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29. Januar 2018 Otto König/Richard Detje: Völkerrechtswidriger Angriffskrieg der Türkei

»Operation Olivenzweig«

Als der »Islamische Staat« (IS) Ende 2014 versuchte, die kurdische Stadt Kobanê in Nordsyrien zu erobern, standen schussbereite türkische Panzer in Sichtweite. Obwohl der IS unter der Bevölkerung ein Blutbad anrichtete, griff die türkische Armee nicht ein. Später sollte sich herausstellen, dass die Terroristen ungehindert im türkisch-syrischen Grenzgebiet operieren konnten.

Die türkische Regierung unterstützte sie mit Waffen und bot ihnen Rückzugsraum. Die Milizen sollten Recep Tayyip Erdoğans »kurdisches Problem« erledigen. Doch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen Kurden schlugen mit US-amerikanischer Luftunterstützung den IS zurück und konnten Kobanê befreien.

Drei Jahre später hat der Autokrat in Ankara mit massiven Luftangriffen und dem Einmarsch türkischer Truppen in den mehrheitlich von Kurden bewohnten und von ihnen selbstverwalteten Kanton Afrin im äußersten Nordwesten Syriens einen neuen Kriegsschauplatz eröffnet. Mit der »Operation Olivenzweig«, wie die türkische Regierung ihre völkerrechtswidrige Militäroperation zynisch nennt, wird zum wiederholten Mal die territoriale Integrität Syriens massiv verletzt. [1]

Quelle: SPIEGEL ONLINE, 28.1.2018

Hunderttausende Menschen leben in der Stadt Afrin und in den mehr als 300 Dörfern in der Umgebung. Unter ihnen sind viele, die aus anderen Gegenden Syriens dorthin geflüchtet sind. Bis dahin gehörte die Region zu den wenigen syrischen Landesteilen, die vom Krieg verschont geblieben waren und als sichere Rückzugsgebiete galten.

Das Narrativ der AKP-Regierung lautet: Die türkischen Panzerverbände, u.a. ausgerüstet mit deutschen Kampfpanzern vom Typ Leopard 2A4, [2] und die von Ankara bezahlten Rebellen der »Freien Syrischen Armee« (FSA), in deren Reihen sich Al-Qaida-Kämpfer und ehemalige IS-Mitglieder befinden, sollen den Kanton Afrin »von Terroristen säubern« und eine »30 Kilometer breite Pufferzone einrichten«, so Ministerpräsident Binali Yildirim. Wenn sie von Terroristen spricht, nennt die türkische Regierung pflichtbewusst immer auch den IS; tatsächlich geht es ihr darum, die syrisch-kurdische Selbstverwaltung der Region zu zerschlagen. Dies geht einher mit der brutalen Repression gegen kurdische Organisationen im eigenen Land.

Der Angriff richtet sich gegen die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG bzw. YPJ), unter deren Schutz in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Region in den vergangenen vier Jahren eine rätedemokratische Selbstverwaltung geschaffen werden konnte und ohne die es nicht gelungen wäre, den IS in Syrien so empfindlich zu treffen, dass er nahezu sein komplettes Gebiet verloren hat. Es geht darum, eine Konsolidierung der Autonomieregion der syrischen Kurden zu verhindern. »Die Absicht der Türkei ist es, Bedrohungen an der gesamten syrischen Grenze zu eliminieren, und diese Bedrohung kommt nicht allein von Afrin«, erklärt Erdoğans außenpolitischer Berater Ilnur Cevik (FAZ, 27.1.2018). Sein Land werde »Schritt für Schritt« den »Terror-Korridor« zerstören, den die YPG errichtet habe, um den Zusammenschluss der Kurdengebiete westlich und östlich des Flusses Euphrat zu verhindern, erklärt Erdoğan: »unsere Kämpfe werden weitergehen, bis kein einziger Terrorist mehr übrig ist, bis hin zu unserer Grenze mit dem Irak«.

Ankara betrachtet die YPG als syrischen Zweig der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit als Terrororganisation. »Das sind Barbaren, das sind Mörder, das sind Diebe, das sind Triebverbrecher. Das sind die neuen Kollaborateure der postmodernen Kreuzzüge«, schimpft der türkische Staatspräsident.

