Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

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160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

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ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

4. April 2023 Phil Burton-Cartledge

Perspektiven einer von Jeremy Corbyn geführten Linkspartei

Jeremy Corbyn wurde offiziell von der Kandidatur für die Labour Party ausgeschlossen.[1] Für den Labour-Vorsitzenden Keir Starmer geht es dabei nicht nur darum, den Einfluss der Linken in der Partei zurückzudrängen, sondern auch darum, dem Establishment zu zeigen, dass es sich darauf verlassen kann, dass er bei Bedarf nach links (und nach unten) treten wird. Wie geht es weiter?

John McDonnell, der fünf Jahre lang finanzpolitischer Sprecher in Corbyns Schattenkabinett war, hat zu einer parteiübergreifenden Kampagne aufgerufen, damit Corbyn seine vollen Mitgliedschaftsrechte zurückerhält, was – um es euphemistisch auszudrücken – nicht sehr erfolgversprechend ist. Der Ball liegt nun also bei Corbyn. Wird er als Unabhängiger kandidieren, obwohl Labour-Linke wie Jon Lansman und Barry Gardiner ihm davon abraten? Ja, er wird wahrscheinlich als Unabhängiger antreten. Aber was ist mit einer neuen Partei?

Was die Aussichten für neue Parteien der Linken in Großbritannien angeht, bin ich immer skeptisch gewesen. Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich die Voraussetzungen und Aussichten für eine neue linke Partei unter Führung von Corbyn diskutiert.[2] An den Voraussetzungen hat sich nichts geändert. Kein Labour-Abgeordneter wird überlaufen, keine der Labour-Partei angeschlossenen Gewerkschaften wird die Partei verlassen. Vielleicht werden einige Gewerkschaften außerhalb der Labour Party eine neue linke Partei unterstützen, wie die Bakers Food and Allied Workers Union (BFAWU)[3] und die Bahn- und Transportgewerkschaft National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), die vor einem Jahr aus dem notorisch ineffektiven linken Wahlbündnis Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC) ausgetreten war, das sie immerhin mehr als ein Jahrzehnt lang unterstützt hatte.[4]

Ein großer Hemmschuh für eine neue Partei wäre, dass Teile der randständigen Linken sich einer neuen Partei anschließen und dort gegeneinander um Einfluss ringen könnten. Man stelle sich nur vor, die beiden trotzkistischen Organisationen Socialist Party und Socialist Appeal würden sich in der Mehrzahl der Ortsverbände der neuen Partei duellieren. Schrill, aber nicht prickelnd. Und der undisziplinierte politische Mob selbstdarstellerischer Narzissten - die George Galloways, Chris Williamsons, Tommy Sheridans und die Dutzenden von Aktivisten, die »versehentlich« antisemitische Tropen und Verschwörungstheorien in ihren sozialen Medien verbreiten – wird dafür sorgen, dass eine neue linke Partei sehr schnell zu einem giftigen Sumpf wird. Und dann ist da noch das Mehrheitswahlrecht.

Dennoch: Ein Kernpotenzial ist vorhanden. Zehntausende von Linken suchen eine neue politische Heimat und würden sofort eintreten, wenn Corbyn eine neue Partei ausrufen würde. Eine Corbyn-Partei könnte auch breitere Schichten ansprechen. Sebastian Payne hat sich neulich in der Sunday Times darüber ausgelassen, dass es Starmer an großen Ideen mangele, was ihn im Vergleich zu Premierminister Rishi Sunaks angeblicher Kompetenz in Bezug auf das Nordirland-Protokoll und andere politische Ergebnisse schlecht aussehen lasse.[5]

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Labour Party von den Tories viel zu befürchten hat, und Wertungen wie die von Payne sind Teil der unerbittlichen Bemühungen der Tory-Presse, Starmer auf dem rechten Weg zu halten. Die Tories mögen eine Niederlage erleiden, aber ihre Politik darf nicht untergehen. Payne hat Recht, wenn er eine Gefahr wittert, doch die weht von links herüber. Im Moment unterstützen die meisten Wähler*innen des Spektrums links der Mitte – und bei den Wahlen 2019 waren das über zehn Millionen – Starmers Labour Party, weil sie die Tories loswerden wollen und es ansonsten keine glaubwürdige Alternative gibt. Aber was wäre, wenn es eine gäbe?

Es lohnt sich, daran zu erinnern, warum Jeremy Corbyn die Wahl zum Parteivorsitzenden und anschließend die Unterstützung von Millionen gewann. Es hatte nichts mit einem magischen Großvater-Faktor zu tun. Corbyn hat einfach gesagt, dass es eine schlechte Idee ist, öffentliche Dienstleistungen zu kürzen, weil das die Schwächsten trifft. Er sprach über die Wohnungsnot, wandte sich dagegen, öffentliche Gelder in private Taschen zu schaufeln und glaubte, um die populäre Kurzfassung zu zitieren, dass die Gesellschaft ein bisschen besser werden könne und müsse.

Millionen von Menschen reagierten darauf, nicht weil Corbyn eine messianische Figur war, sondern weil er die Hoffnungen, Sehnsüchte und Interessen ansprach, die von der etablierten Politik von rechts und links lange vernachlässigt worden waren. Es war eine Rückkehr des Verdrängten und der Unterdrückten, und seit der knappen Wahlentscheidung 2017 – der Beinahe-Todeserfahrung des Establishments – gilt es als Markenzeichen »erwachsener Politik«, sie wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen.[6] Eine neue Partei mit Corbyn an der Spitze könnte diesen Trend durchbrechen und die Politik wieder interessanter machen.

