Der Versand des Mai-Heftes von Sozialismus.de an die Abonnent*innen erfolgt aufgrund des Tags der Arbeit am 1. Mai erst am Donnerstag, den 2. Mai. Wir bitten um Verständnis.

Rechtsextremismus:
Was ist das und was können wir dagegen tun?

Donnerstag, 2. Mai | Bamberg | 20:00 Uhr
Im Balthasar (Balthasargäßchen 1) stellt Thomas Bollwein, promovierter Soziologe und Aktivist, sein soeben erschienenes Buch vor und zur Diskussion.

Klaus Lederer:
Mit links die Welt retten

Montag, den 6. Mai | Hamburg | 18:00 Uhr
Barmbek-Basch, Wohldorfer Str. 30. Der ehemalige Kultursenator von Berlin (Die Linke) stellt auf Einladung des Eilbeker Kreis innerhalb der Linken Hamburg sein neues Buch vor, in dem er »Linkssein radikal neu« denkt. Und er wird über die Situation seiner Partei diskutieren.

Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
Weniger Arbeiten, mehr Leben!
Die neue Aktualität von Arbeitszeitverkürzung
160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

Stephan Krüger
Der deutsche Kapitalismus 1950–2023
Inflation, Beschäftigung, Umverteilung, Profitraten, Finanzkrisen, Weltmarkt
232 Seiten | zahlreiche farbige Abbildungen | EUR 24.80
ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
Zeitenwenden?
Der »neue« und der »alte« Kalte Krieg
176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

25. Oktober 2022 Joachim Bischoff: Riesige Dimensionen und zahlreiche Klippen

Marshall-Plan für die Ukraine

Zwischen 1948 und 1952 haben die USA mit dem Marshall-Plan mit Milliarden US-Dollar den Wiederaufbau in Deutschland und anderen europäischen Staaten finanziert. Weil die Ukraine EU-Beitrittskandidat sei, falle Europa bei der Unterstützung und dem Wiederaufbau eine besondere Rolle zu, so Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie fordern daher einen »Marshall-Plan« für die Ukraine.

Ihre These: »Die Ukraine verteidigt auch die internationale regelbasierte Ordnung, die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens und des Wohlstands weltweit. Wenn wir die Ukraine unterstützen, bauen wir also an unserer Zukunft und der unseres gemeinsamen Europas.«

Zum Auftakt einer Wiederaufbaukonferenz mit Vertreter*innen internationaler Organisationen und zivilgesellschaftlicher Kräfte der Ukraine bilanzierten von der Leyen und Scholz das Engagement der westlichen Staaten:

  • »Wir haben scharfe Sanktionen gegen Russland ergriffen.
  • Wir erleichtern den Export ukrainischer Waren in unseren Binnenmarkt und setzen Einfuhrzölle aus.«
  • Zeitweilig mehr als acht Millionen Ukrainer*innen sind in Europa aufgenommen worden mit sofortigem Zugang zum Arbeitsmarkt, Schulen, Gesundheitsversorgung etc.
  • Mehr als 35 Mrd. Euro haben die G 7 Staaten und die EU an Soforthilfen aufgebracht.

Jetzt geht es — trotz Krieg – um den Wiederaufbau, denn die Weltbank beziffert die bisherigen Kriegsschäden auf 350 Mrd. Euro. Der Erhalt der Grundversorgung und der Wiederaufbau kritischer Infrastruktur seien unverzichtbar, soll die Ukraine im Angriffskrieg bestehen. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von Anfang des Jahres benötigt die ukrainische Regierung eine finanzielle Unterstützung von rund fünf Mrd. Euro pro Monat, um zahlungsfähig zu bleiben.

Bilanzieren wir kurz neben der militärischen Unterstützung (durch Waffen, Ausbildung, medizinische Versorgung etc.) die Finanzhilfen des Westens. Am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank Anfang Oktober machten die Finanzminister Kassensturz.


Kiew muss riesiges Haushaltsloch stopfen

Sinkende Steuereinnahmen und höhere Staatsausgaben: Der Krieg reißt ein riesiges Loch in den ukrainischen Staatshaushalt. Viele Unternehmen stehen nach acht Monaten Krieg vor Trümmern. Zahlreiche Produktionsanlagen sind zerstört. Es fehlen Fachkräfte, die Stromversorgung fällt häufig aus und die Logistik bleibt massiv gestört. Wichtige Wirtschaftszentren liegen in den von Russland völkerrechtswidrig besetzten Gebieten.

