30. Juli 2013 Otto König / Richard Detje: Billiglohn-Modell Werkvertrag
»Tagelöhner der Moderne«
Der Tod von zwei Arbeitern aus Rumänien, die bei der Meyer-Werft im Emsland beschäftigt waren, hat die Debatte über Werkverträge neu entfacht. Sie kamen beim Brand eines Hauses ums Leben, in dem 33 Menschen auf 200 Quadratmetern gemeldet waren – rechnerisch 6 Quadratmeter pro Person. Der erbärmliche Zustand des Hauses und anderer Massenunterkünfte war bekannt – auch im Stadtrat von Papenburg. Doch das Ordnungsamt schritt nicht ein. In Papenburg sind gut 700 Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien gemeldet.
Auf der Meyer-Werft arbeiten 3.100 fest angestellte Arbeitnehmer_innen, 290 Leiharbeitnehmer und 1.500 Werkvertragler – darunter viele osteuropäische Wanderarbeiter, vermittelt von dem Dienstleister SDS in Emden und ausgebeutet von dessen Subunternehmer »Bordo Mavi« in Constanta (Bulgarien), bei dem die beiden Arbeiter angestellt waren. Dies ist kein Einzelfall. Seit Jahren schrumpft auf den deutschen Docks die Zahl der Stammarbeiter. Leiharbeit und Werkverträge breiten sich rapide aus. Nach einer Umfrage der IG Metall Küste waren im September 2012 knapp 28% aller Arbeitnehmer auf den deutschen Werften über Werkverträge beschäftigt.
Die Meyer-Werft, die auf den Bau luxuriöser Kreuzfahrtschiffe spezialisiert ist, liegt mit 44,9% weit über dem Branchendurchschnitt. »Seit Jahren werden immer mehr Werkvertragler statt Leiharbeiter eingesetzt« (Betriebsratsvorsitzender Thomas Gelder). Der signifikant hohe Anteil von Werkverträgen wird mit der Ausstattung der Kreuzfahrtschiffe begründet: Theater, Schwimmbad, eigene Brauerei – all‘ dies könne die Werft nicht selbst bauen, diese Arbeiten erledigten Fachbetriebe auf Basis von hochdotierten Werkverträgen. Doch die auf der Werft beschäftigten Bulgaren und Rumänien erledigen zum Dumpinglohn Schweiß- und Schneidarbeit am Schiff.
Viele der Arbeitskräfte, die in Osteuropa angeworben werden, arbeiten hier zu dort üblichen Löhnen und nach ausländischem Arbeitsrecht. Sie haben weder Anspruch auf einen Mindestlohn noch auf Leistungen der deutschen Sozial- und Krankenversicherung. Stundenlöhne von drei Euro und weniger sind keine Seltenheit. Der in seiner Unterkunft verbrannte Florin Grigore und seine Kollegen sollen zuletzt zehn bis zwölf Stunden an sechs Tagen die Woche gearbeitet haben – für 35 Euro am Tag. Das entspricht einem Stundenlohn von 2,90 bis 3,50 Euro (Süddeutsche Zeitung, 23.7.2013).
Das undurchschaubare und oft grenzüberschreitende Gestrüpp von Subunternehmen hat ein großes Heer an »Tagelöhnern der Moderne« geschaffen.
Werkverträge: Instrument zum Lohndumping
Seit Leiharbeiter in Deutschland schrittweise bessergestellt werden, weichen die Unternehmen immer öfter auf Werkverträge aus. Mindestlöhne, Tarifverträge und Branchenzuschläge schmälern ihren Profit.[1] Auf Kongressen preisen Wirtschaftsberater unverblümt die großen Vorteile der Werkverträge gegenüber »überregulierter« Leiharbeit. Weil das Bundesarbeitsgericht den Betriebsräten »eine neue Waffe gegen den Einsatz von Leiharbeitern in die Hand gegeben habe, würden sich nun Überlaufventile in andere Formen arbeitsteiligen Wirtschaftens öffnen« (Prof. Volker Rieble, München).
