26. Juni 2020 Joachim Bischoff: Der IWF sieht die Weltwirtschaft im Abwärtstrend
Schrumpfendes Wachstum und hohe Schuldenberge
Die Weltwirtschaft wird dieses Jahr nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wegen der Coronavirus-Krise noch viel stärker zurückgehen als bisher prognostiziert. Die Prognosen von IWF, Weltbank und OECD zeigen eine weitgehende Übereinstimmung.
Die Weltwirtschaft dürfte dieses Jahr um etwa 5% schrumpfen, was einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von ca. 12,5 Bio. US-Dollar entspräche. Der IWF kürzte seine Prognosen vor allem für Länder, die besonders von der Pandemie betroffen sind – darunter Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Brasilien und die USA. Deutschland wird eine gute Reaktion auf die Krise attestiert und für nächstes Jahr eine kräftigere Erholung zugetraut.
Trend der Wirtschaftsleistungen
Für 2021 erwartet der IWF wieder ein Wachstum der Weltwirtschaft von 5,4%. Allein China wird wohl mit +1% als einziges Land dieses Jahr eine positive Wachstumsrate erreichen. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, wo die Epidemie als erstes auftrat und früher eingegrenzt wurde, dürfte die Volksrepublik 2021 mit 8,2% an das Wirtschaftswachstum der Vor-Corona-Zeit anschließen.
Der Währungsfonds hat auch die staatlichen Anti-Krisenprogramme taxiert. Zwei Drittel aller Staaten haben Stützungsmaßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Weltweit haben die bisher angekündigten Maßnahmen inzwischen einen Umfang von fast 11 Bio. US-Dollar erreicht, wobei die Hälfte in Form von Zusatzausgaben und entgangenen Steuereinnahmen direkt budgetrelevant sind.
Die USA als weltgrößte Volkswirtschaft müssen sich 2020 auf eine Schrumpfung von 8,0% einstellen. Für Großbritannien wird ein Minus von 10,2% erwartet. In Europa sind zudem Frankreich, Italien und Spanien stark betroffen. Hier werden jeweils Rückgänge von knapp 13% vorausgesagt. Deutliche Minus-Zeichen werden auch für Russland, Brasilien und Indien prognostiziert.
Für Deutschland sagt der IWF dieses Jahr einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7,8% voraus. 2021 dürfte es dann ein Wachstum von 5,4% geben. Die deutsche Regierung habe schnell und mit großem Mitteleinsatz auf die Krise reagiert. Die große Koalition hilft der Wirtschaft mit Überbrückungszahlungen, Krediten, Bürgschaften. Zudem wurde zuletzt ein 130 Mrd. Euro schweres Konjunkturpaket geschnürt, das u.a. eine befristete Absenkung der Mehrwertsteuer vorsieht.
Der IWF unterstreicht allerdings, dass auch die aktuellen Schätzungen mit hohen Unsicherheiten verbunden sind. Mögliche Korrekturen hingen vor allem von der Zahl der Neuinfektionen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens ab. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, könnten die Daten für 2021 deutlich schwächer ausfallen.
Auch wenn zurzeit noch offen ist, wann die Corona-Pandemie zu Ende sein wird, wird zu den Folgen dieser globalen Herausforderung ein massives Anwachsen der öffentlichen Verschuldung gehören. Von den zur Bekämpfung oder Linderung der Corona-Krise aufgewandten öffentlichen Mitteln wird ein riesiger Haufen von Krediten und Schuldverschreibungen übrigbleiben.
Die gewaltigen Maßnahmen, mit denen in den letzten Monaten die nationalen Wirtschaften und deren jeweiliger Finanzüberbau gestützt wurde, kann man gerade auch im Vergleich mit den vorangegangenen Krisen zwar als Erfolg werten, aber eben auch bloß als Erfolg in der Systemstabilisierung.
