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Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
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1. Juli 2018 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Der AfD-Parteitag in Augsburg

Partei des national-sozialistischen Patriotismus?

Foto: dpa

Die Radikalisierung der AfD nach rechts ist ungebrochen.[1] Dieser Kurs in Richtung einer völkisch-nationalen Programmatik ist nicht nur der Dynamik von Mandats- und Funktionsträgern geschuldet, sondern erfreut sich der Zustimmung einer wachsenden Wählergruppierung. Die Partei liegt in Umfragen bei ca. 14% Zustimmung.

Gegründet vor fünf Jahren macht sich diese Formation der modernen Rechten daran, nicht nur in einigen ostdeutschen Bundesländern die Sozialdemokratie zu überflügeln. Die AfD hat trotz massiver parteiinterner Flügelkämpfe, Abspaltungen (die Wirtschaftsliberalen Lucke, Starbatty u.a., die nationalkonservativen der blauen Wende um Frauke Petry) und Turbulenzen ihre Position im politischen und Parteiensystem der Bundesrepublik ausgebaut. Der rechtsradikale »Flügel« um Alexander Gauland und Björn Höcke hat seit der Entmachtung Frauke Petrys auf dem Kölner Parteitag vom April 2017 in Partei und Fraktionen die Oberhand.

Die Durchsetzung rechtspopulistischer, rechtsradikaler und rechtsextremer Bewegungsparteien, wie sie in der Mehrzahl der kapitalistischen Länder zu sehen ist, ist auch in Deutschland nach einer Kette von Landtagswahlen mit dem Einzug der »Alternative für Deutschland« in das nationale Parlament auf einem Höhepunkt angelangt. Für die anstehenden Landtagswahlen (2018 in Hessen und Bayern sowie 2019 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg) will die Partei ihre Macht bis zur Regierungsbeteiligung ausbauen.

Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alice Weidel, hat im Vorfeld des Parteitages in Augsburg eine Koalition mit der CSU nach der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober nicht ausgeschlossen. »Wenn ein Koalitionsvertrag unsere Inhalte abbildet, halte ich das für möglich … Das entscheidet aber die künftige Landtagsfraktion.« Eine Koalition mit der CSU sei langfristig denkbar, wenn diese sich inhaltlich noch weiterbewege und auch »Personal getauscht hat«.

Diese politische Spielerei mit einer möglichen Regierungsbeteiligung in den Bundesländern wird, wie schon zu Zeiten von Frauke Petry, von einem Großteil der Funktionsträger abgelehnt. Bei ihnen steht die Ablehnung der Systemparteien im Zentrum. Gestärkt durch die harten Konfrontationen und den wachsenden Zuspruch in den Wahlen und Umfragen wird die radikale Alternative zur Berliner Republik betont: Es gehe um einen Bruch mit dem Multikulti-Milieu, dem bisherigen Geschichtsbild sowie der gesellschaftspolitischen und geopolitischen Ausrichtung, daher dürfe man sich mit den »Altparteien« nicht gemein machen.

Die AfD kämpft für ein neues deutsches Geschichtsbild. Die Attacken von Gauland, Höcke Poggenburg u.a. auf das vorherrschende Geschichtsbild enthüllt die nationalistische Logik und die permanente Rechtsverschiebung der Partei. Die Erinnerungskultur in Deutschland gilt – wie auch die Willkommenskultur – als Grundfehler in der Konstruktion und dem Selbstverständnis der »Berliner Republik«. Gauland bei verschiedenen Auftritten: »Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität nicht mehr.«

Die AfD sieht sich für diese Etappe der Geschichte nicht in der Verantwortung, sie betrachtet den Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen und den Holocaust als Hemmschuh für die Entwicklung eines deutschen Patriotismus und Nationalismus. Der Thüringer AfD-Rechtsaußen Höcke fordert deshalb »eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad«. Und AfD-Chef Gauland hatte auf dem Bundeskongress der Jungen Alternative verkündet: »Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.«

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in einem Interview mit der FAZ vom 29.6. die Thesen von AfD-PolitikerInnen über die NS-Zeit und die deutsche Erinnerungskultur scharf zurückgewiesen. »Ich persönlich schäme mich für derartige Äußerungen. Ich schäme mich ebenso für verharmlosende Begriffe, die jüngst für die Zeit des Nationalsozialismus von deutschen Politikern verwendet wurden.« Die Verhöhnung, die darin zum Ausdruck komme, sei unerträglich. Er sei sich sicher, dass »die ganz große Mehrheit der Deutschen diesen Versuch, die Zeit des Nationalsozialismus aus unserer Geschichte auszulöschen oder zu relativieren, nicht unterstützt«.

