Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
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160 Seiten | EUR 16.80
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Stephan Krüger
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Inflation, Beschäftigung, Umverteilung, Profitraten, Finanzkrisen, Weltmarkt
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

23. Dezember 2018 Otto König/Richard Detje: IWF-Kredite für Argentinien

Rettungsweste aus Blei

Generalstreik im September 2018 in Buenos Aires

Der G 20-Gipfel machte zum zweiten Mal Station in Lateinamerika. Argentiniens Regierung unter Präsident Mauricio Macri nutzte die zweitägige Tagung der 20 größten Industrienationen in Buenos Aires, um national wie international Werbung für neoliberale Austeritätspolitik zu betreiben.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass Macri Gastgeber einer Zusammenkunft war, deren Agenda unter dem Motto stand: »Konsens schaffen für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung«. Steht doch seine konfrontative Politik gegen Gewerkschaften sowie demokratischen und sozialen Bewegungen beispielhaft für die Senkung der Löhne und der Attacke auf Tarifverhandlungen, der Schädigung von Rentnern sowie der Begünstigung der Spekulanten bei gleichzeitig exorbitanter Auslandsverschuldung.

Macri regiert das Land seit 2015. Der »Darling der Wall Street« verfolgt einen rigiden Kurs der Austerität und Marktöffnung. Seine Politik zielt im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Christina Fernandez de Kirchner, die auf Kapitalmarktkontrolle gesetzt und alte Staatsschulden aus der Zeit vor der Staatspleite nicht zurückgezahlt hat, in erster Linie darauf ab, den Erwartungen der Finanzmärkte gerecht zu werden. Doch die radikal-liberale Politik der Begünstigung von Bankern und Rentiers führt nicht zum gewünschten wirtschaftlichen Erfolg. Im Gegenteil: Argentinien steckt in einer tiefen Krise. Die Inflation explodiert, hohe Auslandsschulden in US-Dollar und der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts prägen die aktuelle Lage ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019.

Auf dem Weg in die Rezession? (BIP 2016-18)

 

Wachsende Arbeitslosigkeit, ein Anstieg der Armut, immer mehr Menschen, die auf der Straße enden, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können; Eltern, die entscheiden müssen, ob sie ihren Kindern den Bus zur Schule oder Essen bezahlen; Häuser ohne Strom und Gas – das ist inzwischen der Alltag der Bevölkerung in dem immer tiefer in die Krise rutschenden Land.

Wie sehr sich die wirtschaftliche Situation tatsächlich verschlechtert hat, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie zum sozialen Klima, welche regelmäßig von einer Forschungsgemeinschaft dreier nationaler Universitäten durchgeführt wird. In einer repräsentativen Umfrage im Großraum Buenos Aires hatte jeder zweite angegeben, dass er Familienmitglieder hat, die unlängst ihren Arbeitsplatz verloren haben. Für sechs von zehn Befragten reicht der Lohn nicht, um bis zum Ende des Monats zu kommen. Fast die Hälfte der Befragten antworteten, das sie aus Kostengründen Einschränkungen bei der Ernährung machen vornehmen müssen.

Hatte Mauricio Macri bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte noch versprochen, die damalige zweistellige Inflationsrate von 25% in wenigen Monaten »auf null zu drücken«, hat sich diese jedoch in den drei Regierungsjahren nahezu verdoppelt. Die Währung ist im freien Fall, der argentinische Peso hat innerhalb von zwei Wochen 10% gegenüber dem US-Dollar verloren, da die Geldgeber Argentiniens immer größere Zweifel haben, ob das südamerikanische Land seine Schulden noch bedienen kann.

Explodierende Inflation

 

Anfang September musste Staatspräsident Macri in einer Fernsehansprache eingestehen, dass sich die Lebensbedingungen vieler Argentinier*innen in diesem Jahr verschlechtert haben. Macri, der mit dem Wahlversprechen »Pobreza Cero« (»Schluss mit der Armut«) angetreten war, nahm zum ersten Mal die Worte »Krise« und »Notstand« in den Mund und gestand ein, dass die Inflation und der Verfall des Pesos einen Anstieg der Armut zur Folge hat.

