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5. Januar 2020 Bernhard Sander: Die politische Situation in Belgien zu Jahresbeginn

Seit einem Jahr ohne Regierung

Die amtierende Ministerpräsidentin Sophie Wilmès und ihr Vorgänger Charles Michel

Zur letzten Jahreswende war die Koalition von Liberalen und Rechtspopulisten aus Flandern und Wallonien auf Bundesebene geplatzt, da die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) den UN-Flüchtlingspakt von Marrakesch nicht unterzeichnen wollte, um so die aggressive islamfeindliche Stimmung im Land für sich zu kanalisieren.

Doch die rechtsradikalen Straßenkrawalle zeigten, dass die N-VA ein erstarkendes Potenzial mobilisieren kann. Belgien wird seitdem von einer Regierung geleitet, die von der N-VA geduldet wird, aber über keine Mehrheit verfügt.

Zugespitzt hatte sich diese groteske Situation mit den Parlamentswahlen auf Bundes- und Landesebene im Mai 2019. Da die Wählerschaft des Landes sowohl die Liberalen (MR im französisch sprechenden Landesteil Wallonie) als auch die Christdemokraten abgestraft hatten, bestand die Möglichkeit zu neuen Mitte-Links-Bündnissen (siehe hier auch »Wie weiter in Belgien?«), denn sowohl die Grünen als auch die linke Partei der Arbeit (PTB) hatten deutlich zugelegt. Vorausgegangen waren starke Mobilisierungen für den Klimaschutz und zum Erhalt des Rentensystems. Die Erneuerung der Sozialdemokratie überzeugte nicht, sie verlor in beiden Landesteilen und auf Bundesebene.

Obwohl das Parlament sogar in der Lage war, im Oktober 2019 mit Sophie Wilmès eine neue Premierministerin zu wählen, nachdem der liberale Amtsinhaber Charles Michel als EU-Ratspräsident an die Seite von Frau von der Leyen gewechselt ist, ist die Lage ist also kompliziert. Im Bundesparlament muss nun nach einer tragfähigen Koalition gesucht werden, die sowohl den Sprachenproporz als auch die Parteifamilien abwägen muss.

Rot-Rot-Grün hätte im 150 Sitze zählenden Bundesparlament etwa ebenso viele Abgeordnete (62) wie die amtierende »Schweden-Koalition« ohne N-VA. Denkbar wäre eine Mitte-Links-Koalition von Sozial- und Christdemokraten unter Einschluss der Grünen, die von PTB toleriert würde (nach portugiesischem Vorbild) mit 79 Mandaten. Sie könnte den Cordon sanitaire gegenüber dem Vlaams Belang festigen und die N-VA ebenfalls ausschließen. Dieses Modell würde auch dem Wählerwunsch nach einer linken Absage an den politischen Neoliberalismus Rechnung tragen.

Da eine nicht durch Wahlen legitimierte Regierung die Geschäfte führt, sieht sich die Wählerschaft (es herrscht Wahlpflicht, Wahlbeteiligung von 92,6%) mit einer Spielart autoritärem Kapitalismus konfrontiert. Die Zustimmung für den Vlaams Belang in den Umfragen wächst. Die Presse fragt bereits: Verlieren wir alle Geld durch die politische Sackgasse? Oder brauchen wir diese Regierung etwa gar nicht? Und erinnert an eine ähnliche Lage vor zehn Jahren.

Im Jahr 2010 wurde Belgien von den internationalen Ratingagenturen kritisiert. Sie hatten die Kreditwürdigkeit Belgiens abgestuft. Das war inmitten einer Finanzkrise, die eine fast apokalyptische Stimmung zur Folge hatte, in der die Märkte begannen, gegen Belgien zu spekulieren. Doch am Ende hatte das auch eine positive Seite: Am Rande des Abgrunds war für den damaligen Ministerpräsidenten Elio Di Rupo von der Sozialistischen Partei ein Kompromiss über die Spaltung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde und eine Staatsreform möglich. Damals dauerte es 541 Tage, bis Belgien eine neue Regierung hatte.


