14. Oktober 2024 Redaktion Sozialismus.de: SPD-Strategiepapier will Investitionen und auskömmliche Einkommen
Orientierung auf den linken Markenkern
Auf ihrer zweitägigen Klausurtagung hat die SPD-Parteiführung die Weichen für den Bundestagswahlkampf gestellt. Mit dem Strategiepapier »Wir kämpfen für Deutschlands Zukunft: Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, Beschäftigte entlasten« signalisiert die Partei eine Besinnung auf ihren Markenkern.
Die SPD stellt sich auf einen Wahlkampf ein, der von einer sich verschlechternden Wirtschaftslage geprägt sein wird. Schärfster Gegner ist die »Merz-CDU«. Der wirtschaftspolitische Ansatz der bürgerlichen Parteien lautet: »Mehr Kapitalismus wagen.« Die Unionsparteien schlagen die bekannten und mehrfach gescheiterten Konzeptionen vor: »Lohnzurückhaltung, Sozialabbau, Rentenkürzungen, die Einschränkung des Streikrechts, die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur« sowie »die Streichung öffentlicher Investitionen«. Diese Vorschläge sind für die SPD der falsche Weg, um Deutschland aus der Krise zu holen.
Deutschland befinde sich – so die Sozialdemokraten in ihrem Strategiepapier – in einer »historischen Umbruchphase«. Es gehe um die sozialverträgliche Bekämpfung der Wirtschaftsflaute. Die Parteiführung setzt sich für ein Investitionsprogramm, die Erhöhung des Mindestlohns sowie eine langfristige Sicherung der Altersrenten und eine Steuerreform ein, die 95% der Beschäftigten entlasten soll. Gerade in Zeiten, in denen Arbeitsplätze abgebaut und Standorte in Frage gestellt würden, stehe die SPD an der Seite der Beschäftigten: »Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz.«
Die Partei will sich darauf konzentrieren, wie die Wirtschaftsflaute so gestoppt werden kann, dass möglichst viele davon profitieren. »Ein neuer Aufschwung für Deutschland muss allen dienen und nicht nur wenigen. Um diese Richtungsentscheidung wird es auch bei der Bundestagswahl 2025 gehen«, heißt es in dem Papier, in dem sich die SPD auf ihren Markenkern als Arbeitnehmerpartei besinnt.
Dies ist offensichtlich als Herausforderung bei der Union angekommen, die prompt im Gegenzug den Sozialdemokraten vorschlägt, sich an der Agenda 2010 ihres früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder ein Beispiel zu nehmen und dem Vorschlag von Friedrich Merz für eine Agenda 20230 zu folgen. Stattdessen vergreife sich die SPD wieder am Mindestlohn, da dieser Sache der Tarifparteien sei. Auch die Forderung nach einer Lockerung der Schuldenbremse wird kritisiert: »Einfallsloser geht es nicht!«
Die Merz-Söder-Opposition forderte die Regierung auf, mit einer Entlastung von Bürger*innen und Unternehmen nicht bis zur Bundestagswahl zu warten. »Deutschland kann sich ein weiteres Jahr Stillstand, der von der Ampel mitverursacht wurde, einfach nicht leisten.« Die SPD solle endlich regieren, anstatt vorzeitig in den Wahlkampf einzusteigen.
Demgegenüber hatte der SPD-Vorstand in seinem Papier geschrieben: »Wer die Beschäftigten in Deutschland als faul beschimpft und ihnen gute Löhne und sichere Renten verweigert, der hat den Respekt für die wahren Leistungsträger verloren, die unser Land mit ihrer harten Arbeit jeden Tag am Laufen halten […] Dazu gehören auch die vielen Millionen Beschäftigten mit Migrationsgeschichte und ihre Familien, die jeden Tag erleben müssen, von CDU und CSU als ›Problem‹ bezeichnet zu werden.«
Mit dem am Wochenende auf der Klausurtagung des Parteivorstands beschlossenen Strategiepapier stellt die SPD erste Weichen für den Bundestagswahlkampf 2025, dessen Kernpunkte folgende zentrale Forderungen sind:
- Grundlegende Einkommenssteuerreform: Die SPD will damit 95% der Steuerzahler*innen entlasten. Dafür aufkommen soll u.a. das eine Prozent an der Spitze der Einkommensskala und damit »etwas stärker in die Verantwortung« genommen werden. Nach Angaben von Parteichefin Saskia Esken geht es um Einkommen ab 15.000 Euro im Monat.
