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15. Juni 2020 Joachim Bischoff: Die OECD-Wachstumsprognose für 2020

Massivste Schrumpfung in Friedenszeiten seit 100 Jahren

Foto: dpa

Die neue Wachstumsprognose der Industrieländer-Organisation fällt deutlich schlechter aus als bisher: Die Weltwirtschaft werde infolge der Corona-Pandemie und der »Shutdowns« berechnet auf das Gesamtjahr bis Ende 2020 um 6% geschrumpft sein – so stark wie nie in Friedenszeiten seit mehr als 100 Jahren.

Die OECD geht in ihrer Studie von zwei möglichen Verläufen aus: Im ersten bleibt die Ausbreitung des Corona-Virus »unter Kontrolle«, im zweiten gibt es eine zweite Infektionswelle. Bei einer kontrollierten Ausbreitung dürfte die Weltwirtschaft demnach in diesem Jahr um 6% schrumpfen. Für das kommende Jahr erwarten die Ökonomen dann eine mehr oder weniger deutliche Erholung.

Besonders stark getroffen ist laut der Organisation die Eurozone: Die Wirtschaft dürfte hier bestenfalls um 9,1% schrumpfen, schlimmstenfalls um 11,5%. Besonders düster bewertet die OECD die Lage in Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien, wo es besonders viele Todesfälle gab. Das zweite Szenario mit zweiter Welle würde die Weltwirtschaft 2020 um 7,6% schrumpfen lassen. »Das Virus ist nicht ausgerottet, und natürlich gibt es riesige Unsicherheiten, wie die Erholung ausfallen wird. Wir wissen nicht, ob das Virus saisonal ist, und wir wissen nicht, ob die Testkapazitäten ausreichend sein werden.«

»Dieser Schock trifft jeden in jedem Land der Welt«, sagte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone. Deshalb müssten die Regierungen eng kooperieren, um einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. Und nach den breit gestreuten Hilfsprogrammen sei es jetzt an der Zeit für gezieltere Konjunkturhilfen. Die OECD fordert also die Industrieländer zur verstärkten Kooperation auf. »Nur mit mehr Vertrauen wird die Erholung Fahrt aufnehmen – und Voraussetzung für dieses Mehr an Vertrauen ist globale Zusammenarbeit«, sagte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone

Deutschland steht mit einem Minus von 6,6 bis 8,8% vergleichsweise gut da. Von dem kleineren Wert geht die OECD für den Fall aus, dass es keine zweite Virus-Welle und Eindämmungsmaßnahmen gibt. Der prognostizierte Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung liegt in einer ähnlichen Größenordnung, wie es die Bundesregierung (-6,3%), die Bundesbank (-7%), das Münchener Ifo-Institut (-6,6%) und das Institut für Weltwirtschaft (-7,1%) erwarten. Auch die Wirtschaftsweisen rechnen mit einem Einbruch um 6 bis 7%. 2021 könnte das deutsche BIP wieder um 5,8% zulegen. Käme es aber zur zweiten Infektionswelle, erwartet die OECD 2020 ein Minus von 8,8% für Deutschland und 2021 nur eine sehr schwache Erholung von 1,7%.

»In dieser Krise sehen wir keine Lokomotiven-Wirtschaft, die die Welt aus der Rezession ziehen könnte«, sagte Boone. Nach der Finanzkrise 2009 war es die Volksrepublik China, die mit großen Konjunkturprogrammen die Weltwirtschaft befeuerte. Heute richtet China seine Wirtschaft auf nationale Produktion aus. Umso mehr würde es Europa helfen, wenn die EU-Staaten eng zusammenarbeiten. »Der Europäische Recovery Fund kann den EU-Staaten helfen, die am stärksten von der Pandemie getroffen wurden«, so Boone. Kämen sie schnell aus der Rezession, würde das auch die übrigen EU-Staaten im verflochtenen Binnenmarkt stärken.

