16. Mai 2024 Joachim Bischoff: Verschärfung des Handelskonflikts durch die US-Regierung
Strafzölle gegen China
US-Präsident Joe Biden greift zum Mittel der deutlichen Erhöhung von Einfuhrzöllen auf bis zu 100%. Die US-Regierung hat neue oder stark erhöhte Zölle unter anderem für E-Autos, Solarzellen, Halbleiter, Hafenkräne und Medizinartikel wie Kanülen und Schutzmasken erlassen. China flute die globalen Märkte mit künstlich verbilligten Exporten, hieß es zur Begründung.
Die Maßnahmen seien zugleich auf einige strategisch wichtige Bereiche beschränkt, was bestenfalls ein Unbehagen über diese konfrontativen Maßnahmen verrät. Biden strebe ein stabiles Verhältnis zu China an, versicherte die Direktorin des Nationalen Wirtschaftsrats des Weißen Hauses, Lael Brainard. Sie wolle nicht über mögliche Vergeltungsmaßnahmen aus Peking spekulieren.
Der US-Regierung zufolge sind Einfuhren aus China im Volumen von 18 Mrd. US-Dollar von den neuen Maßnahmen betroffen. Die Konsequenz ist gleichwohl eindeutig: Die Volksrepublik China wird ihre Partnerschaft mit Russland im grundsätzlichen Konflikt mit den USA vertiefen und Europa hat das Nachsehen.
Die Flutung der globalen Märkte durch China basiere auf politisch verbilligten Waren. Für chinesische Elektroautos galten in den USA bereits Zölle von 25%, die sie – anders als in Europa – von dem Markt fernhielten. Doch im vergangenen Jahr seien die chinesischen Elektroauto-Exporte um 70% gestiegen, wenngleich auf niedrigem Niveau, erklärte das Weiße Haus. Brainard sprach von »unfairen« Subventionen für chinesische Hersteller, die den Wettbewerb verzerrten: »Der Präsident wird das nicht zulassen.«
Mit den jüngsten Maßnahmen verschärft sich der Konflikt zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt erheblich. Zwar betonte das Weiße Haus, die Maßnahmen seien sehr gezielt und würden lediglich Einfuhren aus China im Volumen von 18 Mrd. US-Dollar betreffen. Das sind rund 4% der gesamten US-Importe aus China.
Auch andere Länder werfen China vor, strategische Industrien mit staatlicher Unterstützung gezielt zu fördern. Dadurch entstehe ein unfairer Wettbewerbsvorteil. Die Staatsführung argumentiert hingegen, dass durch Chinas Exporte von E-Autos, Lithiumbatterien und Photovoltaikprodukten nicht nur der Inflationsdruck weltweit gemildert werde. Zudem leiste das Land dadurch einen großen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel.
Politisch und wirtschaftlich hat sich zwischen den USA und China während der vergangenen Jahre eine große Konfliktzone entwickelt. Die Möglichkeit bei den letzten bilateralen Gesprächen ein Arrangement zu finden, ist nicht genutzt worden. Es ist die umfassendste Runde von Zollerhöhungen auf Waren aus China, seit Bidens Vorgänger Donald Trump kurz nach seinem Amtsantritt 2018 chinesische Produkte mit Zöllen belegte und damit den Grundstein für den chinesisch-amerikanischen Handelskonflikt legte. Biden nahm keinen der von Trump eingeführten Zölle zurück.
Der Handelskonflikt zwischen USA und China wird jetzt eine neue Eskalationsstufe erreichen. Natürlich hat Biden mit seinen Zollerhöhungen die amerikanischen Wähler*innen im Blick. Eine harte Haltung gegenüber dem Reich der Mitte verfängt bei vielen Durchschnittsamerikaner*innen. Das hat Trump bewiesen.
