Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

21. August 2019 Redaktion Sozialismus

Olaf Scholz und die Erneuerung der SPD

Foto: dpa

Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist in das unübersichtliche und langwierige Bewerbungsverfahren um den Vorsitz der Sozialdemokratie eingestiegen, er bewirbt sich zusammen mit der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Klara Geywitz. Wenig überraschend lautet sein Credo: »Ich glaube, dass Deutschland eine starke sozialdemokratische Partei braucht.«

Wochenlang hatte der Finanzminister mit Verweis auf sein zeitaufwendiges Regierungsamt ausgeschlossen, für den SPD-Chefposten anzutreten. Seine Begründung für den Sinneswandel: Er habe seine Entscheidung überdacht, weil die Verantwortung das gebiete. Es tue der SPD nicht gut, wenn es so aussehe, als ob sich keiner traue. »Das stimmt ja nicht. Auch nicht für mich.« Es gehe jetzt nicht um die Frage, wer welche Belastung habe, sondern darum, wie die älteste demokratische Partei Deutschlands die Aufgaben für das 21. Jahrhundert gut lösen könne.

Mit Scholz tritt ein langjähriges Mitglied der Führungscrew der SPD an, um den Vorsitz zu übernehmen. Von 2002 bis 2004 war er ihr Generalsekretär, später Vize-Vorsitzender. Scholz hat die Ausarbeitung und Durchsetzung der Agenda 2010, die »Neuausrichtung« der Partei durch Gerhard Schröder mit zu verantworten. Und er war auch als Hamburger Bürgermeister und Vorsitzender der Landespartei stets in die Ausgestaltung des programmatisch-politischen Profils der deutschen Sozialdemokratie verantwortlich einbezogen.

Sein Parteiengagement hatte Olaf Scholz zwar auf der Grundlage der Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus begonnen, aber seit Jahrzehnten wird er zu Recht zur konservativen Strömung des »Seeheimer Kreises« gerechnet. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, Sprecher dieser innerparteilichen Gruppierung der »Kanalarbeiter«, begrüßt logischerweise den Anspruch auf die Spitzenposition: »Mit Olaf Scholz als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat kann die SPD so stark werden, das es Regierungsoptionen jenseits der GroKo gibt.«

Dass »König Olaf« die politische Kunst der »Führung« beherrscht, wissen seine Hamburger Parteifreunde aus Erfahrung. Die Hamburger SPD war von Intrigen zerfressen und tief zerstritten, als Scholz 2009 den Landesvorsitz erneut (er hatte ihn schon von 2000 bis 2004 inne) übernahm. »Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.« Dieses Versprechen wurde rigoros umgesetzt und durchaus auch mit Erfolg beim Wahlvolk.

Noch 2015 holte der 61 Jahre alte Politiker bei der Bürgerschaftswahl 45,6% der Stimmen für die SPD. Scholz stand bis zu seinem Wechsel in die Berliner Bundesregierung einer rot-grünen Koalition vor. Und erst am Ende seiner zweiten Amtsperiode als Chef des Hamburger Stadtstaates zeigte sich deutliche Kritik an den Ergebnissen der Landespolitik.

Der hanseatisch-kühle Analyst und Pragmatiker wird vom eher konservativen Teil der Parteibasis als Stabilitätsfaktor in einer Chaostruppe respektiert, nicht begeistert getragen. Er kann eine zerstrittene Partei aufrichten, wenn auch ohne inhaltliche Erneuerung: Es liege an der SPD selbst, Stärke zu gewinnen, sagt Scholz. Wenn man ihn lässt, beweise er Stärke und er traue seiner Partei zu, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen

Wenn es nach Scholz geht, muss man sich über die Schwäche der deutschen oder europäischen Sozialdemokratie nicht den Kopf zerbrechen. Eine Politik zur Bekämpfung der tiefen sozialen Spaltung wäre falsch und zum Scheitern verurteilt. Es gilt »ordentlich zu regieren« und auf die verschiedenen Fehlentwicklungen ohne Korrekturen am Gesamtsystem zu reagieren.

