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2. Februar 2020 Otto König/Richard Detje: Defender Europe 20 – Logistik des Krieges

Militärkolonnen rollen gen Osten

»Transportkolonnen in der Nacht auf deutschen Autobahnen, lange Güterzüge, die durch deutsche Bahnhöfe gen Osten rollen, Panzer auf Binnenschiffen im Ruhrgebiet: Wenn die Amerikaner … mit Defender Europe 20 die Verfahren zur Verlegung von umfangreichen Kräften aus den USA nach Osteuropa üben, wird Deutschland aufgrund seiner geo-strategischen Lage im Herzen Europas zur logistischen Drehscheibe«, heißt es auf der Internetseite der Bundewehr.[1]

Die Rede ist vom größten US-amerikanischen Manöver seit dem Kalten Krieg, mit dem die USA demonstrieren wollen, wie Truppenkontingente und schweres Kriegsgerät in kürzester Zeit aus Nordamerika nahe an die russische Grenze transportiert werden können. Im Rahmen der Operation Atlantic Resolve (OAR), die kontinuierliche Kriegsübungen von US-Einheiten in Ost- und Südosteuropa umfasst, sind US-Truppenverlegungen durch Deutschland zwar längst zur Routine geworden. So wurden in den vergangenen Jahren mit den OAR-Rotationen alle neun Monate Brigaden mit rund 4.000 Soldaten über den Atlantik verlegt. Doch dieses Mal probt die NATO mit US Defender Europe 20 (DEF 20) erstmals seit dem Kalten Krieg die transatlantische Mobilmachung im Divisionsmaßstab (GFP vom 9.12.2019).

20.000 GIs werden auf ihre in Europa stationierten 9.000 Kameraden sowie Streitkräfte von europäischen Staaten treffen. Laut der U.S. Army Europe handelt es sich um das größte Manöver in Europa seit über 25 Jahren,[2] an dem insgesamt rund 37.000 Soldaten teilnehmen. Für das »Kriegsspiel« im Zeitraum April und Mai, dessen räumlicher Schwerpunkt in Polen und den Baltischen Staaten liegen wird, ist das US-Heereskommando Europa in Wiesbaden operativ zuständig.

Mit DEF 20 wird das Ziel verfolgt, die Fähigkeit der USA zur »Machtprojektion« über den Atlantik hinweg zu unterstreichen, um die Auseinandersetzung mit einem nahezu gleichstarken Gegner zu simulieren. Man müsse bereit sein, in »Konflikten hoher Intensität« gegen »jeglichen annähernd ebenbürtigen Gegner ... mobilzumachen, zu kämpfen und entschieden zu gewinnen«, heißt es bei der U.S. Army Europe. »Die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage seit 2014 mit einer möglichen Bedrohung der Sicherheit, insbesondere unserer Bündnispartner in Osteuropa, erfordert von der NATO die Fähigkeit, starke militärische Kräfte schnell verlegen zu können«, so die Oberbefehlshaberin der Bundeswehr, Annegret Kramp-Karrenbauer. Das Manöver richte sich nicht gegen ein bestimmtes Land, man wolle nur »für eventuelle Krisenfälle gewappnet« sein und »deutliche Signale der Abschreckung« aussenden, heißt es aus NATO-Kreisen.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Schon in Folge der Eskalation der westlich-russischen Beziehungen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise[3] hat das transatlantische Bündnis seine Einsatzbereitschaft entlang der Ostflanke mit neuen Truppenverbänden verstärkt und je ein multinationales Bataillon nach Estland, Lettland, Litauen und Polen entsandt. Dies ordnet sich ein in eine massive Stärkung der finanziellen Ressourcen der NATO.

