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18. Dezember 2020 Otto König/Richard Detje: Venezuela – Linke gewinnt Mehrheit in der Asamblea Nacional

»Respekt vor der Souveränität«

Foto: ruurmo/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Inmitten der wirtschaftlichen und sozialen Krise Venezuelas, verstärkt durch die Corona-Pandemie und die ständig verschärften US-Sanktionen, sind die regierenden Sozialisten aus der Parlamentswahl mit einem klaren Sieg hervorgegangen.

Die sozialistische Regierung stellt nach fünf Jahren wieder die Mehrheit im Nationalparlament (Asamblea Nacional). Präsident Nicolás Maduro hat nach der Abstimmung die internationale Gemeinschaft zum »Respekt vor der Souveränität des venezolanischen Volkes« aufgerufen.

Das Bündnis »Großer Patriotischer Pol«, dem neben der regierenden PSUV die Parteien PPT, Tupamaros, SV, Podemos, UPV, Ora, MEP und APC angehören, hat mit 69,3% der Stimmen die Parlamentswahl gewonnen. Weit abgeschlagen folgen auf dem zweiten Platz die Oppositionsbündnisse der moderaten Rechten »Alianza Democrática«, der einst sozialdemokratischen Acción Democrática (AD) und der christdemokratischen COPEI, mit 18,8% sowie die »Alianza Venezuela Unida« mit 4,2%. Das neue, erstmals unabhängig vom Regierungsblock angetretene Linksbündnis »Revolutionäre Volksalternative« (APR), das die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und mehrere chavistische Basisgruppen vereint, erzielte 2,73%.

Rund 20 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, aus dem Kreis von rund 14.400 Kandidat*innen aus über 100 Parteien und Gruppierungen die 277 Abgeordneten der Nationalversammlung zu bestimmen. Gerade einmal 31% der wahlberechtigten Venezolaner*innen haben ihre Stimme abgegeben. Gründe dafür werden in dem Wahlboykott der Ultrarechten, aber auch in der verheerenden wirtschaftlichen Lage, die den Kampf ums Überleben für viele zum Hauptthema macht, sowie in Problemen mit der Covid-19-Pandemie gesehen. Hinzu kommt, dass aus dem Spektrum links von der PSUV der Regierung Maduro vorgeworfen wird, die Kerninhalte chavistischer Politik aus den Augen verloren zu haben und eine privatisierungsfreundliche Politik gegen die Bevölkerung zu betreiben.

Für die rechte Opposition in Venezuela ist das Ergebnis ein herber Rückschlag. Sie hat ihre letzte und einzige institutionelle Bastion verloren. Seit 2016 verfügten die Maduro-Gegner im Parlament über eine Zweidrittel-Mehrheit. 2019 rief sich Juan Guaidó, der das Amt des Parlamentspräsidenten ausübte, zum »Übergangspräsidenten« aus, nachdem die rechte Mehrheit in der Nationalversammlung die Wahl von Maduro zum Präsidenten im Jahr zuvor nicht anerkannt hatte.[1] Mit dem Ausgang der Wahlen verliert der ultrarechte Hardliner Guaidó jetzt sein Amt als Parlamentspräsident und damit seinen verfassungsrechtlich ohnehin fragwürdigen Anspruch auf eine »Interimspräsidentschaft«.

Im Vorfeld der Wahlen war es im rechts-oppositionellen Lager zum offenen Streit um die Teilnahme gekommen. Die sozial- und christdemokratischen Oppositionellen sprachen sich mit Verweis auf die Erfolglosigkeit der Umsturzbestrebungen für eine Kandidatur aus, auch weil sie befürchteten, durch einen Boykott der Wahlen die letzte Möglichkeit der politischen Einflussnahme zu verlieren. Dagegen versuchte das von der USA gestützte Hardliner-Lager Guaidós erst gar nicht, gegen Maduro im Wahllokal anzutreten. Die Niederlage wohl vorausahnend, diskreditierten sie das Ergebnis im Voraus und riefen mit dem nicht belegten Vorwurf des »Wahlbetrugs« zum Wahlboykott auf.

