2. April 2015 Otto König/Richard Detje: Rüstungshaushalt Weißbuch 2016
Krisen beleben das Geschäft
Im Vorwort des »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands«[1] aus dem Jahr 2006 ist der Kernsatz enthalten: »Die Bundeswehr ist durch den größten Wandel ihrer Geschichte gegangen. Sie ist immer mehr zu einer Armee im Einsatz geworden.« Fast zehn Jahre später geht es nicht mehr allein um die Frage, ob militärische Mittel eingesetzt werden, sondern wie häufig, in welcher Form und zu welchem, nicht dem Verteidigungsfall vorbehaltenem Zweck.
Den Startschuss zur Erarbeitung einer »neuen deutschen Sicherheits- und Militärstrategie« gab Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Mitte Februar 2015 in Berlin. Die Notwendigkeit begründete sie auf der »Auftaktveranstaltung Weißbuch 2016« mit dem veränderten »sicherheitspolitischen Umfeld«, das durch die »alarmierende Entwicklung des transnationalen Terrorismus« und dem »Vorgehen Russlands in der Ukraine« geprägt sei. Nach Auffassung der Ministerin soll es in den anstehenden Denk- und Schreibprozessen »kein Tabu« geben.
Tatsächlich knüpfen die Vorbereitungen für das Weißbuch nahtlos an die Debatte über das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung Deutschlands an, die Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sie selbst Anfang 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Gang gesetzt hatten.[2] So sieht Christoph Hickmann von der Süddeutschen Zeitung im »Weißbuch 2016« das »richtige Instrument« zur Konkretisierung dieses Vorstoßes. Denn nach wie vor bestehe das Problem, dass bislang nicht offen diskutiert werde, »dass aus der ökonomischen und politischen Stärke dieses Landes die Verantwortung erwächst, im äußersten Fall auch militärisch mehr Verantwortung zu übernehmen« (DLF, 21.2.2015).
Während 2006 die »Enttabuisierung des Militärischen« im Vordergrund stand, geht es in der 2016er Version nun um die »Enttabuisierung militärischer Großmachtpolitik«. Für den Ausrichter der jährlich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geht es jedoch nicht nur darum, einen »Konsens innerhalb der Bundesregierung über Ziele, Mittel, Ressourcen und Methoden der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu schaffen«, sondern insbesondere in der Bevölkerung das Verständnis dafür zu schaffen, »warum und wofür die Mittel, die dafür ausgegeben werden, notwendig sind«.
Die »Wende der deutschen Sicherheitspolitik« verpackten Rüstungspolitiker der GroKo in einen Antrag zum Bundeshaushalt 2015: In zwei gemeinsamen Initiativen forderten sie die geplante Zahl von 225 Leopard-2-Panzern zu erhöhen, die Entwicklung eines »Leo 3« in Auftrag zu geben und mehr als die 190 vorgesehenen Exemplare des Schützenpanzers GTK Boxer anzuschaffen. »Die weltweite Sicherheitslage erfordert ein grundsätzliches Umdenken, was den Stellenwert der Bundeswehr angeht, auch finanziell«, lautete ihre Begründung zur Waffenbestellung.
Da überraschte es nicht, dass auch Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview mit der »Bild am Sonntag« Anfang März 2015 mit dem »Zeigefinger« auf die »neue weltpolitische Situation« ankündigte, den Wehretat zu erhöhen und die Bundeswehr weiter aufzurüsten. Der Bundeswehr würden in den nächsten vier Jahren etwa acht Milliarden Euro mehr als bisher geplant zur Verfügung stehen. Welch ein Zufall: Konnte doch der »ARD-Deutschland-TREND März 2015« das passende Umfrage-Ergebnis für diese Verlautbarung liefern, der zufolge eine – knappe – Mehrheit von 53% der Bevölkerung für eine Erhöhung des Rüstungsetats sei, während sich 42% dagegen aussprechen würden.
Sollten die lautstark vorgetragenen Klagen des ausgeschiedenen Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen also doch noch von Erfolg gekrönt werden? Deutschland liege mit seinen Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) weiter unter den geforderten 2%, tönte es aus dem Brüsseler Nato-Headquarter. Jetzt liefern die Großkoalitionäre: Wurde doch der Konflikt mit Russland als »Weckruf« verstanden, »das Militär zu stärken und die transatlantischen Bande zu verstärken«, wie auf dem jüngsten Treffen in Wales festgehalten wurde.
All dies kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die von der Politik, dem Militär und der Rüstungsindustrie penetrant verbreitete Behauptung, der Bundeswehr-Etat sei »einem Kahlschlag ausgesetzt« gewesen, allein einem massiven Rüstungslobbyismus diente. Denn der Militärhaushalt stieg »von (umgerechnet) 23,18 Milliarden im Jahr 2000 auf etwa 33 Milliarden im Jahr 2015 an. Selbst inflationsbereinigt handelt es sich hier um eine nahezu 25%ige Steigerung« (IMI-Standpunkt, 17.3.2015). Die deutschen Waffenhersteller haben Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken: »Keine Frage, die aktuellen Krisen bringen uns zusätzliche Geschäfte«, sagte Peter Rücker, Unternehmenssprecher von Rheinmetall, dem ARD-Hauptstadtstudio (Greenpeace-Magazin, 4.11.2014).