Wieder einmal stützen vor allem die Unter- und Mittelklassen ein von sozialer Ungleichheit durchzogenes profitorientiertes System, um Schlimmeres zu verhindern. Wiederum geht es nicht Systemkorrekturen oder gar eine zukunftsorientierte Ausrichtung auf eine sozial-ökologische Transformation, sondern um die Wiederherstellung einer mehrfach in Krisen geschlitterte Gesellschaftsformation. Spätestens wenn diese einschneidende Krise ausgestanden ist, muss entschieden werden, wer für die neuen und alten Schulden aufkommt.
Diese Frage wird den Trend der weiteren Politik und die Qualität der öffentlichen Infrastruktur und Dienstleistungen für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Wenn dieses Problem nicht anders gelöst wird als in der Vergangenheit, werden die Schulden der Stützungsmaßnahmen zum Schlüssel für die Rückkehr zu einer Austeritätsperiode sein. Die Außerkraftsetzung der Schuldenbremsen mit ihren sozial einseitigen Lastenverteilungen bliebe dann eine kurze Atempause bis zur Wiederetablierung eines »Schuldenbekämpfungsregimes«.
Das internationale Schuldengebirge
Als Folge der Corona-Pandemie sind alle kapitalistischen Länder in die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression am Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hineingerutscht. Erneut wird die Kluft zwischen Arm und Reich in den Gesellschaften verschärft. Schon die große Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff. trieb einen Keil zwischen die sozialen Schichten. Die sozialen Unterschiede zwischen den Bürger*innen waren allerdings bereits seit Jahrzehnten einer immer stärkeren Belastung ausgesetzt.
Die Reformen nach dem Abklingen der damaligen Krise in den Bereichen Regulierung des Finanzsektors, erneuerbare Energie, Bildungs- und Gesundheitswesen haben die Verteilungsverhältnisse nicht einschneidend verändert. Der Druck zur Refinanzierung der in der Krise aufgehäuften Staatsschulden führte zu einer neoliberalen Konsolidierung, deren Auswirkungen sich im Abbau sozialstaatlicher Umverteilungen und einer stärkeren sozialen Polarisierung niederschlugen.
Durch die lange wirtschaftliche Aufschwungsphase im vergangenen Jahrzehnt wurden Unternehmen und Investoren reich, während die Mittelschichten und die sozial Benachteiligten gerade so über die Runde kamen. Nachhaltige Auswirkungen der Konjunktur waren eine zunehmende Polarisierung in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie ein Vertrauensverlust in die Parteien- und Regierungssysteme. Nicht zuletzt der Aufstieg des rechten Populismus veränderte die politische Willensbildung und die Parlamente.
Die Corona-Krise belegt erneut, dass der Staat Eingriffe in den Reproduktionsprozess vollzieht, die wir vorher für nicht möglich gehalten haben. Für massive Veränderungen der aktuellen Gesellschaftsformation benötigt man keine Kriege mit ihren reellen Zerstörungen von Infrastruktur. Die Corona-Krise und ihre Folgen sind eine erneute Aufforderung zu einer grundlegenden Reform des Hyperkapitalismus. Bereits die große Finanz- und Wirtschafts-, aber auch die Klimakrise haben Impulse geliefert, die Überwindung der sozialen Ungleichheit und der Umwälzung unseres Wirtschaftssystems wieder auf die Tagesordnung zu setzen und über Alterativen nachzudenken.
Das finanzielle Erbe der globalen COVID-19-Krise ist eine massive Erhöhung der gesellschaftlichen Schulden. Das andere Problem ist die überfällige Energiewende sowie der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise. Die Gesellschaften müssen eben nicht nur gegenüber künftigen Umweltschocks widerstandsfähig werden, sondern müssen insgesamt den Modus der gesellschaftlichen Reproduktion umwelt- und klimaverträglich umstellen.
Diese Veränderungen sind ohne öffentliche Investitionen nicht zu haben. Eine solche Transformation schließt aber auch eine Neuausrichtung der privaten Kredite auf nachhaltige Investitionen ein. Langsames Wachstum, wachsende soziale Ungleichheit und Arbeitslosigkeit waren bereits bisher der Nährboden vieler sozialer Missstände, hinzu kommt das Problem der Schuldenlast – alles politische Herausforderungen des dritten Jahrzehnts im 21. Jahrhunderts, die dringend angegangen werden müssen.