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8. April 2021 Otto König/Richard Detje: Tarifabschlüsse 2021 in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Eisen- und Stahlindustrie

Tarifpolitik in der Corona-Krise

Foto: igmetall.de

Nach Warnstreiks von rund einer Million Metaller:innen und sieben Verhandlungsrunden gelang in der nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie der Durchbruch. Die Tarifparteien einigten sich auf einen Pilotabschluss für bundesweit rund 3,9 Millionen Beschäftigte.

Die Tarifeinigung enthält neben einem relativ bescheidenen Entgeltzuwachs auch innovative Elemente, mit denen sich die Transformation der Industrie besser gestalten lassen könnte, sofern die Arbeitgeber mitspielen.

Die IG Metall war mit der Forderung nach vier Prozent mehr Geld in die Tarifrunde gestartet. Wohlweißlich wurde nicht die Formulierung »Erhöhung der Löhne«, sondern »Stabilisierung der Einkommen« gewählt, sollte doch das Volumen je nach wirtschaftlicher Situation in den Betrieben für Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung oder für Entgeltsteigerungen genutzt werden können. In Zukunftstarifverträgen sollte eine Beteiligung der Betriebsräte und der Gewerkschaft beim strukturellen Wandel in der Industrie festgeschrieben werden.

Die Arbeitgeber betonten von Anfang an recht aggressiv, dass es nichts »zu verteilen« gebe und argumentierten, Arbeitsplätze ließen sich nur durch niedrigere Kosten erhalten. Erst wenn die Kennzahlen wieder das Niveau von vor der Krise erreichen würden – frühestens 2022 –, seien Entgelterhöhungen möglich. »Der Arbeitgeberverband Südwestmetall hat in dieser Tarifrunde auf massive Kostensenkungen gedrängt und wollte langjährige Errungenschaften wie tarifliche Pausen und Schichtzuschläge abschaffen sowie die Alterssicherung einschränken. Diesen Angriff haben wir erfolgreich abgewehrt und darüber hinaus für alle unsere Themen zukunftsweisende Lösungen gefunden«, so der baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger.

Fakt ist: Die Ausgangsbedingungen für die Tarifbewegungen sowohl in der Eisen- und Stahlindustrie als auch in der Metallindustrie waren durch eine brisante Gemengelage bestimmt: Wirtschaftskrise, industrieller Strukturwandel vor allem in der Automobilindustrie und die Corona-Pandemie. Stellenabbau und Standortschließungen standen und stehen auf der Agenda von Konzernen wie Conti, Mahle und Schaeffler, die die Pandemie als Vorwand nutzen, um Produktion in Billiglohnländer zu verschieben. Nur wenige Tage vor dem Tarifabschluss drohte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf noch: »Wenn sich die Wettbewerbssituation nicht bessert, müssen wir damit rechnen, dass weitere Hunderttausende Jobs ins Ausland verlagert werden.«

»Inmitten einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik haben wir erreicht, dass die Krisenfolgen fair verteilt und nicht einseitig bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abgeladen werden«, kommentierte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann das Verhandlungsergebnis. Von fairer Verteilung kann jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Pandemie führte dazu, dass die Schere zwischen Lohneinkommen und Gewinne noch weiter auseinander gegangen ist. Zwar schaffte es die Gewerkschaft, den Arbeitgebern ansehnliche Sonderzahlungen abzutrotzen, doch das erzielte Volumen von 2,3% mehr, ist weit vom Abschluss 2018 entfernt. Damals erreichte die IG Metall – natürlich unter besseren konjunkturellen Bedingungen – 4,3% mehr Gehalt für die Beschäftigten.

Hinzu kommt, dass die Metaller:innen im ersten Corona-Jahr 2020 schon eine »Nullrunde« beim Entgelt hinnehmen mussten, vereinbart wurden nur ein paar Verbesserungen bei der Kurzarbeit und für Eltern, die Kinder zu betreuen haben.[1] Auch im zweiten Corona-Jahr müssen die Unternehmen nur eine geringe Kostensteigerung verkraften, da der Arbeitnehmerseite erneut eine dauerhaft tabellenwirksame Erhöhung des Entgeltniveaus nicht gelungen ist. Fast triumphal tönte der nordrhein-westfälische Metallarbeitgeber-Präsident Arndt Kirchhoff: »Für uns ist es ganz wichtig, dass unsere Unternehmen wie schon im Jahr 2020 auch im Jahr 2021 keine Erhöhung der Tabellenentgelte verkraften müssen«.

Kurz vor dem Metallabschluss hatten sich IG Metall und Arbeitgeber bereits für die rund 70.000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie auf folgende Eckpunkte verständigt: Zum 30. Juni 2021 erhalten die Stahlarbeiter:innen eine »steuerfreie Corona-Prämie« in Höhe von 500 Euro. Daneben vereinbarten die Tarifparteien eine »weitere Einmalzahlung«, die ab 2023 jedes Jahr ausgezahlt wird und bei künftigen Tariferhöhungen tarifdynamisch mitwächst.

