31. Juli 2023 Björn Radke: Die absehbaren Folgen und Kosten der Klimakrise
Lässt sich der Albtraum noch aufhalten?
Hunderte von Forschungseinrichtungen weltweit sind sich einig, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Der zentrale Grund: Wenn fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl oder Erdgas vernutzt werden, entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid.
Dieses blockiert gemeinsam mit anderen Treibhausgasen die Wärmeabstrahlung, wodurch sich die Erde erwärmt. Alle Teile des Klimasystems, also Ozeane, Eis, Land, Atmosphäre und Biosphäre haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erwärmt – und die Luft der Erdoberfläche ist im globalen Mittel bereits mehr als ein Grad Celsius wärmer als in der vorindustriellen Zeit.
Experten raten seit längerem: Es müsse das Ziel sein, die Klimaerwärmung bis 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sonst werden die Klimafolgen immer schädlicher für die Lebensverhältnisse, die Menschen und den ganzen Planeten, der Meeresspiegel könnte weiter steigen und die Wetterbedingungen würden immer extremer. Das sich verändernde Klima verursacht Dürren, Starkregen, Überflutungen, Stürme – immer häufiger und heftiger führt der Klimawandel zu Verwüstung und kostenintensiven Zerstörungen.
Der Monat Juli gilt als der wärmste Monat seit Beginn der Wettermessungen. Der Mittelmeerraum, der in den zurückliegenden Wochen von Hitzewellen und Waldbränden heimgesucht wurde, ist von Wissenschaftlern zu einem der Brennpunkte des Klimawandels erklärt worden. Menschen, Tiere und Natur, aber auch ganze Wirtschaftszweige in Südeuropa, Nordafrika und Nahost sind durch den Klimawandel bedroht.
Weniger drastisch ist die Entwicklung in Deutschland, wo die Juli-Temperatur nach einer eher wechselhaften zweiten Monatshälfte voraussichtlich das Mittel der Jahre 1991 bis 2020 nur minimal übertreffen wird. »Der Norden und Teile Westeuropas hatten das Glück, den Monat weitgehend unter einer Wolkendecke zu verbringen«, sagte dazu Klimaforscher Haustein.
Dazu stellt die Klimaexpertin Friederike Otto vom Imperial College in London fest, dass die globale Durchschnittstemperatur allein noch niemanden umbringe – extreme Wetterereignisse wie die aktuelle Hitzewelle im Mittelmeerraum aber schon. Diese hingen eindeutig mit dem »heißesten Juli aller Zeiten« zusammen. Die Konsequenz: »Jedes Jahr sterben allein in Europa Tausende von Menschen an den Folgen von extremer Hitze.« Kühler werde es auf der Erde trotz aller möglichen Bemühungen nicht mehr, sagte Otto. Deswegen müssten die Menschen sich anpassen und ihnen ermöglicht werden, mit extremen Bedingungen im Sommer zu leben.
»Wir brauchen einen Kulturwandel in der Art und Weise, wie wir über extreme Hitze denken«, sagte Julie Arrighi vom Red Cross Crescent Climate Centre während der Medieninformation der World-Weather-Attribution-Initiative. Entscheidend sei eine ausreichende Größe von Warnsystemen, Hitzeaktionsplänen und Investitionen in langfristige Anpassungsmaßnahmen.
Der neue Chef des Weltklimarates, Jim Skea, hält ebenfalls mehr Anstrengungen beim Klimaschutz für nötig, wandte sich zuletzt aber dagegen, Untergangsszenarien in diesem Zusammenhang zu verbreiten: »Wenn man ständig nur die Botschaft aussendet, dass wir alle dem Untergang geweiht sind, dann lähmt das die Menschen und hält sie davon ab, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit dem Klimawandel fertig zu werden«, sagte Skea wenige Tage nach seiner Wahl. Die Technologien und Instrumente, um den Klimawandel einzudämmen, seien vorhanden, sie müssten nur auch angewendet werden.
Aber auch der Weltklimarat mit Sitz in Genf (IPCC) müsse selbst mehr tun, um seine spezifischen Erkenntnisse besser als Handlungsgrundlage für bestimmte Gruppen aufzubereiten. Skea nannte Stadtplaner oder Landwirte oder Unternehmen. Das 1,5-Grad-Ziel nannte er »unglaublich symbolträchtig«. Sollte die Erderwärmung darüber liegen, werde die Welt aber nicht untergehen. »Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben«, machte der neue IPCC-Chef deutlich. Die Menschheit werde deshalb aber nicht aussterben.
