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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

16. Januar 2018 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Minijobs – ein unverzichtbarer Baustein der sozialen Marktwirtschaft?

Foto: Streik für bessere Löhne (Jonas Priester/flickr.com)

Im Vorfeld der Sondierungsgespräche von Union und SPD zur Bildung einer erneuten Großen Koalition haben die Gewerkschaften Maßnahmen zur Stärkung des Tarifvertragssystems (z.B. durch die Ausweitung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen) und zur Eingrenzung prekärer Beschäftigung gefordert, um die soziale Spaltung im Land einzudämmen.

Ein wichtiger Beitrag dazu wäre der Abbau der Minijobs. Die Union hatte allerdings in ihrem Regierungsprogramm angekündigt, die Minijobgrenze anzuheben (bis zu 550 Euro), während die SPD eine Begrenzung forderte. »Auch geringfügige Beschäftigung wollen wir abbauen, den Missbrauch bekämpfen und Beschäftigten den Weg aus Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit öffnen.«

Unstrittig ist: Die Lohnabhängigen profitieren vom anhaltenden Konjunkturaufschwung, allerdings nicht mehr so stark wie in den letzten Jahren, weil die Inflation an Tempo gewinnt. Der konjunkturelle Aufschwung kann aber die Deregulierung der organisierten Arbeit nicht heilen. Auf den ersten Blick stärken zwar mehr Jobs und weniger Arbeitslose die Durchsetzungsmacht der ArbeitnehmerInnen. Das vermeintliche Jobwunder war aber keines. Viele Unternehmen zerlegten Vollzeit- in Teilzeit- und Minijobs.

Daher ist die Reform des Arbeitsmarktes sicher eine Grundforderung. Der DGB hat in einer aktuellen Studie [1] erneut die Fehlentwicklung beim Minijob dokumentiert. Danach ist die geringfügig entlohnte Beschäftigung im Zeitraum von Juni 2003 bis Dezember 2016 von 5,3 Mio. auf 7,4 Mio. angewachsen. Das entspricht einem Anstieg von rund 40%. Im gleichen Zeitraum ist die sozialversicherte Beschäftigung nur um 18% gestiegen. Während die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Lohnabhängigen seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns leicht rückläufig ist, sind Minijobs als Nebenjob weiter auf dem Vormarsch.

Die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung macht aber nach wie vor mit knapp zwei Drittel den weit überwiegenden Teil der gesamten geringfügig entlohnten Beschäftigung aus. »Darunter sind rd. 2,8 Mio. im klassischen Erwerbsleben von 25-64 Jahren. Sie haben nur den Minijob als Einkommen. Gerade bei dieser Gruppe gehen Minijobs zum Teil mit erheblichen negativen Folgen einher. Minijobs werden überwiegend von Frauen ausgeübt, insbesondere in der Altersklasse von 25 bis 64 Jahren, wenn der Minijob als Haupterwerb ausgeübt wird. Das ist kein Zufall, sondern die Folge von gezielten staatlichen Fehlanreizen.« Es ist für geringfügig Beschäftigte sehr schwer, von einem Minijob zurück in den normalen Bereich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu gelangen. Außerdem sind die Betroffenen nicht kranken- und arbeitslosenversichert; nur minimale Rentenbeiträge würden entrichtet.

Minijobs kommen fast ausschließlich im Dienstleistungsbereich vor und konzentrieren sich dort auf wenige Tätigkeiten. Über 1,1 Mio. Beschäftigte in Minijobs arbeiten als Reinigungskraft, 840.000 MinijobberInnen sind im Verkauf tätig, 790.000 im Büro und Sekretariat und 666.000 in der Gastronomie. In diesen vier Tätigkeitsfeldern arbeitet fast die Hälfte aller MinijobberInnen. Besonders in kleineren und mittleren Betrieben sowie im Einzelhandel, der Gastronomie, aber auch im Gesundheits- und Sozialwesen kommt es zur Verdrängung von regulärer Beschäftigung durch Minijobs. Für Frauen mit Teilzeitwunsch aufgrund von Familienaufgaben bleibt häufig nur ein Minijob oder eine kleine Teilzeit in Kombination mit einem Minijob.

