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17. Mai 2021 Otto König/Richard Detje: »Patentfreigabe« gegen das globale Impf-Dilemma

Profite wichtiger als Menschenleben

Foto: picture alliance/dpa

Über 100 Nationen haben sich der indisch-südafrikanischen Initiative in der Welthandelsorganisation WTO angeschlossen. Es geht um die Freigabe der Patente für Covid-19-Impfstoffe, um die Immunisierung der Weltbevölkerung durch deren weltweite Produktion zu beschleunigen.

»Wenn das letzte Jahr uns eines gelehrt hat, dann dies: dass die Bedrohungen für die menschliche Gesundheit globaler Natur sind und strategische staatliche Investitionen und Maßnahmen, globale Zusammenarbeit und Solidarität unerlässlich sind«, schrieben Mitte April 170 Nobelpreisträger und frühere Premierminister in einem »Offenen Brief« an US-Präsident Joseph Biden, in dem sie ihn beschworen, bei der WTO für eine »zeitweise Aufhebung der Patente für Corona-Impfstoffe zu stimmen«. Der Markt könne diese Herausforderungen nicht adäquat bewältigen, und ein engstirniger Nationalismus richte nur Schaden an.

Nach dem Ausbruch der Pandemie mangelte es nicht an Solidaritäts-Rhetorik: Die Krise sei nur global zu lösen. Der einzig nachhaltige Weg aus der Corona-Pandemie sei eine weitgehende weltweite Immunisierung der Menschen. Doch von dieser verbalen Solidarität ist wenig übriggeblieben. Nicht nur, aber vor allem in Brasilien und Indien[1] kollabieren aktuell die Gesundheitssysteme und die Gefahr der Ausbreitung vermehrter Mutationen des Virus auch in den Zentren nimmt zu. Schlaglichtartig wird sichtbar, dass die Verfügbarkeit über die bereits zugelassenen Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus über Leben und Tod entscheidet.

Bei der Impfstoffverteilung wird die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern der Welt größer. Von den bis in den April hinein weltweit 800 Millionen Geimpften leben nur 0,3% in den Ländern des globalen Südens. Die USA haben bisher 25% aller weltweit verfügbaren Impfstoffe erhalten und die Europäische Union 12,6%.[2] Jeder vierte Mensch in Ländern mit hohem Einkommen hat bisher einen Impfstoff erhalten, während es in Ländern mit niedrigem Einkommen nur einer von mehr als 500 ist.

»Bei dieser Impfrate würde es mehrere Jahre dauern, 70% der Weltbevölkerung zu impfen. Fairness und vor allem globales Handeln sieht anders aus«, erklärt Barbara Unmüßig von der den Grünen nahen Heinrich-Böll-Stiftung in der Frankfurter Rundschau (7.5.2021). Experten schätzen, dass bis Mitte dieses Jahres nur 3% der Bevölkerung in den Ländern mit den geringeren Ressourcen geimpft sein werden; und im besten Fall bis Ende 2021 ein Fünftel (Oxfam). Das kapitalistische Wirtschaftssystem gebiert einen »Virus der Ungleichheit«, in der eine »superreiche Elite« weiterhin Reichtum anhäuft, während Milliarden von Menschen große Schwierigkeiten haben, zu überleben.

Um aus dieser Misere herauszukommen, sind Lizenzvergaben und die temporäre Aussetzung des Privateigentums an Patenten der einzig richtige Weg. Bisher blockierten die USA, die EU und Japan in der WTO diese Initiative. Zwischenzeitlich hat die Biden-Administration ihre Haltung geändert und unterstützt jetzt die Aussetzung des Patentschutzes. Sie begründet ihre Kehrtwende mit einer »moralischen Verpflichtung«. Es ist durchaus möglich, dass die USA durch öffentlichen Druck politisch unter Zugzwang geraten sind.