Zögerliche Politik
Die Umweltminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) konnten sich beim Treffen nicht auf konkrete Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen einigen. Am Ende des dreitägigen Treffens veröffentlichten die Organisatoren ein Dokument, demzufolge die G20-Länder über die Reduzierung der Treibhausgasemissionen weiter uneins sind.
Vor allem Industrieländer hatten zuvor gefordert, die Staatengruppe solle sich auf eine Senkung um 60% bis 2035 gegenüber dem Stand von 2019 verpflichten. Die Mitglieder konnten sich dem Dokument zufolge nicht über die Erschöpfung der CO2-Budgets, die historischen Emissionen, die Netto-Null-Ziele und die Frage der Finanzierung zur Unterstützung der Entwicklungsländer einigen.
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hält das 1,5-Grad-Ziel bei der Begrenzung der Erderwärmung für physikalisch noch erreichbar, sieht aber keinen politischen Willen dazu. Rahmstorf wirft der Politik vor, zu wenig zu tun, um das 2015 bei der Pariser UN-Klimakonferenz vereinbarte Ziel zu erreichen, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Zwar sei es physikalisch noch erreichbar, sagte Rahmstorf, »aber dazu müsste man eben es anpacken, wie, wenn man in einer Kriegssituation ist und das einfach die Top-Priorität hat, die 1,5 Grad zu halten. Realistisch ist es natürlich so, dass die allermeisten Regierungen das eben leider nicht als Top-Priorität behandeln, und so werden wir es auf keinen Fall schaffen«, schätzte der Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein.
Vielen Menschen, auch vielen Politikern, ist aus Sicht des Klimaforschers »noch nicht wirklich klar, wie dringend die Klimakrise jetzt ist«. Rahmstorf mahnte zugleich, die Maßnahmen zum Klimaschutz gerecht zu gestalten. Die finanzielle Hauptlast sollten die Besserverdienenden tragen, weil sie im Mittel mehr zu Emissionen beitragen, etwa weil sie größere Autos fahren, größere Häuser beheizen oder öfter in Urlaub fliegen.
Deshalb gelte es zu handeln – und zwar schnell. Es sei wichtig, durch raschen Klimaschutz das Unbeherrschbare zu vermeiden und sich gleichzeitig an den unvermeidlichen Teil des Klimawandels so gut wie möglich anzupassen, erklärt Rahmstorf. Im Pariser Abkommen hatten die Staaten vereinbart, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch Rahmstorf befürchtet, dass dieses Ziel verfehlt wird. »Solange fossile Energienutzung noch subventioniert wird, selbst gesetzte Klimaziele zum Beispiel im Verkehrssektor ignoriert werden und auch sofort wirksame Gratismaßnahmen wie ein allgemeines Tempolimit nicht genutzt werden, kann von ernsthaften Anstrengungen in Richtung 1,5 Grad nicht die Rede sein.«
Maßnahmen und Kosten zur Anpassung an den Klimawandel
Es gilt ja nicht nur an den Anstrengungen in Richtung 1,5 Grad nicht nachzulassen, sondern den konkreten Folgen der heute zu verzeichnenden Folgen der Erderwärmung Rechnung zu tragen. Dazu hat die Ampel-Koalition unter Federführung des Umweltministeriums den Entwurf eines Klimaanpassungsgesetzes vorgelegt, das im Juli 2023 im Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieses soll die Gesellschaft besser auf die Folgen der Klimakrise wie Dürren, Starkregen oder Hitze vorbereiten, Risiken minimieren und Schäden vermeiden.
Konkret heißt das zum Beispiel möglichst wenige Flächen zu versiegeln, damit das Regenwasser abfließen kann und es nicht zu Überschwemmungen kommt – oder deutlich mehr Schattenplätze in Städten zu schaffen, um insbesondere ältere Menschen besser vor Hitze zu schützen. Das Gesetz soll laut Bundesumweltministerium erstmals einen »strategischen Rahmen« auf allen Verwaltungsebenen setzen. Die geplanten Maßnahmen könnten »die Lebensqualität in der Stadt und auf dem Land erheblich verbessern«, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Laut Entwurf soll die Bundesregierung eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie mit messbaren Zielen vorlegen. Diese müsse dann alle vier Jahre aktualisiert werden. Auch die Bundesländer und auf lokaler Ebene sollen eigene Konzepte umgesetzt werden.
