Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

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ISBN 978-3-96488-196-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

9. September 2020 Bernhard Sander: Kommt Frankreich aus dem Tal heraus?

Macron versucht den Sprung nach vorn

Macron und Castex maskiert (Foto: dpa)

Während das Virus sich in Frankreich erneut sprunghaft ausbreitet, versucht das Land aus dem tiefen Konjunkturtal herauszukommen. Vor den Sommerferien fiel die Bilanz des zweiten Quartals zwiespältig aus: Nach Schätzungen des Statistikamtes INSEE sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 17%, obwohl schon ab Mitte Mai Zeichen der Erholung sichtbar wurden.

Die Zahl der Arbeitslosen in der Definition des Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sank paradoxerweise weiterhin (auf zwei Millionen). Die Zahl der arbeitslos gemeldeten, aber nicht als offiziell arbeitsuchend registrierten Menschen stieg um über 700.000 Menschen. Dieser statistische Effekt des Abrutschens in die Schattenarbeitslosigkeit ist der Ausgangsperre und der Unterbrechung von Firmenaktivitäten geschuldet.

Die Schattenarbeitslosigkeit erreichte mit 6% der 15- bis 64-Jährigen den höchsten Stand seit Einführung der ILO-Systematik 2003. Die Beschäftigungsquote in dieser Altersgruppe, die auch Beschäftigte in teilweiser Kurzarbeit einschließt, sank umgekehrt um 1,6% auf 64,4%, was besonders Männer und junge Erwachsene traf. Jeder dritte Teilnehmer am Arbeitsmarkt war in irgendeiner Form beeinträchtigt, seine volle Arbeitskraft anzubieten.[1] Die Zahl der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden sank von durchschnittlich 31,5 Std. auf unter 26 Std. pro Woche.

Diese gewaltige Brachlegung gesellschaftlicher Arbeitskraft kann langfristig nicht ohne Folgen für den Wohlstand und die Reichtumsproduktion bleiben. Sowohl der Konsum der privaten Haushalte als auch die Unternehmensinvestitionen brachen im zweiten Quartal in einem seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannten Ausmaß ein.

Die Exporte sackten um 25,5% (nach -6,1% bereits im ersten Quartal) ab. Das Wirtschaftsforschungsinstitut OFCE der Hochschule für Politik spricht von einem »erzwungenen Sparen« in Höhe von 75 Mrd. Euro. Die neueste Prognose des INSEE (aus dem Juli) macht auf vorsichtigen Optimismus und rechnet beim Wirtschaftswachstum mit einer Steigerungsrate von 19% im 3. Quartal gegenüber dem 2. Quartal und 3% im 4. Quartal (jeweils gegenüber dem Vor-Quartal (im 1. Quartal waren es -5,3% und im 2. Quartal -17%; für das Gesamtjahr wird nun ein Rückgang von -9% prognostiziert).

Die Hygiene-Restriktionen wurden schon früh wieder gelockert, aber die Wirtschaft muss nun wieder angekurbelt werden. Die Stimmung in der Bevölkerung bleibt angespannt. Drei Viertel der Befragten sind im August beunruhigt über die Gesundheitssituation im Land, jede/r zweite macht sich Sorgen um die eigene Gesundheit. Viel entscheidender ist, dass sich 80% um Kaufkraft und ökonomische Lage des Landes Sorgen machen und 55% um die persönliche wirtschaftliche Lage, ein Drittel um den eigenen Arbeitsplatz (was in etwa dem statistischen Befund entspricht).[2]

Das Vertrauen in den Staatspräsidenten Emmanuel Macron und seinen neuen Premierminister Jean Castex hat sich nach der Kabinettsumbildung kaum erholt. Keiner der führenden Oppositionspolitiker erhält jedoch wesentlichen Zuspruch über das eigene Lager hinaus. Nur vier von zehn Befragten trauen überhaupt einer Person zu, die Lage Frankreichs in der Zukunft verbessern zu können.

Da auch dem Amtsinhaber nur ein Drittel zutraut, die politischen Prioritäten, seine Methoden oder Persönlichkeit zu andern, droht eine neuerliche tiefgreifende Umwälzung wie vor der Wahl Macrons zum Präsidenten, denn genau das erwarten drei Viertel der Französinnen und Franzosen von ihm. Die Siege von Mitte(grün)-linken Bündnissen bei den Kommunalwahlen in den Ballungsgebieten dürfte ein Warnzeichen für die Bewegung des Präsidenten (LREM) gewesen sein. Es war also an der Zeit, dass Macron mit einem »Wumms« auf die politische Bühne zurückkehrt.