Seine Botschaft lautete schon vor der Bundestagswahl 2017: »Wir entwickeln Konzepte – wie das, was in Hamburg gelungen ist, strategisch auch in Deutschland und Europa gelingen kann.« Die SPD habe »Aufbruch in der Stadt organisiert, der muss jetzt umgesetzt werden«, sagte der damalige Senatschef. Scholz machte klar, was das zentrale Ziel der SPD für Hamburg ist: »Das soll der Ehrgeiz der Stadt Hamburg sein: eine boomende Stadt sein und zugleich eine Stadt, die sich jedermann leisten kann und in der das Leben lebenswert bleibt – unter ökologischen Gesichtspunkten und unter Gesichtspunkten der Liberalität gleichermaßen.« Wer das Regierungshandwerk ordentlich beherrsche, brauche keine Konzeption für die Zukunft. Ordentliches Regierungshandwerk hieß in Hamburg:[1] wachsende Stadt und geordnete öffentliche Finanzen.

Diese Grundposition bestimmte auch seine Analyse im Oktober 2017 nach dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl. »Es ist ... Zeit für eine schonungslose Betrachtung der Lage. Die Sozialdemokratische Partei hat strukturelle Probleme. Und da führt es nicht weiter, wenn man sich mit Debatten über Plakate oder darüber aufhält, ob der Kanzlerkandidat falsch beraten war oder etwas falsch gemacht hat. Die Vorschläge, die beispielsweise die Initiative SPD++ zu neuen Organisationsmodellen der Partei gemacht hat, verdienen sorgfältige Erörterung … Es ist kein Zufall, dass die sozialdemokratischen Parteien in Europa, und generell in allen klassischen Industriestaaten, fast zur gleichen Zeit nicht mehr an frühere Wahlerfolge anknüpfen können. Die sozialdemokratischen Parteien in diesen wirtschaftlich erfolgreichen Ländern stehen vor der Herausforderung, dass die – im Vergleich zu den Jahrzehnten davor – geringere Wachstumsdynamik seit den achtziger Jahren, die Globalisierung und die technologischen Veränderungen, namentlich die Digitalisierung, vielen Bürgerinnen und Bürgern (berechtigte) Sorgen bereiten. Überall weisen die Statistiken sinkende Löhne in den unteren Einkommensgruppen und nicht selten auch stagnierende Einkommen in der Mittelschicht aus. Und das sogar, wenn die Volkswirtschaft prosperiert oder wie in Deutschland die Beschäftigungsstatistik Rekordzahlen vermeldet. Die Schere zwischen denen, die am oberen Ende der Einkommensskala stehen und den unteren Einkommensgruppen geht wieder auseinander, nachdem es bis zum Ende der siebziger Jahre eine lange Zeit umgekehrt war. Langsam aber unübersehbar nimmt die Hoffnung, dass die Zukunft besser wird, bei Teilen der Bevölkerung ab. … Aber die Lage kann nur dann in vollem Umfang richtig erfasst werden, wenn nicht Ausflüchte den Blick für die strukturellen Probleme verstellen.«[2]

Den Kern der strukturellen Probleme sieht Olaf Scholz in dem unabänderlichen Rückgang der wirtschaftlichen Wachstumsraten. Daher lautet seine Leitschnur: »Es geht also um Fortschritt und Gerechtigkeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Der SPD muss es gelingen Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik und einer unmittelbar daran anschließenden Erzählung zu verbinden. Dabei geht es nicht um eine bloße Addition, sondern das jeweils eine muss sich aus dem jeweils anderen ergeben. … Sie muss eine Politik formulieren, die zeigt, wie Wachstum möglich ist, an dem alle Bürgerinnen und Bürger teilhaben.«