Regelmäßige Klimarisikoanalysen und Monitoringberichte sollen verpflichtend sein. So müssen Bundesländer wie etwa Brandenburg, die besonders von Dürre betroffen sind, entsprechende finanzielle Risiken berechnen und Lösungen finden. Wenn Ziele nicht eingehalten werden, sollen Maßnahmen des zuständigen Ministeriums folgen. Die Versiegelung von Böden soll auf ein Minimum reduziert werden. Zudem sollen die Länder dafür sorgen, dass »für das Gebiet jeder Gemeinde, jedes Landkreises oder jedes Kreises nach Maßgabe der Zuständigkeitsbestimmung des Landesrechts ein integriertes Klimaanpassungskonzept auf Grundlage einer Klimarisikoanalyse aufgestellt und die darin vorgesehenen Maßnahmen umgesetzt werden«. Auch Bürgerinnen und Bürger sowie Länder und Verbände sollen bei den Formulierungen mitreden können. Die erste Klimaanpassungsstrategie mit konkreten Zielen soll dann Ende 2024 verabschiedet werden.
Die Mehrheit der Städte und Landkreise in Deutschland sieht sich nicht ausreichend für Hitze, Hochwasser und andere Extremwetterereignisse vorbereitet. Das zeigt eine Umfrage von Medien. Demnach gab die Hälfte von insgesamt 329 Verwaltungen an, dass die erforderlichen Schutzmaßnahmen in den kommenden Jahren vermutlich nicht finanziert werden könnten. Ein weiteres Drittel geht davon aus, dass die Finanzierung nur für einen Teil der Maßnahmen reichen wird. Der Deutsche Städtetag unterstützt das Vorhaben der Bundesregierung, verwies aber auch auf große Investitionen.
»Bund und Länder schätzen den Finanzbedarf für Klimaanpassungsmaßnahmen in Ländern und Kommunen bis 2030 auf insgesamt 55 Milliarden Euro und den Personalbedarf für die Umsetzung auf 16.200 Stellen«, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Nachrichtenagentur dpa. »Mit den bestehenden Förderprogrammen ist es unmöglich, diese nötigen Maßnahmen flächendeckend umzusetzen. Bund und Länder müssen deshalb mehr Verantwortung übernehmen.«
Im Referentenentwurf zu diesem Gesetz heißt es: »Wenn der Betrag von 100.000 Euro für alle Klimaanpassungskonzepte für die Gebiete von Kreisen und Gemeinden angesetzt und pessimistisch davon ausgegangen wird, dass für die Gebiete aller Kreise und 85% der Gemeinden neue Klimaanpassungskonzepte aufgestellt werden müssen, ergibt dies einen Aufwand von (einmalig) 956.810.000 Euro. Legt man einen Betrag von 200.000 Euro pro Klimaanpassungskonzept zugrunde, vervielfacht sich die Summe entsprechend.«
Zu dieser groben Prognose mit maximal 19 Milliarden Euro allein für die Entwicklung von Klimaanpassungskonzepten addieren sich noch die erwarteten Kosten des Klimawandels: »Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass hohe Kosten durch den Klimawandel entstehen, die sich noch erhöhen, wenn keine Anpassungsmaßnahmen getroffen werden. Die Studie ›Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland‹ erwartet, dass allein die monetär erfassbaren kumulierten Folgekosten des Klimawandels für den Zeitraum von 2022 bis 2050 in Deutschland im Zeitverlauf immer stärker ansteigen und sich auf real 280 bis 900 Mrd. Euro summieren«.
Sollte der Bundestag dem Gesetzentwurf zustimmen, tritt es 2024 in Kraft. Anders als beim »Wärmegesetz (GEG)« gibt es bisher keinen ernsthaften Bremseffekt durch die Unionsparteien und die FDP. An den Folgen des Klimawandels und den damit verbundenen hohen Kosten können auch sie nicht mehr vorbeischauen.