Natürlich stellt sich die Frage: Wer sollte eigentlich Donald Trumps-Zögling, mit Ausnahme der reichen Eliten, seine Stimmen geben? Schließlich war Guaidó kein »Wunschpräsident« des Volkes – der armen Bevölkerung, der Campesinos, der Mehrzahl der Frauen und der Indigenen. Im Gegenteil: Seine politischen Aktivitäten auf der internationalen Bühne haben zu einer noch größeren Entfremdung gegenüber der Bevölkerung beigetragen. Er begrüßte die US-amerikanischen Sanktionen,[2] die die ohnehin prekäre humanitäre Lage weiter verschärfte, versuchte die in der Bank of England deponierten Goldreserven Venezuelas sich unter den Nagel zu reißen,[3] beteiligte sich an den Plänen für den dilettantisch durchgeführten militärischen Invasionsversuch »Operation Gideon« im Mai 2020 und forderte am 23. September in einer Rede vor Vertretern der UN die Anwendung des »Responsibility to Protect« (R2P),[4] also den Einmarsch in das eigene Land.

Das erdölreiche Venezuela steckt seit Jahren in einer tiefen Krise. Die Wirtschaft befindet sich weiter im freien Fall und die öffentliche Infrastruktur wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren. Der Lockdown in Folge der Colvid-19-Pandemie hat den wirtschaftlichen Sturzflug verstärkt. Es herrscht die höchste Inflation der Welt, die die geringen Löhne auffrisst. Rund sechs Millionen Haushalte sind auf Lebensmittelhilfe und weitere Unterstützungsleistungen der Regierung angewiesen. Aus Mangel an Devisen – aufgrund des Verfalls des Preises für Erdöl und wegen der Wirtschaftsblockade – kann das Land kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Die massive Auswanderung von Venezolaner*innen hat sich im Zuge der Pandemie zwar verlangsamt, dennoch leben nach UN-Schätzungen rund fünf Millionen venezolanische Staatsbürger*innen im Ausland.

So verwunderte es nicht, dass in dem Maße, wie die Trump-Administration die »Schockdoktrin« – Sanktionen und militärische Drohungen – verstärkte, die Ablehnung der Venezolaner*innen zugenommen hat. Sprachen sich im November 2017 in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut »Interlaces« 72% gegen die Sanktionen aus, ist die Zahl der Ablehnenden bei einer erneuten Umfrage im August 2020 auf 81% angestiegen (Amerika 21, 29.11.2020).

Nach dem Verlust des Parlaments steht Guaidó nun ohne Legitimation für seine ohnehin machtlose »Gegenregierung« dar. Reaktionen von ihm erinnern an seinen Mentor im »Weißen Haus«, der sich trotz seiner Niederlage weiter für den Präsidenten hält. So hat die Guaidó-Riege zu einer eigenen Volksbefragung über das Internet aufgerufen. Darin werden die Venezolaner gefragt, ob sie die Parlamentswahl anerkennen, eine Absetzung Maduros begrüßen und Guaidó darin unterstützen, dass sein Mandat als Parlamentspräsident verlängert wird.

Während die Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsländer, darunter China, Russland und zahlreiche Regierungen Lateinamerikas, das Wahlergebnis respektieren, hält der transatlantische Westen gegenüber Venezuela bisher an seiner Blockade- und Umsturzpolitik fest. Der scheidende US-Außenminister Mike Pompeo nannte die Abstimmung in Venezuela eine »Farce«. EU-Außenbeauftragter Josep Borrel sprach im Kolonialherrenstil davon, dass die Wahl »weder glaubwürdig noch transparent« verlaufen sei. Eine Sprecherin des deutschen Bundesaußenministers Heiko Maas verlautbarte: »Aus unserer Sicht waren die Wahlen nicht frei und fair und genügten auch nicht internationalen Mindeststandards.« Miguel Berger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, setzte noch eins drauf und twitterte, der gescheiterte Putschist Guaidó könne auf »andauernde Unterstützung« zählen. Eine Missachtung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, der dessen Anerkennung als »Interimspräsident« durch die Bundesregierung und andere westliche Staaten bereits im Februar 2019 als völkerrechtswidrig bezeichnet hatte. Doch trotz dieser »Solidaritätsbekundungen« stehen die »regime change«-Befürworter vor einem Dilemma: Zum einen wollen sie Nicolas Maduro weiterhin nicht als Präsidenten anerkennen, aber zum anderen wird es ihnen künftig wohl schwer möglich sein, an dem Wahlboykotteur, der sein Amt als Parlamentspräsident verloren hat, festzuhalten. Denn Guaidó ist selbst in der rechten venezolanischen Opposition mittlerweile eine marginale Figur.

