22. März 2023 Joachim Bischoff: Habecks Entwarnung und Blackrocks Skepsis
Steckt das Finanzsystem die letzten Bankenpleiten locker weg?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck propagiert in Sachen Bankenkrise Entwarnung: Nach der am Wochenende organisierten Übernahme der in Schieflage geratenen Credit Suisse durch die UBS gebe es keinen Anlass zur Beunruhigung.
»In Europa haben wir nach der Finanzkrise 2008/2009 sehr viele gute Entscheidungen getroffen, die sich jetzt auszahlen.« Das europäische Bankensystem stehe robust da, die Eigensicherung habe ein ganz anderes Niveau erreicht als damals. »Wir befinden uns heute nicht in einer systemischen Finanzkrise, sondern wir sehen einzelne Banken in der Schweiz und den USA, die Probleme haben. Ich gehe davon aus, dass das Finanzsystem das wegstecken kann.«
Die Gefahr einer Rezession hält Habeck für überschaubar. »Eine Bedrohung der deutschen Wirtschaft durch die Vorgänge bei der Credit Suisse und der Silicon Valley Bank sehe ich nicht.« Das Wachstum werde aber durch die höheren Zinssätze der EZB und deren Einfluss auf die Investitionen gebremst.
In der Tat: Die von der Schweizer Politik in Abstimmung mit den zentralen Notenbanken durchgesetzte Notfallrettung der Credit Suisse (CS) hat zu einer Beruhigung der internationalen Finanzmärkte geführt. Aber die These, dass diese unter politischen Druck erzeugte Fusion ein Beleg für die erfolgreichen Reformen nach der großen Finanzkrise 2008/2009 sei, ist eine gefährliche Selbsttäuschung.
Fakt ist: Das Management der Schweizer Großbank UBS hat sich gegen die Übernahme der angeschlagenen CS zäh gesträubt und ihr Widerstand wurde gebrochen durch die Einschaltung des Notrechts, mit der Fristen und Mitwirkung der Aktionäre ausgesetzt wurden. Zudem wurde der Deal mit Liquidität und staatlichen Garantien versüßt.
Der Staat solle nie mehr eine marode Bank stützen müssen, so die guten Vorsätze vor 15 Jahren nach der Finanzkrise. Jetzt stand die CS am Abgrund. Die Schweizer Bank hatte 2007 einen Börsenwert von 100 Mrd. Franken, letzten Freitag waren davon noch sieben Mrd. Franken übrig. Es hat somit eine Wertvernichtung riesigen Ausmaßes stattgefunden, verantwortet von Managern, die Risiken fahrlässig unterschätzt haben, unter vermeintlicher Risikokontrolle von Verwaltungsräten, die eindeutig versagt haben.
Statt das Unternehmen abzuwickeln, wird es nun durch die UBS aufgefangen. Immerhin: Die CS-Aktionäre bluten und erhalten weniger als die Hälfte des Aktienkurses vom Freitag. Aber zugleich gibt es noch einen »Kaufpreis« über drei Mrd. Franken. Und die Bundesbehörden geben der UBS gleichzeitig Garantien für mögliche Verluste von neun Mrd. Franken und solche für gewisse Liquiditätshilfen.
15 Jahre nach der großen Finanzkrise wird erneut eine Großbank von den Steuerzahler*innen gerettet. Und dies, obwohl nach der Finanzkrise ein ausgeklügeltes System zur Sanierung und Abwicklung von Großbanken entwickelt wurde, um genau diesen Fall zu verhindern. Und es wird keine radikale Absicherung von Staatsanleihen in das Bankengeschäftsmodell integriert, was bedeutet, dass der Grund für die explosionsartige Entwertung im Falle von Leitzinserhöhungen fortbesteht, und auch die Großbanken mit ihrer kümmerlichen Eigenkapitalquote von 15% weiterhin auf staatliche Rettungsmanöver angewiesen sein werden.
Der aktuelle Zusammenschluss soll die Finanzstabilität sichern und eine Kettenreaktion durch Bank-Runs verhindern. Doch indem der Konkurs einer systemrelevanten Bank vermieden wird, handeln sich Politik und Notenbank ein potenziell noch größeres Problem ein: Mit der Fusion von UBS und CS entsteht nämlich eine Bank mit einer Bilanzsumme von über 1,5 Bio. Franken.
Das entspricht fast dem Doppelten des Bruttoinlandprodukts der Schweiz, was nun wirklich alle Kriterien des »too big to fail« übertrifft. Wenn die Notenbanken und politischen Institutionen schon für die Rettung der CS durch Fusion seine »Too big to fail«-Regeln über Bord wirft und im Krisenfall als Retter einschreitet – wie würde er mit einer fast dreimal so großen Bank verfahren? Die Gefahr besteht, dass die »neue UBS« erst recht von einer faktischen Staatsgarantie profitiert und zum Klumpenrisiko für das Land und das internationale Finanzsystem wird. Das »Schönreden« durch den bundesdeutschen Wirtschaftsminister ist nicht professionell.
Zu Recht kritisiert der Schweizer Gewerkschaftsbund: »Die Rettung der CS zeigt erschreckend klar, dass das Too-big-to-fail-Problem nicht gelöst ist«, so deren Chefökonom Daniel Lampart. »Mit dem neuen Koloss der UBS werden die volkswirtschaftlichen Risiken noch grösser.« Es brauche deshalb wirksame Maßnahmen wie die bessere Ausstattung mit Kapital und Liquidität, oder die Abschaffung der risikofördernden Bonussysteme.