Für Aviva Stein, Assistentin des Vorsitzenden der Vertretung der »Demokratischen Föderation Nordsyriens« in Den Haag, machen die Versuche, der YPD und YPG Terroraktivitäten vorzuwerfen, deutlich, »wie sehr das türkische Regime sich davor fürchtet, seinen eigenen Bürgern die gleichen Grundrechte zuzugestehen, insbesondere den Bürgern der ethnischen und religiösen Minderheiten, wie den Kurden«. Seit hundert Jahren sind die Kurden »das größte Volk ohne eigenen Staat« und Manövriermasse der internationalen Politik.

Das jüngste Kapitel des zynischen Umgangs mit ihnen wurde während des Kriegs in Syrien geschrieben, wo sie sich als eine der effektivsten Kräfte gegen dschihadistische Terrorgruppen wie den IS erwiesen haben. Teile der Volksbefreiungsarmee dienten der US-geführten Anti-IS-Koalition als Bodentruppen für den Sturm auf die IS-Hauptstadt Raqqa und im Anschluss waren sie nützlich, um den IS aus dem Euphrat-Tal zu vertreiben. Die kurdische Bewegung in Rojava [3] musste seit dem Beginn des revolutionären Prozesses 2011 taktische Bündnisse mit verschiedenen Kräften eingehen, die um Einfluss in Syrien kämpfen. Im Rahmen der »Anti-IS-Koalition« arbeiteten sie mit den USA zusammen, in Afrin, Aleppo und Deir Al-Sor hingegen mit Russland. Nun drohen sie zu Opfern eines geopolitischen Machtpokers zwischen den USA, Russland und der Türkei zu werden.

Angesichts der kriegerischen Aggression der Türkei ist die Unterstützung der »Verbündeten« kleinlaut geworden. Zwar hatte Frankreich als Reaktion auf den Angriff des türkischen Militärs eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats gefordert, der auch tagte – jedoch ohne irgendeine Konsequenz für die Angreifer. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt die Wahrheit auf den Kopf, wenn er erklärt, »alle Staaten haben das Recht, sich selbst zu verteidigen« und der Türkei ein »verhältnismäßiges und maßvolles Vorgehen« nahelegt. Und verlogen wird es, wenn die EU-Außenbeauftragte Mogherini »Appelle an beide Seiten zur Mäßigung« sendet – damit werden die Opfer mit dem Aggressor auf die gleiche Stufe gestellt.

Am scheinheiligen Sorgentheater beteiligt sich auch der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, der noch kürzlich seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu die Modernisierung der von Deutschland gelieferten türkischen Panzer in Aussicht stellte, [4] und nun über das Auswärtige Amt verbreiten ließ: »Wir rufen alle Beteiligten auf, jetzt besonnen zu handeln und keine neue Gewalt aufkommen zu lassen.« Zuvor hatte die Sprecherin des Außenministeriums ausgeführt, man dürfe »die Sicherheitsinteressen, die die Türkei hat«, nicht außer Acht lassen (Bundespressekonferenz, 22.1.2018). Einen Angriffskrieg könne man nicht erkennen. Es sei »im Moment nicht möglich, zu beurteilen, wie man eine völkerrechtliche Einordnung vornehmen würde«. Damit gibt die Bundesregierung zu erkennen, »dass sie selbst und im Rahmen von EU und NATO die Gültigkeit des Völkerrechts in Bezug auf Syrien schon zuvor kontinuierlich und systematisch negiert hat«. [5]

Der Angriff auf Afrin hat nichts mit »legitimer Landesverteidigung« zu tun – das weiß auch der zum Militaristen mutierte ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Norwegens, Stoltenberg. Der Militärschlag gegen die kurdische Enklave hat den gleichen Hintergrund wie im Jahr 2015, als Erdoğan nach der Wahlschlappe einen brutalen Krieg im Südosten des Landes vom Zaun brach. Erdoğans politische Winkelzüge stehen unter dem Primat der Machtsicherung im Innern. Einiges deutet darauf hin, dass der wegen der kriselnden Wirtschaft angeschlagene Autokrat vorgezogene Neuwahlen anstrebt. Das Verfassungsreferendum im April 2017 konnte er trotz Manipulationen nur haarscharf für sich entscheiden. Der AKP-Vorsitzende weiß, dass er in einer möglichen Stichwahl 50 Prozent plus eine Stimme benötigt – die kann er derzeit nur erringen, wenn er sich nicht nur auf seine religiös-konservativen Stammwähler stützt, sondern auch Stimmen der säkularen Türken gewinnt. Das Mittel dazu ist erfahrungsgemäß ein massives Anheizen des Nationalismus.