Regierungsbildung in den Bundesländern

Vorprägend zur Bewältigung des jetzigen Situation könnten die Regierungsbildungen in den fast autonomen Teil-Staaten sein. Die Regierung in der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt steht. Auf der frankophonen Seite sind das PS (Sozialdemokraten), Ecolo und Défi, auf flämischer Seite das sozialdemokratische Bündnis one.brussels, Groen und die liberale OpenVld. Hier sind die frankophonen Liberalen allerdings bereits seit 15 Jahren auf der Oppositionsbank. Das Programm der Stadtregierung der linken Mitte ist durchaus ambitioniert: flächendeckende Einführung von Tempo 30, Streichung von 30.000 Parkplätzen im öffentlichen Raum, öffentliche Investitionen in den ÖPNV.

Im französischsprachigen Wallonien einigten sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale auf eine Regierung, um damit die erstarkte linke Parti du Travail de Belgique (PTB) außen vor zu halten. In der strukturschwachen Region sind die Haushaltsspielräume allerdings begrenzt.

Als Reaktion auf den relativen Wahlerfolg der linken Parteien in der Wallonie haben sich zwei der drei ziemlich erfolglosen rechtsextremen Formationen zu einer neuen Partei zusammengeschlossen. Auf fremdenfeindliche Töne will La Droite Populaire verzichten. Ein Parteisprecher, Aldo-Michel Mungo, erklärt das wie folgt: Als es vor knapp einem Jahr in der öffentlichen Debatte um den sogenannten Marrakesch-Plan der UN gegangen sei, hätten sich die Abgeordneten des Parti Populaire gegen diesen Pakt gestellt. Doch alle vier Abgeordneten hätten bei den Wahlen dann ihren Sitz verloren. »Das hat bewiesen, dass das Thema Einwanderung nicht das zentrale Thema in der frankophonen Politik ist.«

Statt gegen Einwanderung und Überfremdung Stimmung zu machen, setzt die neue Partei auf andere klassische rechte Themen: Ein starker Staat, in dem die Gesetze eingehalten werden, ist La Droite Populaire wichtig. Auch sozialen und so genannten progressistischen Themen will die Partei sich annehmen. Man will die Eigenverantwortung des Einzelnen stärken und der Kampf gegen so genannte dekadente Strömungen in der Gesellschaft aufnehmen.

In Flandern begann die Sitzungsperiode mit einem Eklat. Die Partner der Koalition, N-VA, CD&V und Open VLD, hatten auch schon die vergangenen fünf Jahre zusammen Flandern regiert. Sie verweigerten die Vorlage eines bezifferten Haushaltsentwurfes. Ministerpräsident Jan Jambon (N-VA) hatte auf einem Empfang der flämisch-nationalistischen Meinungsseite »Doorbraak.be« einen Satz fallengelassen, der wie eine Provokation klingt: »Wir haben die Haushaltstabellen, sie befinden sich in einer Mappe auf meinem Schreibtisch. Aber wenn die Opposition danach fragt, neige ich dazu, die Tabellen nicht freizugeben.«

Erstmal gehe es nur um das Programm der neuen Regierung – »unsere Richtung, unsere Vision, unsere Ambition. Und darüber möchten wir heute abstimmen lassen. Wenn die Zahlen einmal da sind, dann können wir darüber debattieren solange, wie wir wollen«, sagte Jambon. »Lassen wir doch jetzt mal die Kirche im Dorf. Ich soll die Demokratie mit Füßen treten? Ich soll schlimmer sein als die Nazis und die Kommunisten? Und das nur, weil ich die Debatte über Zahlen um zwei Werktage verschiebe? Entschuldigung, mir war nicht klar, dass ich mich hier so schrecklich verhalten habe. Ich mach’s nicht mehr, versprochen«, fügte er sarkastisch hinzu.

Die Opposition konnte er damit aber offensichtlich nicht überzeugen. Jos D’Haese von der PTB erwiderte: »Der Ministerpräsident behauptet, die Demokratie zu respektieren. Dann hat er eben keine Ahnung von parlamentarischen Gepflogenheiten. Die Regierung hat dem Parlament gegenüber Rechenschaft abzulegen, und das nicht dann, wenn es ihr passt.« Sie »kriegen keinen Blankoscheck von uns«, wetterte auch der rechtsextreme Vlaams Belang. »So geht es nicht! Das hier ist das Herz der Demokratie«, sagte auch der Groen-Fraktionschef Björn Rzoska.

