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24. April 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Neue Studien über Kurzarbeit

Pandemie verschärft die soziale Spaltung und die Verteilungsauseinandersetzungen

Ullistration: Adobe Stock/Alexander Limbach

Die Corona-Epidemie und die damit verbundenen Folgen des gesellschaftlichen »Lockdowns« führen weltweit zu einem Absturz in den nationalen Wirtschaftsleistungen. Der erhoffte und teils eingeleitete Rekonstruktionsprozess wird davon abhängen, wie lange der gesundheitspolitisch notwendige »Lockdown« der Wirtschaft andauert.

Sicher ist jedoch schon jetzt, dass die Rezession die Weltwirtschaftskrise 2008/2009 noch um einiges übertreffen wird. Entscheidend für das Ausmaß der Krise wird auch sein, welche politischen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft ergriffen werden. Viele Länder haben hierzu bereits milliardenschwere Programme zur Abschwächung der Krise aufgelegt.

Logischerweise hat der Wirtschaftseinbruch auch dramatische Folgen für den Arbeitsmarkt. Im internationalen Vergleich ist unübersehbar, dass sozialstaatliche Stabilisatoren wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Regelungen im Fall von Arbeitslosigkeit etc. wichtige Bausteine zur Existenzsicherung und zugleich Potenziale zur Abfederung der Krisenauswirkungen sind. Ein herausragendes Element der Arbeitsmarktpolitik, um die Folgewirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt einzudämmen, ist die Kurzarbeit. Für die Lohnabhängigen wird der Zustand sozialen Unsicherheit durch Arbeitslosigkeit vermieden, für viele Unternehmen ist Kurzarbeit ein Mittel der Wahl, um Umsatzausfälle abzufedern und ihre Belegschaft zu halten. Die Bundesregierung hat deshalb in kürzester Zeit ein Gesetz »zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld« verabschiedet, das die Nutzungsmöglichkeiten von Kurzarbeit noch einmal deutlich erweitert. Bereits heute zeigt sich, dass die Anfragen nach Kurzarbeit bei der Bundesagentur für Arbeit »durch die Decke gehen«.

So haben nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit bis Mitte April 725.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Gemäß einer Befragung der Hans-Böckler-Stiftung von 7.677 Lohnabhängigen zwischen dem 3. und 14. April[1] sind 14% Befragten momentan in Kurzarbeit. Rechnet man diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hoch, entspräche dies ca. vier Mio. Beschäftigter, die momentan in Kurzarbeit sind.

Das Instrument der Kurzarbeit hat in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen. In den Wirtschaftskrisen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre überstieg die Anzahl der Kurzarbeiter*innen in Deutschland erstmals deutlich die Grenze von einer halben Million.[2] Seinen bisherigen Höhepunkt erlebte das Instrument der Kurzarbeit unmittelbar nach der deutschen Vereinigung im Jahr 1991, in dem fast 1,8 Mio. Beschäftigte (davon der allergrößte Teil in Ostdeutschland) Kurzarbeitergeld erhielten. »In den letzten beiden Jahrzehnten schwankte die Zahl der Kurzarbeiter*innen in normalen Wirtschaftsjahren zwischen 100.000 und 200.000. Eine große Aufmerksamkeit erfuhr das Instrument der Kurzarbeit zuletzt in der Krise 2008/2009, in der zeitweilig wieder deutlich mehr als eine Million Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen waren. Die Kurzarbeit gilt seither international als wesentlicher Grund für das ›deutsche Beschäftigungswunder‹, demzufolge die Krise 2008/2009 trotz eines massiven Einbruchs der Wirtschaftsleistung weitgehend ohne größere Beschäftigungsverluste gemeistert werden konnte.«[3]

Anders als in der Krise 2008/2009 sind es diesmal aber nicht nur vorwiegend Industriebetriebe, die Kurzarbeit anmelden. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts haben mittlerweile die Hälfte der deutschen Unternehmen Kurzarbeit beantragt. Zudem wollten 18% Arbeitsplätze abbauen. Die Auswirkungen auf verschiedene Branchen sind dabei unterschiedlich. Im Handel befinden sich Mitarbeiter derzeit bei 55% der Unternehmen in Kurzarbeit, in der Industrie 53%, bei den Dienstleistern 48% und auf dem Bau nur 37%. Die Unternehmen erwarten demnach im Schnitt, dass die Einschränkungen im öffentlichen Leben knapp vier Monate andauern.