Die Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten (USA, Kanada, NATO-Europa) beliefen sich im vorigen Jahr nach vorläufigen Angaben auf 987 Mrd. US-Dollar – demgegenüber liegt das russische Militärbudget nach Informationen des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI bei 60 Mrd. US-Dollar. In nahezu allen NATO-Staaten sind die Ausgaben zwischen 2014 und 2019 gestiegen – die USA haben sie leicht auf 3,42% des BIP reduziert. In Europa und Kanada lagen die Steigerungsraten in den vergangenen drei Jahren zwischen 4,4 und 5,7% weit über denen anderer Etatposten.[4]

Angesichts dieser Diskrepanz bei den Rüstungsausgaben ist die dem »Säbelrasseln« zugrundeliegende Grundannahme, dass »Russland nicht nur fähig, sondern auch willens wäre, in ein NATO-Land einzumarschieren«, mehr als fragwürdig.[5] Nicht zuletzt durch das Einbinden von sieben weiterer Militärübungen in Europa in das Übungsszenario soll, wie es in Militärkreisen heißt, ein »Schlachtfeldnetzwerk aufgebaut werden, das im Falle eines Konfliktes für alle NATO-Verbündeten nützlich ist«[6]

Für die schwarz-rote Bundesregierung, die DEF 20 als »deutliches Bekenntnis« der USA zur »Sicherheit Europas« begrüßt, ist die Militärübung eine Gelegenheit, ihrem Anspruch Nachdruck zu verleihen, dass die Bundesrepublik »aufgrund seiner geostrategischen Lage im Herzen Europas eine strategische Position als logistische Drehscheibe« im Konflikt der NATO mit Russland einnehmen kann. So heißt es in der Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018: »Die Rolle Deutschlands als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung stellt Anforderungen an den Nationalen Territorialen Befehlshaber, die insbesondere im Hinblick auf Reaktionsfähigkeit, Führungsorganisation, Abstimmung mit und Unterstützung durch Dritte, Resilienz des Gesamtsystems sowie die Kräfte für den Heimatschutz einschließlich der territorialen Reserve zu erfüllen sind.«[7]

Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass Deutschland seine Position als Hegemon mittlerer Größe endlich wahrnimmt: »Vergessen sind Jahrzehnte der politischen und militärischen Zurückhaltung. Jetzt geht es Berlin um die aktive Mitgestaltung der globalen Ordnung. … Die neuen Bedrohungen durch die russische Aggressionspolitik im Osten und durch den islamistischen Terror im Süden des NATO-Bündnisgebietes haben die Bundesregierung veranlasst, die Kultur politischer und militärischer Zurückhaltung aufzugeben, die über Jahrzehnte ein eingeübtes Verhaltensgebot der deutschen politischen Führung war.«

Während ein US-Kommando in Norfolk (Virginia) den Nachschub über den Atlantik organisiert, obliegt dem noch im Aufbau befindlichen Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm die Aufgabe des Weitertransports der Streitkräfte in Europa. Dies umfasst Aufgaben von der Abwicklung zwischenstaatlicher Formalitäten über die Beschäftigung mit der Infrastruktur bis zur Organisation der Verlegungen im Zuge des blitzschnellen Aufmarsches an der russischen Grenze. JSEC, das spätestens ab 2021 voll einsatzbereit sein soll, ist allerdings nicht nur für die Nutzung durch die NATO geeignet, sondern auch für künftige Einsätze der geplanten »Armee der Europäer«.

Die US-Streitkräfte und das Material werden zunächst per Schiff und Flugzeug nach Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland gebracht. In Bremerhaven sollen am 22. Februar die ersten Transportschiffe entladen werden. Dann werden sie mit Unterstützung auch der Bundeswehr auf zwölf unterschiedlichen Routen per Binnenschifffahrt, auf Schnellstraßen und auf Schienen der Deutschen Bahn weiter in Richtung Russland rollen.

Die Bundeswehr, die sich mit 1.750 Soldaten an DEF 2020 beteiligen wird, unterstützt die US-Einheiten bei der Routenplanung, der Absicherung und der Begleitung der Truppentransporte, mit der Betankung und der Bereitstellung von Unterkünften und Verpflegung sowie der IT-Infrastruktur beim Vormarsch nach Osten. Die Hilfe erfolgt im Rahmen des sogenannten »Host Nation Support«, der vertraglich festgelegten Unterstützung für verbündete Streitkräfte bei deren Aufenthalt in der Bundesrepublik, die im Aufgabenbereich der Streitkräfte liegt. Soweit öffentlich bekannt ist, stehen den US-Truppen mindestens 13 Bundeswehrstandorte unterstützend zur Seite, unter anderem Rheindahlen, Augustdorf, Burg, Lehnin, Oberlausitz, Garlstedt, Stadtallendorf, Frankenberg (Sachsen) und Bergen. Hinzu kommen US-Stützpunkte in der Bundesrepublik wie beispielsweise die Ramstein Air Base.