Wie schon 2015: Was Erdoğan braucht, sind Angst vor einer »terroristischen« Bedrohung und eine kriegsbegeisterte Bevölkerung, der er militärische Erfolge verkaufen kann. Seit der Angriff auf die nordsyrische Kurdenenklave Afrin rollt, zeigen türkische Fernsehsender Panzer und marschierende Truppen in Dauerschleife. In den 90.000 Moscheen des Landes wird für den Sieg über die Kurden gebetet. Die Kriegshysterie überlagert die innenpolitischen Probleme wie die rasende Inflation und die zunehmende Armut.

Von der parlamentarischen Opposition haben sich – in der Frage des Kriegseinsatzes – alle Parteien bis auf die linke »Partei der Völker« (HDP) auf die Seite der Regierung geschlagen. Die rechtsradikale MHP, die sich erst kürzlich zum Bündnis mit der AKP für die Wahlen 2019 bereit erklärt hat, ebenso wie die neu gegründete Iyi Parti der Hardlinerin Meral Aksener und die kemalistische CHP haben bereitwillig das Narrativ der Regierung übernommen, in Afrin gehe es darum, »kurdische Terroristen« zu stoppen. CHP-Sprecher Bülent Tezcan erklärte pathetisch: »Möge Gott unserem Volk und unseren Soldaten helfen. Wir hoffen, dass die Operation Olivenzweig ihr Ziel in kurzer Zeit erreicht und unsere Mehmetçik (Kosenamen für Soldaten) unversehrt zurückkehren«. Dabei waren Politiker der CHP im vergangenen Jahr selbst verstärkt in den Fokus der staatlichen Repression geraten. So wurde der stellvertretende CHP-Vorsitzende, Enis Berberoğlu, im Sommer 2017 wegen angeblicher »terroristischer« Aktivitäten zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Um öffentlichen Aktionen gegen den Krieg zu unterbinden, wurde die Parteizentrale der HDP von Sicherheitskräften umstellt. Die dennoch in Istanbul, Ankara und Diyarbakır abgehaltenen Demonstrationen wurden von der Polizei gewaltsam auseinandergetrieben. Während über die monopolisierte Medienlandschaft und auf Linie gebrachte Institutionen eine nationalistische Hysterie erzeugt wird, kommt es gleichzeitig zu Festnahmen und Repressionen gegen jene, die sich öffentlich für den Frieden aussprechen. Dazu gehört eine Reihe von Journalisten, die sich kritisch zum Afrin-Krieg äußerten, darunter Reporter, die für das deutsch-türkische Portal der »tageszeitung« (»taz.gazete«) schreiben. Die Repression nach Außen und im Innern wirken zusammen. Umso ungeheuerlicher ist das Wegducken der Staaten der Europäischen Union.


[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: Türkische Militärinvasion in Nordsyrien. Erdoğans Krieg gegen die Kurden, Sozialismus aktuell.de, 8. September 2016.
[2] Die Türkei hatte in den 1990er Jahren rund 400 Panzer vom Typ Leopard 1 und im Jahr 2009 noch einmal rund 350 Fahrzeuge vom Typ Leopard 2 aus Deutschland bekommen.
[3] Anja Flach/Ercan Ayboğa/Michael Knapp: Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo, Hamburg 2016.
[4] Das von der Türkei gewünschte »Upgrade« dieser Panzer durch die Düsseldorfer Rüstungsschmiede Rheinmetall wird es vorerst nicht geben. Die Bilder türkischer Leopard-Panzer aus deutscher Produktion beim Einmarsch in den Kanton Afrin und die öffentliche Kritik an den Nachrüstungsplänen und Rüstungsexporten haben die Bundesregierung in Bedrängnis gebracht. Die geschäftsführende Bundesregierung hat erklärt, entsprechende Prüfaufträge auf Eis zu legen, bis eine neue Bundesregierung im Amt ist.
[5] Bernhard Klaus: Afrin: Entfesselte Geopolitik, IMI-Standpunkt 2018/003.

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