- Investitionen in Deutschland will die Partei nicht über eine Senkung der Unternehmenssteuern fördern, weil das »zu wenig zielgenau« sei. Stattdessen will sie »umfassende Superabschreibungen und Steuerprämien für Unternehmen an Investitionen in Zukunftsbranchen und gute Arbeitsplätze am Standort Deutschland knüpfen.«
- Ein besonderes Augenmerk wirft die SPD auf die schwer angeschlagene deutsche Autoindustrie, bei der Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Es brauche kurzfristig mehr bezahlbare Modelle, damit die Automobilwirtschaft in Schwung komme und Deutschland auf dem Weltmarkt konkurrieren könne. Um den Verkauf von E-Autos zu fördern, soll eine Kaufprämie geprüft werden. Offen ist allerdings, ob diese Subvention zur Produktion billigerer Modelle anregt. Darüber hinaus soll die Industrie von niedrigeren Netzentgelten profitieren. Außerdem will die SPD eine E-Auto-Quote für Leasinganbieter einführen und elektrische Dienst- und Betriebswagen steuerlich fördern.
- Um mehr Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder eine klimaneutrale und digitale Wirtschaft zu ermöglichen, strebt die SPD eine »zielführende Reform der Schuldenregeln« an.
- Die SPD erwartet, dass Mindestlohn »schrittweise und zügig« auf 15 Euro steigt.
- Die Partei besteht erneut auf einer Verabschiedung des zweiten Rentenpakets noch in diesem Jahr, die derzeit von der FDP-Fraktion aufgehalten wird. »Es gibt keinen Grund mehr, den parlamentarischen Beschluss im Bundestag zu verzögern oder zu blockieren.«
- Die hohen Strompreise sollen stärker abgefedert werden. Der SPD-Vorstand unterstützt die Ausweitung der Strompreiskompensation insbesondere auf die Chemie- und Glasindustrie und zusätzliche Instrumente zur Senkung der Netzentgelte.
Mit all diesen Maßnahmen, deren Gegenfinanzierung durch eine Anhebung der Reichenbesteuerung erfolgen soll, wollen die Sozialdemokraten die chronische Wirtschaftsflaute überwinden und die Energieinfrastruktur, die Digitalwirtschaft und die Bildungsbereiche ausbauen. Zusätzlich soll ein »Deutschland-Fonds« privates und öffentliches Kapital für Zukunftsinvestitionen bündeln. Die SPD erhofft sich davon, dass Deutschland nach zwei Jahren ohne Wachstum einen »neuen Aufschwung« schafft, von dem »alle« profitieren würden.
Die Wirtschaftspolitik der CDU unter ihrem Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Merz wird an mehreren Stellen des Papiers scharf kritisiert. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil machte klar, dass die SPD den Wahlkampf auf das Duell zwischen Scholz und Merz zuspitzen will. »Die entscheidende Frage, die die Bürgerinnen und Bürger sich beim Gang zur Wahlkabine stellen sollten, ist: Wollen sie Friedrich Merz oder Olaf Scholz als Bundeskanzler.« Man wolle die »rückwärtsgewandte Politik« der Union im Wahlkampf hart in Frage stellen.
Der Noch-Koalitionspartner FDP hat sich deutlich von dieser Konzeption einer Rückkehr zum Wirtschaftswachstum abgesetzt: Die Liberalen stünden nicht dafür bereit, dass der Staat »mit Schulden Subventionen für geplante Investitionen an die Wirtschaft zahlen« solle. Die Entlastung für die Mehrheit der Steuerzahler*innen soll vielmehr »durch eine weitere Bürgergeldreform« sowie »die Unterbindung irregulärer Einwanderung in den Sozialstaat« zustande kommen. Damit votieren sowohl die Unionsparteien als auch die Liberalen für eine Neuauflage der Agenda 2010.