Die chinesische Regierung dürfte Bidens Ankündigungen allerdings nicht unbeantwortet lassen. Dazu sind die Zollerhöhungen zu umfassend. Blieb Peking jetzt untätig, käme das einem Gesichtsverlust gleich. Auf die umfassenden Zölle von Trump reagierte die chinesische Regierung seinerzeit mit Zöllen auf Sojabohnen aus den USA, ein wichtiges Exportgut der Amerikaner*innen.
WTO-Regeln werden ignoriert, Konsequenzen auch für die EU
Die deklarierte Begründung für die Zollerhöhungen: China subventioniere seine Industrie und überschwemme den Weltmarkt mit künstlich verbilligten Produkten. Im Prinzip können Einfuhrzölle zur »Kompensation« von ausländischen Subventionen gemäß den globalen Handelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) zulässig sein. Voraussetzung dafür ist der Nachweis solcher Subventionen und der schädlichen Folgen für die inländische Wirtschaft. Das Weiße Haus war auch dreist genug, in seiner Mitteilung zu den Strafzöllen gleichzeitig die »unfairen« Handelspraktiken Chinas zu kritisieren und sich selbst für die massiven eigenen Subventionsprogramme zugunsten des US-Produktionsstandorts auf die Schultern zu klopfen.
Nach massiven Zollerhöhungen für einen großen Markt ist mit Handelsumleitungen zu rechnen. Die US-Zollerhöhungen haben denn auch rasch Befürchtungen geweckt, dass Europa nun noch stärker in den Fokus von chinesischen Exporteuren geraten dürfte. Die EU glaubt eher noch an internationale Regeln als die USA. Sie dürfte bald ebenfalls zusätzliche Importzölle auf chinesische E-Autos beschließen, doch dies soll formal gemäß den WTO-Regeln geschehen. Zurzeit erhebt die EU einen Zoll von 10% auf chinesischen E-Autos.
Die schon lange vor dem jüngsten US-Entscheid lancierte Untersuchung der EU-Kommission zu Chinas Subventionen von E-Autos ist formal noch nicht abgeschlossen. Die Untersuchung umfasst im Prinzip die ganze Wertschöpfungskette von den Rohstoffen über Batterien bis zum Endprodukt. Äußerungen der Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen lassen mutmaßen, dass es bald zu Zusatzzöllen kommen wird. Auch sie steckt in einer Art Wahlkampf: Im Juni sind die Wahlen für das EU-Parlament, und die Kommissionspräsidentin will eine weitere Amtszeit an der Spitze der EU-Exekutive.
Mit einem Zoll von 100% ist in der EU aber kaum zu rechnen. Eine solch massive Importschranke würde chinesische E-Autos wohl faktisch vom EU-Markt ausschließen und ließe sich kaum mit WTO-Regeln rechtfertigen. Laut Marktbeobachter*innen haben die Chinesen gegenüber den Europäern bei den E-Autos einen Preisvorteil von etwa 20 bis 30%. Die EU sprach von 20%. Laut einer Marktprognose von Ende März könnte jetzt bereits jedes vierte verkaufte E-Auto in Europa aus China stammen. Die Frage ist aber, wie viel von Chinas Preisvorteil auf die im Vergleich zu Europa höheren Subventionen zurückzuführen ist. Eine restlos saubere Abgrenzung ist angesichts der Vielzahl möglicher direkter und indirekter staatlicher Hilfsmaßnahmen nur schwer möglich.
Bei den E-Autos dürften kurzfristig die Folgen des US-Zusatzzolls begrenzt sein, denn Chinas Marktanteil in den USA ist gering – vor allem als Folge des schon bisher hohen Importzolls von 25%. Zu diesem Schluss kam auch eine Analyse des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Doch die Beschlüsse der US-Regierung und die noch kommenden EU-Entscheide zu Zollerhöhungen auf chinesischen Produkten werden wohl Peking zu Gegenmaßnahmen veranlassen.