Durch den weitgehenden »Shutdown« des öffentlichen Lebens sind diesmal auch viele Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor (Tourismus, Kultur, Gastronomie, Teile des Einzelhandels, Events usw.) betroffen. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen überdurchschnittlich viele Beschäftigte mit Niedriglöhnen arbeiten. Gerade für diese Lohnabhängigen mit geringen Einkommen ist deshalb die Höhe des Kurzarbeitergeldes von entscheidender Bedeutung.

In Deutschland liegt das gesetzliche Kurzarbeitergeld bei 60% (bzw. 67 % für Beschäftigte mit Kindern) des Nettoentgeltes. In einigen Branchen existieren darüber hinaus tarifvertragliche Vereinbarungen, die das Kurzarbeitergeld auf bis zu 100% aufstocken. Gerade im Niedriglohnsektor ist jedoch die Tarifbindung besonders gering, so dass nur eine Minderheit der Beschäftigten von entsprechenden Regelungen profitieren kann. Ohne eine allgemeine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes werden deshalb viele Beschäftigte in Kurzarbeit ergänzende Leistungen nach Hartz IV beantragen müssen. Dabei zeigen die aktuellen Krisenregelungen in vielen europäischen Ländern, dass ein deutlich höheres Kurzarbeitergeld von 80 und mehr Prozent durchaus sinnvoll und möglich ist.


Verschärfung bestehender Ungleichheiten am Arbeitsmarkt

Die schon zitierte Befragung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wie unterschiedlich Beschäftigte in beruflich und wirtschaftlich schwierigen Situationen abgesichert sind oder auf unterstützende Regeln vertrauen können. Das gilt beispielsweise bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes oder der Organisation von mobiler Arbeit und Homeoffice. Durch die Pandemie drohen sich bestehende Ungleichheiten am deutschen Arbeitsmarkt zu verschärfen – etwa zwischen höher und niedriger bezahlten Beschäftigtengruppen, aber auch zwischen den Geschlechtern.

Generell sind Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen, in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat sowie Frauen derzeit überproportional belastet. »Die Corona-Krise verstärkt die soziale Ungleichheit im Land weiter – das spüren auch die Menschen. Nach milliardenschweren Rettungsschirmen für die Wirtschaft müssen wir nun entschieden gegen die Spaltung der Gesellschaft angehen. Wir brauchen ein klares Signal an die Menschen, dass auch sie jetzt über diese schwierige Zeit gebracht werden und nicht in der Sozialhilfe landen. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit all jener Menschen, die in diesen schwierigen Zeiten unser Land am Laufen halten, angemessen gewürdigt wird und sie anständige Arbeitsbedingungen haben. Das geht am besten mit Tarifverträgen«, sagt Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung.


Kurzarbeitergeld: Mit Tarifvertrag mehr als doppelt so oft Aufstockung

14% der befragten Lohnabhängigen gaben an, momentan in Kurzarbeit zu sein. Beschäftigte in niedrigeren Einkommensgruppen sind häufiger in Kurzarbeit als Arbeitnehmer*innen mit höherem Einkommen. Von den Befragten in Kurzarbeit erklärt rund ein Drittel (32%), dass ihr Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocke, gut die Hälfte (52%) berichtet hingegen, es gebe in ihrem Betrieb keine Aufstockung, der Rest konnte das (noch) nicht sagen. Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, erhalten nach der Umfrage mehr als doppelt so häufig (45%) eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes wie Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (19%).