Die Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung wird noch verstärkt durch hohe Preissteigerungen. Für 2022 erwartet die Nationalbank der Ukraine eine Inflation von 24,5%, die sich 2023 auf 12,4% halbieren soll. Die Weltbank schätzt, dass die ukrainische Wirtschaft wegen des russischen Angriffskriegs in diesem Jahr um 35% einbrechen wird. Die industriellen Kapazitäten des Landes seien zerstört, hinzu kämen erhebliche Schäden in den landwirtschaftlichen Gebieten, teilte die Weltbank zur Begründung mit. Nicht zuletzt fehle es an Arbeitskräften – denn 14 Mio. Menschen seien wegen des Krieges auf der Flucht.

Auch für das gesamte kommende Jahr rechnet die Weltbank nur mit einer leichten Erholung der ukrainischen Wirtschaft um 0,3%. Die »wirtschaftliche Aktivität« des Landes werde das gesamte kommende Jahr über »zutiefst geschwächt« sein.

Die Industriestaaten der G7-Gruppe sagten auf ihrem Gipfeltreffen Ende Juni 2022 für dieses Jahr bis zu 29,5 Mrd. US-Dollar für den ukrainischen Staatshaushalt zu. Damit sollen Finanzierungslücken geschlossen und die Grundbedürfnisse der ukrainischen Bevölkerung gedeckt werden. Während die USA der Ukraine bereits 8,5 Mrd. US-Dollar überwiesen haben, kommt die EU-Hilfe nur langsam im Land an.

Neben der Unterstützung über EU-Gelder hilft die deutsche Bundesregierung auch direkt. Am 24. Juni unterzeichneten der deutsche Finanzminister Christian Lindner und sein ukrainischer Amtskollege Martschenko eine Übereinkunft über die Auszahlung von einer Mrd. Euro an Zuschüssen für den Staatshaushalt der Ukraine.

Der dringendste Finanzbedarf der Ukraine für das laufende Jahr sei durch die internationale Unterstützung abgedeckt, behaupten die G7-Finanzminister. Zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung seien bereits Budgethilfen in Höhe von 20,7 Mrd. US-Dollar (21,3 Mrd. Euro) geflossen, insgesamt seien für dieses Jahr 33,3 Mrd. US-Dollar zugesagt worden. Und: Das Land stehe 2023 vor einer erheblichen Finanzierungslücke, um die Grundversorgung zu sichern und Mängel an der kritischen Infrastruktur zu beheben.

Genauer besehen ist es bei den Budget- und Finanzhilfen nicht so überzeugend wie es Scholz und von der Leyen darstellen. Die USA beklagen ein zu geringes finanzielles Engagement anderer Industrieländer für die Ukraine. »Der Anteil an direkten Zuschüssen muss sich erhöhen« appellierte US-Finanzministerin Janet Yellen an ihre Kolleg*innen auf der Jahrestagung IWF und der Weltbank. Die USA sind seit Beginn des Krieges der mit Abstand größte Geldgeber für das von Russland angegriffene Land. Viele andere Länder, auch aus der Europäischen Union, waren bislang lediglich bereit, Kredite zu geben. Diese müssen – anders als Zuschüsse – irgendwann von der Ukraine wieder zurückgezahlt werden. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Streit zwischen Geberstaaten darüber, wer wie schnell und in welcher Form die Ukraine unterstützt. Die kurzfristigen Liquiditätshilfen werden vor allem zur Aufrechterhaltung des Staatsapparates gebraucht, etwa zur Zahlung von Renten und von Löhnen für Staatsbedienstete.

Da die ökonomisch-finanziellen Ressourcen der westlichen Länder bekanntlich unterschiedlich sind, macht ein Rückbezug auf die wirtschaftliche Leistung Sinn (siehe Abbildung).

Die Reihenfolge der Belastungen korrigiert sich etwas, weil die Nachbarstaaten der Ukraine weit höhere Belastungen schultern als etwa die USA oder Deutschland.