Werkverträge eignen sich bestens als Missbrauchsinstrument, zumal die Betriebsräte kein Mitspracherecht bei der Vergabe von Aufträgen an externe Firmen haben. Das ist dann der Fall, wenn Beschäftigte Tätigkeiten übernehmen, die bis dahin Stammbeschäftigte ausgeführt hatten, bei Nutzung der gleichen Maschinen und Anlagen. »Zielsetzung dieser Konstruktion scheint es zu sein, tarifvertragliche, arbeits- und mitbestimmungsrechtliche Ansprüche der (Stamm-)Beschäftigten« zu umgehen.[2] In der Realität bereitet die Abgrenzung zwischen Leiharbeit, echten Werk- oder Dienstleistungsverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung zunehmend Schwierigkeiten.[3]
Wie Werkverträge zum Drücken von Löhnen missbraucht werden, veranschaulichte die ARD-Dokumentation »Hungerlohn am Fließband«. SWR-Reporter Jürgen Rose ließ sich von einem Dienstleister der Leiharbeitsbranche anstellen, der mit dem Daimler-Werk in Stuttgart-Untertürkheim Werksverträge abschließt. Dieser verlieh ihn an die Logistikfirma Preymesser. In deren Auftrag verrichtete er als Werkvertragler die gleichen Tätigkeiten wie die ihm am Band gegenüber stehenden Daimler-Beschäftigten. Dafür wurde er mit 8,19 Euro pro Stunde entlohnt, während die Festangestellten mit allen Zuschlägen auf mehr als das Doppelte kamen.
In einer Handlungshilfe der IG Metall für Betriebsräte heißt es: »Es liegt immer dann ein ›Scheinwerkvertrag‹ vor, wenn der Beschäftigte des Subunternehmens oder der Soloselbständige in den Betrieb, in dem er beschäftigt wird, eingegliedert wurde.« Die Verträge werden in der Regel nicht von den Personalabteilungen abgeschlossen, sondern vom Einkauf, »wie eine Ware«. Menschen werden als Sachausgaben verbucht. Das erschwert die Kontrolle der Betriebsräte.
Drei-Klassen-Belegschaft
Das Ausgliedern von Arbeit über Werkverträge wird immer mehr als Instrument zur Lohndrückerei eingesetzt: Nicht mehr nur in Schlachthöfen, wo trickreich das Schlachten und Zerlegen und selbst das Verpacken kurzerhand zur Dienstleistung gemacht wird, die im Rahmen der EU-Dienstleistungsfreiheit osteuropäische Firmen im Rahmen von Werkverträgen übernehmen.[4] Hier machen die Beschäftigten mit Werkverträgen laut Gewerkschaft NGG mittlerweile bis zu 90% der Belegschaften aus.
In mehr und mehr Branchen greifen diese Modelle um sich: In Entwicklungsabteilungen und den Montagehallen deutscher Automobilfabriken, in Druckereien, im Einzelhandel und bei Paketzustelldiensten breitet sich dieses Billiglohnmodell aus. In den Betrieben entsteht eine Drei-Klassen-Belegschaft: Stamm-, Leih- und Werkvertragsbeschäftigte. Die letzten in dieser Kette, die Werkvertragler, verdienen am wenigsten und haben die wenigsten Rechte.
Amtliche Statistiken oder Zahlen über das Ausmaß von Werksverträgen in der deutschen Wirtschaft gibt es nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums nicht. Doch aus vielen Berichten von Betriebsräten lässt sich erkennen, dass der missbräuchliche Einsatz in erheblichem Maße zugenommen hat. Nach einer Befragung in zehn ausgewählten Branchen auf gewerkschaftlichen Konferenzen kommt Kai Beutler zu dem Ergebnis, dass in Schlachthöfen nur noch 20% der Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis stehen. Dagegen seien 75% Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen und etwa 5% Leiharbeiter. In der Getränkeindustrie sind etwa 10% der Beschäftigten über Werkvertragsfirmen angestellt, in der Zuckerindustrie 20% und in der Fleischindustrie etwa 35% (Böckler Impuls 9/2013). »Die NGG befragte Anfang 2012 371 Betriebsräte aus der Ernährungsindustrie zum Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen in den Betrieben. Danach waren durchschnittlich rund 13% der Beschäftigten Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer.«[5] Diesen Trend konnte auch die IG Metall bei ihrer Betriebsrätebefragung im vergangenen Jahr feststellen: In ihrem Organisationsbereich ergab sich eine Verdoppelung des Einsatzes von Werkvertragsbeschäftigten gegenüber früheren Jahren.