Große Unterschiede gibt es ebenfalls nach Einkommensgruppen und Geschlecht: Befragte, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro verfügen, arbeiten nur knapp halb so oft in Betrieben, die Aufstockung anbieten, wie Personen, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von über 4.500 Euro verdienen (21% vs. 39%). Frauen und Männer sind zwar ungefähr im gleichen Maße von Kurzarbeit betroffen, doch bei Frauen wird das Kurzarbeitergeld etwas seltener aufgestockt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass in tarifgebundenen Unternehmen generell besser bezahlt wird und dass Frauen häufiger in kleineren Dienstleistungsbetrieben ohne Tarifvertrag arbeiten.


Viele kommen mit Kurzarbeitergeld maximal drei Monate über die Runden

Von den Befragten, die in Kurzarbeit sind und keine Aufstockung erhalten, geben 40% an, in dieser Situation maximal drei Monate finanziell durchhalten zu können. Auch viele Beschäftigte, die derzeit ihre Arbeitszeit noch nicht reduzieren mussten, sind skeptisch, mit dem zum Zeitpunkt der Befragung zu erwartenden gesetzlichen Kurzarbeitergeld (60 bzw. 67%) auskommen zu können: Insgesamt geben etwa 32% aller Befragten (unabhängig von der aktuellen Arbeitssituation) an, bei Kurzarbeit Null mit Kurzarbeitergeld ohne Aufstockung höchstens drei Monate auskommen zu können. Weitere 20% schätzen, höchstens zwischen drei und sechs Monaten auskommen zu können.

»Analog zur stärkeren Betroffenheit durch Kurzarbeit geben Befragte mit geringerem Einkommen deutlich häufiger an, dass sich die Krise bereits negativ auf das Haushaltseinkommen ausgewirkt hat. Zudem glauben sie auch seltener, dass die Krise keinerlei Auswirkungen auf ihr Einkommen haben wird. Das sagen 36 Prozent in der unteren Einkommensgruppe gegenüber 58 Prozent in der obersten. Allerdings geben in allen Einkommensgruppen Personen seltener an, Einkommenseinbußen zu erleben oder dies zu befürchten, wenn ihr Arbeitsverhältnis einem Tarifvertrag unterliegt. Das gilt sowohl für das eigene Einkommen als auch für das für das Haushalteinkommen.«[4]


Traditionelle Arbeitsteilung bei Paaren wird forciert

Während männliche und weibliche Beschäftigte ähnlich oft von Kurzarbeit betroffen sind, haben spürbar mehr Frauen (24%) als Männer (16%) die Arbeitszeit auf anderem Wege reduziert. Sie sind deutlich häufiger freigestellt und befinden sich geringfügig häufiger im krisenbedingten Urlaub. Leben Kinder im Haushalt, übernehmen ganz überwiegend Frauen den größten Teil der nach Kita- oder Schulschließungen anfallenden Betreuungsarbeit. Dabei setzen sich in vielen Familien schon vorher bestehende Muster der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fort, allerdings zugespitzt. Und auch von den Elternpaaren, die sich die Erziehungsarbeit zuvor ungefähr gleich aufgeteilt haben, tun das nur noch rund 62% auch während der Krise. »Bei diesen Paaren zeigt sich eine Tendenz, dass häufiger Frauen einen größeren Anteil übernehmen. Wir sehen also eine Verfestigung der Rollenmuster«, so Bettina Kohlrausch.


