27. Januar 2025 Redaktion Sozialismus.de: Großes Loch in der Brandmauer gegen die AfD
Merz’ Wende in der Asyl-Politik
Als Reaktion auf die Tat eines psychisch Kranken Asylbewerbers aus Afghanistan am letzten Mittwoch in Aschaffenburg betreibt der CDU-Chef einen harten Kurswechsel in der deutschen Asylpolitik.
Dazu will die Union in dieser Woche Anträge in den Bundestag einbringen, um Maßnahmen zur Durchsetzung von Zurückweisungen an den deutschen Grenzen zu ergreifen. CDU und CSU und ihr Kanzlerkandidat Merz setzen auf eine Mehrheit, notfalls auch mithilfe der AfD: »Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.«
Diese Äußerungen haben in der politischen Arena die Frage aufgeworfen: Ist damit die Brandmauer gegenüber der rechtsextremen AfD eingerissen, worauf Vertreter*innen der SPD und der Grünen hinweisen? Nein, sagt Merz gegenüber der BILD-Zeitung: »Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Darauf können sich alle verlassen.« CDU/CSU setzen bei der Abstimmung im Bundestag vielmehr auf eine Zustimmung von SPD und Grünen. Die FDP hatte sie bereits signalisiert.
Mit seinen Worten will Merz offenkundig die Wähler*innen beschwichtigen: Im Fall eines Wahlsiegs der Union bei der Bundestagswahl am 23. Februar müsse nicht mit einer schwarz-blauen Koalition oder einem wie immer gearteten Bündnis mit der AfD gerechnet werden.
Trotz des zügigen Dementis bleibt ein vernebelter Strategiewechsel der christlich-konservativen Union. Denn der CDU-Chef hat nach der tödlichen Messerattacke in Bayern angekündigt, er werde bereits am ersten Tag seiner Kanzlerschaft per Richtlinienkompetenz die Grenzen dichtmachen. Unbeschadet anderer europarechtlicher Regelungen werde sofort eine neue Praxis an den Außengrenzen der Berliner Republik und im Umgang mit Migranten exekutiert. Merz verkündete dies mit einem Selbstbewusstsein, als sei er schon gewählt und verfüge über die Machtfülle eines US-Präsidenten.
Die anschließenden Sätze lassen Anhänger von politischer Vernunft und Ausgrenzung der völkisch-nationalistischen Rechten erschauern: »Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur: Ich gehe keinen anderen.«
Das hat Kundgebungen gegen einen Rechtsruck in Deutschland Auftrieb gegeben. In Berlin, Köln und anderen deutschen Städten haben am Samstag Zehntausende Menschen gegen dieses politische Manöver und die Gefahr einer weiteren Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes nach rechts demonstriert. Zu der Kundgebung am Brandenburger Tor hatte ein Bündnis von Campact, Fridays for Future und der Initiative »Eltern gegen rechts« unter dem Motto »Wir stehen zusammen« aufgerufen.
Christoph Bautz, einer der Organisatoren erklärte in einer Stellungnahme: »Mit unseren Lichtern der Hoffnung stehen wir auf gegen den Rechtsruck – weltweit, aber besonders auch bei uns. Viele Menschen sind schockiert, dass Friedrich Merz ein großes Loch in die Brandmauer gegen die AfD schlagen will, wenn er […] gezielt eine gemeinsame Mehrheit mit den Rechtsextremisten sucht.« Auch zahlreiche prominente Politiker der Grünen die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak sowie die Familienministerin Lisa Paus nahmen teil.
Merz’ Ankündigung, einen Entschließungsantrag mit fünf Punkten ins Parlament einzubringen, hat das Ziel, die illegale Migration einzudämmen und Ausreisepflichtige, insbesondere Straftäter und Gefährder, schneller abzuschieben. Die bisherigen Vereinbarungen und Festlegungen im Rahmen der europäischen Union und des internationalen Flüchtlingsrechtes wären damit aufgekündigt.
Dies ohne Blick auf das Abstimmungsverhalten auf den Weg zu bringen, war faktisch eine Einladung an die AfD, so jedenfalls verstand es Alice Weidel, die Co-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin der in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei. Merz habe damit die bisher gültige Trennungszone zwischen konservativen Politikvorstellungen und denen ihrer Partei aufgegeben.
Ironischerweise verdankt die Brandmauer ihren Namen der AfD selbst. Im Jahr 2014 sagte Hans-Olaf Henkel, einst Chef des deutschen Industrieverbands und dann Vizevorsitzender der jungen Protestpartei (aus der er längst wieder ausgetreten ist), dem Stern: »Ich sehe mich auch als eine Art Brandmauer gegen rechtes Gedankengut.« Er wollte damit signalisieren, die AfD stehe auf der sicheren Seite der Demokratie.
Das hielt nicht lange. Rechtspopulisten und völkische Hardliner wie Björn Höcke übernahmen nach und nach die Kontrolle, eher gemäßigte Vertreter wie Henkel, die ursprünglich vor allem den Euro kritisieren wollten, verließen die Partei. Migration wurde zum Kernthema der AfD, Sprache und Programmatik wurden radikaler.
Die CDU zog eine »rote Linie« und fasste 2018 einen »Unvereinbarkeitsbeschluss«, der »Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit« mit der AfD (und auch der Linkspartei) ausschließen sollte. Nun sieht sich Merz nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl aufgrund der Betroffenheit in weiten Teilen der Bevölkerung über einen weiteren Mordanschlag so unter Druck, dass er die bisherige politische Praxis des Umgangs mit der rechtsextremen Partei aufkündigt.
Der Bruch mit den Regelungen im Grundgesetz, den internationalen Flüchtlingsvereinbarungen und den europarechtlichen Festlegungen markiert eine wenig verlässliche Haltung des Unionspolitikers. Es ist ein Versuch, inmitten sinkender Umfragewerte die CDU und CSU als Bollwerk gegen die illegale Migration zu positionieren.
Dies ist faktisch schon eine Teilkapitulation vor dem Aufstieg der völkisch-nationalistischen Kräfte in Europa. Kurzfristig mag das der Parteiräson helfen, wieviel Zustimmung der liberale Merkel-nahe Flügel der CDU aufbringen kann ist, jedoch noch ungeklärt. Merz erweist sich als politisches Leichtgewicht und keineswegs als tief in der Verfassung verankerter Unionspolitiker.
Gegenüber der »Zeit« bezeichnete ein Mitglied des CDU-Bundesvorstands Merz’ Vorgehen als »politischen Selbstmord«. Und auch der bei der Trauerfeier für die Mordopfer des Aschaffenburger Anschlags vielfältig geäußerte Wunsch, die schreckliche Tat nicht zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen, könnte den Unionsparteien noch zu schaffen machen.