Unseres Erachtens geht es jedoch vorrangig um den Hegemonialkampf mit Beijing und Moskau, deren Sympathiewerte durch günstigere Impfstofflieferungen und den Aufbau von Lizenzproduktionen ihrer Vakzine durch einheimische Firmen in Afrika und Lateinamerika gestiegen sind. Und natürlich ist es der Versuch, das krisengebeutelte, spätkapitalistische Weltsystem zu stabilisieren, denn die Pandemie kann in den Zentren nicht überwunden werden, solange sie sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern weiter ausbreitet.

Konkrete Folgen hat der Schwenk der USA nur dann, wenn die EU, Deutschland, die Schweiz sowie die übrigen Hauptsitzländer der Pharmahersteller diesem Beispiel folgen. Denn eine Suspendierung der Schutzrechte setzt eine entsprechende Mehrheit in der WTO voraus. Danach sieht es jedoch nach dem jüngsten EU-Gipfel in Porto nicht aus. »Wir denken nicht, dass das kurzfristig eine Wunderlösung ist«, äußerte sich EU-Ratspräsident Charles Michel zum Biden-Vorschlag. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte nach dem EU-Gipfel, sie denke nicht, »dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen.«

Während weltweit der Wettlauf gegen die Ausbildung neuer Virus-Mutanten im Gange ist, agiert Merkel im Interesse der bundesdeutschen Pharmakonzerne. Das Argument »Schutz von geistigem Eigentum als Quelle von Innovation« hat damit zu tun, dass die Bundesregierung BioNTech und CureVac fördert, weil die mRNA-Technologie ein bedeutender Faktor beim Ausbau des Biotechnologiestandorts Deutschland ist. Doch für die Menschheit geht es um die Frage: Muss geistiges Eigentum dem globalen Gemeinwohl dienen oder sind die Profite der Pharmakonzerne wichtiger als Menschenleben in der Peripherie und eine effiziente, globale Bekämpfung der Pandemie.

Angesichts des steilen Anstiegs der Covid-19-Infektionen in einer Reihe von Regionen sowie der fortgesetzten Entdeckung neuer Virusmutationen ist die Freigabe der Patentrechte eine praktische Notwendigkeit. »Der Nutzen der mRNA-Technologie und sonstigen geistigen Eigentums sollte unverzüglich weltweit verfügbar gemacht werden, und das Know how sollte so schnell und so weitgehend wie möglich geteilt werden. Wir haben die Fähigkeiten, die Immunisierung auf ein weltweites Maß auszuweiten, um Leben zu retten, das Aufkommen neuer Virusvarianten zu verhindern und die Pandemie zu beenden«, so der US-amerikanische Ökonom Jeffrey D. Sachs (Gegenblende, 5.5.2021).

Der Verzicht sollte auf Covid-19 begrenzt sein und vorübergehender Art sein. Darüber hinaus braucht es die Aufhebung von Exportkontrollen für kritische Rohwaren und Verbrauchsmaterialien für die Impfstoffproduktion. US-Präsident Joe Biden hatte kurz nach seinem Amtsantritt unter Nutzung von Bestimmungen des U.S. Defense Production Act (DPA) den Export von Vorprodukten stark eingeschränkt. Die Freigabe der Patente würde es Staaten in ärmeren Teilen der Welt ermöglichen, selbst jene modernen Impfstoffe herzustellen, die die Menschen am besten vor dem Coronavirus schützen.

Die Pharmaindustrie pocht auf ihrem »geistigen Eigentum«. Der US-Verband bezeichnete den Biden-Vorschlag als einen »beispiellosen Schritt, der unseren globalen Kampf gegen die Pandemie untergräbt«. Auf die weltweit wachsende Forderung nach einer Aussetzung der TRIPS-Regeln reagiert die Pharmaindustrie mit den üblichen Argumenten.

Erstens seien ihre Monopolrechte und die hohen Preise notwendig für Innovationen und ihre hohen Entwicklungskosten. Doch das Argument, nur der dauerhafte Patentschutz sichere den Anreiz für weitere Investitionen in die Forschung, zieht in diesem Fall nicht. Denn alle führenden Covid-19-Impfstoffe, die bereits auf dem Markt sind oder die letzten klinischen Studien durchlaufen, haben in erheblichem Maße von staatlichen Investitionen profitiert. Die Bundesregierung förderte »die Erforschung und Produktion von Corona-Impfstoffen« mit 750 Millionen Euro: 375 Mio. für BioNTech, 252 Mio. für Curevac und 114 Mio. für IDT Biologica.

