Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
Weniger Arbeiten, mehr Leben!
Die neue Aktualität von Arbeitszeitverkürzung
160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

Stephan Krüger
Der deutsche Kapitalismus 1950–2023
Inflation, Beschäftigung, Umverteilung, Profitraten, Finanzkrisen, Weltmarkt
232 Seiten | zahlreiche farbige Abbildungen | EUR 24.80
ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
Zeitenwenden?
Der »neue« und der »alte« Kalte Krieg
176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

19. September 2016 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Rot-Rot-Grün erhält in Berlin eine Chance

Der alte und vermutlich auch künftige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, warnte kurz vor Stimmabgabe vor einem Erfolg rechter Parteien bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus. »Berlin darf nicht Hauptstadt der Rechten werden«, schrieb der SPD-Spitzenkandidat ohne auf die nahliegende Frage einzugehen, was denn sein Anteil und der der Berliner SPD am Aufstieg der AfD sein könnte.

»Schulterzucken? 10 bis 14% sind egal? Sie sind es nicht. Sie werden auf der ganzen Welt als ein Zeichen des Wiederaufstiegs der Rechten und Nazis in Deutschland gewertet werden.« Jetzt fahren die Rechtspopulisten erneut bei einer Landtagwahl einen Erfolg ein. In West- (12,1%) und Ostberlin (17,0%) unterschiedlich, aber dennoch sind 14,2% in der Hauptstadt ein Erfolg und ein politisches Signal.

Auch bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen, die gleichzeitig stattfanden, erreichte sie einen Stimmenanteil von 13,6% – mit Spitzen in Marzahn-Hellersdorf von 23,2% (zweitstärkste Kraft hinter der LINKEN), Treptow-Köpenick (20,1%) und Lichtenberg (19,2%).[1] Die Ratlosigkeit bei den »Altparteien« und dem politischen Establishment steigt.

Die rot-schwarze Landesregierung ist bei den Wahlen abgewählt worden. Die beiden sie tragenden Parteien kommen zusammen nur mehr auf rund 39,2% – ein Verlust von etwa 12,4%. Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 hatte die SPD noch ein Ergebnis von 28,3% erzielt, die CDU lag damals bei 23,3% (bei einer Wahlbeteiligung von 60,2%, Grüne 17,6%, Linke 11,7%, Piraten 8,9%).

Alle Schönrednerei kann nicht überdecken: Die bisherigen Regierungsparteien SPD und CDU haben bei höherer Wahlbeteiligung eindeutig verloren. Während die Grünen absolut (-9.000 Stimmen) wie relativ (-2,4%) Verluste hinnehmen mussten, haben vor allem die AfD (230.000 Stimmen), die FDP (+4,9%) und DIE LINKE (+3,9%; absolut: + 84.000 Stimmen) deutliche Stimmenzuwächse zu verzeichnen.

Rund 2,48 Mio. BürgerInnen waren aufgerufen, über die Sitze im Landesparlament zu entscheiden. Parallel dazu wurden auch die Kommunalparlamente gewählt. Die Landeswahlleitung konnte mit 66,9% eine deutlich höhere Wahlbeteiligung (+6,7%) konstatieren.

Der wesentliche Grund für die höhere Wahlbeteiligung: In Berlin gibt es einen hohen Prozentsatz an Menschen, die über die Partei-Establishments erheblich frustriert sind, die »Alt«parteien ablehnen und auf Multikulti überhaupt keinen Bock haben, sondern den hohen Anteil an MitbürgerInnen mit Migrationshintergrund vielmehr als Schlüsselproblem sehen. Und: Es gibt auch in Berlin die rechtspopulistische Alternative.

Ein beträchtlicher Teil der WahlbürgerInnen in Berlin (58%) ist weniger und auch sehr unzufrieden mit den Leistungen der Parteien im Abgeordnetenhaus. Diese Unzufriedenheit führt dazu, dass die bisherige Senatskoalition aus SPD und CDU mehrheitlich abgelehnt wird.

Diese Unzufriedenheit glaubte die SPD mit einem Verweis auf die Leistungsbilanz der Koalition kontern zu können. Wiederholt wurde damit derselbe Fehler wie im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Die Erzählung von den wohl geordneten Verhältnissen erreicht eine Minderheit der Wahlberechtigen nicht mehr. Die SPD verweist vergeblich auf die Erfolge des rot-schwarzen Senats mit soliden Finanzen und Schuldenabbau, fast einer Milliarde Euro Investitionen in den Bildungsbereich und der niedrigsten Arbeitslosenquote seit 1990.

Aber die Verunsicherung über die wirtschaftliche Entwicklung bundesweit und in Berlin wird als akut nicht drückend bewertet.

Auch die eigene wirtschaftliche Lage wird von der Mehrheit der Bevölkerung positiv gesehen.

 

Und dennoch gibt es einen untergründigen Trend des wachsenden Unbehagens über die Zunahmen der sozialen Ungleichheit.

 

Es wird angesichts der Stimmverteilung wohl zu einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken kommen, die auf eine Mehrheit von knapp 53% käme. Eine solche Regierungskoalition müsste Themen neu anpacken und die tiefsitzenden Ressentiments gegenüber den Altparteien aufbrechen.