Kurzarbeit im europäischen Vergleich

Vor dem Hintergrund der Corona-Krise sind nun ähnlich wie Deutschland viele Länder dazu übergegangen, ihre etablierten Kurzarbeiter-Regelungen an die neue Lage anzupassen und ihre Nutzungsmöglichkeiten teilweise deutlich zu erweitern. Andere Länder haben demgegenüber neue Krisenprogramme aufgelegt, die ebenfalls darauf abzielen, einen temporären Arbeitsausfall mit zeitweiligen staatlichen Lohnersatzleistungen aufzufangen. Zu dieser zuletzt genannten Gruppe gehören viele mittel- und osteuropäische Länder aber auch Großbritannien und Irland. In Dänemark und Österreich verständigten sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierung im Rahmen tripartistischer Krisenabkommen auf neue Regelungen zur Kurzarbeit.

Sehr große Unterschiede existieren im europäischen Vergleich bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes und anderer Lohnersatzleistungen. Innerhalb Europas kann das Kurzarbeitergeld zwischen 60% und 100% des vormaligen Entgeltes variieren. Vor allem in den nordischen Ländern wie z. B. Dänemark oder Schweden, aber auch in den Niederlanden oder Irland wird den Beschäftigten ein Kurzarbeitergeld von bis zu 100% gezahlt. Deutschland bildet hingegen mit einem Kurzarbeitergeld von lediglich 60% bzw. 67% gegenüber den untersuchten europäischen Ländern das absolute Schlusslicht.

Ein wesentlicher Unterschied bei den nationalen Regelungen zum Kurzarbeitergeld besteht darin, ob sich die Lohnersatzleistungen auf das Brutto- oder Nettoentgelt beziehen. In den meisten Ländern wird dabei das Bruttoentgelt zugrunde gelegt, so dass sich netto sogar noch eine deutlich höhere Lohnkompensation ergeben kann. »So liegt z. B. in Frankreich das Kurzarbeitergeld bei 70% des Bruttoentgeltes. Da das Kurzarbeitergeld jedoch steuerfrei ist, entspricht dies 84% des Nettoentgeltes. In einigen Ländern wie z.B. Frankreich, Litauen, Polen, Portugal und Rumänien existiert auch eine absolute Untergrenze für das Kurzarbeitergeld, die durch den gesetzlichen Mindestlohn fixiert wird. Eine solche Regelung soll vor allem Beschäftigten im Niedriglohnsektor während der Kurzarbeit ein bestimmtes Mindesteinkommen sichern. In Österreich wird hingegen den Niedriglohnbezieher*innen generell ein anteilmäßig höheres Kurzarbeitergeld.«[5]


Kündigungsschutz während der Kurzarbeit

In einigen Ländern ist der Bezug von Kurzarbeitergeld mit einem Kündigungsschutz für die betroffenen Beschäftigten verbunden, um die Gefahr des Missbrauchs zu vermindern, z.B. in Dänemark, Irland, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Österreich und Spanien. In Österreich und Frankreich besteht der Kündigungsschutz über den Zeitraum des Bezugs des Kurzarbeitergeldes hinaus. In Österreich ist die zusätzliche Länge des Kündigungsschutzes gestaffelt nach der Länge des Leistungsbezuges. In Frankreich beträgt der Kündigungsschutz die doppelte Länge der Dauer des Kurzarbeitergeldbezuges. In Deutschland sind hingegen nach dem Gesetz auch während der Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen möglich.

Die gesetzlichen Regelungen in Deutschland insbesondere hinsichtlich der Reichweite, Höhe und zusätzlichen Regelungen wie dem Kündigungsschutz bleiben also weit hinter der Praxis in anderen Ländern zurück. In vielen Fällen wird in Deutschland erst über von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden verhandelte Tarifverträge ein den anderen Ländern vergleichbares Niveau der Regelungen erreicht. Bei einer weiterhin sinkenden Tarifbindung in Deutschland wird es jedoch immer unwahrscheinlicher, dass tarifvertragliche Regelungen einen flächendeckenden Schutz für Beschäftigung und Einkommen der Arbeitnehmer*innen in ökonomischen Krisensituationen bieten.


Gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes notwendig

In der Corona-Krise zeigt sich einmal mehr, dass für Beschäftigte, die in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten und über einen durchsetzungsfähigen Betriebsrat verfügen, in der Regel auch deutlich bessere Arbeitsbedingungen gelten. Dies gilt gerade auch für das Kurzarbeitergeld, das heute in vielen tarifvertraglichen und betrieblichen Vereinbarungen aufgestockt wird.

Allerdings haben die mehr als zwei Jahrzehnte andauernde Erosion der Tarifbindung und die rückläufige Verbreitung von Betriebsräten in Deutschland dazu geführt, dass heute nur eine Minderheit der Beschäftigten von einem erhöhten Kurzarbeitergeld profitieren kann, während für die Mehrzahl nur die gesetzliche Regelung gilt. »Besonders problematisch ist dies für die Millionen von Niedriglohnempfänger*innen in Deutschland, von denen nur noch eine Minderheit tarifgebunden ist. Im Jahr 2018 lag die Tarifbindung bei Beschäftigten, die lediglich bis 1.531 EUR im Monat verdienten (was bei einer 40-Stunden-Woche dem gesetzlichen Mindestlohn entsprach) bei weniger als einem Drittel. Bei Beschäftigten mit einem Monatsentgelt zwischen 1.532 und 2.000 EUR arbeiteten lediglich 40% in tarifgebundenen Unternehmen und erst ab einem Monatseinkommen vom mehr als 2.000 Euro war etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten tarifgebunden.«[6]

Im Unterschied zur Krise 2008/2009 werden in der Corona-Krise nicht nur vergleichsweise gut verdienende Industriearbeitnehmer*innen mit vielfach guten Tarifvertragsregelungen von der Kurzarbeit betroffen sein, sondern gerade auch viele Beschäftigte in privaten Dienstleistungsberufen mit eher geringeren Löhnen und oft fehlender tarifvertraglicher Absicherung. »Viele Beschäftigte werden bei Kurzarbeit mit einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent gezwungen sein, ergänzende Sozialleistungen zu beantragen. Soll eine erhebliche Zunahme von Hartz IV-Aufstockern im Zuge der Corona-Krise vermieden werden, so geht an einer Erhöhung des Kurzarbeitergeldes kein Weg vorbei.«[7]

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, das die schwarz-rote Bundesregierung nun eine bis zum Jahresende befristete Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 80% und für Eltern auf bis zu 87% beschlossen hat. Allerdings wird diese Erhöhung nur gestaffelt gewährt. Demnach werden ab dem vierten Monat des Kurzarbeitergeldbezugs 70% oder 77%, ab dem siebten Monat 80% oder 87% des Lohnausfalls gezahlt. Derzeit zahlt die Bundesagentur für Arbeit mit dem Kurzarbeitergeld 60% und für Eltern 67% des Lohnausfalls. Für die jetzt von Kurzarbeit betroffenen Lohnabhängigen vor allem im großen Niedriglohnbereich bringt diese neue Regelung keinerlei Verbesserung.

Zudem dürfen Arbeitnehmer in Kurzarbeit vom 1. Mai bis zum Jahresende mehr dazu verdienen. Auch beim Arbeitslosengeld wurde nachgebessert. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I soll verlängert werden – und zwar um drei Monate und für diejenigen, deren Anspruch zwischen dem 1. Mai und 31. Dezember 2020 enden würde.