Außerdem muss die Unterscheidung von zugesagter und wirklich ausbezahlter Finanzhilfe berücksichtigt werden. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) erhielt die Ukraine bis zum 3. Oktober 2022 bilaterale Hilfszusagen in Höhe von 93,7 Mrd. Euro. Mit 52 Mrd. Euro kommt der Löwenanteil dabei aus den USA. Die Hilfszusagen aus der Europäischen Union (EU) und den EU-Ländern erreichen gemeinsam knapp 29 Mrd. Euro. »Die USA engagieren sich jetzt beinahe doppelt so stark wie alle EU-Länder und die EU-Institutionen insgesamt«, sagt Christoph Trebesch, der den »Ukraine Support Tracker« beim IfW leitet. Die großen europäischen Staaten zeigten hier ein schwaches Bild, zumal viele ihrer gemachten Zusagen nur sehr verzögert in der Ukraine ankämen. »Das niedrige Volumen neuer Zusagen im Sommer scheint sich nun systematisch fortzusetzen.«


Das politische Drama der Hilfszusage der EU

Die EU hatte der Ukraine im Frühjahr bereits neun Mrd. Euro Finanzhilfe für das laufende Jahr zugesagt. Mittlerweile gibt es aber Hindernisse und Widerstände. Nachdem Zweifel an der Finanzierung der EU-Finanzhilfe aufgekommen waren, wurde bisher nur eine Milliarde Euro dieser Makrofinanzhilfe formell vereinbart. Sie wurde durch Garantien aus dem EU-Haushalt abgesichert. Aufgrund von Haushaltszwängen ist es jedoch unmöglich, den restlichen Betrag hieraus zu finanzieren. Die verbleibenden acht Mrd. Euro müssen daher durch Finanzgarantien der Mitgliedstaaten gesichert werden, was zu komplizierten Diskussionen darüber führt, wie viel jeder Mitgliedstaat aufbringen soll.

Mehreren Quellen zufolge war die Bundesregierung aufgrund des Risikos eines Zahlungsausfalls der ukrainischen Regierung gegen die Gewährung zusätzlicher Darlehen. Stattdessen plädierte die Bundesregierung für Zuschüsse, die von der Ukraine nicht zurückgezahlt werden müssten. Außerdem hatte Deutschland Anfang des Jahres einseitig zugesagt, die Ukraine mit einer Mrd. Euro zu unterstützen, und setzte sich dafür ein, dass diese Zusage auf seinen Beitrag zur Makrofinanzhilfe der EU für die Ukraine angerechnet wird.

Alle EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Ungarn haben sich nun bereit erklärt, der Ukraine weitere fünf Mrd. Euro Makrofinanzhilfe in Form langfristiger Darlehen zuzusagen. Die EU-Kommission will trotz des Widerstands der ungarischen Regierung in Kürze einen formellen Vorschlag in der Sache vorlegen. Es wird erwartet, dass die EU-Wirtschaftsminister*innen eine politische Erklärung zur Unterstützung der Makrofinanzhilfe unterzeichnen werden.

Mit den fünf Mrd. Euro an Mikrofinanzhilfe fehlen immer noch drei Mrd. Euro zu der zugesagten Gesamtsumme. Die Diskussionen über diese verbleibenden drei Mrd. Euro laufen noch. Die Mitgliedstaaten sind sich nicht einig, ob sie in Form von Zuschüssen oder Darlehen gewährt werden sollen. »Wir setzen unsere Arbeit an den verbleibenden 3 Milliarden Euro des 9-Milliarden-Euro-Finanzhilfepakets für die Ukraine fort«, so ein Sprecher. Die bisher noch nicht gebilligten drei Milliarden Euro sollen der deutschen Kommissionschefin zufolge nun möglichst rasch freigegeben werden.


Schleppende Zahlungen

Das Drama von schneller Hilfszusage und faktischer Zahlung muss bei allen vollmundigen Erklärungen seitens der Politik mitgedacht werden.

Fakt ist: Der Großteil der Finanzhilfen geht schleppend ein. Zurecht resultiert daraus eine Gefahr: Wenn die Ukraine nicht genügend finanzielle Unterstützung erhält, könnte sie gezwungen sein, ihr Defizit zu monetarisieren, was das Risiko einer rasanten Inflation mit sich bringen würde.

Die Ukraine schätzt ihren monatlichen Finanzbedarf auf drei bis vier Mrd. Euro (Anfang Oktober). Das Geld soll nach Angaben von der Leyens gemeinsam von der EU, den USA und internationalen Finanzinstitutionen zur Verfügung gestellt werden.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmihal warnte in diesem Zusammenhang vor einem »Migrationstsunami«. Er richtete in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« vor seinem Besuch in Berlin an die EU den Appell, schon zugesagte Finanzhilfen von neun Milliarden Euro schnell vollständig zu überweisen. Sechs Milliarden erwarte er noch in diesem Jahr. Auch die anderen drei Milliarden Euro benötige sein Land »so schnell wie möglich«.