Den Rahmen setzte die Video-Diplomatie der Europäischen Union (EU), die sich Ende Juli auf ein Paket von 1,8 Billionen Euro einigte – davon 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Pandemie. Für den Umbau in eine digitale und klimafreundlichere Wirtschaft soll investiert werden.

Dafür nimmt die EU erstmals im großen Stil Schulden auf, verteilt das Geld um und streckt gemeinsam die Tilgung über Jahrzehnte. Die »Sparsamen Vier« – Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – akzeptierten, dass gemeinsame Schulden aufgenommen werden und das Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht. Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die Zuschüsse aus dem Corona-Programm von 500 Milliarden Euro auf 390 Milliarden zu verringern. Hinzu kommen 360 Milliarden Euro, die als Kredit vergeben werden.

Aus diesem Paket sollen nun 40 Milliarden Euro in das französische Wiederaufbauprogramm fließen, Frankreich empfängt nach Italien und Spanien das drittgrößte Paket. Der Gesamtumfang des Konjunkturprogramms beträgt 100 Mrd. Euro, also rund 4% des BIP. Eine Förderung der privaten Nachfrage ist nicht vorgesehen (außer durch die Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelungen). Durch Steuererleichterungen (Senkung der Körperschaftsteuer und der gewinnabhängigen Steuern um 20 Mrd. Euro) und Zuschüsse soll nicht nur die Rekonvaleszenz, sondern der Umbau der Volkswirtschaft finanziert werden. Die vor der Sommerpause angekündigte Senkung der gewinnunabhängigen »Einwohnersteuer« soll realisiert werden, so dass den Kommunen rd. 10 Mrd. Euro fehlen werden.

Das Volumen übertrifft zwar das erzwungene Sparen der Nation, kompensiert aber nicht die Tiefe des Konjunktureinbruchs, der für das laufende Jahr realistischerweise zu erwarten ist (rd. -15% des BIP). Allerdings hat das Land bisher bereits 470 Milliarden Euro zum Abfangen des Einbruchs verausgabt. Von den damals bereitgestellten 300 Mrd. Kreditgarantien sind nur 120 Mrd. Euro abgerufen worden. Der Premierminister rechnet zwar nicht mit einer Rückkehr auf das vor-Corona-Niveau vor 2022, aber sein Unterstützungsprogramm werde das BIP-Wachstum um 1,5% erhöhen.

Das 100 Milliarden-Programm soll nach den Worten des Premierministers Castex Frankreich »grüner, wettbewerbsfähiger, souveräner und solidarischer« machen. elf Mrd. Euro des Ökoumbaus sollen dem Transportsektor, insbesondere der Eisenbahn, zugutekommen, sieben Mrd. der Wärmedämmung, neun Mrd. den erneuerbaren Energien. Mit weiteren drei Mrd. will der Staat kleine und mittlere Unternehmen vor der Insolvenz bewahren. Mit weiteren 15 Mrd. sollen betriebliche Aus- und Weiterbildung gefördert werden.

Frankreich wendet sich mit diesem Programm wieder einer aktiven Industriepolitik zu. Die Subventionen im Transportsektor z.B. sollen einerseits dem Ziel dienen, bis 2035 ein wasserstoff-getriebenes Airbus-Flugzeug zu produzieren und andererseits die staatliche Fluggesellschaft Air France zum Verzicht auf alle Inlandsflüge unter 2,5 Stunden zu zwingen – mit dem Ziel, das Hochgeschwindigkeitsnetz der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF attraktiver zu machen. Die Corona-Krise hat diesen Politikansatz forciert.

Dies trifft auf Zustimmung linker Ökonomen wie Henri Sterdyniak vom OFCE: »Die ökologische und soziale geplante Wirtschaft muss den Neoliberalismus ersetzen«; der Bau von SUVs sollte in Frankreich gestoppt werden, Kredite für Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß seien zu verteuern. Statt wie von Sterdyniak geforderter direkter Mitsprache in den Konzernstrukturen setzt die Regierung allerdings auf indirekte Steuerung durch Risikokapitalgeber, Start-ups usw.

