Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
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160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

Stephan Krüger
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
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Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

20. Dezember 2022 Otto König/Richard Detje: Reichsbürger mit Umsturzplänen

Rechtsextreme Verschwörung

Anfang Dezember gab es eine Großrazzia im Lager der Rechtsextremen. 3.000 Sicherheitskräfte – Beamte des Bundeskriminalamtes, der GSG 9 und mehrerer Spezialeinsatzkommandos – gingen bundesweit gegen Reichsbürger und die reichsideologische »Patriotische Union« (PU) vor.

Spezialeinsatzkommandos durchsuchten über 130 Objekte in elf Bundesländern sowie im österreichischen Kitzbühel und im italienischen Perugia. Seither sitzen 25 Personen in Untersuchungshaft, gegen 29 weitere wird ermittelt. Neu angesprochene potenzielle Mitverschwörer*innen mussten nach Erkenntnissen der Ermittler »Verschwiegenheitserklärungen« unterzeichnen, in denen sie sich bei Androhung der Todesstrafe zum Schweigen verpflichteten. Mehr als 100 solcher Erklärungen wurden gefunden. Der Kreis der Angesprochenen und Mitwisser*innen ist also deutlich größer als von den Sicherheitsbehörden zunächst angenommen.

Zu den Festgenommenen gehört der Immobilienunternehmer Prinz Heinrich Reuß,[1] der auch unter dem Adelstitel Prinz Heinrich XIII. firmiert, eine der Führungsfiguren der rechtsextremen Terrororganisation aus dem Reichsbürgermilieu. Ferner sind darunter frühere Bundeswehrangehörige wie der Fallschirmjägerkommandeur Rüdiger von Pescatore, der den militärischen Arm der Vereinigung geleitet haben soll, ein suspendierter Polizist, eine Ärztin, ein Jurist sowie die Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann.[2] Der Generalbundesanwalt wirft ihnen vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereiten wollte. Ziel der Gruppe sei eine »gewaltsame Beseitigung« der Bundesregierung gewesen und die Errichtung einer »neuen staatlichen Ordnung«.

Nach der bundesweiten Großrazzia zeichnen sich die Konturen des mutmaßlichen Plans für einen Reichsbürger-Staatsstreich zunehmend klarer ab. Seit einem Jahr schmiedet die Gruppe Umsturzpläne für »Tag X«. Nach dem Vorbild der US-amerikanischen Putschisten vom 6. Januar 2021 sollten Mitglieder der Terror-Gruppe in den Bundestag eindringen, Abgeordnete und Regierungsmitglieder gefangen nehmen. Die Aktion sollte zu Unruhen im ganzen Land führen und schließlich zum Putsch gegen die parlamentarische Demokratie. Der »militärische Arm« der Vereinigung sollte die staatliche Ordnung auch auf den Ebenen der Gemeinden und Kreise »beseitigen«.

Die Vorbereitung des Umsturzes habe die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder umfasst, heißt es aus Kreisen der Ermittler. Geplant war ein von Prinz Heinrich Reuß angeführter »Rat«. Posten für das Außenministerium, Gesundheit oder Völkerrecht waren schon vergeben. So war Malsack-Winkemann, aktuell Beisitzerin im Bundesschiedsgericht der AfD, als künftige »Justizministerin« vorgesehen. Es sollte eine Übergangsregierung gebildet werden, die die neue staatliche Ordnung in Deutschland mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verhandeln sollte.

Das rechtsterroristische Netzwerk stützt sich auf das Milieu der Reichsbürger, QAnon-Anhänger*innen und Corona-Leugner*innen, das auf mehrere Zehntausend Personen geschätzt wird. Es umfasst Mitglieder der AfD und anderer rechtsextremer Parteien und reicht tief in den staatlichen Sicherheitsapparat und gesellschaftliche Eliten hinein. Der Inlandsgeheimdienst ordnet allein den Reichsbürgern 23.000 Personen zu, 2.000 mehr als vor einem Jahr. Die ideologische Klammer zwischen den diversen Gruppierungen ist ein Konglomerat aus Verschwörungsmythen, bestehend aus Narrativen der Reichsbürger-Szene sowie der QAnon-Ideologie. Sie sind der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines »Deep State« regiert werde. In der verschwörungsideologischen Ausprägung der Reichsbürgerbewegung ist Antisemitismus bis hin zur Holocaustleugnung ein zentraler Bestandteil.