 

Laut einem Bericht der Katholischen Universität in Buenos Aires ist die Armutsrate im dritten Quartal 2018 im Vergleich zum Vorjahr mit einem Plus von 5 auf 33,6% gestiegen, was der höchste Stand der vergangenen zehn Jahre ist. Demnach leben in Argentinien mehr als 13 Millionen Menschen in Armut. Von der Armut seien am meisten die Menschen in der Altersgruppe von 18-29 Jahren betroffen. Die größte Anzahl von Bedürftigen konzentriert sich mit 3,8 Millionen Menschen auf die Hauptstadtregion Gran Buenos Aires. Zwar hat die Regierung trotz der Sparmaßnahmen die Sozialausgaben kaum angetastet, dennoch frisst die Inflation die Löhne und staatlichen Unterstützungszahlen so schnell auf, dass die Realeinkommen der Menschen seit Jahresanfang um mehr als zehn Prozent gesunken sind.

Der Haushalt für 2019 sieht massive Einschnitte in den Bereichen Bildung, Gesundheit sowie Wissenschaft und Technologie, einen starken Rückgang der Investitionsausgaben und weitere Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst vor. Dies ist eine Folge von Macris Hilferuf an den Internationalen Währungsfonds (IWF) dem Land Kredite in Milliardenhöhe zu gewähren – jene Institution, die direkt verantwortlich war für die Staatspleite von 2001 und die daraus folgenden schweren sozialen Verwerfungen. 14 Jahre, nachdem der damalige Präsident Néstor Kirchner durch einen mit Argentiniens Gläubigern ausgehandelten Schuldenschnitt – mit Ausnahmen der »Geierfonds«[1] – sämtliche Obligationen gegenüber dem IWF tilgte und die Landesfinanzen wieder auf gesunde Füße stellte, könnte sich die Geschichte wiederholen.

Den Ausschlag für den Hilferuf gab zum einen die Zinserhöhung in den USA, mit der Folge, dass das Kapital aus Schwellenländern wie Argentinien abgezogen wird, und zum anderen drastische Ernteausfälle infolge einer Dürre, was beispielsweise zu einem Rückgang der Sojaexporte um etwa 30% führte. Die Kreditaufnahme in US-Dollar, die vorteilhaft war, solange die US-Notenbank die Zinsen niedrig hielt, erweist sich inzwischen als schädlich. Da der argentinische Staat überwiegend in Dollar verschuldet ist, verteuert der abstürzende Peso unmittelbar den Schuldendienst.

Nachdem die argentinische Regierung im Juni einen Kreditvertrag über 50 Milliarden US-Dollar mit dem IWF unterschrieben hatte, wurde dieser Ende September um weitere 7,1 Milliarden aufgestockt. »Das ist die größte Zahlung in der Geschichte des IWF«, kommentierte die Direktorin Christine Lagarde. Nötig geworden war die Aufstockung, weil die argentinische Zentralbank die im Juni gewährte erste Tranche des 50-Milliarden-Kredits über 15 Milliarden ­US-Dollar bei dem Versuch, die eigene Währung zu stabilisieren, verschleudert hat.

Die Kreditgewährung erfolgt nicht ohne Gegenleistung. Das Abkommen mit dem IWF könnte sich erneut als Rettungsweste aus Blei erweisen: »Wir wissen doch, wie diese Geschichte endet!«, erklären die Kritiker des Abkommens. Argentinien musste sich gegenüber dem Währungsfonds zur Durchführung eines Strukturanpassungsprogramms verpflichten, das u.a. beinhaltet: Kürzung öffentlicher Ausgaben, Streichung staatlicher Subventionen, teilweise Einstellung der Ausgleichszahlungen an die Provinzen, das Absenken staatlicher Gehaltszahlungen und Beschneidung des Sozialwesens. Die geplanten Einsparungen sollen in den kommenden drei Jahren rund 19 Milliarden US-Dollar betragen.

Der Haushalt 2019 darf im kommenden Jahr kein Defizit auf­weisen. Dem Staat ist es untersagt, seine Dollar-Reserven zur Stabilisierung der Währung zu nutzen. Insgesamt sorgen die Vorgaben des IWF dafür, dass die Ausgaben für die Tilgung der Zinsen für die Auslandsschulden im kommenden Jahr höher sein werden als die Investitionen in soziale Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wissenschaft und Kindergeld. Eine weitere Priorität für die Regierung hat die geplante Rentenkürzung.