»Sozialcharta« und Tarifvertrag
Um aus der »Schmuddelecke« herauszukommen, ging die Geschäftsführung der Meyer-Werft in die Offensive. Sie präsentierte »Eckpunkte einer Sozialcharta«, die Mindeststandards für die Arbeits- und Wohnbedingungen der Werksvertragler sichern soll.
Darin wendet sie sich gegen Lohndumping, Diskriminierung sowie Kinderarbeit und befürwortet einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Darüber hinaus einigte sich die Geschäftsführung mit der IG Metall-Bezirk Küste unter Beteiligung des Betriebsrats bei einem Gespräch im niedersächsischen Wirtschaftsministerium auf die zeitnahe Vereinbarung eines Tarifvertrages, in dem folgende Punkte geregelt werden sollen: verbindliche Festlegung von sozialen Mindeststandards (Verhinderung von Lohndumping) sowie Stärkung der Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei Werkverträgen.[6]
Dieser Tarifvertrag könnte bundesweit Folgen haben. Denn nicht nur für die IG Metall hat das Thema Werkvertrag eine strategische Bedeutung. Das Unterlaufen der Flächentarifverträge durch solche Beschäftigungsformen, bedroht deren Bedeutung in allen Industriezweigen und Dienstleistungsbranchen. Das erschwert zunehmend die Verteidigung oder gar Erweiterung tariflicher Rechte der abhängig Beschäftigten. Die Gewerkschaften fordern deshalb vom Gesetzgeber eine klare Abgrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen, um die Grauzonen zu beseitigen und den Missbrauch von Werkverträgen einzuschränken. Gleichzeitig muss der Handlungsspielraum der Betriebsräte bei der Kontrolle der Fremdvergabe von Arbeiten durch die Ausweitung ihrer Mitbestimmungsrechte ausgeweitet werden. Das stößt vor allem auf den Widerstand der Arbeitgeberverbände.
So stößt die »Emsländische Sozialcharta« bei Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt auf Ablehnung. Entschieden wies der scheidende BDA-Präsident eine erweiterte Mitbestimmung von Arbeitnehmer-Vertretern zurück – sie bedrohe die »unternehmerische Freiheit« (Welt, 24.07.2013). Es bleibt zu hoffen, dass durch das Unglück in Papenburg der gesellschaftliche Druck auf die Arbeitgeber und den Gesetzgeber steigt.
[1] Vgl. Richard Detje/Otto König: »Modell Deutschland« Armutslöhne – Leiharbeit – Werkverträge, in Zeitschrift Sozialismus – März 2012
[2] Hartmut Klein-Schneider/Kai Beutler: Werkvertragsunternehmen: Outsourcing auf dem Betriebsgelände, in: WSI-Mitteilungen 2/2013.
[3] Zum Unterschied Leiharbeit-Werkvertrag: »Ein Verleiher versorgt das Unternehmen mit Arbeitnehmern. Die Leiharbeitnehmer sind in den Entleiherbetrieb komplett eingegliedert. Sie werden geführt wie eigene Leute, und der Entleiher trägt das komplette Risiko. … Beim Werkvertrag ist das anders. Da übernimmt der Werkunternehmer eine konkrete Aufgabe, deren Erfüllung er selbst organisieren muss. Und dazu setzt er dann seine eigenen Leute ein. Beim Werkvertrag entsteht also im Betrieb des Werkbestellers ein Betrieb der Fremdfirma, wo das versprochene Werk hergestellt wird.« Die Grenze zur Leiharbeit wird dann überschritten, »wenn das Unternehmen, das das Werk bestellt hat, den Personaleinsatz genauso steuert wie bei den eigenen Leuten. Wenn es entscheidet, wer wo wann was macht. Wenn es Leute exakt nach Bedarf vorbestellt und sie dann eigenverantwortlich einsetzt – dann wird aus dem eigentlich als Werkvertrag geplanten Unterfangen ganz schnell verdeckte Leiharbeit« (Peter Schüren, Arbeitsrechtler, Universität Münster, in: Mitbestimmung 12/2012).
[4] Vgl. ARD-Dokumentation »Lohnsklaven in Deutschland«.
[5] Werkverträge: 1,02 Euro pro Schwein, in: Mitbestimmung 12/2012.
[6] Gemeinsame Vereinbarung zwischen der Meyer Werft und der IG Metall, Bezirksleitung Küste, unter Beteiligung des Betriebsrates und Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies am 22.07.2013 in Hannover.