Deshalb ist in Europa die Begeisterung für Importzölle gegenüber der China-Konkurrenz selbst in der Autoindustrie nicht einhellig. Vor allem Deutschland hat von einer Eskalation des Handelsstreits einiges zu befürchten: Laut einer Analyse von 2023 ist Chinas Markt für große deutsche Autobauer sehr bedeutend. Französische E-Autos sind dagegen in China kaum präsent. Frankreichs Regierung hat deshalb viel weniger Hemmung als Deutschland, in Brüssel Druck für EU-Strafzölle gegen China auszuüben.
Klimapolitik ein Trümmerfeld, Konjunktur und Konsumenten leiden
Die Ironie ist nicht zu übersehen: Die EU und die USA reden seit langem über den grünen Umbau der Wirtschaft, doch billige E-Autos aus China, die diesen Umbau beschleunigen könnten, will man nicht. Sollte sich Europa nicht einfach bei den chinesischen Steuerzahler*innen für die Subventionierung der EU-Klimapolitik bedanken? Die typische Antwort in Brüssel auf diese Frage: Man könne nicht zuschauen, wie in Europa Tausende von Arbeitsplätzen verschwinden und China in zukunftsträchtigen Industrien eine Dominanz mit Abhängigkeiten schaffe.
Der Gedanke von Ausgleichszöllen ist in der Theorie nachvollziehbar. In der Praxis kommen aber erschwerende Faktoren hinzu: die Gefahr von Retourkutschen mit zusätzlichem Schadenspotenzial, die Reduktion des Innovationsdrucks bei der einheimischen Industrie sowie die sehr durchlässige Grenze zwischen gerechtfertigten Ausgleichsmaßnahmen und schlichtem Protektionismus zugunsten politisch einflussreicher Branchen.
2023 kam ein Überblick von fünf US-Ökonomen über die Forschungsliteratur zu einer früheren Eskalation des Handelsstreits USA-China (2018/19) zu einem ernüchternden Schluss: Die Hauptlasten trugen die Konsument*innen auf beiden Seiten, und die Zusatzzölle drückten in beiden Ländern die realen Einkommen. 2021 machte eine Analyse aus Schweden über EU-Ausgleichsmaßnahmen von 2008 bis 2015 ebenfalls Preiserhöhungen als Folge aus, aber keine positiven Effekte bei den mutmaßlich geschützten Produzenten in der EU. Beschädigt wird die globale Konjunktur.
Biden habe in seiner Heimatstadt Scranton im Bundesstaat Pennsylvania gesehen, was passiere, wenn die Produktion in andere Länder abwandere, sagte Brainard, deshalb wolle er für fairen Wettbewerb sorgen. »Insbesondere bei Zukunftstechnologien wollen die USA keine billigen Güter aus China akzeptieren, auch aus Gründen der nationalen Sicherheit.«
In der chinesischen Regierung hat sich längst – und nicht ganz zu Unrecht – der Eindruck verfestigt, dass der Westen China aus geopolitischen Erwägungen u.a. mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter Druck setzen will. Darum ist es der Führung in Peking auch egal, ob der nächste amerikanische Präsident Biden oder Trump heißt – der Druck wird bleiben. China wird seine Anstrengungen noch einmal verstärken, vom Westen unabhängiger zu werden. Die Welt teilt sich, die Leidtragenden sind die Konsument*innen.
Der strategische Ansatz, sowohl Russland wie China durch Handel und Kooperation in ein internationales System einzubinden, ist seit längerem gescheitert und durch aggressive Zollpolitik wird der Schaden eher größer. Der Traum vom gemeinsamen europäischen Haus mit Russland ist ein Trümmerfeld. Die Herrscher in Moskau fühlen sich von den Stützpunkten der NATO in ihrem strategischen Einflussbereich bedrängt. Die Regierung in Peking hingegen fühlt sich in ihrer Entwicklung gehemmt und eingekreist von den USA und deren Verbündeten.