17. April 2012 Joachim Bischoff
Spanien im Krisenstrudel
Spaniens Talfahrt im Krisenstrudel hat sich beschleunigt. Eine Besserung ist trotz vielfältiger Beschwichtigungen aus Brüssel nicht in Sicht. Seit längerem gilt das Land als weiterer Wackelkandidat in der europäischen Schuldenkrise – nach Griechenland, Portugal und Irland.
In diesem Jahr erwartet Spanien einen Rückgang seiner Wirtschaftsleistung um knapp 2%. Zugleich nimmt die Arbeitslosigkeit rasant zu. Das Land hat mit 22,9% bereits die höchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union (EU). Bis zum Jahresende rechnet die Regierung mit einer Quote von 24,3% und einem Anstieg der Erwerbslosen auf fast 6 Mio. Menschen.
Was ist der Grund für diese gefährliche Konstellation? Die spanischen Regierungen haben im letzten Jahrzehnt sparsam gewirtschaftet und vor der Finanzkrise lange Jahre sogar Haushalte mit Überschüssen vorgelegt. Allerdings haben die politischen Entscheidungsträger nichts gegen die gefährliche Fehlentwicklung im Immobilienbereich unternommen.
Der langjährige Konjunkturaufschwung basierte vor allem auf der Expansion des Bau- und Immobiliensektors. In den Agglomerationen der Großstädte entstanden Satellitenstadtteile, deren Wohneinheiten zu 120% belehnt wurden, damit sich die Käufer auch gleich das dazu passende Auto leisten konnten. Auch sonnenhungrige Nordeuropäer hofften, sich dank dem vermeintlich immerzu ansteigenden Wert ihrer Immobilie ihre Alterseinkommen deutlich aufbessern zukönnen.
Die Folgen der geplatzten Immobilienblase können in Spanien nicht übersehen werden. 700.000 unverkaufte Wohneinheiten warten zur Zeit auf Käufer. Laut der spanischen Zentralbank sind 176 Mrd. Euro an wackligen Hypotheken ausstehend. Die Götterdämmerung steht den unterkapitalisierten spanischen Banken und Sparkassen, die die Finanzkrise von 2008 mit erstaunlich geringem Schaden überlebt haben, erst noch bevor. Fataler Nebeneffekt des Baubooms war eine auswuchernde Korruption.
Stark verschuldet sind dank dieser Entwicklung die Haushalte und Unternehmen. Denn mit der Einführung des Euro sanken 2002 schlagartig die Zinsen für Wohnungskredite von über zehn auf drei, vier Prozent. Die Spanier, die schon immer lieber in ein eigenes Heim investiert haben, setzen das billige Geld in den Immobilienbereich um. Im Zuge eines spekulativ aufgeheizten Baufiebers wurden jährlich bis zu 800.000 Wohneinheiten hochgezogen, mehr als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen.
Die Zinsen waren tief, Banken und Sparkassen vergaben bedenkenlos Kredite und gewährten eine Baufinanzierung von mehr als 100% – auch an Familien ohne geregeltes Einkommen, darunter viele Einwanderer. Die sich selbst verstärkende Wertbewegung führte zu einer Immobilienblase, die 2008 platzte. Die Steuereinnahmen aus den Immobiliengeschäften fielen in den Keller, das Haushaltsdefizit stieg von 40% auf 70% rasant an, viele Unternehmen gingen pleite. Heute haben Unternehmen und Privathaushalte Schulden von rund zwei Bio. Euro.
Viele Hausbesitzer können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Nach Angaben der Spanischen Zentralbank schultern die Geldhäuser inzwischen faule Kredite in Höhe von rund 180 Mrd. Euro. Die Folgen dieses Zusammenbruchs wurden seit 2008 durch einen massiven Einsatz kreditfinanzierter Staatsmittel abgefedert.
Zwischen 2003 und 2008 hat es in Spanien eine Verdoppelung der Immobilienpreise gegeben. Seit dem Hoch vor vier Jahren sind die Preise für Immobilien im Schnitt um 15-20% gesunken. Experten sehen in diesen Preiskorrekturen erst einen Anfang. Denn geschätzt wird bei fertigen Häusern ein notwendiger Preisrückgang von 28%, bei im Bau befindlichen Objekten von 50% und beim Bauland von 61%. Keine Frage: Die Immobilienpreise müssen um weitere 15% bis 20% fallen, es sei denn man kann gesamtwirtschaftlich eine Entschuldung oder ein Moratorium für Hypothekarkredite durchsetzen.
Die enormen toxischen Immobilienbestände belasten den Finanzsektor. So hat die Wirtschaftskrise den Geldhäusern beispielsweise tausendfach Häuser und Grundstücke zahlungsunfähiger Kunden in die Hände gespielt. Vor allem die Bauträger kämpfen ums Überleben. Ihre Liquiditätsprobleme zwingen die Institute, immer mehr Objekte, die für die Kredite als Sicherheiten dienten, in ihre Bücher zu nehmen. Die Spanische Zentralbank hat die Finanzinstitute seit Oktober 2011 dazu verpflichtet, ihre Immobilienbestände schneller abzustoßen. Eine entsprechende neue Bilanzregel sieht vor nämlich, dass die Banken und Sparkassen bereits nach zwölf Monaten Rückstellungen für faule Kredite bilden müssen. Bisher konnten sie sich bis zu 72 Monate dafür Zeit nehmen und damit die Verluste für Außenstehende nicht erkennbar vor sich herschieben.