Das Reichsbürger-Netzwerk plante eine militärische Schattentruppe, intern »Neue Deutsche Armee«. In Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen war bereits mit der Bildung von »Heimatschutzkompanien« begonnen worden, insgesamt sollten 286 dieser Kompanien aufgebaut werden. Noch im Oktober soll der »militärische Arm« Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet haben, um zu prüfen, ob dort nach einem Umsturz »Truppen« untergebracht werden könnten.

Die rechtsterroristische Gruppe hat zahlreiche frühere Soldaten rekrutiert. Rüdiger von Pescatore war Mitte der 1990er-Jahre Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Luftlandebrigade 25, einer Vorgängerin des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Wieder einmal erweist sich das KSK in Calw als Kristallisationsort für rechtsterroristische Bestrebungen.[3] Dort war unter anderem »Hannibal« stationiert und Mitglieder von »Nordkreuz« – rechtsterroristische Soldatennetzwerke, die diverse Waffen beiseite geschafft hatten, die bis heute verschwunden sind. Dazu gehört auch der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian E., der als Kommandeur ein Panzergrenadierbataillon in den Kosovo-Einsatz führte, und der Stabsfeldwebel beim KSK, Andreas M., der als Logistiker dient.

Die Reichsbürgerbewegung geht zum einen auf nationalsozialistische Propaganda und zum anderen auf verurteilte Rechtsterroristen und Antisemiten zurück. Organisierte Strukturen entstanden Mitte der 1970er-Jahre, seit etwa einem Jahrzehnt radikalisiert sich die Szene, die Berührungspunkte mit der Prepper-Bewegung und anderen politischen Apokalyptikern hat. Die Reichsbürgerszene kennzeichnet von jeher große Gewaltbereitschaft. So verwundert es nicht, dass die Polizei bei den Razzien ein erhebliches Waffenarsenal gefunden hat: Neun-Millimeter-Pistolen, Schwerter, Messer, Elektroschocker, Gefechtshelme, Nachtsichtgeräte und die Dienstwaffen einer Polizistin und eines Polizisten, die zu den Verdächtigen gehören. Durch die jüngsten Razzien wurde erneut schlaglichtartig erhellt: Im Untergrund unserer Gesellschaft hat sich ein bewaffneter und zur Gewaltanwendung bereiter Bodensatz gebildet, der nur auf ein Signal zum Losschlagen wartet. Zum Glück konnte das diesmal verhindert werden.

Seit der Flüchtlingskrise 2015 ist die rechtsterroristische Szene in Deutschland unübersichtlicher und unberechenbarer geworden. Da gibt es einzelne Zellen oder kleinere Gruppen wie »Knockout 51«, »Combat 18« oder die im Juni 2020 zerschlagene Terrorzelle »Nordadler«, die ihre Mitglieder in Neonazi-Kameradschaften rekrutiert haben. Daneben existieren die erst in Subkulturen zusammenfindenden Gruppen aus gewaltbereiten Rassisten, die mit der organisierten rechten Szene nichts zu tun haben und sozial gesehen eher aus der Mitte der Gesellschaft stammen – Beispiele hierfür sind neben der »Gruppe S.« solche Terrorgruppen wie »Old School Society«, »Revolution Chemnitz« und »Gruppe Freital«. Rechte Prepper-Vereine wie »Nordkreuz« sowie das nordsächsische Preppernetzwerk »Zuflucht«, das sich mit Schießtrainings und illegaler Waffenbeschaffung auf einen angeblichen »Rassenkrieg« vorbereitet, gehören ebenfalls zu diesem Segment. In ihnen agieren unter anderem aktive und ehemalige Angehörige von Bundeswehr und Sicherheitsapparat.[4]

Die Wiederherstellung des Deutschen Reiches ist das Ziel der rechtsextremen Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen. Zu ihren Narrativen gehört, die BRD sei ein »Besatzungskonstrukt«.[5] Dies wird durch einen Gebietsrevisionismus ergänzt, der die Forderung nach einem Deutschland in historischen Grenzen mit Gebieten beinhaltet, die in Verträgen an andere Staaten abgetreten worden sind. Deutschland befinde sich, so eine der Botschaften der Reichsbürger, noch immer im Kriegszustand mit den Alliierten. Daher rufen sie eigene Reiche auf Basis derjenigen Verfassung aus, die sie jeweils für legitim halten – sei sie aus der Zeit des Nationalsozialismus oder des Kaiserreichs.

