21. März 2015 Bernhard Sander: Verluste für VVD und PvAD
Regionalwahlen in Niederlanden
Annähernd 13 Millionen Wahlberechtigte waren in den Niederlanden aufgerufen, 570 neue Abgeordnete für die zwölf Provinzparlamente zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung lag in diesem Jahr bei 49% und damit gut 6% unter dem Wert bei den Provinzwahlen 2011 (55,9%).
Die Parteien liegen in der Wählergunst relativ dicht beieinander. Rechtsliberale (VVD; -3,5%) und Sozialdemokraten (PvdA; -7,7%), die auf nationaler Ebene die Regierung stellen, mussten herbe Verluste hinnehmen. Sozialdemokraten und Rechtsliberale büßten damit nach dem vorläufigen Endergebnis rund ein Drittel der Mandate in der Ersten Kammer des Parlaments ein und werden dort auch mit den Sitzen ihrer bisherigen Bündnispartner keine Mehrheit mehr haben.
Großer Gewinner war die linksliberale D66, die ihr Ergebnis von 2011 verdoppeln konnte und auf 12,3% kam. Der oppositionellen Sozialistischen Partei (SP) gelang insofern ein Erfolg, als sie mit 12,3% vor den Sozialdemokraten (PvdA 10%) und den Rechtspopulisten (PVV 10,8%; -1,0%) liegen.
Bei einer von der niederländischen Nachrichtenagentur ANP in Auftrag gegebenen Umfrage vom Tag vor der Wahl kam heraus, dass mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten ihre Stimme strategisch abgeben wollten, um durch ihre Wahl indirekt die Mehrheitsverhältnisse in Den Haag zu beeinflussen. Denn die Abgeordneten in den Provinzparlamenten wählen ihrerseits am 26. Mai die 75 Senatoren der ersten Parlamentskammer.
Im Gegensatz zur Zweiten Kammer, in der die beiden Regierungsparteien, die rechtsliberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte und die sozialdemokratische PvdA, eine Gestaltungsmehrheit besitzen, kommen die beiden Parteien in der Ersten Kammer auf keine Mehrheit. Durch Vetorechte bei der Gesetzgebung ist eine solche aber notwendig.
Die Desorientierung, die infolge der Finanzkrise 2008, der daraufhin einsetzenden Vermögensverluste vor allem im Immobilienbereich (70% der Menschen wohnen in den eigenen vier Wänden) und den Einschnitte in den Staatshaushalt einsetzte, scheint nicht überwunden. Weil die erste Kammer relativ wenig zu bestimmen hat, ist das Interesse der rechtspopulistischen Wilders-Kundschaft nicht sehr ausgeprägt und mobilisierbar gewesen, was deren leichte Verluste erklären könnte.
In der Sozialdemokratie, die sechs von 14 Sitzen in der ersten Kammer verlieren wird, diskutiert man bereits über eine neue Führung. Mit dem Skandal über die Geldzuwendungen an einen Drogenboss, der den christdemokratischen Innenminister zu Fall brachte, haben sie nichts zu tun.
Die Gesundheitsreform ihres Koalitionspartners hatten sie Ende letzten Jahres zu Fall gebracht. Die PvdA-Senatoren der ersten Kammer befürchteten, dass die weitgehend privatisierten Krankenkassen, die laut Reform künftig einen Arzt für den Patienten aussuchen sollen, durch die Neuerung »noch mehr Macht bekommen«. Bereits jetzt geben die Krankenkassen ihren Kunden, die über eine »naturapolis« krankenversichert sind, vor, welchen Arzt sie aufsuchen müssen. Dennoch ist es bisher immer noch möglich, einen anderen Arzt aufzusuchen. Die Krankenkasse ist auch in solch einem Fall verpflichtet, einen großen Teil der Behandlungskosten (ca. 70-80%) zu übernehmen. Diese Pflicht wollte Ministerin Schippers nun abschaffen.
Nur durch Basta-Politik konnten sich die Vertreter der PvdA in der Regierung gegen die innerparteiliche Opposition schließlich durchsetzen. Werde das Gesetz erneut abgelehnt, so PvdA-Chef Diederik Samsom während der anschließenden Debatte in der Zweiten Kammer, erwäge die Regierung, das Gesetz als Algemene Maatregel van Bestuur (AMvB) zu realisieren– ein Regierungsbeschluss, der keine Zustimmung der Ersten Kammer erfordert.
Dies war den kleineren Oppositionsparteien und vor allem jenen, die durch Tolerierung den Sparkurs mittragen (D66 und den evangelikalen SGP und CU), zu viel. Doch konnte man sich auf keine Alternativen verständigen.
Die sozialen Einschnitte schmerzen umso mehr, als die niederländische Wirtschaft durchaus wieder wächst, wenn auch langsamer als erwartet. Doch erstmals seit Beginn der Finanzkrise steigt nun der inländische Konsum wieder an. Die niederländische Zentralbank De Nederlandsche Bank (DNB) geht für das abgelaufene Jahr 2014 von einem Wirtschaftswachstum von 0,8% aus.
Veränderung des BIP
Quelle: http://www.dnb.nl/nieuws/nieuwsoverzicht-en-archief/persberichten-2014/dnb316062.jsp
Dies sei vor allem dem Export zu verdanken, falle aufgrund der schwächelnden Weltwirtschaft jedoch nicht höher aus. Für 2015 und 2016 wird ein Anstieg von weiteren 1,2% bzw. 1,5% erwartet, wobei vor allem der inländische Konsum eine entscheidende Rolle spiele.
Mit den aktuellen Zahlen musste die DNB ihre Prognosen nach unten korrigieren. Noch vor einem halben Jahr hatte die niederländische Zentralbank ein Wachstum von 1,6% für die nächsten beiden Jahre vorhergesagt. Grund dafür seien einerseits die schlechten internationalen Wirtschaftsaussichten sowie geopolitische Spannungen im Nahen Osten und Russland, die die Exportrate senkten. Andererseits müssten sich auch niederländische Haushalte, Banken, staatliche Einrichtungen und Rentenkassen noch von der Wirtschafts- und Finanzkrise erholen.
Der inländische Konsum dagegen steigt. Dank der sinkenden Arbeitslosigkeit und des wachsenden Vertrauens in die Wirtschaft geben die Niederländer wieder mehr Geld aus – sowohl Privathaushalte als auch Unternehmen. Für 2015 erwartet die niederländische Zentralbank, dass der inländische Konsum einen ebenso großen Beitrag zum Wirtschaftswachstum liefern wird, wie der Export. 2016 soll der Konsum den Export sogar übersteigen – erstmals seit 2008. Die Handelsnation wird damit ein wenig unabhängiger von der weltwirtschaftlichen Lage.
Die leichte wirtschaftliche Erholung hat die Klatsche für die Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten bei den Regionalwahlen nicht verhindern können. Die Koalition hat seit ihrem Antreten vor zwei Jahren ein umfassendes Sparprogramm von 51 Mrd. Euro durchgesetzt. Vor allem linke WählerInnen erteilten den Sozialdemokraten die Quittung für einschneidende Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Rentensystem. Vom noch frischen wirtschaftlichen Aufschwung, so erkannte auch der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte, »spüren viele Menschen noch zu wenig«.