Die seit 2007 von der EU aufgelegten Unterstützungsprogramme hätten bislang nur eingeschränkt Wirkung gezeigt, stellt der Europäische Rechnungshof fest. Bis zum Jahr 2014 sei u.a. der begrenzte Reformeifer der damaligen ukrainischen Regierung Ursache gewesen. Nach der sogenannten Maidan-Revolution habe es dann zwar Fortschritte gegeben. Die bisherigen Ergebnisse des neuen Hilfspakets über 11,2 Mrd. Euro seien aber unbeständig.


Ukraine benötigt dringend Hilfe in Milliardenhöhe

Die führenden demokratischen Wirtschaftsmächte und die internationale Gemeinschaft wollen der Ukraine auch im kommenden Jahr weitere Finanzhilfen geben. »Zusammen mit der internationalen Gemeinschaft und in enger Zusammenarbeit mit der ukrainischen Regierung werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, die Ukraine in den kommenden Monaten und Jahren zu unterstützen«, erklärten die G7-Finanzminister nach einem Treffen am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington.

Der dringendste Finanzbedarf der Ukraine für das laufende Jahr soll durch die internationale Unterstützung abgedeckt sein, so die G7-Finanzminister. Zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung seien bereits Budgethilfen in Höhe von 20,7 Mrd. US-Dollar (21,3 Mrd. Euro) geflossen, was allerdings sehr schleppend passiert. Das Land steht vor einer erheblichen Finanzierungslücke, um die Grundversorgung zu sichern und Mängel an der kritischen Infrastruktur zu beheben.

Um Zahlungen im kommenden Jahr besser zu koordinieren, schlug der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj ein neues Format vor, in dem dies besprochen werden soll. »Es wäre gut, eine ständige Arbeitsgruppe zu schaffen, die finanzielle Unterstützung für die Ukraine bereitstellt und zeitnah auf verschiedenen Ebenen arbeitet«, sagte Selenskyj. Der ukrainische Präsident war per Video zur Jahrestagung zugeschaltet.

Das Format soll sich an der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe orientieren, über die vor allem Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte koordiniert werden. Diese Gruppe wurde im Frühjahr von den USA ins Leben gerufen. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa sicherte Selenskyj eine solche Gruppe zu. Man wolle ein solches Format baldmöglichst auf die Beine stellen.

Finanzminister Serhij Martschenko kalkuliert für 2023 mit einem Haushaltsdefizit von 20% des BIP. Gleichzeitig hofft die Regierung im nächsten Jahr auf rund 38 Mrd. US-Dollar von internationalen Partnern, wie den USA, der EU und dem Internationalen Währungsfonds.

Georgiewa bezifferte den Liquiditätsbedarf der Ukraine im kommenden Jahr auf drei bis vier Mrd. US-Dollar im Monat, also auf bis zu 50 Mrd. US-Dollar im Jahr. Davon ausgenommen sind die noch sehr viel höher geschätzten Kosten für den Wiederaufbau des Landes. Für das laufende Jahr gibt es Zusagen für Zuschüsse und Kredite in Höhe von insgesamt 35 Mrd. US-Dollar. Die Summe wird als ausreichend angesehen. »Der IWF geht davon aus, dass damit alle Finanzlücken geschlossen werden können, die 2022 entstehen.«

An der grundsätzlichen Bereitschaft, die Ukraine auch im kommenden Jahr nicht nur militärisch, sondern auch finanziell zu unterstützen, ließen die in Washington versammelten Regierungsvertreter*innen keinen Zweifel. »Zusammen mit der internationalen Gemeinschaft und in enger Zusammenarbeit mit der ukrainischen Regierung werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, die Ukraine in den kommenden Monaten und Jahren zu unterstützen«, erklärten die G7-Finanzminister am Rande der Herbsttagung.

Offen ist allerdings noch, welches Land im kommenden Jahr wie stark hilft. »Es geht jetzt darum, dass auch in eine langfristige Perspektive zu bringen, das heißt die Finanzierung des ukrainischen Staates auch im nächsten Jahr auf eine sichere Grundlage zu stellen«, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Daran werde nun systematisch gearbeitet. Es soll ein fester Verteilungsschlüssel gefunden werden, um zähe Diskussionen über Höhe und Art der Hilfen, ob in Form von Zuschüssen oder Krediten, wie in diesem Jahr zu vermeiden.