Verbindendes Element der Reichsbürger ist »die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung«. Sie negieren demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder zahlen sie nicht und drucken eigene Ausweise. Manche von ihnen sehen sich als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches, mit eigenen Ausweisen und Nummernschildern. Für diese nutzen die Sicherheitsbehörden den Begriff der »Selbstverwalter«. Sie reklamieren für sich eine rechtliche und territoriale Autonomie abseits der Bundesrepublik.

Die Sicherheitsbehörden haben die Reichsbürgerbewegung wie alle rechtsterroristischen Gruppierungen wie beispielsweise die mordende NSU jahrzehntelang verharmlost. Erst als ein Reichsbürger 2016 im bayerischen Georgensgmünd einen Polizisten erschoss, änderte sich der Kurs. Der Inlandsgeheimdienst nahm das Milieu nun genauer unter Beobachtung. Zu Recht handelt es sich doch eben nicht um harmlose Spinner, auch wenn dies derzeit aus Kreisen der rechtsextremen AfD suggeriert wird.

AfD-Abgeordnete stellen die »Reichsbürger«-Razzia als »billige Inszenierung« und »Lügengeschichte« dar. Thüringens rechtsradikaler AfD-Chef Björn Höcke hat ein neues Facebook-Titelbild hochgeladen, auf dem er mit nachdenklicher Miene nach oben schaut – zu dem Satz: »Putscht eigentlich eine Regierung, die einen Putsch inszeniert?« Und die AfD-Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel versucht die rechtsextreme Verschwörung ins Lächerliche zu ziehen und spricht von einem »angestrebten Rollator-Putsch«. Es sind vor allem solche Reaktionen einflussreicher AfD-Politiker*innen, die aufhorchen lassen, und die davon ablenken sollen, dass die AfD sich zu einem Sammelbecken für Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker entwickelt hat.

»Die Reichsbürger gehören zum erweiterten Vorfeld der AfD. Nicht als institutionalisierter Partner wie die Jugendorganisation Junge Alternative oder die Erasmus-Stiftung, aber sie sind in jedem Fall ein Resonanzraum«, so Johannes Hille, Autor des Buches »Kommunikationsstrategie und Identität der AfD« (taz vom 16.12.2022). Begriffe wie der »Great Reset« einer »korrupten Elite« seien allgegenwärtig auf Demos, an denen sich auch die AfD beteiligt: »Sie spielen auf einer ähnlichen Klaviatur von verschwörungsideologischen Begriffen.« Die AfD habe eine Scharnier- und Verstärkerfunktion für Reichsbürger. Es war und ist die AfD, der parlamentarische Arm der Rechten, die mit ihrem Trommelfeuer des Hasses diese Stimmung entscheidend mitgeprägt. Sie hat mit einer erheblich größeren politischen Öffentlichkeit Menschen gegen Flüchtlinge, Migrant*innen und politische Gegner*innen aufgeputscht, auch wenn ihre politischen Repräsentant*innen jegliche Verantwortung für rechtsextreme Hassverbrechen ablehnen und ihre Hände in Unschuld waschen.

Anmerkungen

[1] Das Haus Reuß war bis zur Novemberrevolution 1918 die regierende Dynastie in zwei kleinen Fürstentümern auf dem Gebiet des heutigen Landes Thüringen.
[2] Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz versuchte, die Richterin aus dem Dienst zu entfernen. Das Dienstgericht sah trotz ihrer AfD-Mitgliedschaft, dokumentierter Kontakte zum offiziell aufgelösten, rechtsextremen Flügel der AfD sowie ihrer Beteiligung an einer Querdenkerdemo im August 2020 in Berlin, die zur Erstürmung der Treppen des Reichstages geführt hatte, keinen Anlass, sie aus dem Dienst zu entfernen. Malsack-Winkemann habe keine »Nähe von Parteimitgliedern gesucht, die rechtsextremistische Ansichten vertreten«. Ebenso sei eine »Nähe zu verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremen Hintergrund« nicht nachzuweisen, so das Gericht.
[3] Otto König/Richard Detje: KSK – Elitetruppe mit Rechtsdrall. »Brauner Hotspot«, Sozialismus.deAktuell vom 15.7.2020.
[4] Siehe auch Andreas Förster: Rechtsterrorismus in Deutschland: Warten auf Tag X, Der Freitag 50_2022.
[5] Siehe auch Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): »REICHSBÜRGER« und Souveränisten, 2018.

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