Es geht beim neuen Regierungsprogramm um ein starkes Signal für die weitere Aufspaltung Belgiens. Kern des flämischen Regierungsprogramms ist die verschärfte Migrations- und Integrationspolitik. Flandern wird Unia, das föderale Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung, verlassen und ein eigenes, neues Zentrum aufbauen. Eine solche Entscheidung – und da sind sich viele Beobachter einig – hätte man noch bis vor Kurzem nie mit der CD&V machen können. Es wurden strengere Einbürgerungsregeln (Einführung eines flämischen Wissenskanons, Förderung der niederländischen Sprache) vereinbart.

Es soll künftig einen flämischen Justizminister geben. Die Justiz ist eigentlich immer noch eine föderale Materie. Die Gemeinschaften sind aber schon zuständig für Teilaspekte der Justiz, etwa die Gefängnisse oder auch Überprüfung gewisser Bewährungsauflagen. Der staatliche Rundfunk VRT soll in Zukunft nur noch »komplementär« zum privaten Medienangebot sein, nur noch das bringen, was die anderen nicht bringen – das natürlich in erster Linie mit Blick auf Flandern. So soll die VRT zum Beispiel auch nicht mehr teure Sportrechte erwerben dürfen. Die neue Regierung will außerdem das Beamtenstatut abschaffen. Die Klimaschutzziele wurden nach unten korrigiert.


Schlechte Rahmenbedingungen

Die Regierungsbildung in den Ländern stärkt die zentrifugalen Kräfte im Bund. Walloniens »Regenbogen-Regierung« macht ungefähr das Gegenteil von dem, was die Flamen gemacht haben. Da stellt sich die Frage: Wie soll man denn da jetzt eine Föderalregierung auf die Beine stellen? Zumal vieles von dem, was im flämischen Regierungsabkommen steht, nur geht, wenn der Föderalstaat »mindestens mitspielt«.

Die Regierungsbildung wird erschwert durch die aktuell ungünstigen ökonomischen Rahmenbedingungen. Das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher*innen ist in den letzten Monaten gesunken. In den letzten Jahren sind die Arbeitskosten schneller gestiegen als die Produktivität. Das Beschäftigungswachstum liegt nach wie vor unter dem europäischen Durchschnitt, und die Auslandsinvestitionen sind ins Stocken geraten. Das Wirtschaftswachstum ist für das Jahr 2020 mit 1,1% prognostiziert gegenüber 1,2% in 2019 und 1,4% in 2018, so die Zahlen der Nationalbank.

Das alles hat dazu geführt, dass der Haushalt nach etwa einem Jahr geschäftsführender Regierung nicht besonders rosig aussieht. Bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode – im Jahr 2024 – wird das Defizit auf 12 Mrd. Euro anwachsen. Allein während Zeit der geschäftsführenden Regierung betrug die Budgetabweichung 3,8 Mrd. Euro, so der Überwachungsausschuss (Mitarbeiter der Bundesregierung, die das Budget im Voraus berechnen). Erst letzte Woche hat die Europäische Kommission Belgien aufgefordert, seinen Haushalt in Ordnung zu bringen.

In allen Bundesländern und im Bund selbst explodiert die Staatsverschuldung, aber aus Sorge um soziale Konflikte mit den immer noch kampfstarken Gewerkschaftsbünden wird die schwarze Null aufgeschoben. Die Sozialversicherung schreibt rote Zahlen. In diesem Jahr wird sich der Fehlbetrag schon auf rund 1,5 Mrd. Euro belaufen (ohne den aktuellen Bundeszuschuss sogar drei Mrd. Euro). Bei unveränderter Politik werden es in fünf Jahren über sechs Mrd. Euro sein. Der PTB-Abgeordnete Steven De Vuyst greift in die Bilderkiste: »Die Soziale Sicherheit, die Kathedrale der Arbeiterklasse, steht in Flammen … Sie haben in den letzten fünf Jahren die Sozialbeiträge gesenkt, was natürlich die Einnahmen gedrückt hat.« Genau das haben auch die Vorsitzenden der drei großen Gewerkschaften in einem Offenen Brief beklagt.

