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19. Oktober 2020 Otto König/Richard Detje: Griechische Neo-Nazi-Partei »Chrisi Avgi« als verbrecherische Organisation verurteilt

»Pavlos, du hast gewonnen!«

Solidaritätsaktion für den Verstorbenen Musiker Pavlos Fyssas. GUE/NGL/flickr.com CC BY-SA 2.0)

Der Prozess dauerte mehr als fünf Jahre. Jetzt hat ein dreiköpfiges Richterkollegium unter Vorsitz von Maria Lepeniotou am Athener Areopag, dem obersten Gericht Griechenlands, den Parteigründer und Holocaust-Leugner Nikolaos Michaloliakos sowie 67 weitere Angeklagte wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz schuldig gesprochen.

Die Verurteilung der Neonazi-Partei Chrisi Avgi (»Goldene Morgenröte«) als »verbrecherische Organisation« wird in die Geschichte des Landes eingehen. Das Urteil gilt als wegweisend im Kampf gegen den Rechtsextremismus in Griechenland.

»Pavlos, du hast gewonnen!«, rief die Mutter des ermordeten Rappers Pavlos Fyssas beim Verlassen des Gerichtsgebäudes zehntausenden jubelnden Bürger*innen zu. Durch die Straßen von Athen hallte der Ruf: »Pavlos lebt, vernichtet die Nazis«. Nun sei es die Aufgabe aller, »zu verhindern, dass die Schlange des Nationalsozialismus jemals wieder das politische System infizieren kann«, erklärte die linke Oppositionspartei Syriza.

Hassparolen gegen Ausländer*innen, antisemitische Tiraden, Aufmärsche mit Hitlergruß, schwarz gekleidete Schlägertrupps aus Anhängern und Mitgliedern der kriminellen Chrisi Avgi, die mit Knüppeln und Messern Jagd auf Migranten machten – lange sahen die griechische Politik und Justiz den Umtrieben der Neonazis untätig zu. Solange die Neonazis Migranten terrorisierten, schauten Polizisten weg, oft auch dann noch, wenn diese schwere Straftaten verübten. Die Justiz übte sich in Lethargie. Konservative Politiker empfahlen, das Gespräch mit den Neonazis zu suchen, und manche Athener Medien haben ihnen bereitwillig eine Bühne für ihre Auftritte gegeben.

Erst nach dem Mord an dem Musiker Pavlos Fyssas[1] trat die Staatsanwaltschaft in Aktion. Der Musiker, bekannt unter dem Namen Killah P, der in verschiedenen Formationen und Projekten in der Hip-Hop-Szene engagiert war, verfasste und sang antifaschistische Lieder und unterstützte als Gewerkschafter Mobilisierungskampagnen der Werftarbeiter. Er wurde in der Nacht vom 17. auf den 18. September 2013 in Keratsini, einem Arbeiterviertel in Piräus, von Georgios Roupakias, Mitglied des fünfköpfigen Führungsgremiums der »Goldenen Morgenröte« in der Stadt Nikaia, erstochen. Die Polizei nahm Roupakias nur deshalb fest, weil der sterbende Fyssas seinen Mörder noch identifizieren konnte. Bezeichnend ist, dass der Täter bei seiner Festnahme durch die Polizei sagte: »Ich bin einer von euch. Ich bin von der Goldenen Morgenröte«. Wegen des Mordes sprach das Gericht Giorgos Roubakias schuldig. Weitere 15 Angeklagte sind der Beihilfe schuldig.

Der Mord an Fyssas war ein Verbrechen zu viel und wirkte wie eine Initialzündung. Plötzlich fand die griechische Justiz zahlreiche Vergehen, welche der Partei und den führenden Funktionären angelastet werden konnten: den versuchten Mord an kommunistischen Gewerkschaftern und dem Gewerkschaftsvorsitzenden Sotiris Poulikogiannis im selben Monat, den versuchten Mord am ägyptischen Fischer Abouzid Embarak im Juni 2012, einem pakistanischen Immigranten in 2013 und als übergeordneter Anklagepunkt: Bildung und Organisation einer kriminellen Vereinigung.

Das Gerichtsverfahren wurde nicht nach dem Verfassungsrecht, sondern nach dem Strafgesetzbuch geführt, da ein formelles Parteiverbotsverfahren für eine im Parlament vertretene Partei in dem südosteuropäischen Staat nicht möglich ist. Die Justiz wählte daher den Umweg über die Anklage als »verbrecherische Organisation«. Die individuellen Tatvorwürfe gegen die Angeklagten umfassten Körperverletzung, Totschlag, Nötigung und illegaler Waffenbesitz.

Da sowohl Linke wie Konservative bis zuletzt befürchteten, dass der Führer der Goldenen Morgenröte und andere Köpfe der Neonazi-Organisation mitsamt ihren rechtsextremen Stoßtrupps am Ende freigesprochen werden könnten, erschien in der Tageszeitung Efimerida ton Syntakton unter der Überschrift »Die Mauer der Demokratie« ein gemeinsamer Beitrag des aktuellen Premierministers Kyriakos Mitsotakis (Nea Dimokratia) und seiner Amtsvorgänger Alexis Tsipras (Syriza) und Antonis Samaras (ND) sowie als Mitautoren die Vorsitzenden der anderen demokratischen Parteien Griechenlands. Der Text richtete sich gegen Chrisi Avgi und deren Nazi-Ideologie.