Im Dezember 2021 fließt die erste tarifliche Erhöhung von 250 Euro; weitere 250 Euro werden mit der Februarabrechnung 2022 überwiesen. Ab Februar 2023 steigt diese zusätzliche tarifliche Vergütung auf 600 Euro jährlich. Sie kommt zu dem seit 2020 geltenden Zusatzentgelt von 1000 Euro hinzu. Die 600 Euro können in Krisenunternehmen in freie Tage umgewandelt werden, um Beschäftigung zu sichern. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 15 Monate bis Ende Mai 2022. In seiner Struktur diente diese Tarifeinigung als »Blaupause« für den Metallabschluss.

In der Metall- und Elektroindustrie einigten sich die Tarifparteien beim Entgelt auf eine steuer- und abgabenfreie Corona-Prämie in Höhe von 500 Euro (Auszubildende 300 Euro) bis Ende Juni 2021. Im Juli erhöhen sich die Entgelte um 2,3%. Diese Erhöhung fließt jedoch nicht in die Tariftabelle ein. Die 2,3% vom jeweiligen individuellen Brutto-Monatsentgelt fließen monatlich in einen Topf, werden angespart und künftig im Februar eines jeden Jahres an die Beschäftigten ausgezahlt – im Februar 2022 in Höhe von 18,4% und im Februar 2023 in Höhe von 27,6% eines Bruttomonatseinkommens.

Dies ist der Einstieg in eine jährlich dauerhafte Zahlung (27,6% eines monatlichen Bruttoentgelts). Mit dem neuen »Transformationsgeld« (T-Geld in NRW) oder »Trafo-Baustein« (Baden-Württemberg) wurde nach den tariflichen Zusatzgeldern A und B in der Tarifrunde 2018 eine weitere tarifliche Jahreszahlung geschaffen. Die angesparte Sonderzahlung wird jährlich ausgezahlt – entweder Cash direkt an die Beschäftigten oder als Teilentgeltausgleich bei einer Absenkung der Arbeitszeit im Betrieb.

Die IG Metall bewertet den Abschluss beim Lohn mit einem »Volumen von deutlich über zwei Prozent«. Aus Arbeitgebersicht bringt das Abkommen den Betrieben über die 21 Monate eine höhere Kostenbelastung von 1,1%. Damit ist es den Arbeitgebern gelungen, vor allem für jene ihrer Mitgliedsfirmen, die bisher unbeschadet durch die Corona-Krise gekommen sind, einen »Sonderprofit-Bonus« herauszuholen. Denn trotz Pandemie brummt die Produktion in einem Teil der Betriebe.

Daimler-Chef Ola Källenius konnte vor der Aktionärsversammlung verkünden, dass es trotz Krise gelungen sei, die Erwartungen »deutlich zu übertreffen«. Die Aktionäre sollen mit 1,35 Euro pro Aktie und damit insgesamt 1,44 Milliarden Euro am Gewinn im Krisenjahr beteiligt werden, fast 50% mehr als beim letzten Mal.[2] Eine »obszöne« Aktion vor dem Hintergrund, dass die Agentur für Arbeit durch die Finanzierung der Kurzarbeit von zehntausenden Daimler-Beschäftigten 700 Millionen Euro zu diesem Ergebnis beisteuerte sowie die Bundesregierung durch staatliche Zuschüsse beim Kauf eines LKW sowie Hybrid- bzw. E-Autos. Auch BMW und VW wollen Dividenden zahlen. Die Wolfsburger mit 4,86 Euro pro Aktie so viel wie im Vorjahr und BWM mit 1,90 pro Aktie etwas weniger als 2020. Nach einem Bericht der Tagesschau wird erwartet, dass die im Dax und MDAX gelisteten Konzerne in 2021 34 Milliarden ausschütten, was geringfügig über dem Niveau des Vorjahres läge.

Das Transformations-Geld (Trafo-Baustein) wird wahlweise ausgezahlt: Betriebe, die keine Beschäftigungsprobleme haben, zahlen das Geld als Einmalbetrag jeweils im Februar an die Beschäftigten aus. Betriebe wie beispielsweise Automobilzulieferer, die beim Umstieg von der Verbrenner-Technologie auf E-Mobilität einen längeren Zeitraum überbrücken müssen, können es, um Kündigungen zu vermeiden und Beschäftigung zu sichern, zum Entgeltausgleich bei Arbeitszeitverkürzung einsetzen.

In Verbindung mit weiteren Tarifelementen wie den Regelungen des Beschäftigungs-Tarifvertrages und den freien Tagen aus dem 2019 eingeführten tariflichen Zusatzgeld (T-Zug A) können Unternehmen so die Arbeit auf bis zu vier Tage in der Woche verkürzen, ohne dass das monatliche Entgelt der Beschäftigten gekürzt wird. Ferner gibt es Verbesserungen für Azubis und dual Studierende. Letztere fallen erstmals unter die Tarifbindung.