Doch werden beide Ansätze die Standortverlagerungen der vergangenen Jahre nicht rückgängig machen können. Es geht heute um neue Produkte am Beginn ihres Lebenszyklus. Dafür haben Gewerkschaften, die auf die Verteidigung bestehender Strukturen und Produkten am Rande der Marktsättigung ausgerichtet sind, keine Antwort. Hier aber finden sich die Eingangstore des rechts-nationalistischen Rassemblement National, der überall dort wo ein Unternehmen ins Ausland verlagert wird, ein Parteibüro aufmacht, wie es der Arbeitgeberfunktionär Patrick Martin ausdrückt.

Die Stützung der Volkswirtschaft (Stichwort Souveränität) durch Steuerentlastungen für Unternehmen zielt auf die Konkurrenzsituation zu Deutschland: »Wir brauchen Erleichterungen auf der Angebotsseite. Die Nachfrage zu stärken wie in Deutschland mit der Senkung der Mehrwertsteuer wäre für Frankreich der falsche Weg, weil wir auf die umfangreichen Mehrwertsteuereinnahmen angewiesen sind und aufgrund des Außenhandelsdefizits keine zusätzlichen Anreize für Importe schaffen wollen« erklärte der Verbands-Vize Patrick Martin die Strategie des Wirtschaftsministeriums. Trotz des »Wumms« und der Außerkraftsetzung der Verschuldungsregeln bleibt der Konstruktionsfehler der Währungsunion, den sozialen und fiskalischen Wettbewerb zu befeuern, weil es den Währungswettbewerb nicht mehr gibt.

Die Staatsverschuldung wird sich infolge dieses Programms und der anderen Stützungsmaßnahmen von 98% auf 120% des BIP erhöhen; auch ohne Steuererhöhungen soll das induzierte Wirtschaftswachstum die Schuldenabtragung erleichtern. Bis 2025 könnten – so die Hoffnung – die jetzigen Mehrausgaben ausgeglichen werden. Die Rückzahlung der europäischen Mittel soll dann 2027 beginnen; aber das hängt von europäischen Vereinbarungen ab, bei denen die »Sparsamen Vier« ein Wörtchen mitreden werden.

Die Arbeitgeber, die an die liegengelassenen Reformprojekte zur renten- und Arbeitslosenversicherung erinnern, sind gleichwohl mit der Regierung zufrieden. Neoliberale Think Tanks wie das »Institut Montaigne« kritisieren, dass die Massennachfrage nicht durch eine Mehrwertsteuersenkung angereizt werde. Die Bevölkerung, so eine Umfrage von Anfang September, scheint ebenfalls zufrieden: Über 70% halten das für einen guten Plan, zwei Drittel denken, er sei effektiv, glauben aber nicht an das Versprechen, dass es keine Steuererhöhungen geben werde.

Die Drittelung der Mittel (ökologische Transformation, Steuererleichterungen, Bildung und Gesundheitswesen) wird ebenfalls befürwortet, nur unter der Anhängerschaft des Rassemblement National und der linkspopulistischen » La France insoumise« (LFI) halten das etwa 50% für eine schlechte Idee. 60% glauben allerdings nicht, dass das Regierungsvorhaben »Entlassungen vermeiden« könne.

Da ungefähr die Hälfte der Befragten aber gleichzeitig am neoliberalen Dogma festhält, es wäre »besser, die Kosten des Plan zu begrenzen, da sie künftige Generationen belasten«, wird deutlich, dass Macron mit dem Wiederbelebungsplan keineswegs politisch schon wieder in der Offensive gelangt ist.

In dieser Situation ist es zumindest zwischenzeitlich gut, dass Marin Le Pen derzeit mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Neben den bescheidenen Kommunalwahlerfolgen und überschuldeter Parteifinanzen sind dies vor allem die Anhänger ihrer Nichte um den Identitären Nicolas Bay, die im Sommer von wichtigen Parteiorganen ausgeschlossen wurden.

Anmerkungen

[1] Au total, près d'un participant au marché du travail sur trois (personne active ou dans le halo autour du chômage) se trouve au deuxième trimestre 2020 contraint dans son offre de travail, soit par l'absence d'emploi (au chômage ou dans le halo autour du chômage), soit en situation de sous-emploi. Cette part bondit de 11,8 points à 31,7 %. (https://www.insee.fr/fr/statistiques/4641598)
[2] http://www.odoxa.fr/sondage/francais-inquiets-pays-eux-memes/

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