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4. Oktober 2018 Otto König: Entscheidung des OLG Düsseldorf

Schallende Ohrfeige für die Opfer: Sektenarzt der Colonia Dignidad bleibt auf freiem Fuß

Erinnerungsarbeit für die Opfer der Colonia Dignidad. Foto: Wikimedia Commons/Zazil-Ha Troncoso 2 (CC BY-SA 4.0)

Der leitende Arzt der Colonia Dignidad (»Kolonie der Würde«), Hartmut Hopp, muss nicht ins Gefängnis. Das Mitglied der skrupellosen Führungsriege der ehemaligen Folterkolonie bleibt auf freiem Fuß.

In Chile war der Mediziner zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er dem früheren Chef der deutschen Siedlung, Paul Schäfer, Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern geleistet hatte. Vor wenigen Tagen hat nun der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) entschieden, dass chilenische Strafurteile gegen den früheren Colonia-Arzt in Deutschland nicht vollstreckt werden können.[1]

»Die Feststellungen der chilenischen Urteile sind trotz des außerordentlichen Umfangs ihrer Urteilsgründe nicht ausreichend, um nach deutschem Recht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Verurteilten Hopp wegen Beihilfe zur Vergewaltigung bzw. zum sexuellen Missbrauch oder wegen Strafvereitelung zu erfüllen«, urteilten die Düsseldorfer Richter. Der Umstand, dass Schäfer zur Tatbegehung die repressiven und autoritären Machtstrukturen der Colonia Dignidad nutzte und Hopp über Jahre hinweg deren Führung angehörte und damit dieses System stützte, reiche ebenso wenig, wie das Mitwirken Hopps bei der Gründung der Siedlung, um eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zu den Taten Schäfers zu begründen.

Das Urteil ist ein weiterer Tiefpunkt im Umgang mit den Verbrechen am Fuß der Anden. Seit 30 Jahren ermittelt die bundesdeutsche Justiz ergebnislos gegen Schäfer, Hopp und Co. Der Umgang mit den verbrecherischen Mordgehilfen der chilenischen Militärs nach deren Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende erinnert an den Umgang mit den Nazi-Verbrechern in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit.[2] Die Bundesregierung reagiert zurückhaltend. Staatsanwälte lassen sich Zeit. Die Entscheider zeigen nur geringes Interesse an der juristischen Aufklärung, was sich in der sektenartigen Siedlung im Zeitraum von 1961 bis 1991 abgespielt hat.

Über 30 Jahre lang hat die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich gegen Colonia-Führungsmitglieder ermittelt, aber kein einziges Mal Anklage erhoben. Das verwundert nicht, haben doch höchste offizielle chilenische und deutsche Stellen die Verbrechen bewusst geduldet oder gar gefördert. Auch deshalb ist das Urteil nicht nur »ein Schlag ins Gesicht der Opfer, sondern auch ein düsterer Tag für die Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad«, so das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

Hartmut Hopp wurde 2011 in Chile wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in 16 Fällen zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Bevor seine Strafe rechtskräftig wurde, setzte er sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Chile nach eigenen Angaben über Paraguay und Argentinien nach Deutschland ab. Im Januar 2013 hatte der Oberste Gerichtshof in der Hauptstadt Santiago de Chile das Urteil bestätigt. Da aber lebte Hopp schon längst unbehelligt im nordrhein-westfälischen Krefeld.

Weil er nach bundesdeutschem Recht nicht nach Chile ausgeliefert werden kann, hatte die Staatsanwaltschaft des südamerikanischen Landes im Rahmen der »internationalen Rechtshilfe in Strafsachen« beantragt, das Urteil in Deutschland vollstrecken zu lassen.



Die Siedlung – zynisch »Kolonie der Würde« genannt – des aus Deutschland geflohenen ehemaligen Wehrmachtsgefreiten und Laienpredigers Paul Schäfer nahe der Stadt Parral, rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, war ein Ort des Grauens: Kinder und Jugendliche deutscher wie chilenischer Herkunft wurden sexuell missbraucht, Bewohner*innen mit Elektroschocks gepeinigt und zu Zwangsarbeit verpflichtet.

Die 13.000 Hektar große, abgeriegelte Kolonie wurde 1991 gegründet und entwickelte sich über die Jahrzehnte zu einer Art faschistischem Zwergstaat, eine Enklave teutonischen Horrors, mit bis zu 300 deutschen Auswanderern mit Familien. Paul Schäfer versprach seinen Anhänger*innen ein »urchristliches Leben im gelobten Land«. Gleichzeitig wurden von der Leitung der Kolonie ein starker antikommunistischer Diskurs sowie Vorstellungen und Werte vertreten, die ihnen in rechtskonservativen sowie rechtsextremen Kreisen in Chile und Deutschland Sympathien verschafften. Politiker rechtskonservativer Parteien beider Länder gingen in der Colonia Dignidad ein und aus, so u.a. auch Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU).