Die Auseinandersetzung über das Geschichtsbild und damit eine wesentliche Dimension des kollektiven Gedächtnisses ist zweifellos eine wichtige Auseinandersetzung mit der modernen Rechten. Es müsste allerdings entschiedener in diese Auseinandersetzung eingegriffen werden, denn der zweite Parteichef Jörg Meuthen sieht die AfD als Teil des neuen Zeitgeists bereits auf der Gewinnerstrecke. Über die ideologischen Hauptfeinde, die AnhängerInnen des Multikulturalismus, sagte Meuthen, in geschichtsphilosophischer Gewissheit: »Die Zeit geht über sie hinweg, noch eine kurze Weile mögen sie hier mit ihren ganzen faulen Tricks die Geschicke bestimmen, aber ich sage, deren politisches Ende ist nah.«

Die Führung der AfD sieht die Kritik an rechtsradikalen Tendenzen der Partei, wie sie vom Bundespräsidenten auf den Punkt gebracht wurde, als Ausdruck des »dreisten Übermut« und »Wut des Juste Milieus«, so Gauland. Eindeutiger kann die Konfrontation nicht benannt werden, denn dieses politische Schlagwort war schon im 19. Jahrhundert ein Kampfbegriff zur Abqualifizierung der Liberalkonservativen. Die AfD kämpft gegen das »Juste Milieu«, d.h. gegen die bürgerliche Gesellschaftsschicht.

Die Kritik richtete sich früher gegen die politischen »Halbheiten« und die vorherrschenden wirtschaftsliberalen Grundsätze der Zeit, versinnbildlicht im Motto des »Enrichissez-vous« (»Bereichert Euch«). Der Schriftsteller und Journalist sowie einer der Stimmführer der »jungdeutschen Bewegung«, Karl Gutzkow (1811-1878), bezeichnete das Juste Milieu als »Glaubensbekenntniß [von Börsenmännern], das es mit Niemanden verderben will, und das überall unterliegen muß, wo es Doktrin ist.«

Ganz im Sinne der Systemopposition von Rechts markiert die Kampfansage gegen das »Juste Milieu« die Zwischenetappe gegen gesellschaftliche und politische Kompromisse in der demokratischen Gesellschaft. In seiner Grundsatzrede in Augsburg sagte Gauland in diesem Sinne: Er fühle sich derzeit »immer wieder an die letzten Monate der DDR erinnert«. Wieder verkomme ein Land, »weil seine Führung verbohrt einer zerstörerischen Ideologie folgt. Wie damals besteht das Regime aus einer kleinen Gruppe von Parteifunktionären, einer Art Politbüro, und wieder steht ein ›breites gesellschaftliches Bündnis‹ aus Blockparteifunktionären, Journalisten, TV-Moderatoren, Kirchenfunktionären, Künstlern, Lehrern, Professoren, Kabarettisten und anderen Engagierten hinter der Staatsführung und bekämpft die Opposition.«

Gauland beschrieb, wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland angeblich in die Isolation geführt habe: »Deutschland ist derzeit mit den Russen wegen Putin verfeindet, mit den Amerikanern wegen Trump.« Dann kam, was man in der AfD unter einer gelungenen Pointe versteht: »Meine Damen und Herren, liebe Freunde, der letzte deutsche Regierungschef, der eine solche Feindkonstellation gegen sich aufgebracht hat…« Begeisterter Applaus im Saal.

Die weitere Entwicklungsrichtung der Partei wurde mit dem Kernthema Renten für einen Sonderparteitag im Jahr 2019 beschlossen: »Wir werden uns verstärkt der ›kleinen Leute‹ annehmen und die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen!« Die Rententhematik soll die AfD in den ostdeutschen Wahlen zu stärksten politischen Kraft machen. »Das ist das Zukunftsthema der AfD«, rief Höcke, der Landesvorsitzende in Thüringen, den Delegierten zu.

Höcke zielt mit der Revision des Geschichtsbildes und einer ausgrenzenden Sozialpolitik seit Jahren auf einen Umbau der Bewegung: Ideologisch inspiriert von der Neuen Rechten (Idenditäre) möchte er aus der AfD eine nationalistische Bewegung mit antikapitalistischem, sozialen Fundament machen. Meuthen, Weidel u.a. plädieren dagegen in der Rentenfrage für eine sozial abgesicherte Eigenvorsorge.

