrow, James T.: Warfare State. World War II Americans and the Age of Big Government. New York 2011: Oxford University Press USA. Vgl. hierzu Blin, Alexia: Table ronde »Warfare State: World War II Americans and the Age of Big Government«. In: Transatlantica 2015 (1); DOI: 10.4000/transatlantica.7392
[3] Ministère de l'Économie, des Finances et de la Relance: Le Gouvernement présente son plan de résilience économique et sociale, 26.3.2022; https://www.economie.gouv.fr/plan-resilience-economique-sociale-gouvernement.

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