Aber es gibt auch die historische Bilanz, mit der wir zu kämpfen haben. Das Wahlsystem für das Unterhaus des britischen Parlaments und für Wahlen in England hat sich als kaum zu überwindende Hürde für die Linke außerhalb der Labour Party erwiesen, die nur in wenigen Fällen erfolgreich übersprungen werden konnte. Die bekanntesten Beispiele sind Ken Livingstone, der im Jahr 2000 das Amt des Bürgermeisters von London errang, und Galloway, der 2005 den Wahlkreis Bethnal Green & Bow und 2012 den Wahlkreis Bradford West gewann.

Ein auf eine Person zugeschnittener Wahlkampf in einem Wahlkreis kann funktionieren, und ich habe keinen Zweifel daran, dass Corbyn sein Mandat im Londoner Wahlkreis Islington North erneut gewinnen würde, entweder als Unabhängiger oder an der Spitze einer hypothetischen neuen Partei. Aber es ist unwahrscheinlich, dass eine neue Partei Mandate in anderen Wahlkreisen gewinnen könnte. Doch das wäre nicht das entscheidende Movens einer neuen Partei.

Die wahre Stärke einer von Corbyn geführten linken Partei – sofern sie nicht von der destruktiven Linken erstickt wird – läge in ihrem Druckpotenzial. Vor den Parlamentswahlen 2015 und 2019 konnte Nigel Farage die potenzielle Bedrohung, die die rechtspopulistische UKIP und die Brexit-Partei für die Tories darstellten, nutzen, um seine Ziele zu erreichen: ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft abzuhalten und dann dafür zu sorgen, dass ein harter Brexit die einzige Form des Austritts aus der EU war, mit der die Tories Wahlen gewinnen konnten.

Mit einer neuen Partei könnten Millionen linker Wähler*innen die Politik des »Weiter so« der Labour-Parteiführung um Starmer in Frage stellen und die Labour Party zwingen, sich um ihre sozialen Belange zu kümmern und um ihre Unterstützung zu werben. Selbst wenn eine von Corbyn geführte Partei in den Umfragen nur bescheidene einstellige Werte erzielen würde, würden konstante Zahlen über fünf Prozent ausreichen, um die strategisch klügeren Leute in Starmers Büro zu beunruhigen und sie zu einem Linksschwenk zu zwingen. Dies könnte in Form einer »Wiederentdeckung« der »Zehn Versprechen« des Parteivorsitzenden geschehen, indem man im Wahlprogramm beschließt, dass »Gemeineigentum« doch die Verstaatlichung von Versorgungsunternehmen bedeutet, oder indem man bereits bestehende Politiken programmatisch stärker hervorhebt, wie etwa das potenziell transformative Engagement für Arbeitnehmerrechte.

Zugegeben, die Vorzeichen für eine von Corbyn geführte neue Linkspartei stehen nicht gut. Aber das Druckpotenzial ist da. Trotz aller Bemühungen von Regierung und Opposition, die Wogen nach den Johnson-Truss-Eskapaden und nach dem Corbyn-Aufbruch zu beruhigen, befindet sich die politische Szene im Vereinigten Königreich immer noch in einem fiebrigen Zustand. Daher könnte eine neue Partei trotz des Wahlrechts ein Katalysator für die Unzufriedenen sein, die sich von keinem Flügel des politischen Establishments repräsentiert sehen.

Phil Burton-Cartledge ist Dozent für Soziologie in Derby. Seine Untersuchung zur Konservativen Partei »Falling Down. Parliamentary Conservatism and the Decline of Tory Britain« (Verso Books 2021) erscheint im Sommer 2023 in einer überarbeiteten Taschenbuchausgabe unter dem Titel: »The Party's Over. The Rise and Fall of the Conservatives from Thatcher to Sunak.« Der hier dokumentierte Beitrag ist zuerst am 29.3.2023 unter dem Titel »The Prospects of a Corbyn-Led Left Party« auf seinem Blog All That Is Solid… erschienen. (Übersetzung: Hinrich Kuhls)

Anmerkungen:
[1] Vgl. Andrew Fisher: Die Labour Party abseits innerparteilicher Demokratie. Keir Starmer blockiert Jeremy Corbyn, Sozialismus.de Aktuell, 29.3.2023.
[2] Phil Burton-Cartledge: Jeremy Corbyn’s Prospective New Party, All That Is Solid, 9.1.2022.
[3] Sarah Woolley: Solidarity With Jeremy Corbyn, BFAWU News, 29.3.2023.
[4] Zur neuen Kluft zwischen Gewerkschaften und Labour-Parteiführung vgl. Hinrich Kuhls: Vom gewerkschaftlichen zum gesellschaftlichen Widerstand, Sozialismus.de Aktuell, 23.6.2023.
[5] Sebastian Payne: Jeremy Corbyn to run against Labour as an independent, say allies, Sunday Times, 27.3.2023.
[6] So jüngst der 90-jährige Tory-Veteran Michael Heseltine im Lunch-Interview mit George Parker: »The adults are back in charge«, Financial Times, 17.3.2023.

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