Die amtierende Ministerin für »Soziale Angelegenheiten«, Maggie De Block (liberale OpenVld), hielt dem steigende Ausgaben von zwei Mrd. Euro pro Jahr allein für die Pensionen entgegen. Zudem sei die Beschäftigungsrate im Land nach wie vor zu niedrig. Der Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung liegt um zehn Punkte unter dem Wert in den Niederlanden.

Der rechtsextreme Vlaams Belang hatte eine komplette Spaltung der sozialen Sicherheit gefordert und eine Übertragung der Mittel an Flandern für den Teil, der Brüssel betrifft. Die N-VA hatte den Vorschlag zum Teil unterstützt.

Der Chefökonom der flämischen Arbeitgeberorganisation VOKA relativiert die Lage: »Aufgrund des niedrigen Zinssatzes machen sich die Märkte wegen der Haushaltslage keine allzu großen Sorgen. Wir werden morgen nicht bankrottgehen.« Gleichzeitig sei es schwierig, genaue Vorhersagen zu treffen. Laut Paul De Grauwe von der London School of Economics befindet sich Belgien an einem Wendepunkt. »Ist die Wachstumsverlangsamung in Deutschland zum Beispiel vorübergehend oder strukturell bedingt? Befindet sich Deutschland in der Rezession? Das würde einen großen Einfluss auf uns haben.«

Völlig offen ist jedoch die politische Bewertung des Spielraums für öffentliche Investitionen, der sich durch die Niedrigzinsen eröffnet. Die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur oder Bildung erodieren. Doch diese Entwicklungen dauern schon seit Jahren an. »Wenn das weitergeht, werden wir auf dem gleichen erbärmlichen Weg bleiben wie in den letzten zwanzig Jahren, aber kurzfristig wird uns das kein Geld kosten«, sagt Koen De Leus, Chefökonom der BNP Paribas Fortis.


Aktueller Verhandlungsstand

Auf Bundesebene begann man mit Vorgesprächen der vom König beauftragten »Informateure« von PS und N-VA. Vor allem die PS hatte bisher stets eine gemeinsame Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Die Gräben seien tief, hieß es: Haushalt, sozialpolitische Ausrichtung, Migration, Sicherheit, Klimaschutz, Gemeinschaftspolitik, die Haltung zur EU. Im November gaben die beiden ihr Mandat zurück. Der PS-Politiker Paul Magnette plädierte mehr denn je für eine Koalition aus Sozialisten, Liberalen und Grünen, eventuell plus CD&V. Das wäre eben eine Regenbogen-Regierung ohne die N-VA.

In dieser Situation versucht die Sozialdemokratie, ihren Erneuerungsprozess fortzusetzen. In der Wallonie hat sich die PS mit dem linken Ökonomie-Professor Magnette einen neuen Vorsitzenden gegeben. Als neuer Unterhändler geht er mit einem ambitionierten Programm in die nächste Runde der Verhandlungen: Demnach soll bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ein Beschäftigungsgrad von 75% erreicht werden. Der Mindestlohn soll bis 2024 auf 14 Euro pro Stunde angehoben werden.

Zur Erreichung der Klimaziele sieht das Dokument eine 55%ige Reduzierung der Treibhausgase vor. Belgien könnte dann nach der Prognose bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Das Dokument sieht weiter auch eine schrittweise Erhöhung der Netto-Mindestrenten auf 1.500 Euro und drei Mrd. Euro Investitionen in die Staatsbahn vor.

In Flandern wurde der erst 26-jährige Conner Rousseau durch Urwahl der 40.000 Mitglieder der Partei ausgewählt. Die bisherige Nachwuchshoffnung war schon Fraktionschef der SP.A im flämischen Parlament und erhielt im Tandem mit Funda Oru 72% der Stimmen.