Die Zeche dieser Fusion zahlen neben den Steuerzahler*innen auch die Beschäftigten: Die jährlichen laufenden Kosten der kombinierten Bank sollen bis 2027 um acht Mrd. US-Dollar bzw. 7,4 Mrd. Franken sinken, ausgehend von einer Basis von weniger als 40 Mrd. Franken. Weil Personalkosten bei Banken der mit Abstand größte Kostenblock sind, heißt das: Von den über 120.000 Mitarbeiter*innen werden zahlreiche die neue Bank verlassen müssen.
Die Rettung der Stabilität hat neben den tausenden vernichteten Arbeitsplätzen – ohne Transfergesellschaft – einen hohen Preis:
- Die UBS wird die Credit Suisse für rund drei Mrd. Franken komplett übernehmen. Das heißt: Sowohl die profitable Schweizer Bank als auch das risikoträchtige und zuletzt verlustreiche Investment Banking der CS werden an die UBS übergehen. Die UBS will die CS-Investmentbank verkleinern.
- Das Geschäft wird über einen Aktientausch abgewickelt: Für 22,48 CS-Titel werden Aktionäre der CS eine UBS-Aktie erhalten. Die CS-Aktionäre erhalten 76 Schweizer Rappen pro Aktie, was deutlich weniger als der Hälfte des Schlusskurses vor der Rettungsaktion entspricht.
- Die UBS wird ein Sparprogramm durchführen und will bis 2027 die Kosten der kombinierten Bank um acht Mrd. US-Dollar pro Jahr senken; also um rund ein Fünftel.
- Die Strategie der UBS soll unverändert bleiben. Der Fokus wird weiterhin auf dem Wachstum in Asien und in Amerika liegen, wie die Bank mitteilt.
- Der Kauf ist nicht von der Zustimmung der UBS- und der CS-Aktionäre abhängig. Diese Aushebelung des Aktionärsrechts wird durch Anwendung von Notrecht ermöglicht.
- Die UBS kann auf Bundesgarantien von über neun Mrd. Franken zurückgreifen, wenn ihre Verluste, die sie aus gewissen übernommenen Aktiven der CS erleiden sollte, eine bestimmte Schwelle überschreiten. Damit sinken die Risiken, welche die UBS durch den Kauf der CS eingeht.
- Die Nationalbank gewährte der CS und der UBS, zusätzlich zur »üblichen« Notfall-Liquidität, außerordentliche umfangreiche Liquiditätshilfen im Umfang von insgesamt 200 Mrd. Franken. Die eine Hälfte davon besteht aus einem mit Konkursprivileg gesicherten Darlehen, die andere Hälfte wird durch eine Ausfallgarantie des Bundes abgesichert.
- AT-1-Wandelanleihen der CS im Umfang von 16 Mrd. Franken verlieren ihren Wert, während die CS-Aktionäre nicht leer ausgehen. Das dürfte den Markt für diese Instrumente stark bewegen.
Niemand konnte die UBS-Führung zum Kauf ihrer Konkurrentin zwingen. Ihr Verwaltungsrat stimmte der Übernahme also aus freien Stücken zu. Trotzdem muss auch die UBS mit einer Reihe von Nachteilen fertig werden: Die Übernahme wird Unruhe in der eigenen Belegschaft nach sich ziehen, denn die zu erwartenden Entlassungen werden nicht nur die 50.000 CS-Mitarbeiter*innen treffen, sondern auch einige der rund 70.000 UBS-Mitarbeiter*innen. Zum anderen wird die Integration der CS längere Zeit erhebliche Ressourcen binden.
Auch wenn die Probleme der »Fusion« alle ohne weitere Rückschläge gelöst werden sollten, bleibt die strukturelle Unsicherheit des Finanzsystems der entwickelten kapitalistischen Länder. Weitaus kritischer als Wirtschaftsminister Habeck bewertet der Chef von Blackrock, Larry Fink, die etwa von der Silicon Valley Bank (SVB) ausgelösten Turbulenzen: Nach »Jahrzehnten des leichten Geldes« rechnet er mit einer »schleichenden Krise« im US-Finanzsystem. Er geht davon aus, dass es nach dem SVB-Crash zu weiteren »Pleiten und Schließungen« kommen könnte, die Pleite könnte nur der zweite Dominostein sein, der gefallen ist.
Nach der größten Bankenpleite seit 2008 seien die Märkte durch das schnelle Eingreifen der Aufsichtsbehörden zwar stabilisiert, aber die jüngsten Ereignisse seien vergleichbar mit der Spar- und Kreditkrise der 1980er-Jahre, als über 1.000 Kreditgeber insolvent gingen. »Wir wissen noch nicht, ob die Folgen des leichten Geldes und der regulatorischen Änderungen den gesamten regionalen US-Bankensektor erfassen werden (ähnlich wie bei der Spar- und Kreditkrise), und ob es zu weiteren Pleiten und Schließungen kommen wird.«
Die Banken werden zwangsläufig ihre Kreditvergabe einschränken, sodass sich mehr Unternehmen Geld an den Kapitalmärkten beschaffen müssen – eine Chance für Investoren und Vermögensverwalter, so Finks Prognose. Fonds, die in illiquide Anlagen wie Private Equity, Immobilien und Privatkredite investieren, »könnten jedoch der dritte Dominostein sein, der fällt«. Vor allem dann, wenn sie geliehenes Geld zur Steigerung der Rendite einsetzen.