Seit Dezember 2020 ist der BioNTech-Impfstoff »Comirnaty« auf dem Markt und spülte mittlerweile viel Geld in die Kassen des Unternehmens. In den ersten drei Monaten 2021 sprang der Umsatz von knapp 28 Millionen auf gut zwei Milliarden Euro und operativ machte BioNTech 1,7 Milliarden Euro Gewinn. Für das Jahr 2021 rechnet es mit einem Umsatz von 12,4 Milliarden Euro, allein auf Basis der bis zum 4. Mai unterzeichneten Lieferverträge für rund 1,8 Milliarden Dosen Impfstoff. Da scheint es nur fair zu sein, die Kontrolle über die Patente der Konzerne vorübergehend auszusetzen.

Zweitens versuchen die Unternehmen ihren Widerstand gegen die Freigabe geistigen Eigentums in eine geopolitische Frage zu verwandeln, indem sie argumentieren, man müsse verhindern, dass der mühsam erkämpfte Vorsprung der mRNA-Impfstoff-Technologie nicht verloren gehe und letztlich in chinesischen und russischen Konzernlaboren lande. Diese Position wird von der Bundesregierung gestützt, die ihr Ziel, die Bundesrepublik in den kommenden Jahren zu einem globalen mRNA-Forschungs- und Produktionszentrum zu entwickeln, durch eine Patentfreigabe gefährdet sieht.

Drittens wird das Narrativ verbreitet, die Herstellung von Covid-19-Impfstoffen sei für Produzenten in Entwicklungsländern zu kompliziert. Der BioNTech-Impfstoff habe 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern, stellte eine Pfizer-Sprecherin in der New York Times dar. Um das zu verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal notwendig. Tatsächlich gibt es in jeder Region der Welt mehrere Hersteller, die maßgeblich zur globalen Impfstoffversorgung beitragen könnten, wenn sie Zugriff auf Technologie und Know-how hätten.

Fakt ist jedoch: Die Impfstoffentwickler weigerten sich bisher, mit qualifizierten Herstellern in Afrika, Lateinamerika und Asien zusammenzuarbeiten, damit weltweit mehr Impfstoff hergestellt werden kann. In zahlreichen Ländern liegen Kapazitäten zur Impfstoffproduktion brach. Das kanadische Unternehmen »Biolyse Pharma« bemüht sich seit Monaten vergeblich, die Lizenz für die Herstellung eines Vakzins (Kapazitäten 50 Mio. Dosen jährlich) zu erhalten. Auch »Incepta Pharmaceuticals« in Dhaka (Bangladesch) bekommt bisher keine Lizenz, obwohl es 350 Mio. Dosen jährlich produzieren könnte.

Die Erzählung, die Aussetzung der TRIPS-Regeln würde die Pharmakonzerne in den Ruin treiben, ist Unsinn. Denn unabhängig von einem Technologietransfer werden Firmen, die einen Covid-19-Impfstoff entwickelt haben, viel Geld damit verdienen. Die Umsätze der großen Entwickler und Hersteller werden 2021 im zweistelligen Milliardenbereich liegen. So teilte Pfizer mit, das Unternehmen habe allein in den ersten drei Monaten des Jahres nur mit seinem zusammen mit BioNTech entwickelten Impfstoff 3,5 Milliarden Dollar eingenommen. Als Jahresumsatz für das Vakzin hat der Konzern schon früher 26 Milliarden US-Dollar vorausgesagt. Und bis 2030 erwarten Experten einen jährlichen Bedarf von bis zu 10 Milliarden Dosen.