Conner Rousseau kommt aus einer durch und durch sozialistischen Familie. Seine Mutter war Senatorin und auch Bürgermeisterin in Sint-Niklaas, seine Großmutter war eine der ersten Frauen überhaupt im Senat (die Zweite Kammer in belgischen Bundesparlament). Sein Vater war lange Bürgermeister in Nieuwpoort und Direktor eines Jugendferienzentrums der sozialistischen Krankenkasse. Die SP.A ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Bei der Wahl im Mai erreichte die Partei gerade noch 10%. Conner Rousseau übernimmt also einen Scherbenhaufen.

Die Reaktionen auf die Blockade sind beunruhigend. Für Flandern malte eine neue Umfrage im Dezember ein düsteres Bild. Der rechtsextreme Vlaams Belang kann demnach im Vergleich zur letzten Wahl gleich um fast zehn Prozentpunkte zulegen und mit 27,3% den ersten Platz erobern.

Die N-VA ist also entthront: Sie steht bei 22% – ein Minus von nochmal drei Punkten im Vergleich zur Wahl vom 26. Mai. Den beiden Koalitionspartnern der N-VA in Flandern ergeht es nicht besser: Die CD&V steht bei 11% – drei Punkte unter ihrem Ergebnis vom Mai. Die liberale Open VLD sackt unter die psychologische Marke von 10%. Groen, die SP.A und die PTB liegen ebenfalls mehr oder weniger bei 10%. Im Umkehrschluss heißt das, dass Vlaams Belang und N-VA jetzt zusammen eine Mehrheit in Flandern hätten.

In der Wallonie kann sich die PS im Vergleich zur letzten Umfrage leicht erholen, die Sozialisten liegen dennoch mit knapp 24% immer noch mehr als zwei Punkte unter ihrem Ergebnis vom Mai. Die MR bleibt auf Platz zwei mit 20%. Es folgen Ecolo mit 17% und die PTB mit einem Zuwachs auf 16%. Die CDH liegt immer noch unter 10%. In Brüssel muss Ecolo zwar leichte Verluste einstecken, die Grünen bleiben aber stärkste Kraft. Dahinter folgen die PS, die MR und dann schon die PTB.

Prompt verschärfte der flämische Ministerpräsident Jambon den rassistischen Ton der N-VA. In einem von der Zeitung De Tijd veröffentlichten Porträt sagte Jambon, er habe gehört, dass eine Asylbewerber-Familie mit dem rückwirkend erhaltenen Familiengeld ein Haus kaufen konnte, nachdem sie den Flüchtlingsstatus erhalten hatte. De Tijd hat durch Faktenüberprüfung nachgewiesen, dass ein solcher Fall äußerst unwahrscheinlich wäre. Aber solche Fake News erschweren die Verhandlungen auf Bundesebene.

Die neuen Präsidenten der französischsprachigen Parteien reagieren ebenfalls auf den Rechtsruck. Sie sind bereit für eine weitere Staatsreform im Jahr 2024. Das ist eine Forderung der meisten flämischen Parteien. Die französischsprachigen Parteien und ihre neuen Vorsitzenden sind sich sehr wohl bewusst, dass Belgien effizienter werden muss. Die Christdemokraten (CDH) sind der Meinung, dass es »Elemente gibt, die weiter regionalisiert werden müssen und andere, die besser wieder föderalisiert werden sollten«.

Paul Magnette (PS) befürwortet ebenfalls eine Staatsreform im Jahr 2024, aber bei dieser dürfe es »nicht nur um die Verteilung von Befugnissen gehen, sondern auch um die Verbesserung der Funktionsweise des Bundesstaates und der Demokratie«. Die Frage, »die heute gestellt werden muss, ist die nach der Effizienz«, so Rajae Maouane von Ecolo. Das Mouvement Réformateur (MR) vertritt dieselbe Meinung. Eine weitere Staatsreform dürfe allerdings nicht mehr auf der Grundlage der Identität erfolgen. Aber auch dieser Minimalkonsens dürfte keine Begeisterung auf flämischer Seite auslösen, wo Jambon nach wie vor die Meinung vertritt, dass eine neue Bundesregierung nicht den Mehrheiten in seinem Land entgegenlaufen dürfe; was in der Konsequenz auf die Einbeziehung des Vlaams Belang hinausläuft und damit auf eine weitere Rechtsverschiebung.

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