Nicht nur die Bundesregierung will wieder zurück zu einer Armee, die gegen »Gefahr aus dem Osten« gerüstet ist, sondern vor allem die Staaten an der Ostgrenze der Nato wollen ihre Streitkräfte modernisieren und entsprechend aufrüsten. In Deutschland profitiert davon vor allem Krauss-Maffei Wegmann (KMW): Der Produzent des Leopard 2, der sich in den vergangenen Jahren vor allem dem Waffenexport in arabische Staaten verschrieben hatte, ist in Europa wieder gefragt. Für KHM-Chef Frank Haun steht außer Zweifel, dass sich Deutschland ohne Kampfpanzer nicht verteidigen kann, »sein Fähigkeitsspektrum ist durch nichts zu ersetzen« (Zeitonline, 17.3.2015).
Dennoch: Weder volkswirtschaftlich noch friedenspolitisch gibt es sinnvolle Argumente, mit Rüstungsaufträgen die deutsche Rüstungswirtschaft wieder zu stärken. Auch das immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragene Arbeitsplatzargument zieht nicht. Hilmar Linnenkamp und Christian Mölling stellten für die Stiftung Politik und Wissenschaft fest, dass »volkswirtschaftlich betrachtet die Rüstungsindustrie nur geringes Gewicht« habe. So arbeiteten in der klassischen Rüstungsindustrie (Waffensysteme, Waffen und Munition) weniger als 20.000 direkt Beschäftigte, gegenüber 740.000 in der Automobilindustrie. Die Autoren weisen nach, dass der Anteil der Verteidigungs- und Sicherheitsbranche am BIP bei einem Prozent (22 Mrd. in 2011) liege, während die Automobilbranche auf 7% komme (SWP-Aktuell, Juni 2014).
Es gibt also gute Gründe, der neuen Rüstungsoffensive der Groko eine Konversionsoffensive der Gewerkschaften entgegenzusetzen. Dazu bedarf es des massiven Drucks breiter friedenspolitisch engagierter gesellschaftlicher Kräfte. Wichtige Beiträge dazu leisten in diesen Wochen betriebliche Funktionäre in den Delegiertenversammlungen der IG Metall vor Ort zu den Themen »aktive Friedenspolitik«, »Waffenexporte« und »Rüstungskonversion«. Erste beschlossene Anträge an den 23. Gewerkschaftstag[3] im Oktober verlangen klare Orientierung von ihrer Organisation. Die IG Metall soll sich als Teil der Friedensbewegung entschieden gegen Waffenexporte, für Frieden und Abrüstung engagieren.
Langfristiges Ziel müsse es sein, »die Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte ganz abzuschaffen«, stellen die Metaller aus der nordrhein-westfälischen Verwaltungsstelle Hamm-Lippstadt in ihrem Antrag fest und fordern »die Wiederaufnahme der Diskussion über Initiativen zur Rüstungskonversion«. Gerade in der »Debatte um Waffenlieferungen in Krisengebiete« sei deutlich geworden, dass die IG Metall Antworten geben müsse. Die für Wehrtechnik zuständige Gewerkschaft solle »mit dem Aufbau der betrieblichen Kompetenzen in Rüstungs- und Konversionsfragen« in diesem Sektor wieder »inhaltliches Profil gewinnen«, verlangen niedersächsische Metaller aus Salzgitter.
Gewerkschafter aus Gevelsberg-Hattingen im Ruhrgebiet fordern ihre Organisation auf, in diesem Prozess eine »aktive und steuernde Rolle« zu übernehmen, dazu gehöre »die Entwicklung eines Industriepolitischen Konzepts zur Konversion von militärischer in zivile Produktion«. Damit bei der schrittweisen Umstellung auf zivile Güter entstehende Beschäftigungsprobleme gelöst werde können, »ist die Konversion staatlich unterstützend zu begleiten«. Aber auch »Arbeitszeitverkürzungen« könnten dabei mithelfen, Arbeitsplätze zu sichern, formulieren süddeutsche Metaller aus Schwäbisch-Hall in ihrem Antrag.
Allen bisher vorliegenden Anträgen liegt das Anliegen zu Grunde, dass der Satzungsauftrag der IG Metall, sich für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung einzusetzen, nicht dem Arbeitsplatzargument untergeordnet werden darf. Es ist wichtig, dass die Delegierten des IG Metall-Gewerkschaftstages 2015 in Franfurt gerade in der Phase der Formulierung des »Weißbuch 2016« der GroKo ein deutliches Signal »für Frieden und gegen Waffenexporte, für Abrüstung und Rüstungskonversion« setzen.
[1] »Das Weißbuch stellt die Grundzüge, Ziele, und Rahmenbedingungen deutscher Sicherheitspolitik, die Lage der Bundeswehr und die Zukunft der Streitkräfte dar. Das Weißbuch steht in der Hierarchie sicherheitspolitischer Grundlagendokumente an oberster Stelle, gefolgt von den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR).« (Website der Bundeswehr) Diese Weißbücher werden seit 1969 erstellt.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Gauck fordert Ende der Zurückhaltung. Zu den Waffen greifen, SozialismusAktuell 22. Juni 2014.
[3] Inzwischen wurden u.a. Anträge zu diesem Themenbereich in den Delegiertenversammlungen der IG Metall-Verwaltungsstellen Dortmund, Essen, Gevelsberg-Hattingen, Hamm-Lippstadt, Salzgitter-Peine und Schwäbisch-Hall beschlossen. Da der Antragsschluss auf den 1. Mai 2015 terminiert ist, können noch weitere Anträge eingehen.