Der Ablauf der Parlamentswahlen habe den nationalen und internationalen Standards entsprochen, stellte das Komitee der rund 200 internationalen Wahlbeobachter*innen[5] in seinem Abschlussbericht in Caracas fest: »Wir erkennen die Legitimität, Legalität und den Respekt für die Verfassung an«. Die Verfasser*innen weisen zudem »die Einmischung von außen und die Erklärungen der Nicht-Anerkennung seitens der Regierungen der USA, Kanadas und der Europäischen Union zurück. Mit Blick auf das Scheitern der Umsturzpolitik ruft der Wahlbeobachter und ehemalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero die EU zum Kurswechsel gegenüber Venezuela auf. Es führe zur »größten Absurdität in der Geschichte des internationalen Rechts«, wenn man weiterhin weder den gewählten Präsidenten noch das jetzt gewählte Parlament, stattdessen aber den nicht gewählten Guaidó anerkenne.

Auch die Bischofskonferenz von Venezuela rief in ihrer Botschaft zum Adventsbeginn die politischen Akteure und zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu auf, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen. Ohne gegenseitige Anerkennung und echten Dialog gebe es keine Lösung. Fakt ist: Venezuela braucht nicht noch mehr menschenunwürdige Sanktionen oder selbsternannte »Heilsbringer« der ultrarechten Opposition, die einen Umsturz unterstützen. Es benötigt eine Opposition, die die Legitimität des politischen Systems Venezuelas anerkennt und damit den Weg für eine neue Ära in der Politik des Landes ebnet, die auf eine Überwindung der gesellschaftlichen Polarisierung zielt.

 

Anmerkungen:

[1] Siehe auch Otto König/Richard Detje: »Geschwächte Regierung – gespaltene Opposition«. Venezuela – Maduro als Staatspräsident wiedergewählt, Sozialismus.de Aktuell, 5.5.2018.
[2] Im Januar 2020 sanktionierte das US-amerikanische Finanzministerium neben Vertretern der Bolivarischen Regierung sieben Repräsentanten der Oppositionsparteien Acción Democrática (AD), Copei, Primero Justicia und Voluntad Popular, die den Wahlboykott in Frage stellten. Inmitten der Coronakrise wies die Trump-Administration vier Ölgesellschaften an, den Betrieb in Venezuela einzustellen und widerrief Sonder-Genehmigungen, die der spanischen Repsol, der italienischen Eni und der indischen Reliance Industries erteilt worden waren, um sich an Swap-Vereinbarungen mit Öl zu beteiligen. Das Ende dieser Tauschgeschäfte hat Venezuela Dieselkraftstoff entzogen, der für den Transport von Lebensmitteln und die Stromerzeugung genutzt wird (Amerika 21, 29.11.2020).
[3] Anfang Oktober urteilte ein Londoner Gericht, dass der Konflikt zwischen dem Guaidó-Lager und der venezolanischen Regierung um den Anspruch auf 31 Tonnen venezolanischen Goldes, die bei der Bank of England liegen, nicht abschließend geklärt sei. Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass offen sei, wen die britische Regierung als Staatsoberhaupt Venezuelas anerkenne, da sie auch Beziehungen zur Regierung von Maduro unterhalte. Vanessa Neumann, »Botschafterin« von Guaidó‘s »Gegenregierung« in London wurde verpflichtet, die Gerichtskosten von 529.000 US-Dollar an die Nationalbank Venezuelas zurückzuerstatten, was bisher nicht geschehen ist.
[4] Das Konzept der sogenannten »Schutzverantwortung« (Responsibility to Protect R2P) soll Kriegen ohne UN-Mandat Legitimität verleihen, wie es beispielsweise 2011 im Krieg westlicher Staaten gegen Libyen praktiziert wurde. Damit forderte Guaido einen völkerechtwidrigen Angriff auf sein eignes Land.
[5] Im Gegensatz zur Europäischen Union, die die Einladung Venezuelas zur Entsendung von Wahlbeobachtern ausgeschlagen hatte, folgten mehr als 34 Staaten dem Ruf des südamerikanischen Landes. Knapp 1.500 Beobachter und 200 Repräsentanten wachten über einen geregelten und fairen Ablauf der Abstimmung – unter ihnen Spaniens früherer Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero und der ehemalige bolivianische Staatspräsident Evo Morales.

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