Lohndrückerei

Minijobs sind der Motor des Niedriglohnsektors. Den Betroffenen werden oft die arbeitsrechtlichen Ansprüche schlichtweg vorenthalten. Nach geltendem Recht müssen Beschäftigte in Minijobs zwar denselben Stundenlohn erhalten wie die anderen Beschäftigten mit vergleichbaren Tätigkeiten im selben Betrieb auch, doch das ist selten der Fall. Von der Steuer- und Abgabenfreiheit bei den Minijobs profitieren nicht die Beschäftigten, sondern die Unternehmen. Der Trick: Die Löhne werden schon vorab gekürzt.

Noch im April 2014 wurden 83% der MinijobberInnen mit einem Niedriglohn abgespeist. Der Anteil der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten mit einem Stundenverdienst unter 8,50 Euro lag in 2014 sogar bei rund 60%. Selbst nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in 2015 verdiente fast noch jeder Zweite aus dieser Gruppe weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Im Herbst 2016 haben immer noch 14,5% aller MinijobberInnen weniger als 8,50 Euro verdient. Nur in 2,5% dieser Fälle gab es legale Ausnahmegründe, sonst handelte es sich um Verstöße gegen das Mindestlohngesetz.

»Insgesamt reiht sich die Missachtung des Mindestlohngesetzes in ein Muster zum Lohndrücken ein. Eine aktuelle Befragung vom Herbst 2016 zeigt, dass in Minijobs Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Ansprüche noch immer auf der Tagesordnung stehen. So enthält etwa ein Drittel keinen bezahlten Urlaub und beinahe genauso viele müssen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten. Insbesondere im Gastgewerbe werden gesetzlich zustehende Rechte nicht gewährt. In sozialversicherter Teilzeit lassen sich Rechtsverstöße in solch alarmierendem Umfang nicht beobachten.«

Programmierte Altersarmut

Neben den arbeitsmarktpolitischen Problemen führen Minijobs auch zu Problemen bei der sozialen Absicherung der Betroffenen, vor allem programmieren sie Altersarmut. Bei der Rentenversicherung gibt es die Möglichkeit zur Befreiung, auch wenn seit 2013 Versicherungspflicht besteht. In der Folge sind nur 18% der MinijobberInnen im gewerblichen Bereich und 14% der MinijobberInnen in Privathaushalten rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Für die anderen MinijobberInnen werden die Beiträge zur Rentenversicherung pauschal abgeführt. »Nach Werten von 2017 wirkt sich der Minijob wie folgt auf die Rente aus: Ein Jahr Minijob bei einem monatlichen Verdienst von durchgehend 450 Euro entspricht bei alleiniger Pauschalbeitragszahlung des Arbeitgebers im gewerblichen Bereich einem Rentenzuwachs von etwa 3,62 Euro pro Monat.«

Noch gravierender ist die Situation bei Minijobs in Privathaushalten. Hier erwerben MinijobberInnen bei einem Jahr Arbeit mit einem monatlichen Verdienst von durchgehend 450 Euro bei alleiniger Pauschalbeitragszahlung des Haushalts nur 1,21 Euro Rentenzuwachs pro Monat. Bei voller Beitragszahlung erwerben MinijobberInnen bei einem monatlichen Verdienst von 450 Euro pro Jahr einen Rentenzuwachs von 4,51 Euro pro Monat (West). Bei den eben genannten Angaben handelt es sich um Brutto-Werte, berechnet für das Jahr 2017.

Forderungen der Gewerkschaften

Zu Recht verlangen die Gewerkschaften von einer neuen Bundesregierung deutliche Verbesserungen für diese Beschäftigten in »kleiner Teilzeit«:

  • Auch Personen mit geringen Einkommen sind voll in die soziale Sicherung zu integrieren. Bei sehr niedrigen Einkommen sollen allerdings die Beiträge auf Arbeitgeber und Beschäftigte unterschiedlich verteilt werden, sodass der Anteil der Beschäftigten schrittweise steigt, während die Belastung für die Arbeitgeber sinkt. Ab 850 Euro soll dann die paritätische Finanzierung greifen. Um die Arbeitsbedingungen in Kleinstarbeitsverhältnissen zu verbessern, sind aber auch mehr Kontrollen nötig, und der Mindestlohn darf auf keinen Fall verwässert werden.
  • Des Weiteren geht es darum, Wege zu finden, die aus der beruflichen Sackgasse »kleine Teilzeit« durch eine gezielte Beratungs- und Weiterbildungsoffensive herausführen. Überfällig ist auch die Abschaffung der inzwischen längst überholten Lohnsteuerklassenkombination III/V, weil sie eine traditionelle Arbeitsteilung in der Ehe fördert, bei der meist die Frau in einen (kleinen) Teilzeitjob gedrängt wird. Für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf braucht es lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle und ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit sowie ein Recht auf befristete Teilzeit.
  • Eine Weiterbildungsoffensive könnte helfen, dem Dequalifikationsrisiko entgegenzuwirken. In 2016 hat nicht einmal jede/r fünfte Beschäftigte in Minijobs an einem Angebot zur betrieblichen Weiterbildung teilgenommen. Im Rahmen der Arbeitsförderung nahmen im Mai 2017 rd. 15.000 MinijobberInnen an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teil. Das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit hilft, dass insbesondere Frauen ihre Arbeitszeitwünsche verwirklichen können. »In der Ausweitung des Arbeitszeitvolumens von Frauen in Teilzeit liegt ein Potential zur Fachkräftesicherung bis 2030 von 445.000 bis 890.000 Vollzeitäquivalenten. Reformen bei den Minijobs können mit dazu beitragen, Teile dieser Potentiale frei zu setzen. Insgesamt arbeiteten im Dezember 2016 7,4 Mio. Menschen in 450-Euro-Jobs. Im Oktober 2017 waren es rd. 7,5 Mio. Beschäftigte (vorläufige Zahlen)«
  • Über 80% der geringfügig entlohnten Beschäftigten lassen sich von der Rentenversicherungspflicht befreien und verzichten damit auf den vollen Schutz. Solange es Minijobs in ihrer aktuellen Form gibt, muss dringend mehr für die Stärkung der Rentenversicherungspflicht getan werden.
  • Minijobs als Nebenjob steigen nach wie vor stark an. Durch die Aufsplitterung von Arbeit gehen Vollzeitarbeitsplätze und vollzeitnahe Teilzeitarbeitsplätze verloren, auf die viele Menschen dringend angewiesen sind. Gleichzeitig gehen dem Staat Steuern in Milliardenhöhe verloren. Das ist ungerecht, weil jede/r Beschäftigte, der/die z.B. Überstunden macht, diese voll versteuern muss, während die Tätigkeit im Minijob mit Ausnahme einer eher symbolischen Pauschalsteuer steuerfrei ist. Das kann so nicht bleiben. Untere und mittlere Einkommen müssen gezielt entlastet werden.

Von diesen Forderungen ist in dem von Union und SPD verabschiedeten Ergebnispapier [2] der Sondierungen wenig zu finden. Sehr unkonkret werden dort die Stärkung der Tarifbindung und ein »Recht auf Weiterbildungsberatung« versprochen. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz soll 2019 »evaluiert« werden. Maßnahmen zur Überführung von geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung tauchen in den »Ergebnissen« nicht auf.

Von der versprochenen »Grundrente« werden MinijoberInnen wegen der fehlenden Beitragszeiten nicht profitieren. Einzig das »Recht auf befristete Teilzeit«, das allerdings erst in Unternehmen mit mehr als 45 MitarbeiterInnen greifen soll, kann als kleiner Schritt in die richtige Richtung gesehen werden.

Insgesamt bleiben die Verabredungen der KoalitionsondiererInnen in Sachen Stärkung der Tarifvertragssysteme, Eindämmung prekärer Beschäftigung und Bekämpfung der sozialen Spaltung deutlich hinter den Erfordernissen zurück.


[1] DGB Abteilung Arbeitsmarktpolitik, Gute Arbeit statt mehr Minijobs, arbeitsmarktaktuell Nr. 1/Januar 2018.
[2] Zur Gesamtbewertung der Ergebnisse siehe: Joachim Bischoff/Björn Radke: Die Sondierungsergebnisse – »Hervorragende Ergebnisse«?, Sozialismus.deAktuelle 13.1.2017;

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