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27. Mai 2022 Redaktion Sozialismus.de: Negative Effekte der Sanktionen sind begrenzt

Russland im Wirtschaftskrieg

US-Fastfoodkette McDonald's will seine Filialen an einen russischen Käufer verkaufen.

Die russische Notenbank hat ihre Geldpolitik trotz der anhaltenden Sanktionen gegen das Land erneut gelockert. Der Leitzins werde um 3,0 Prozentpunkte auf 11,0% reduziert, teilte die Zentralbank mit. Sie stellte weitere Senkungen in diesem Jahr in Aussicht. Es ist die dritte Zinssenkung in Folge.

Bereits Ende Februar hatte die Notenbank den Leitzins drastisch um 10,5 Punkte auf 20% angehoben. Sie reagierte damit auf die Sanktionen des Westens, die nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine beschlossen worden waren. Mit ihrer Zinserhöhung wollte sie damals der Abwertung der Landeswährung Rubel und Inflationsgefahren entgegenwirken. Zuletzt hat sich der Rubel deutlich erholt. Er liegt aktuell etwas über dem Niveau, das vor Kriegsbeginn herrschte.

Diese Entwicklung ist einigermaßen überraschend, denn ein Großteil der westlichen Sanktionen zielten auf das Währungssystem Russlands. Durch die Abkoppelung der russischen Banken vom internationalen Bankensystem SWIFT und die Blockade eines Teiles der russischen Währungsreserven waren größere Störungen erwartet worden. Nach einem deutlichen Wertverlust des Rubels haben die eingeleiteten Maßnahmen eine Stabilisierung bewirkt:

  • Erhöhung des Leitzinses, wie erwähnt, um 10,5%.
  • Die Möglichkeiten russischer Bürger*innen, Rubel zu verkaufen und Fremdwährungen zu kaufen, wurden stark eingeschränkt.
  • Die Regierung verlangt, dass russische Energieexporte in Rubel bezahlt werden.
  • Russische Exporteure müssen 80% ihrer Deviseneinnahmen in Rubel umtauschen.

Die Sanktionen haben kurzfristig die angestrebte Wirkung verfehlt. Die Resilienz der russischen Wirtschaft ergibt sich vor allem aus den Einnahmen aus Öl- und Gasexporten. Durch die derzeit hohen Energie- und Rohstoffpreise auf den Weltmärkten, die Möglichkeiten für eine begrenzte fiskalische Stimulierung der russischen Wirtschaft eröffnen, kann der wirtschaftliche Niedergang Russlands allerdings nur verlangsamt werden. Klar erkennbar ist, dass die russische Wirtschaft schrumpft. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass es in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um rund 10% geben wird.

Hauptgrund für die aktuelle Resilienz der russischen Wirtschaft ist die Entwicklung der Erlöse aus dem Energieexport. Im ersten Quartal 2022 sind die Einnahmen des russischen Staates aus dem Verkauf von Kohlenwasserstoffen im Vorjahresvergleich um über 80% gestiegen. Zutreffend resümiert deshalb die britische Wirtschaftszeitung »The Economist«: »Russia is back on its feet«. Bis zum Ende des Jahres 2022 wird die russische Wirtschaft nach Einschätzung der Zeitung noch »ziemlich gut funktionieren«. Danach werde allerdings der von EU-Kommission vorgeschlagene Stopp der Ölimporte aus Russland vollständig umgesetzt werden.

Das finnische »Centre for Research on Energy and Clean Air« (CREA) kommt für die russischen Erlöse aus dem Export von Öl, Gas und Kohle in den beiden Monaten nach dem 24. Februar zu folgenden Schätzungen:

  • Insgesamt exportierte Russland in den zwei Monaten fossile Brennstoffe im Wert von 63 Mrd. Euro.
  • Die EU importierte davon rund 71% (rund 44 Mrd. Euro).
  • In der EU waren die größten Importeure: Deutschland (9,1 Mrd. Euro), Italien (6,9 Mrd. Euro), die Niederlande (5,6 Mrd. Euro) und Frankreich (3,8 Mrd. Euro).
  • Außerhalb der EU waren die größten Importeure: China (6,7 Mrd. Euro) und die Türkei (4,1 Mrd. Euro)

Insgesamt erlöste Russland aus dem Export von fossilen Brennstoffen damit pro Tag umgerechnet 955 Mio. US-Dollar. Durch die Sanktionen bleiben die Weltmarktpreise für fossile Brennstoff weiterhin hoch. Russland dürfte die bisherigen Importeure außerhalb der EU künftig mit Preisabschlägen als Abnehmer ausbauen.

Im gesamten ersten Quartal lag das BIP auf dem Niveau des vierten Quartals 2021. Es war 3,6% höher als im ersten Quartal 2021. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg es im März nur noch um 1,7% (Februar: + 4.0%).

(Übersetzung: Schätzung des BIP, Januar 2008 = 100, saisonbereinigt)

Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet im neuen »World Economic Outlook«, dass Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion im laufenden Jahr um 8,5% sinkt. 2023 rechnet er mit einem weiteren Rückgang um 2,3%. Der IWF verweist darauf, dass die gegen Russland verhängten harten Handels- und Finanzsanktionen sowie das von einigen Ländern angeordnete Embargo auf Öl- und Gaslieferungen aus Russland weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Wirtschaft habe. Vom Abzug ausländischer Unternehmen seien viele Branchen betroffen, u.a. der Luftverkehr, der Finanz-Sektor, der IT-Bereich und die Landwirtschaft.