Die OECD-Experten erwarten angesichts der bestehenden Handelskonflikte, dass die Wirtschaftsleistung längere Zeit unter dem Stand vor der Corona-Krise verharren wird. »Es wird in vielen Branchen Zeit brauchen, zur Normalität zurückzukehren.« Es sind also eher die Spannungen in den Wirtschaftsbeziehungen und Handelskonflikten, die für einen zögerlichen Erholungsprozess der Weltwirtschaft verantwortlich sind.

Insbesondere die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und den asiatischen wie den europäischen Ländern stellen heute – mitten in der Corona-Pandemie – ein deutliches Risiko dar. Die geopolitische Rivalität zwischen den USA und China, aber auch mit Europa sind prägende Faktoren für die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung im 21. Jahrhundert. In den vergangenen Jahren deutete die restriktivere US-Handelspolitik bereits auf einen Abbau der bilateralen Exportbeziehungen zwischen den Ländern hin. Auch haben sich die Spannungen zwischen den Ländern in den vergangenen Wochen verschärft, und es wurde über mögliche neue Verhandlungen über das »Phase-1«-Handelsabkommen zwischen den USA und China spekuliert.

All dies lässt darauf schließen, dass die Handelsbeziehungen künftig nicht mehr so eng sein werden wie früher. Die asiatischen Exporte in amerikanische Länder (3,7% des Welthandels) bzw. die amerikanischen Exporte nach Asien (6,4%) könnten im Jahr 2019 jeweils ihre Obergrenze erreicht haben, was sich auch auf die Nachbarländer in beiden Regionen auswirken dürfte. Auch in Asien könnten sich die herrschenden Trends verstärken, wenn immer mehr Länder ihre Konsumgüter lokal herstellen.

In diesem Kontext erscheint die »America first«-Agenda von US-Präsident Trump als Vorläufer der Reaktionen vieler Regierungen auf die Pandemie. Der amerikanische Handelsbeauftragte Robert Lighthizer nutzte die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, wie sehr die Corona-Krise die Risiken der Auslagerung von Produktionen und die Abhängigkeit besonders von China bei medizinischen Gütern und Vorprodukten von Medikamenten aufgezeigt habe.

Die amerikanische Politik sei ein vernünftiger Mittelweg zwischen Globalismus und Protektionismus, schreibt Lighthizer.[1] »Für Unternehmen hat sich diese Strategie des Offshoring kurzfristig ausgezahlt. Billige Arbeitskräfte bedeuteten höhere Gewinne. Aber für Amerika waren die Auswirkungen traumatisch. Die Vereinigten Staaten haben fünf Millionen Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren. Dies wiederum verwüstete die Städte und trug zum Zusammenbruch der Familien, einer Opioid-Epidemie und Verzweiflung bei.« Handelspolitische Maßnahmen in den 1990er und 2000er Jahren hätten diese Katastrophe verschärft, indem sie das Offshoring erleichterten. Die Entscheidung von 2001, dauerhafte normale Handelsbeziehungen mit China aufzunehmen, sei das bedauerlichste Beispiel. In jüngster Zeit haben sich jedoch sowohl die Einstellungen der Unternehmen als auch die Regierungspolitik geändert. Die Politik des »America first« wird für diesen Umschwung und eine Beendigung der Globalisierung verantwortlich gemacht.