Die Pharmaindustrie würde ein vorübergehenden Verzicht auf die WTO-Regelungen verkraften. Und entgegen allen Unkenrufen wird der Kapitalismus nicht abgeschafft, sondern die Regierungen greifen in einer Notlage nur in das Wirtschaftsgeschehen ein, um ein höheres Ziel zu sichern – nämlich die Rettung möglichst vieler Menschenleben.

Konkret geht es um die vorübergehende Aussetzung der Regelungen des Vertragswerks »Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights« (TRIPS) der WTO, das Maßnahmen zum Schutz »geistigen Eigentums« mit den Erfordernissen eines möglichst ungehinderten Welthandels in Übereinstimmung zu bringen versucht. Das Recht zur Zwangslizensierung geistigen Eigentums zum Schutze der öffentlichen Gesundheit wurde im Trips-Abkommen für den Fall der Produktion zur inländischen Verwendung bereits 2001 anerkannt. Im Jahr 2005 wurde es auf die Produktion für den Export in Länder ausgeweitet, denen eigene Produktionskapazitäten fehlen. Dies ermöglicht lokalen Unternehmen das Recht, patentgeschütztes geistiges Eigentum zu nutzen.[3]

Stattdessen setzen jedoch Brüssel und Berlin weiterhin allein auf die Impfkampagne COVAX.[4] Das Unternehmen hat bislang 40,2 Millionen Dosen bereitgestellt, das sind nur 21% der 187 Millionen, die bis Mai 2021 geliefert werden sollten. Die große Mehrheit der weltweit verteilten COVAX-Dosen stammte bis vor kurzem vom Serum-Institut in Indien, dem Land, das nun selbst auf internationale Unterstützung angewiesen ist. Der US-Hersteller Moderna hat zwar angekündigt, COVAX mit bis zu 500 Millionen Dosen zu versorgen, die meisten davon können aber erst 2022 ausgeliefert werden.

Es ist richtig, die COVAX-Initiative zu stärken. Doch es braucht jetzt schnelle Lösungen – Impfstoffverteilung und Ausbau der Kapazitäten sind das Gebot der Stunde. Um zusätzliche Dynamik bei der Entwicklung günstiger Impfstoffe weltweit auszulösen, ist die Aussetzung der Patente unumgänglich. Die Welt ist in einer außergewöhnlichen Lage, deshalb braucht es außergewöhnliche Schritte, um die Pandemie überall einzudämmen.

Anmerkungen

[1] Das indische Gesundheitsministerium meldete jüngst mehr als 412.000 Neuinfektionen pro Tag – bei 3.980 Todesfällen. In den Hotspots treten aufgrund der zunehmenden Verbrennungen von Toten Engpässe auf. Da die Krematorien am Limit arbeiten, werden Pandemieopfer auf freien Flächen verbrannt. Bis zum 10. Mai 2021 belief sich die Gesamtzahl der gemeldeten Infektionen in Brasilien auf über 15,1 Millionen. Weltweit beläuft sich die Zahl bestätigter SARS COV-2 Infektionen derzeit auf mehr als 158,3 Millionen.
[2] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: Kampf um den Zugang zu Corona-Impfstoffen. »Impfstoff-Nationalismus«, Sozialismus.de Aktuell, 10.3.2021.
[3] Die LINKE brachte im Bundestag den Antrag ein: Patentinhaber und Hersteller sollen zur Vergabe von Lizenzen und zum Transfer des technologischen Know-hows veranlasst werden. Hierzu sollten alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und zugleich der Zugang zu den hierfür benötigten biologischen Ressourcen sichergestellt werden. So könne der »Impfnationalismus der reichen Länder« überwunden und sämtliche Produktionskapazitäten für Corona-Impfstoffe mobilisiert werden. Bei der Abstimmung votierten nicht nur Union und SPD gegen den Antrag, sondern auch FDP und AfD (Links bewegt, 7.5.2021).
[4] Um mehr Impfstoff in die Entwicklungsländer zu bringen, haben im April 2020 die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Global Vaccines Alliance (Gavi) und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) die COVAX-Initiative ins Leben gerufen.

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