Die Entscheidung der argentinischen Regierung, sich aufgrund ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik wieder an den IWF zu wenden und der von den dortigen Ökonomen diktierte Haushalt 2019, der auch »Armut per Dekret« genannt werden kann, sorgen seit dem Frühjahr 2018 für einen anhaltendem Widerstand in der Gesellschaft. Inzwischen haben die Gewerkschaften den Ton gegenüber der Regierung verschärft: Fast täglich gibt es Protestmärsche, Straßenblockaden und Streiks von Betroffenen des rigiden Sparkurses.

Einem 24-stündigen Streik der Lehrkräfte folgten Demonstrationen der Dozenten und Studenten gegen Einsparungen an den Universitäten sowie der 12. Streik der Staatsbediensteten gegen Entlassungen, seit dem Amtsantritt des Präsidenten. Mitte September riefen die Gewerkschaften CGT und Central de Trabajadores de la Argentina (CTA) zum vierten Generalstreik in diesem Jahr auf. Dabei beteiligten sich am ersten Tag über 500.000 Menschen in der Hauptstadt Buenos Aires. Die massive Beteiligung an den Streikaktionen zeige, dass »das Volk den IWF und dessen Kürzungen scharf zurückweisen«, so der CTA-Gewerkschafter Hugo Yaski.

Im Oktober 2019 stehen die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Wie diese ausgehen werden, ist derzeit ungewiss. Aus heutiger Sicht sind die Chancen Mauricio Macris, wiedergewählt zu werden, minimal. Die erneute Zusammen­arbeit mit dem IWF hat ihm weitere Sympathien gekostet. Denn viele Argentinier machen den Währungsfonds noch heute mitverantwortlich für die traumatische Krise im Jahr 2001. Entsprechend sind die neuen Finanzhilfen aus Washington unpopulär: 75% der Argentinier halten sie für das falsche Mittel, nur zwei Prozent sind ohne Einschränkung dafür.

Die Opposition bereitet sich unterdessen auf die Wahlen vor. Noch ist nicht klar, wen die oppositionellen Peronisten ins Rennen schicken. Aussichtsreichste Kandidatin für die traditionell stärkste Kraft im Land ist die ehemalige Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. »Nach einer Umfrage vom September ist die ehemalige Präsidentin die politische Figur, die im Großraum Buenos Aires die meisten Wählerabsichten auf sich vereint«, berichtete das Magazin der einflussreichen Journalisten-Genossenschaft El Destape (3.9.2018). Mindestens 52% der Bevölkerung haben eine positive Meinung von der gegenwärtigen Senatorin und 40,6% seien bereit, sie wieder zu wählen.

Mit Blick auf kommende Wahlen warnte der bolivianische Vizepräsident Álvaro Linera auf dem »Ersten Weltforum des kritischen Denkens«, eine von mindestens 30.000 Menschen besuchte Gegenveranstaltung[2] zum G20-Gipfel, vor der Illusion progressiver Wahlerfolge und Regierungsbildungen: »Diese allein sind keineswegs ausreichend für die politische Stabilität einer Regierung links von der Mitte«. Vielmehr könne ihre Existenz nur mit einer rigoros nachhaltigen Wirtschaftspolitik gesichert werden, was im einzeln bedeute: nachhaltiges Wachstum, Neuverteilung des Erwirtschafteten, soziale Umverteilung.

Linera erinnerte in seiner Rede an schwerwiegende politische Versäumnisse: Die Mitte-Links-Regierungen Südamerikas hätten zusammen zwar 75 Millionen ehemals verelendeter und armer Menschen in die Konsumgesellschaft und in den Genuss von Grundrechten befördert, »jedoch auf ihre politische Aufklärung zu demokratisch gesinnten und widerstandswilligen Bürgern gegen neoliberale Generalangriffe und wertkonservative Wenden verzichtet«.

[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: Argentiniens Kampf gegen die Geierfonds »Patria o buitres« – Vaterland oder Geier, SozialismusAktuell.de 27. Januar 2015
[2] Diese Veranstaltung wurde von den Organisatoren der 26. Konferenz des Lateinamerikanischen Rates der Sozialwissenschaften (CLASO), der 654 Forschungs- und Aufbaustudien auf dem Gebiet der Sozial- und Geisteswissenschaften in nahezu 20 Ländern Lateinamerikas und auf einzelnen Kontinenten betreibt, durchgeführt.

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