Kritik an der Globalisierung gibt es seit längerem. Internationale Kooperation hat zumTeil ein schlechtes Image. Die Furcht von Handelspartnern abhängig zu sein wird größer. In westlichen Ländern und auch in Japan wird nach Wegen gesucht, wie vor allem China als Lieferant umgangen werden kann. Der OECD-Generalsekretär Angel Gurría sieht diese Problematik: »Geben Sie nicht der Globalisierung die Schuld für fehlerhafte nationale Politik oder den Mangel an internationaler Zusammenarbeit. Die Globalisierung beruht an sich auf einem sehr starken Fundament der internationalen Zusammenarbeit. Wenn die internationale Zusammenarbeit fehlt und es zu Handelsspannungen kommt, kann es in einigen Fällen zu militärischen Spannungen kommen. Die Welt ist immer im Fluss, das kann zu Problemen und sozialen Spannungen führen. In vielen Ländern gibt es Unzufriedenheit. Dann fehlt natürlich der Klebstoff, der das Ganze zusammenhält. Der Globalisierung die Schuld daran zu geben, kann, nun ja, im Trend oder modisch sein, aber das wird Sie nicht weiterbringen, weil es zu keiner Lösung führt.«[2]

Die Begeisterung der multinationalen Unternehmen für neue internationale Werkbänke hat sich gleichwohl abgekühlt. Der Ausbau von Wertschöpfungsketten stagniert. Durch die Corona-Krise sind die Anfälligkeit internationaler Lieferketten und die Versorgungssicherheit vor allem betreffend Lebensmittel und medizinische Güter sowie Medikamente in den Fokus geraten.

In den bisherigen Krisen der vergangenen Jahrzehnte hatten die USA stets eine Führungsrolle beansprucht, um globale Probleme anzugehen. Abgesehen von den Maßnahmen der amerikanischen Notenbank fehlt dies derzeit. Gemäß dem Motto »America first« fördert US-Präsident Trump die nationalen Egoismen und höhlt die internationale Kooperation aus. Dadurch kommt in den internationalen Beziehungen verstärkt das Recht des Stärkeren zum Tragen.

Die Dynamik der Globalwertschöpfungsketten hat sich in den vergangenen Jahren verlangsamt. Die Corona-Krise fördert den Trend zusätzlich. Außerdem hat sich auf der institutionellen Ebene der WTO gleichfalls eine Stagnation bei multilateralen Abkommen und Schlichtungsverhandlungen durchgesetzt. Schließlich stellt der Brexit ein großes Hindernis für eine neue regulierte Globalisierung dar.

Die Europäische Union hat Großbritannien ein Handelsabkommen ohne Zölle und Einfuhrquoten angeboten. London weigert sich aber, für einen weitgehend ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt im Gegenzug Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards der EU zu akzeptieren. Großbritannien ist zugleich mit der größten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um 20% konfrontiert, die jemals verzeichnet wurde, und dreimal so groß wie bei der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09.

Angesichts dieser Entwicklung klingen die Aufforderungen der OECD, zur verstärkten Kooperation zurückzukehren, absurd. Die Staatengemeinschaft müsse sicherstellen, dass ein Impfstoff oder ein Medikament – sobald verfügbar – rasch weltweit eingesetzt werden könnten. Auch die Beilegung von Handelskonflikten würde helfen, das Vertrauen der Unternehmen und die Investitionsbereitschaft zu steigern. Zudem müssten die Staaten die Chance nutzen, fairere und nachhaltigere Wirtschaftsstrukturen zu schaffen. »Dabei gilt es, Wettbewerb und Regulierung intelligenter zu gestalten und die Steuersysteme, die öffentlichen Ausgaben und den Sozialschutz zu modernisieren.«

Es deutet alles darauf hin, dass nicht eine zweite Corona-Welle für einen langwierigen Erholungsprozess der Ökonomien verantwortlich ist, sondern die Hilflosigkeit, mit den bestehenden Konflikten umzugehen, wird zum entscheidenden Hindernis bei der Rekonstruktion der kapitalistischen Wirtschaften.

Anmerkungen

[1] Robert E. Lighthizer The Era of Offshoring U.S. Jobs is Over. The pandemic, and Trump’s trade policy, are accelerating a trend to bring manufacturing back to America. In: New Yorck Times 11. Mai 2020.
[2] Oleksandra Vakulina/Sabine Sans: Im Kampf gegen das Virus alle Gelder einsetzen! Euronews OECD 11.6.2020.

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