Wie zäh solche Gespräche sein können, musste Lindner selbst bei dem von ihm ausgerichteten G7-Gipfel im Mai auf dem Petersberg bei Bonn erfahren. Dort gelang es ihm nicht, die zuvor anvisierten 15 Mrd. US-Dollar an Zuschüssen aus dem Kreis der führenden Industrieländer zu organisieren. Während die Vereinigten Staaten und Deutschland damals bereit waren, Zuschüsse zu geben, waren die anderen fünf Länder – Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada – lediglich bereit, Kredite und Garantien zur Verfügung zu stellen.

Auch wenn Deutschland mit insgesamt 1,4 Mrd. US-Dollar an Finanzhilfen laut Bundesfinanzministerium der größte Geldgeber innerhalb der EU ist, gibt es gerade an der EU immer wieder Kritik. Laut dem viel beachteten »Ukraine Support Tracker« des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel machten die Vereinigten Staaten zwischen Anfang August und Anfang Oktober neue Zusagen – nicht nur finanzielle – im Umfang von knapp zwölf Mrd. US-Dollar und kommen damit nun auf insgesamt gut 52 Mrd. US-Dollar an militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe. Die europäischen Länder und EU-Institutionen weiteten ihr Engagement im gleichen Zeitraum nur um rund 1,4 Mrd. US-Dollar aus und kommen gemeinsam auf knapp 29 Mrd. US-Dollar.

Die US-Regierung war bislang ein sehr viel verlässlicherer Partner für die Ukraine als die größten EU-Länder. Allerdings hängt diese Zusage an der Stabilität der politischen Konstellation in den USA. Sollte die Partei der Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen, werde es keinen »Blankoscheck« für das Land geben, erklärte der republikanische Minderheitsführer in der Parlamentskammer, Kevin McCarthy, in einem Interview. Er verwies dabei auf die wirtschaftliche Lage der Wähler*innen. In einer Zeit, in der die Menschen in einer Rezession steckten, würden sie der Ukraine keinen Blankoscheck ausstellen. »Das werden sie einfach nicht tun.«

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat der Ukraine für das kommende Jahr monatlich 1,5 Mrd. Euro an Wirtschaftshilfe in Aussicht gestellt. Die Ukraine habe um »einen stabilen, zuverlässigen und vorhersehbaren Fluss« von Mitteln durch internationale Geber gebeten, sagte von der Leyen nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Denn die Ukraine benötige weiter bis zu 55 Mrd. US-Dollar finanzielle Unterstützung. Das Geld werde für das erwartete Haushaltsdefizit sowie zum Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes benötigt.

Das Geld würde laut Selenskyj vor allem für das zu erwartende Haushaltsdefizit und den Wiederaufbau der Infrastruktur benötigt. Für Letzteres würden allein 17 Mrd. US-Dollar benötigt. Der ukrainische Präsident betonte die Wichtigkeit der von ihm angeforderten Unterstützung im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg gegen sein Land: »Je mehr Hilfe die Ukraine jetzt erhält, desto schneller wird der russische Krieg zu Ende gehen«, so Selenskyj.

IWF-Chefin Georgiewa geht optimistisch davon aus, dass der dringendste Finanzbedarf des Landes auch für das nächste Jahr abgedeckt werden könne. »Es geht jetzt darum, das auch in eine langfristige Perspektive zu bringen, das heißt, die Finanzierung des ukrainischen Staates auch im nächsten Jahr auf eine sichere Grundlage zu stellen«, sagte Bundesfinanzminister Lindner.

Es seien persönliche Gespräche mit Vertreter*innen der Ukraine über den Haushaltsplan für 2023 geplant, so die IWF-Chefin. Selenskyi forderte außerdem u.a. gezielte Kredite in Höhe von zwei Mrd. US-Dollar, um etwa die elektrische Energieinfrastruktur nach der Zerstörung wieder aufzubauen. Benötigt werde außerdem einen Kreditrahmen von nicht weniger als fünf Mrd. US-Dollar, um für den Winter die Energieversorgung sicherzustellen. Der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Aufgabe für Generationen. Die Kosten werden schon jetzt auf 750 Mrd. US-Dollar veranschlagt. Dabei ist ein Ende des Krieges noch gar nicht abzusehen.