Die AfD hat auch mehr als fünf Jahre nach ihrer Gründung zwar kein sozialpolitisches Konzept. Auf dem Augsburger Parteitag zeichnete sich auch auf diesem Feld eine neue Frontstellung ab: Wenn es darum ging, die völkisch-nationalistische Ausrichtung zu stärken, folgte schon in der Vergangenheit die Mehrheit der Aktivisten dem rechten Flügel um Höcke. Insofern fand das sozial- und rentenpolitische Konzept aus Thüringen einen klaren Rückhalt.

Höcke will u.a. kleine Renten mit einer Zuschussrente aufstocken – eingebunden in sein Papier hat er eine nationale Komponente: einen Rentenaufschlag für gering verdienende Deutsche. »Zeigen wir, dass die AfD die Partei des solidarischen Patriotismus ist«, wirbt er am Rednerpult in Augsburg. »Verknüpfen wir Identität und Solidarität in einem symbolpolitischen Akt.« Die so verstandene »Soziale Gerechtigkeit« das passt zu den anderen nationalen Elementen in der AfD-Programmatik: Mehrwertsteuer senken, Mindestlöhne erhöhen, aber nur für Deutsche.

Der symbolische Akt ist die Bevorzugung der deutschen StaatsbürgerInnen: bei der Bezuschussung von Beiträgen oder durch Aufschläge auf die Grundrente im Alter. Die AfD bezieht schon jetzt einen Großteil der Sympathie ihrer WählerInnen aus deren Angst vor einer angeblichen Benachteiligung Deutscher im Vergleich zu Einwanderern und Flüchtlingen. Hinzu kommt die Furcht der Mittelschicht vor sozialem Abstieg.

Die »Staatsbürgerrente lehnen Meuthen und weitere führende AfD-Politiker ab. Sie wollen auf dem nächsten Parteitag ihre Option einer Eigenvorsorge im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems mehrheitsfähig machen. Meuthen forderte in seiner Rede eine Wende in der Altersvorsorge hin zu größtmöglicher Eigenverantwortung. Diese müsse einhergehen mit einer deutlich höheren Besteuerung von »Luxuskonsum«. Insbesondere Millionen von Ostdeutschen erhielten Renten im Bereich der Grundsicherung, obwohl sie jahrzehntelang eingezahlt hätten. Den Bürger*innen sollte »Schritt für Schritt eine selbstgewählte freie Form ihrer Altersvorsorge« ermöglicht werden. Wer das nicht schaffe, für den solle der Staat aus Steuermitteln aufkommen.

Eine Kompromisslinie in der Rentenfrage ist zwar denkbar: Die öffentlichen Rentenkassen sollen durch höhere Steuern, aber auch durch Verbreiterung der Einnahmebasis gestärkt werden. Auch Beamte und Selbstständige sollen einzahlen, wie der Chef der Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer in der AfD, der NRW-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt, fordert. Entscheidend für den Renteneintritt ist hier eine Lebensarbeitszeit von 45 Jahren, nicht ein bestimmtes Alter. Der Staat soll die Beiträge von Niedriglohnempfänger*innen bezuschussen.

Nicht auszuschließen ist jedoch, dass sich hier eine Grundsatzdebatte entwickelt, die wiederum das Zeug zu einer Richtungsauseinandersetzung hat: Die Nationalliberalen wie Meuthen und Weidel fordern als Basis eine durch niedrige Beiträge finanzierte Grundrente, ergänzt durch eine private Zwangs-Zusatzversorgung sowie eine freiwillig privat angesparte Ergänzungsrente. Höcke kämpft für eine existenzsichernde gesetzliche Rente mit einem Bonus für deutsche Staatsbürger*innen.

Die Mehrheit in Augsburg folgte Höckes Antrag, 2019 einen Sonderparteitag zur Sozialpolitik der AfD auszurichten. Damit kann er die innerparteiliche Diskussion bis zu den drei Landtagswahlen im Jahr 2019 in Sachsen, Brandenburg und Thüringen mitbestimmen. Als Tagungsort hat Höcke Sachsen vorgeschlagen – jenes Bundesland, in dem die AfD bei der Bundestagswahl 2017 stärker abschnitt als die CDU. Hier erhielt die Partei drei Direktmandate, hier rechnet sie sich Chancen aus, den Ministerpräsidenten zu stellen – weil aktuellen Umfragen zufolge eine Regierungsbildung an der AfD vorbei unmöglich sein könnte.

[1] Vgl. Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Die moderne Rechte in der Berliner Republik, in: Sozialismus 3/2018; Die Radikalisierung der AfD – Wacht der Michel auf?, Sozialismus.deAktuell 16.2.2018. Siehe auch: Hajo Funke/Christiane Mudra, Gäriger Haufen. Die AfD: Ressentiments, Regimewechsel und völkische Radikale, Hamburg 2018.

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