Das System des despotischen Päderasten setzte auf Bedrohung und Strafe, Gewalt und Hörigkeit. Die Unterdrückung jeglicher Sexualität war ein wichtiges Machtinstrument des Sektenführers. Im Krankenhaus »Hospital El Lavadero« der Siedlung, dessen Leitung Hartmut Hopp 1978 übernahm, wurden Jungen und Mädchen Elektroschocks verpasst bzw. alternativ mit Valium vollgepumpt, oder es wurden ihnen Psychopharmaka gespritzt. Die aus der Colonia Dignidad geflüchteten Hugo Baar sowie Georg und Lotti Packmor[3] stellten in ihren Berichten an das Auswärtige Amt schon 1985 die systematische Folter mit Elektroschocks und Medikamenten im Kolonie-Krankenhaus dar. Gisela Seewald, Hopps Kollegin, bestätigte dies 2005 erneut gegenüber der chilenischen Justiz. (Rheinische Post online. 3.9.2011)

Die deutsche Siedlung Colonia Dignidad und der chilenische Geheimdienst Dina bildeten eine kriminelle Vereinigung, urteilte Chiles Oberster Gerichtshof in letzter Instanz. Tatsache ist: Der Geheimdienst Dirección Nacional de Inteligencia (DINA) des faschistischen Diktators Augusto Pinochet hatte von 1973 bis 1990 unter Leitung von Manuel Contreras die Siedlung als örtliches Haftzentrum, Folterschule und Vernichtungslager genutzt. Laut Experten des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin (FDCL) wurden in der Colonia »hunderte chilenische Regimegegner*innen gefoltert und Dutzende ermordet«.[4] Es soll vor allem Hartmut Hopp gewesen sein, der die engen Kontakte zum Pinochet-Regime unterhielt.

Mit der Rückkehr der Demokratie im Jahr 1990 begann in Chile die bis heute nicht abgeschlossene Aufarbeitung der von der Militärdiktatur begangenen Menschenrechtsverbrechen.[5] Nach dem Ende der Militärdiktatur häuften sich die Vorwürfe und Anzeigen gegen die Führung der Colonia. Außer um Kindesmissbrauch ging es auch um Steuerhinterziehung, Waffenschmuggel, Freiheitsberaubung und Drogenmissbrauch. 1991 löste der erste nach der Diktatur demokratisch gewählte Präsident und Christdemokrat Patricio Aylwin die Colonia auf, Polizei und Justiz beginnen mit den Ermittlungen. Bis heute dauert die juristische Aufarbeitung an.

Wahrheit – Das ist es, was die Opfer seit Jahrzehnten fordern. Nach einem späten Mea culpa des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier und einer Reise von Abgeordneten in die ehemalige Kolonie, hatte der Bundestag 2017 einstimmig die Aufklärung der Verbrechen und Beistand für die Opfer beschlossen. Die Bundesregierung sollte dem Parlament ein Konzept für einen Hilfsfonds mit Zahlungen für die Opfer der Sekte vorlegen und mit chilenischen Stellen die Einrichtung einer Gedenkstätte verbunden mit einem Dokumentationszentrum vor Ort prüfen. Der inzwischen vom Auswärtigen Amtes vorgelegte Entwurf ist jedoch mehr als als fragwürdig: Dieser teilt die Opfer in Gruppen ein, verweigert direkte Finanzhilfe und will Geschädigte nicht zuletzt am Tatort in der früheren Colonia – heute der Freizeitpark »Villa Baviera« – betreuen lassen.

Von daher ist zu bezweifeln, dass die Große Koalition alles ihr Mögliche unternimmt, damit sowohl in Chile als auch in Deutschland endlich mit Nachdruck gegen die Täter ermittelt wird und sowohl anhängige als auch neue Verfahren Priorität genießen. Dabei drängt die Zeit, vor allem für die Opfer.


[1] Im August 2017 hatte das Landgericht Krefeld auf Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden, dass die in Chile verhängte Freiheitsstrafe gegen Hopp in Deutschland vollstreckt werden kann. Hopps Rechtsanwalt legte daraufhin Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Das OLG Düsseldorf hat dieses Urteil aufgehoben und festgestellt: »Die Entscheidung ist abschließend, weitere Rechtsmittel gibt es nicht.«
[2] Spätestens Anfang der 1950er Jahre, nach Geltung des Artikel 131 GG und des entsprechenden 131er Gesetzes, strömten zuvor entlassene alte Nazis, Nazi-Beamte, Nazi-Richter wieder in den öffentlichen Dienst. Seitdem war ein Umkippen in der Tendenz der bundesdeutschen Rechtsprechung zu beobachten. Gab es bis 1950 pro Jahr etwa 6.000 Verfahren gegen Nazi-Verbrecher, so schrumpfte die Zahl ab 1950 pro Jahr auf 20 bis 30 und reduzierte sich später schlagartig auf einzelne Fälle. (Deutschlandfunk Kultur, 14.2.2007)
[3] Die »Colonia Dignidad« war hermetisch abgeriegelt – eine Flucht schafften nur wenige. Diejenigen, die sich dabei nach Santiago de Chile durchschlugen, suchten Schutz in der deutschen Botschaft und erzählten den Diplomaten von ihrem Martyrium. Doch anstatt zu helfen, schickten die Diplomaten die Geflüchteten zurück in die Kolonie. »Deutsche Diplomaten haben weggeschaut und zu wenig für die Opfer getan«, gestand der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2016 ein.
[4] Vgl. Otto König/Richard Detje: Ein Folterlager der chilenischen Geheimpolizei DINA, Schreckensherrschaft in der »Kolonie der Würde«; SozialismusAktuell.de vom 18.2.2016.
[5] Vgl. Otto König /Richard Detje: »Die Zeit der Angst ist vorbei«, Die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktaturen in Lateinamerika. Zeitschrift Sozialismus 6/2015.

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