Unter dem Druck der internationalen Finanzmärkte, der EU-Kommission, der EZB und des IMF greift Spanien wie die anderen Krisenländer zu dem völlig falschen Mittel einer finanzpolitischen Rosskur. Mit einem beispiellosen Sparkurs will Spaniens rechtskonservative Regierung das Land aus der Schuldenfalle führen. Trotz des Unmuts in der Bevölkerung, der sich Ende März in einem Generalstreik entlud, wird ein massives Sparprogramm durchgezogen. Von den Kürzungen sind alle Politikbereiche betroffen, auch die regionale Ebene, aber auch Steuererhöhungen sind vorgesehen. Der eiserne Sparkurs in dem rezessionsgeplagten Land wird damit begründet, dass das Haushaltsdefizit dieses Jahr auf 5,3% der Wirtschaftsleistung abgesenkt werden muss. Die meisten Experten haben starke Zweifel, dass die Rosskur anschlagen wird.
Spanien sollte bereits 2011 das Haushaltsdefizit auf 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) absenken. Die Neuverschuldung erreichte stattdessen 8,5% des BIP. Für das laufende Jahr strebt die Regierung in Übereinstimmung mit der EU-Kommission nun eine Senkung des Defizits auf 5,3% an. Ursprünglich war eine Obergrenze von 4,4% vorgesehen. Um dieses Ziel zu erreichen, verabschiedete die konservative Regierung von Mariano Rajoy in den ersten Monaten des Jahres einen Haushalt, der Kürzungen von 27 Mrd. Euro vorsieht und schob kurz danach ein weiteres Sparpaket von 10 Mrd. Euro nach.
Logischerweise befördert die Rosskur die wirtschaftliche Schrumpfung. Die spanische Wirtschaft ist nach Einschätzung der Regierung zu Jahresbeginn erneut zurückgegangen und steckt damit zum zweiten Mal seit 2009 in einer Rezession. »Das erste Quartal dürfte genauso ausgefallen sein wie das letzte Quartal des vergangenen Jahres«, sagte Wirtschaftsminister Luis de Guindos. Im letzten Quartal 2011 war das Bruttoinlandsprodukt um 0,3% gesunken. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird von einer Rezession gesprochen.
Zudem ist auch das Bankensystem in einem schlechten Zustand – bezogen auf das Volumen der faulen Kredite. Im Januar 2012 fielen knapp 8% aller ausstehenden Kredite in die Kategorie mit einem hohen Ausfallrisiko. 50 Mrd. Euro sollten die Kreditinstitute für ihre Immobilienrisiken zurückstellen, doch die meisten Analysten glauben, dass die drohenden Verluste weit höher liegen und dass der Staat weitere Milliarden in die Sanierung der Sparkassen stecken muss.
Spaniens kriselnder Bankensektor ist deshalb trotz der massiven Liquiditätsversorgung im Euroraum weiter in Geldnöten. Die Ausleihungen der spanischen Institute bei der Europäischen Zentralbank (EZB) stiegen im März um fast 50% und erreichten damit einen Rekord. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen stiegen nach Monaten der Stagnation deutlich an. Die Rendite stieg bis auf 6,13%. Anfang Februar hatte sie noch deutlich niedriger bei unter fünf Prozent gelegen. Ab einem Zinssatz von 7% gilt die Geldaufnahme für Staaten auf Dauer als zu teuer. Noch stärker gerieten Staatspapiere in den kurzen Laufzeiten unter Druck. Im zweijährigen Bereich stieg die Rendite – ein Maßstab für das Misstrauen der Investoren – auf bis zu 3,68%. Anfang April hatte sie mit 2,5% über einen ganzen Prozentpunkt niedriger gelegen.
Schlussfolgerung: Auch Spanien, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Euro-Zone, wird letztlich nicht ohne internationale Finanzhilfe auskommen. Deshalb verstummt der Ruf nach einer Aufstockung des Euro-Rettungsfonds nicht. Nach Ansicht von Experten sind die Rettungsfonds noch zu klein, um Spanien im Notfall helfen zu können.
Es war eine Illusion der politischen Entscheidungsträger und der Notenbanker davon auszugehen, dass die Liquiditätsspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) die massiven Refinanzierungsprobleme beheben und damit die Finanzmärkte längere Zeit beruhigen könnten. Die insgesamt über eine Billion Euro teuren Transaktionen der EZB (»dicke Berta«) sollte die Finanzinstitute für längere Zeit aus der Problemzone herausmanövrieren.
Doch die anfängliche Beruhigung hat kaum mehr als einen Monat angehalten. Die Euro-Krise ist wieder offen ausgebrochen, die Zusatzliquidität ist versickert. Die fundamentalen Probleme der Euro-Zone sind ungelöst, die Kluft zwischen Kernländern und der Peripherie nimmt zu. Die Krise mag zwar in eine etwas weniger volatile Phase getreten sein, aber die massiven Verwerfungen sind nicht beseitigt. Neben Portugal steht vor allem Spanien unter Druck. Die Rosskur wird dafür sorgen, dass der Problemdruck erhalten bleibt.