Darüber hinaus werden für DEF 20 Teile der zivilen Infrastruktur der Bundesrepublik in die transatlantische Militärlogistik eingegliedert. Häfen (Bremerhaven, Bremen, Duisburg und Krefeld) und Flughäfen (Berlin, Hamburg, Frankfurt a.M., München, Nürnberg) dienen zum Umschlag von Soldaten und Kriegsgerät. Über das Straßen- und Schienennetz werden Militärkonvois auf der west-östlichen Achse über Düsseldorf, Hannover, Magdeburg und Frankfurt/Oder im Norden sowie über Düsseldorf, Mannheim, Nürnberg, Dresden und Görlitz im Süden rollen.[8] Um dem Unmut in der Bevölkerung vorzubeugen, verspricht die Bundesregierung, dass es während der Osterfeiertage nicht zu Truppenbewegungen kommen wird.

Während der Übung kann die Bundeswehr auf einen im vergangenen Jahr geschlossenen Vertrag zwischen Deutscher Bahn und dem Bundesverteidigungsministerium zurückgreifen. Kernelement dieses 100 Millionen Euro umfassenden Abkommens ist das Bereitstellen von Transportkapazitäten der Deutschen Bahn AG für mehr als 1.300 jährliche Militärtransporte, auch an und über die Grenzen der Bundesrepublik. Teil des Deals sind Vorfahrtsonderrechte für das Militär vor zivilem Personenzugverkehr.

Während in Europa überall junge Menschen gegen die lebensbedrohende Umweltzerstörung und für die Eindämmung des Klimawandels auf die Straßen gehen, absolviert der große Umweltzerstörer und Klimakiller Militär – schon allein die Ökobilanz der Großtransporte quer durch Europa wird verheerend sein – in den kommenden Wochen unbeeindruckt seine Manöver. Angesichts einer Mehrheit in der Bevölkerung, die »Frieden und Entspannung mit Russland, aber kein Säbelrasseln« wollen, setzen die militärischen Eliten und die sie stützenden Politiker auf die Fortsetzung des Konfrontationskurses, einhergehend mit intensivierten Rüstungsanstrengungen. Gleichzeitig soll mit dem Großaufmarsch die Bevölkerung an die Militärpräsenz gewöhnt werden. Ob das gelingt, ist längst nicht ausgemacht.

»Ausgerechnet im Zusammenhang mit dem 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, soll in Osteuropa vor der russischen Westgrenze das aufwendigste NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges stattfinden«, heißt es in einem Text der bundesdeutschen Friedensbewegung, deren Aktivist*innen sowohl dezentrale als auch bundesweite Aktionen vorbereiten.

Anmerkungen

[1] Was kommt mit Defender Europe 20? www.bundeswehr.de
[2] DEFENDER-Europe 20 Fact Sheet. eur.army.mil.
[3] Nach Auffassung von August Pradetto, emeritierter Professor an der Hamburger Bundeswehr-Universität, war es 2014 »ein Desaster«, die Ukraine in die NATO eingliedern zu wollen. Russlands Antwort in der Krim-Krise sei eine »absehbare Reaktion« gewesen, was wiederum bei der NATO zum Anlass genommen wurde, eine neue Eskalation in der Ostpolitik einzuleiten (GFP vom 23.1.2020).
[4] Angaben aus: Defence Expenditure of NATO Countries (2013-2019), Press Release, 29.11.2019.
[5] Jürgen Wagner: Großmanöver Defender 2020, IMI-Analyse 2020/02.
[6] Paul McLeary: From the Baltic to Black Seas, Defender Exercise Goes Big, With Hefty Price Tag. breakingdefense.com, 16.12.2019.
[7] https://www.bmvg.de/resource/blob/26546/cae384dbb1bbc8588bb3fed2969ee355/20180731-broschuere-konzeption-der-bundeswehr-data.pdf
[8] Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken: Truppenverlegung DEF20_BT-Anfrage 19-12-11.

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