Bei den privaten Investoren in Russland sei viel Vertrauen verloren gegangen, stellt der IWF fest. Es werde zu einem deutlichen Rückgang der privaten Investitionen und des privaten Verbrauchs kommen. Durch zusätzliche staatliche Ausgaben werde dieser Rückgang nur teilweise ausgeglichen werden können.

Auch geht der IWF davon aus, dass Russlands Einfuhren aufgrund der Sanktionen noch deutlich stärker sinken als die Ausfuhren. Er rechnet damit, dass der Leistungsbilanzüberschuss Russlands 2022 auf 12,4% des Bruttoinlandsprodukts steigt. Der diesjährige Rückgang der wirtschaftlichen Leistung um 8,5% wird nach Einschätzung des IWF fast zu einer Verdoppelung der Arbeitslosenquote führen. Sie dürfte von 4,8% im Jahr 2021 auf 9,3% im Jahr 2022 steigen.

Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich – ebenfalls nach Einschätzung des IWF – im Jahresdurchschnitt 2022 von 6,7% auf 21,3% beschleunigen. Am Jahresende 2022 werde die Inflationsrate voraussichtlich 24,0% erreichen. Sie betrug bereits im April 17,8% im Vergleich zum Vorjahr und war damit auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren. Laut Wladimir Putin, der sich auf Expert*innen berief, soll sich jedoch der Anstieg der Inflation verlangsamt haben und für das gesamte Jahr 15% nicht überschreiten.

Um dennoch diesen Anstieg der Preise erträglicher zu machen, hat der russische Präsident die Erhöhung der Renten und von Sozialleistungen angekündigt. »Ab dem 1. Juni werde ich die Renten um 10% erhöhen«, sagte Putin bei einem Treffen mit Beamten und Regionalgouverneuren. Auch der Mindestlohn soll angehoben werden – ab Juni um 10% auf 15.279 Rubel (umgerechnet 240 Euro). Zudem sollen andere Leistungen erhöht werden, insbesondere für Frauen im Militär mit kleinen Kindern.

Die Auswirkungen der strengen westlichen Sanktionen gegen Russland beginnen die russische Wirtschaft zu belasten. Die Rekord-Inflation und die Umstellung vieler Menschen auf Teilzeitarbeit haben die Kaufkraft der Russ*innen beeinträchtigt. Die meisten haben keine nennenswerten Ersparnisse.

Die russische Regierung geht davon aus, dass das BIP im Jahr 2022 um bis zu 8,8% schrumpfen wird, während die Zentralbank eine pessimistischere Prognose von 8 bis 10% abgibt. Für 2023 erwartet der IWF zwar einen weiteren Rückgang des BIP um 2,3%. Gleichzeitig geht er aber davon aus, dass die Arbeitslosenquote dann von den erwähnten 9,3% auf 7,8% sinkt. Auch das Inflationstempo werde im Jahresdurchschnitt um rund ein Drittel von 21,3% auf 14,3% abnehmen.

Der russische Ökonom Vladislav Inozemtsev vom Zentrum für Studien über post-industrielle Gesellschaften mit Sitz in Moskau kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Finanziell schmerze der Krieg Russland nicht. Unter anderem aufgrund der Exporte und der Verpflichtung der Exporteure, einen großen Teil der Einnahmen in Rubel zu tauschen, sei die russische Volkswirtschaft inzwischen gut auf die Situation eingestellt. Russlands Zentralbank habe sehr raffiniert auf die für Moskau überraschend harten Sanktionen des Westens reagiert und damit die anfängliche Nervosität beruhigt, sagte Inozemtsev in einem Vortrag am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

Inozemtsev schätzt, dass die russische Wirtschaft im laufenden Jahr um 12 bis 15% schrumpfen wird. 80% dieses Rückgangs sei auf westliche Firmen, die Russland verlassen, zurückzuführen. Als Beispiel nannte der Wirtschaftswissenschafter die Kfz-Industrie. Diese sei stark von westlichen Bauteilen und Partnern abhängig. Bei anderen Teilen erwartet Inozemtsev eine inoffizielle Einfuhr beispielsweise über die Türkei. Russland habe bereits den Import von 96 Gütern ohne Zertifizierung erlaubt. Die Probleme, die durch fehlende Komponenten in vielen Industriezweigen entstehen, seien dennoch »enorm«.

Kreml-Chef Putin bestreitet die negativen Effekte durch die Sanktionen nicht: Dennoch werde es dem Westen nicht gelingen, Russland technologisch abzuhängen. Die Sanktionen hinterließen zwar ihre Spuren insbesondere bei Lieferketten und Transport, sagte er per Videoschalte zu Regierungschefs ehemaliger Sowjetrepubliken. »Aber alles kann angepasst werden, alles kann neu aufgebaut werden.« Auf dem Weg dahin werde es Rückschläge geben. »Das macht uns irgendwie stärker. Wir erwerben auf alle Fälle neue Kompetenzen.« Der Rückzug einiger ausländischer Firmen vom russischen Markt sei wahrscheinlich das Beste.

Für die blockierten Weizen-Lieferungen hat Putin gegenüber dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi einen Kompromiss angeboten. Schon zuvor ließ Kremlsprecher Dmitri Peskow verlauten, Russland habe angesichts der in der Ukraine blockierten Getreideexporte den Westen erneut zu einer Aufhebung von Sanktionen aufgerufen. Dann könnten auch die Exporte aus der Ukraine wieder laufen. »Sie sollen jene illegalen Entscheidungen aufheben, die die Frachtschiffe, die Ausfuhr von Getreide und so weiter und so fort behindern«, sagte Peskow. Der Westen wirft Russland vor, die Schwarzmeer-Häfen mit Kriegsschiffen zu blockieren, und so die für die Welternährung wichtige Weizenausfuhr zu verhindern.

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