Der nordrhein-westfälische IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler bezeichnet die Einigung als »richtungsweisendes Ergebnis«. Mit dem Abschluss bestehe die Möglichkeit, »eine Arbeitszeitverkürzung bei Beschäftigungsproblemen ohne wesentlichen Entgeltverlust zu finanzieren, wenn die Betriebsparteien sich darauf im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung verständigen«. Damit können Unternehmen nun auch eine längere Transformation von bis zu drei Jahren überbrücken.

Die Metallarbeitgeber preisen als »großen Erfolg«, dass Unternehmen, die Verluste schreiben oder Minirenditen erzielen, entlastet werden. Doch die von ihnen geforderte dauerhaft verfügbare »Notfallautomatik«, sprich Abweichung vom Tarifvertrag nach unten ohne Hinzuziehung der Gewerkschaft, konnte weitestgehend abgewehrt werden. Die Entlastung kann im Jahr 2021 nur einmalig beim T-Zug-B-Entgelt (12,3% vom Facharbeiter-Eckentgelt, also rund 400 Euro) erfolgen.

Zum einen wird der Auszahlungstermin auf den 31. Oktober 2021 verschoben. Bei wirtschaftlich schwieriger Lage kann die Auszahlung erneut um sechs Monate nach hinten geschoben werden. Danach kann der T-Zug B nach Vorlage wirtschaftlicher Daten ganz oder teilweise entfallen. Es muss allerdings darauf geachtet werden, dass diese einmalige Regelung nicht zu einer »Blaupause« für künftige Abschlüsse wird. Die Begehrlichkeit der Arbeitgeber ist da: Der neue Mechanismus sei »wirklich hilfreich« – »wir werden ihn auch in Zukunft ziehen«, erklärte Stefan Wolf.

Mit dem neuen Tarifvertrag »Zukunft, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung« hat die IG Metall Rahmenregeln zur Gestaltung der betrieblichen Transformation durchgesetzt. Ihr Versuch, bei Standort-, Investitions- und Personalentscheidungen verbindlich mitzureden, führte nicht zum Erfolg, Die Arbeitgeber verteidigten die tradierte »Herr im Haus«-Haltung, die sie als »unternehmerische Freiheit« etikettieren. Dennoch: Die Tarifparteien haben sich auf einen Prozess hin zu Zukunftstarifverträgen verständigt. Die Betriebsparteien müssen über die Herausforderungen der Transformation im Betrieb beraten, wenn eine Partei das beantragt.

Das heißt: Sieht der Betriebsrat ein Problem auf das Unternehmen zukommen, kann er Gespräche verlangen. Unternehmen und Betriebsrat analysieren mit Unterstützung der Tarifparteien die Lage und können die nötigen Schritte wie Investitionen in den Standort, in zukunftsfähige Produkte sowie Zielbilder, Personalbedarf und Qualifizierung für die Arbeit in einem Tarifvertrag festschreiben. Wenn es über die Ergebnisse keine Einigung gibt, kann eine Moderation hinzugezogen werden.

Zudem können die Betriebsparteien zur Beratung eine von den Tarifvertragsparteien zu gründende »Transformationsagentur« hinzuziehen. Besteht weiter keine Einigkeit, wird der Dissens schriftlich festgehalten. Spätestens dann sind die betrieblichen Transformationsgespräche beendet – es bleibt bei der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in diesen Fragen.

Natürlich ist es richtig, dass der Pilot-Abschluss erst durch den enormen Druck der Beschäftigten zustande kam. Die IG Metall hat es geschafft, Corona-konform Warnstreiks zu organisieren – per Frühschluss-Aktionen, Kundgebungen im Autokinoformat, Demozügen mit Abstand und Maske, Menschenketten und Mobilitätskorsos. Auch die »digitalen Warnstreiks« von Angestellten im Homeoffice haben erstaunlich gut funktioniert, allein in Baden-Württemberg sollen am 12. März 19.000 Endgeräte eingeloggt gewesen sein.

Auch wenn die Warnstreiks, an denen sich in den vergangenen Wochen fast eine Million Metaller:innen beteiligten, zum Teil kämpferisch beeindruckende Bilder produziert und Teile der Arbeitgeber Einbußen beklagt haben, steht doch fest: Mit Autokorsos und digitalen Veranstaltungen kann nicht der gleiche wirtschaftliche Druck auf die Kapitalseite aufgebaut werden, wie durch die Präsenz von Streikenden auf und vor dem Betriebsgelände bis hin zum »24-Stunden-Warnstreik«.

Anmerkungen

[1] Siehe auch Otto König/Richard Detje: »Solidarische Lösung«? Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie 2020. »Nullrunde« in der Coronakrise, Sozialismus.de Aktuell 27.3.2020.
[2] Der Hardliner Wilfried Porth, Vorstand für Personal und Arbeitsdirektor bei der Daimler AG, ist nicht nur Südwestmetall-Chef, sondern als Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber zugleich Lobbyist für sein Unternehmen.

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