Schuldenmoratorium

Laut Bundesfinanzministerium hat Deutschland hat zusammen mit der ukrainischen Regierung und anderen staatlichen Gläubigern am 14. September 2022 ein Memorandum of Understanding zur koordinierten Schuldendienstaussetzung beschlossen. Dadurch werden die Zahlungsverpflichtungen der Ukraine bis Ende 2023 ausgesetzt. Kiew erhält damit zusätzlichen finanziellen Liquiditätsspielraum. Die Entscheidung war die Antwort auf eine entsprechende Bitte der ukrainischen Regierung. Die bilaterale Gläubigergruppe besteht neben Deutschland aus Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada und den USA.

Die ukrainische Regierung hofft außerdem auf ein neues, umfassendes Kreditprogramm vom IWF. Eine Nothilfe in Höhe von 1,3 Mrd. US-Dollar hat das IWF-Direktorium am 7. Oktober 2022 genehmigt. Damit hat der Fonds in diesem Jahr fast fünf Mrd. US-Dollar für die Ukraine bereitgestellt.

Die Finanzzusagen einzelner Länder fließen teilweise in die Budgets multilateraler Geber, die sich ebenfalls um die Stärkung der Ukraine kümmern. So kündigte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) im März 2022 ein Hilfspaket über zwei Mrd. Euro für die Ukraine und andere vom Krieg betroffene Länder an. Die Summe umfasst Handelsfinanzierungen, Liquiditätshilfen für Unternehmen, für Energieversorger und kommunale Dienstleister. Darüber hinaus hilft die Bank Betrieben, ihren Standort in sicherere Landesteile zu verlagern.

Mit den Geldern wird u.a. die Pharmaindustrie unterstützt (darunter der Hersteller Farmak). Für die ukrainische Bahn Ukrzaliznytsya wurden zwei Kredite in Höhe von 50 Mio. Euro und 98,8 Mio. Euro umgewidmet, um die Liquidität sicherzustellen. Übertragungsnetzbetreiber Ukrenergo erhält Kredite in Höhe von 50 Mio. Euro und 97,3 Mio. Euro. Weitere 300 Mio. Euro bekommt das Gasunternehmen Naftogaz. Zudem greift die Bank ukrainischen Agrarunternehmen unter die Arme. Diese erhalten entweder Kredite oder die EBRD garantiert über Risk-Sharing-Instrumente Bankkredite an ukrainische Agrarbetriebe zur Beschaffung von Saatgut, Dünger, Treibstoff und Landtechnik.


EU-Hausbank schnürt zwei Hilfspakete

Die Europäische Investitionsbank (EIB) hatte gleich nach Kriegsausbruch 668 Mio. Euro Soforthilfe für Kiew zugesagt, damit Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können. Ein zweites Hilfspaket in Höhe von 1,59 Mrd. Euro schnürte die Bank im Juli 2022; davon wurden 1,05 Mrd. Euro bereits ausgezahlt.

Ebenfalls sehr aktiv in der Ukrainehilfe ist die Weltbank. Die Bank hat fast 13 Mrd. US-Dollar an Notfinanzierungen für die Ukraine mobilisiert, von denen 11 Mrd. US-Dollar vollständig überwiesen wurden. In der Summe sind Hilfszahlungen von den Regierungen unterschiedlicher Geberländer enthalten. Das Geld der Weltbank verwendet die ukrainische Regierung u.a., um wichtige staatliche Dienstleistungen weiter erbringen zu können.

Bundeskanzler Scholz und die Präsidentin der EU-Kommission von der Leyen hoffen auf eine vergleichbare internationale Kooperation, um »einen neuen Marshallplan des 21. Jahrhunderts« auf den Weg zu bringen. Die ukrainischen Politiker*innen kämpfen gegen den wirtschaftlichen Zerfall des Landes und den Übergang in einen failed state. Der Marshall-Plan des 21. Jahrhunderts unterstellt nicht nur eine Beendigung des Krieges und die Eröffnung einer energischen Entwicklungspolitik. Ausländische Investitionen sind ein Teil davon. Deutschland und die anderen Länder Europas werden sicherlich bereit sein, in die ukrainische Industrie und Landwirtschaft zu investieren. Aber bis dahin müssen noch viele Klippen umschifft werden.

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