3. März 2025 Redaktion Sozialismus.de: Die Wahlen im sozial gespaltenen Hamburg
SPD und Grüne weiter auf Regierungskurs
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher holt bei der Wahl zur Bürgerschaft, dem Landesparlament des Stadtstaats, mit der SPD 33,5% der Stimmen. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, denn laut einem ZDF-Politbarometer vor der Wahl wollten 51% der Wähler*innen ihn im Amt behalten.
Die Beliebtheit des Bürgermeisters hatte Konsequenzen für den Wahlkampf: Er war das Gesicht der Wahlkampagne, da musste sogar mal das SPD-Logo auf den Plakaten für ungeteilten Fokus auf den Spitzenkandidaten weichen. Zur Stärke der hanseatischen SPD sagte der Bürgermeister schon vor der Wahl gegenüber den NDR: »Hamburg ist stark, weil wir vereint sind, weil wir Dinge zusammenbringen, die woanders auseinanderfallen.«
Rund 1,3 Mio. Menschen waren zur Stimmabgabe aufgerufen. 2020 lag die Wahlbeteiligung bei 63%, 2025 ist sie auf 67,7% gestiegen. Bei der Bundestagswahl vor einer Woche gaben in Hamburg 80,8% der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
Gleichwohl hat die SPD gegenüber der Bürgerschaftswahl 2020 insgesamt 5,7% verloren. Trotz dieser Verluste bleibt die Freie und Hansestadt eine SPD-regierte Metropole, die bis auf wenige Ausnahmen historisch immer sozialdemokratisch dominiert war. Als Olaf Scholz im Jahr 2011 Erster Bürgermeister von Hamburg wurde – damals mit Tschentscher als Finanzsenator im Schlepptau – erzielte die SPD sogar 48% und hatte im Parlament die absolute Mehrheit der Sitze. Kaum zu glauben, wenn man sich anschaut, wie wenig der Bundeskanzler Olaf Scholz zur Bundestagswahl am 23. Februar überzeugen konnte, der für die SPD mal gerade 16,1% holte.
Denn bei dieser wurde die Union aus CDU und CSU stärkste Kraft im gesamten Bundesgebiet. In Hamburg landete die CDU mit 20,7% der Zweitstimmen allerdings nur auf dem zweiten Platz. Am meisten Stimmen erhielt im Stadtstaat die SPD mit 22,7%.
Die Unterschiede zum Bundesdurchschnitt sind bemerkenswert: Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg liegt die SPD deutlich auf Platz eins; die CDU kommt nur auf 19.8%, selbst wenn sie um 8,6% zugelegt hat. Die Grünen erreichen mit 18,5% (-5,7%) den dritten Platz. Die Linke hat mit 11,2% ihr bestes Ergebnis in Hamburg erreicht, schon zuvor war sie hier stärker als woanders in Westdeutschland – bei der Wahl vor fünf Jahren kam sie auf 9,1%. 53% der Hamburger*innen sagen, in einer Stadt wie Hamburg mit großen sozialen Unterschieden sei die Linke besonders wichtig.
Die AfD muss sich in der Hansestadt mit 7,5% mit einer deutlich geringeren Zustimmung als ihrem bundesweiten Stimmergebnis bei der Bundestagswahl von 20% zufriedengeben. Die anderen Parteien liegen zusammen bei 9,6%, darunter Volt mit 3,3%, die FDP mit 2,3% und BSW mit 1,8%, die allesamt nicht in die Bürgerschaft einziehen.
Obwohl SPD und Grüne zusammen gegenüber der Bürgerschaftswahl 2020 11,4% deutlich an Zustimmung verloren haben, reicht das Wahlergebnis für eine parlamentarische Mehrheit und damit für die Fortsetzung des rot-grünen Senats. Was eine künftige Regierungskoalition angeht, hält Tschentscher die Grünen mit ihrer bisherigen zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank für die SPD »ein guter strategischer Partner«.
Die SPD-Führung betont in ihrem Regierungsprogramm die gute Ausgangsposition für die weitere Entwicklung: »Hamburg vereint, was eine erfolgreiche Metropole ausmacht: Tradition und Zukunft, starke Wirtschaft und Klimaschutz, eine Kultur der persönlichen Freiheit und des solidarischen Miteinanders. Wir leben in einer modernen und weltoffenen Stadt, in der alle ihren Platz haben und ihre Chancen für ein gutes Leben finden können. Dafür wollen wir weiter arbeiten. Mit Kraft und Verstand, mit Verantwortung und Mut zum Fortschritt. Mit einer Politik, die nicht spaltet, sondern zusammenführt.«
Gegen diesen Sound einer erfolgreichen Lösung der zentralen Aufgaben für die Stadtbevölkerung sprechen vor allem die bekannten Probleme der Ungleichheit und der sozialen Spaltung in der Stadt. So lag zum Beispiel die Arbeitslosenquote in Hamburg im Januar 2025 bei 8,4%, deutschlandweit lag sie im selben Monat bei 6,4%.