Die praktische Umsetzung auf Bundesebene steht allerdings noch immer aus. Scholz müsste zum einen die zerstrittenen Strömungen in der Partei auf eine pragmatische Konzeption vereinen, und zum anderen ein sozialdemokratisches Narrativ entwickeln. Gezeigt werden müsste, wie eine Überwindung der tiefen gesellschaftlichen Spaltung ohne tiefgreifende Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse möglich wird. Deutlich verbesserte Teilhabe gerade der unteren und mittleren Schichten unterstellt nicht nur Verbesserung in den Verteilungspositionen, sondern auch eine gründliche Reform der öffentlichen Infrastruktur und der sozialen Sicherung. Das wird mit der »schwarzen Null« nicht zu haben sein.

Ein solcher Übergang zu einer binnenwirtschaftlichen Ausrichtung der Ökonomie wäre bei einem Exportweltmeister kein bloßer Spaziergang. Das weiß natürlich auch Scholz und charakterisiert die Herausforderung wie folgt: »Es geht um viel. Überall in Europa haben die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien an Zustimmung eingebüßt. Manche sind fast oder gar vollständig verschwunden. In Deutschland, vielleicht das Kernland der sozialdemokratischen Idee, ist es unsere Mission, die Zukunft der sozialen Demokratie neu zu beschreiben. Gerade die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat es vermocht, die Vorstellungen von einer solidarischen Gesellschaft und von lebensweltlicher Liberalität in einem politischen Projekt zu vereinen. In manchen Ländern Europas kann man nur noch wählen zwischen einer sozialstaatlichen Partei mit lebensweltlich antimodernen Vorstellungen und Ressentiments auf der einen Seite und einer streng wirtschaftsliberalen Partei mit modernen Vorstellungen zum Zusammenleben auf der anderen.«[3]

Zu Recht ist Scholz mit großer Skepsis konfrontiert, ob diese personelle und programmatische Erneuerung der eigenen Partei gelingen kann, und ob eine erneuerte Sozialdemokratie zugleich als wesentlicher Faktor einer Bündelung der gesellschaftlichen Kräfte sowohl in der Zivilgesellschaft wie auf politischem Terrain agieren kann.

Immerhin wird seine Kandidatur nicht nur von tiefer Skepsis begleitet, sondern neben dem Seeheimer Kreis imponiert auch der Boulevardzeitung »Bild« das Projekt: »Da ist einer in der SPD, der begriffen hat, dass es in seiner Partei jetzt um alles geht. Und der lieber selbst auf die Brücke des sinkenden Kahns geht, um das Untergehen zu verhindern, anstatt gemütlich Haltungsnoten vom Ufer zu geben.«

In der innerparteilichen Debatte muss das Tandem Scholz-Geywitz um seine Zukunftsvorstellung werben. Olaf Scholz’ bisherige Demonstration von »pragmatischer Politik« wird dafür nicht ausreichen. Aktuell liegt die SPD in Umfragen mit 13 bis 14% weit hinter der Union und den Grünen. Der Optimismus von Scholz streift daher häufig die Grenze zur Lächerlichkeit, wenn er behauptet, die SPD könne nach den nächsten Bundestagswahlen schon wieder den Kanzler stellen. Mit dem einfachen Rezept »Man muss mit geradem Rücken auf den Platz gehen, und man muss gewinnen wollen« wird dies mit Sicherheit nicht gelingen.

Anmerkungen

[1] Zur Bilanz der rot-grünen Landespolitik siehe Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Hamburg: Metropole der Ungleichheit und Armut, nordLINKS 31. Juli 2019; dies., Die öffentlichen Schulden steigen weiter im Hamburger Steuerparadies, nordLINKS 2. August 2019.
[2] Olaf Scholz, Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze!, 27.10.2017, https://www.olafscholz.de/main/pages/index/p/5/3211/page/4/year/2017.
[3] Scholz a.a.O.

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