Die Staatsanwältin hatte in ihrem Vorschlag für das Urteil Ende 2019 noch erklärt, es liege kein ausreichender Beweis für die Bildung und Mobilisierung einer verbrecherischen Organisation vor. Die Richter haben nun klargestellt, dass nicht nur ein Einzeltäter verurteilt wird. Das Gericht hat nahezu alle der insgesamt 68 Angeklagten wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz schuldig gesprochen.[2]

Die in den 1980er Jahren gegründete Partei hatte im Zusammenhang mit der schweren Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2010 an Einfluss gewonnen und zog im Juni 2012 mit 6,92% der Stimmen und mit 18 Sitzen ins griechische Parlament ein. Ihr Gründer und Generalsekretär Nikolaos Michaloliakos machte seine politische Karriere zunächst als Chef der Jugendorganisation und später als Funktionär der politischen Partei des zu lebenslanger Haft verurteilten Georgios Papadopoulos, Anführer des Obristen-Putsches vom 21. April 1967. Michaloliakos war an der blutigen Niederschlagung des Studentenaufstands gegen die Diktatur am 17. November 1973 beteiligt. Damals war er als Anführer der Jugendtrupps der Partei »4. August« des Hitler- und Mussolini-Verehrers Konstantinos Plevris dabei.[3]

Die Staatspleite in Griechenland ermöglichte es den Rechtsextremisten, die Zeit der Diktatur zu verklären und mit Verschwörungstheorien die demokratischen Parteien als »Grundübel« zu diffamieren. Die Goldene Morgenröte profitierte von der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Die von der Troika dem griechischen Volk aufoktroyierte Austeritätspolitik hatte seit 2010 massiv in das Sozialgefüge des Landes eingeschnitten. Zentrale Angriffspunkte waren und sind Entlassungen, Privatisierungen, die umfassende Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, rabiate Lohnkürzungen und tiefe Eingriffe ins Pensionssystem. Per Gesetz wurde das Branchenkollektivvertragssystem de facto ausgehebelt, die Nachwirkzeit von Kollektivverträgen eingeschränkt sowie der gesetzliche Mindestlohn um 22% auf 548 Euro netto (für Arbeitnehmer*innen unter 25 Jahre auf 490 Euro) gekürzt. Nicht zuletzt der wachsende Migrationsdruck war Wasser auf die Mühlen der rechtsextremen Partei. Der Rassismus ist zwar nicht erst in der Krise entstanden, wurde aber von ihr verschärft.

Bei den Europawahlen im Mai 2014 erreichte die Goldene Morgenröte 9,4% und bei den Parlamentswahlen im Januar 2015 6,3% der Stimmen, und das in einer Phase, als gegen die Partei bereits das Verfahren anhängig war und sich deren gesamte Führung in Untersuchungshaft befand. Bei den Wahlen im Juli 2019 scheiterte sie knapp an der Dreiprozenthürde und verlor alle Mandate. Sie ist nur noch in Stadträten, in regionalen Parlamenten und im Europaparlament vertreten. In einer Umfrage von Mitte September kam die Partei auf einen Stimmenanteil von 1,8%.

Die Entscheidung des Gerichts zeigt, wie der Rechtsstaat Feinden und Zerstörern der Demokratie entgegentreten muss. Die Entscheidung des Gerichts ist gerade deshalb mutig, weil es auf die Isolierung und Verurteilung des Rechtsextremismus zielt. In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, die deutsche Schwesterpartei NPD wegen fehlender »Wirkkraft« nicht zu verbieten, obwohl sie demokratiefeindlich, rassistisch, antisemitisch und nationalistisch ist und ihr »Volksbegriff« den Achtungsanspruch all derjenigen negiere, die nicht zur ethnisch definierten Gemeinschaft gehören.

Es ist davon auszugehen, dass auch nach dem Urteil der Rechtsextremismus weiterhin präsent sein wird. Magda Fyssas, die fünfeinhalb Jahre auf dieses Urteil gewartet hat, sagte deshalb zurecht zu den Demonstranten: »Ein guter Weg wird für uns geöffnet, aber der Faschismus wird auf diese Weise nicht besiegt. Es ist ein Kampf nötig. Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber es liegt an Euch. Pavlos hat uns den Weg geebnet. Aber noch ist nichts vorbei.«

 

[1] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: »Und was wollt ihr jetzt machen? Uns umbringen?« Chrysi Avgi und der Rechtspopulismus in Europa, Sozialismus Aktuell 27.10.2013.
[2] Die Athener Staatsanwaltschaft hat gegen Giorgos Roupakias, der den Musiker Pavlos Fyssas ermordet hat, lebenslänglich beantragt. Dem Gründer der »Goldenen Morgenröte« Nikos Michaloliakos drohen wie fünf führenden Mitgliedern der Partei 13 Jahre Freiheitsentzug. Unter den insgesamt 68 Angeklagten sind elf frühere Parlamentsabgeordnete, sie müssen mit Freiheitsstrafen von fünf bis sieben Jahren rechnen. Für die Polizistin Veta Popori, eine »regionale Führerin« der Organisation, wurden sieben Jahre Gefängnis gefordert.
[3] Siehe auch: Wassilis Aswestopoulos: Das Urteil gegen die Goldene Morgenröte, Telepolis 8.10.2020.

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