»Es ist gut, dass die Aufstockung für alle von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt, sofern die Arbeitszeit um mindestens 50% reduziert wird. Damit werden die Einkommensverluste der Beschäftigten in dieser schwierigen Zeit deutlich besser abgefedert. … Ein Wermutstropfen ist für den DGB, dass die Erhöhung nicht bereits ab Mai erfolgt. Daher bleiben die Arbeitgeber weiterhin gefordert, ihren Beschäftigten – wie in vielen Tarifverträgen geregelt – einen Aufschlag auf mindestens 80 Prozent zu gewähren. Das ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich vernünftig, denn es wird wesentlich zur Stabilisierung der Nachfrage beitragen.«

Richtig sei auch, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um drei Monate verlängert wird, so der DGB-Vorsitzende. »Weiterhin brauchen wir dringend eine Lösung für Beschäftigte, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung unter Verdienstausfällen leiden.«

Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses für weitere Hilfen in der Corona-Krise kritisiert dagegen der Paritätische Wohlfahrtsverband als armutspolitisch enttäuschend. So richtig und wichtig die beschlossenen Nachbesserungen beim Kurzarbeitergeld, die angekündigte Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Unterstützung von Schulen und bedürftigen Schüler*innen seien, so empörend sei es, dass erneut keine zusätzlichen Leistungen für die große Gruppe armer Menschen vorgesehen seien. Diese seien durch die deutlichen Preissteigerungen für Lebensmittel, durch weggefallene Unterstützungsangebote und Mehrausgaben für Hygiene- und Gesundheitsbedarfe massiv belastet. Der Verband unterstreicht seine Forderung nach einem Notprogramm für Menschen in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung.

Die sozialstaatlichen Stabilisatoren wie Arbeitslosengeld, Kurzarbeit und Grundsicherung sind erkämpfte Errungenschaften, mit denen eine einseitige Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten vermindert werden kann. Die Corona-Krise macht deutlich, dass all diese Regelungen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden müssten. Außerdem stehen Kritiker bereit, die mit Verweis auf die beträchtlichen gesellschaftlichen Kosten eine Kürzung oder Reduktion auf den Weg bringen wollen.

Bislang konnte die Bundesanstalt für Arbeit mit Verweis auf die großen Rücklagen diese Versuche eines sozialpolitischen Rückbaus abweisen. Aber im weiteren Verlauf der Krise wird diese Auseinandersetzung an Gewicht gewinnen. Sollte die Corona-Krise die Zahl der Kurzarbeiter*innen dieses Jahr in der Spitze auf acht Mio. und im Jahresdurchschnitt auf 2,6 Mio. steigen lassen, würde die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit (BA) von knapp 26 Mrd. Euro nicht ausreichen. Der Bund müsste der Behörde schon in diesem Jahr ein Darlehen von vier Mrd. Euro zur Verfügung stellen.

Zugleich sind die Bundesfinanzen sowie die öffentlichen Finanzen insgesamt durch die Krisenfolgen und deren Bekämpfung erheblich in die roten Zahlen gedrückt. Für die Auszahlung des künftig erhöhten Kurzarbeitergeldes sei in der Bundesagentur für Arbeit »noch ein richtig großer Topf« vorhanden, sagte Bundesfinanzminister Scholz. Auch ohne Rücklagen könnten soziale Härten abgefedert werden. Aber bei längerem Verlauf der Krise wird die Verteilung der knappen Ressourcen sowie die Refinanzierung der gesamten Aufwendungen zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung führen.

Anmerkungen

[1] Hans-Böckler-Stiftung, Pressedienst 21.4.2020, Neue Umfrage: Corona-Krise: 14 Prozent in Kurzarbeit – 40 Prozent können finanziell maximal drei Monate durchhalten – Pandemie vergrößert Ungleichheiten; https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-23098.htm
[2] Die folgende Darstellung stützt sich auf: Torsten Müller/Torsten Schulten, Kurzarbeitergeld in der Corona-Krise. Aktuelle Regelungen in Deutschland und Europa, Policy Brief WSI Nr. 38, 04/2020. Daraus stammen auch die Abbildungen.
[3] Ebd. S. 3f.
[4] Hans-Böckler-Stiftung, a.a.O.
[5] Müller/Schulten a.a.O., S. 8
[6] Ebd., S. 14
[7] Ebd., S. 14f.

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