Die Zahl der Großverdiener und Einkommensmillionäre ist in Hamburg deutlich gestiegen. So wurden von der Steuerverwaltung in der Hansestadt im vergangenen Jahr 1.408 Personen mit Jahreseinkünften von über 500.000 Euro aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung geführt. 2023 lag ihre Zahl noch bei 994 – ein Anstieg um fast 42%.
Hamburg gilt als reiche Stadt. Vielen Menschen geht es hier sehr gut, der Luxus ist allgegenwärtig, und bezogen auf die Gesamtzahl der Steuerpflichtigen leben in der Hansestadt die meisten Einkommensmillionäre in Deutschland.
Zugleich geht »die soziale Schere […] auch in unserer Stadt immer weiter auseinander«, sagt David Stoop, Finanzexperte der Linken. Denn nicht nur die Zahl der Großverdiener und Einkommensmillionäre steige, sondern auch die der armutsgefährdeten Menschen in der Stadt. Wirklich skandalös sei, dass nur so wenige der Großverdiener von den Finanzämtern geprüft würden: Es gab im vergangenen Jahr 19 Außenprüfungen, was einer Quote von 1,35% entspricht.
In der reichen Hansestadt geht es sehr vielen Menschen ausgesprochen schlecht: 19,5% der Einwohner*innen sind laut dem Armutsbericht 2024 des Paritätischen Wohlfahrtsverbands von Armut betroffen. Das ist der dritthöchste Wert in Deutschland (Bundesdurchschnitt:16,8%.) Nirgendwo wächst die Armut derzeit so schnell wie in Hamburg. Während die Armutsquote bundesweit 2023 stagnierte, stieg sie in Hamburg um alarmierende 11%.
Der paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert, dass die steigenden Mieten vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen überproportional belasten. Viele Haushalte geben inzwischen mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnkosten aus – manche sogar mehr als die Hälfte. Von Wohnarmut betroffen sind insgesamt 21,2% der Bevölkerung (17,5 Mio. Menschen). Das sind 5,4 Mio. mehr Armutsbetroffene als nach konventioneller Berechnung.
In der selbstbewussten Präsentation des Regierungsprogramms der SPD fehlen diese Schattenseiten weitgehend. Hamburg vereine angeblich individuelle Teilhabe und sozialen Zusammenhalt. »Wir lassen niemanden zurück und legen Wert auf eine gute Versorgung in allen Stadtteilen. Wir sehen alle Menschen in unserer Stadt, unabhängig von ihrer Herkunft, als ›Hamburgerin‹ bzw. ›Hamburger‹.«
Und auch im Wahlkampf der Grünen spielte die faktische soziale Spaltung der Stadt keine große Rolle, obwohl neben Verkehrsproblemen, Zuwanderung und Wirtschaft auch Wohnen zu den die Top-Themen für Hamburger Wähler*innen vor der Bürgerschaftswahl gehörte.
Denn beim zentralen Thema Wohnen ist die negative Bilanz des rot-grünen Senats eindeutig: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum macht vielen Menschen das Leben schwer. Der private Wohnungsbau ist eingebrochen. 40% weniger Wohnungen hat die mittelständische Bauwirtschaft 2024 fertiggestellt als im Vorjahr.
Das müsse sich ändern, sagt der alte und neue Erste Bürgermeister: »Aus diesem Tal müssen wir wieder mit Schwung herauskommen. Wir haben jetzt schon einen starken Anstieg der Baugenehmigungszahlen, müssen also weiter dafür sorgen, dass wieder in dem Umfang gebaut wird, wie wir es langfristig brauchen, also ungefähr 10.000 neue Wohnungen pro Jahr.«
Dass dieses Versprechen eingelöst wird, und die anderen Probleme und sozialen Schieflagen in der Stadt angegangen werden, darüber zu wachen wird eine wichtige Aufgabe der mit einem größeren Gewicht ausgestatteten Linkspartei sein. In Sachen Wohnen wird ihr schon heute eine große Kompetenz zugeschrieben.
Die positiven Wahlergebnisse im Bund und nun auch in Hamburg bieten der Linkspartei die Chance, sich in ihrem Erneuerungsprozess sowohl gegenüber der »rechten Mitte« wie auch Grünen und Sozialdemokratie zu profilieren.