Themen im Wahlkampf waren vor allem die »Flüchtlingsfrage«, der Wohnungsmarkt, Schulen und die desolate Verwaltung. Der Pannenflughafen BER spielte nur eine Nebenrolle. Im Wahlkampf wurde häufig über Flüchtlinge debattiert. Die Berliner Verwaltung, durch jahrlangen Personalabbau ausgezehrt, hatte erhebliche Probleme, den Flüchtlingszustrom zu bewältigen. Nach der Wende musste die Stadt zwei Verwaltungen zusammenführen und unter dem Druck der Schuldenbremse auf ein angemessenes Maß schrumpfen. Auch heute, die Zahl der Zufluchtsuchenden ist deutlich zurückgegangen, hat das Land Berlin noch viele Massenunterkünfte (Turnhallen etc.) in Betrieb.

Bei den aktuell wichtigsten Problemen in Berlin liegt das Thema »Flüchtlinge/Asyl« mit 40% klar vorne. Danach folgen die Themenfelder »Mieten und Wohnungsmarkt« (27%), »Schule/Bildung« (21%), »Verkehr« (13%) und »Kriminalität« (12%).

Die Wohnungspolitik dürfte in den nächsten Jahren zum wichtigsten Politikfeld werden. Schon jetzt sind steigende Mieten und wachsende Verdrängung von Mietern ein großes Ärgernis. Die Mietpreisbremse, die seit kurzem in Berlin im Einsatz ist, zeigt bisher keine Wirkung – unter anderem, weil viele Vermieter vor der Neuvermietung noch renovieren. Oder schlicht keine Auskunft darüber geben, wie teuer die Wohnung vorher war.

Der Grund für die Preisexplosion: ein deutliches Anwachsen der Bevölkerung in der Hauptstadt. Im Zeitraum 2015 bis 2020 sollen 190.000 Menschen dazukommen (ohne Flüchtlinge), also rund 40.000 pro Jahr.

Die SPD will die Zahl der landeseigenen Wohnungen durch Neubau und Zukäufe von über 300.000 bis 2026 auf 400.000 anheben. Zudem plant die Partei, die Förderung des Baus bezahlbarer Wohnungen für untere und mittlere Einkommensgruppen auf 5.000 Wohnungen im Jahr auszudehnen. Die SPD will außerdem das Geschäft der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen weiter erschweren.

DIE LINKE betont angesichts der aktuellen und sich verschärfenden Wohnungsnot vor allem schnelle Maßnahmen als Übergangsforderungen. Mit der Ankurbelung des Wohnungsbaus kann die Umverteilungswirkung durch Mietsteigerungen kaum aufgehalten werden. Der Berliner Mietspiegel, davon ist DIE LINKE überzeugt, muss verteidigt werden. Die Partei streitet dafür, dass Mieterhöhungen ohne Wohnwertverbesserung – auch bei Wiedervermietung – nur noch im Rahmen eines Inflationsausgleichs erfolgen dürfen. Die Kündigungsmöglichkeiten der Vermieter bei Eigenbedarf sollen eingeschränkt und das Verbot der Zweckentfremdung geschärft werden.

Die AfD fordert einen sofortigen Aufnahmestopp – Berlin habe die Grenzen seiner Belastbarkeit überschritten. Die bereits nach Deutschland gelangten Flüchtlinge seien keine »Neubürger«, sondern temporär Schutzberechtigte, die nach Wegfall des Fluchtgrundes wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen. Bildungsmaßnahmen sollen daher auf eine Förderung der Rückkehr ausgerichtet sein.

Der Senat muss sich nach Ansicht der AfD dafür einsetzen, Baunebenkosten zu senken und bürokratische Hürden abzubauen. Es müssten verstärkt Neubaugebiete ausgewiesen werden. Die Partei lehnt Maßnahmen wie die Mietpreisbremse strikt ab. Sie will den privaten Wohnungsbau fördern und schlägt eine direkte Privatisierung von landeseigenen Wohnungen zugunsten von Genossenschaften vor.

Die Wahlergebnisse haben viel mit den Vorstellungen der BürgerInnen von den Kompetenzen zur Problemlösung zu tun. Wenn es um die Wirtschaftskompetenz geht, hat die SPD mit 29% einen klaren Vorsprung vor der CDU mit 21% (Grüne: 3%; Linke: 4%; AfD: 1%). Beim Thema »soziale Gerechtigkeit« fällt der Kompetenzvorsprung der SPD deutlich aus: Hier liegt die SPD mit 33% vor DIE LINKE mit 24%, der CDU mit 10%, den Grünen mit 10% und der AfD mit 2%.

Keine Frage: Eine rot-rot-grüne Koalition in Berlin kann neuen Schwung in die stagnierenden Kräfteverhältnisse bringen und auch für die Bundestagswahlen 2017 eine neue Machtoption eröffnen. Allerdings müssten dafür SPD, Grüne und Linkspartei auch ihre internen Verhältnisse umkrempeln. Erfolgt dieser politische Aufbruch nicht, wird sich die AfD weiter festsetzen und das überlieferte Parteiensystem unterlaufen.

[1] In den Bezirken wird die AfD sogar »mitregieren«. Die zwölf Bezirke werden von einem Bezirksbürgermeister regiert, unter ihm stehen vier hauptamtliche Stadträte, die für Themen wie Bauen, Bildung, Kultur und Verkehr zuständig sind. Die Stadträte werden nicht von einer Koalition bestimmt, sondern nach Proporz entsprechend dem Parteiergebnis. So werden AfD-Repräsentanten bald für Bezirke für mehr als 300.000 Menschen zuständig sein und einen Millionenetat verwalten.

Zurück